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Unter der Treppe
Momentan bin ich rundum zufrieden. Ja, ich glaube, das kann man so sagen.
Oder wie es neuerdings oft heißt: Ich bin angekommen. Da ich allerdings noch nicht ganz verstanden habe, wo man überhaupt wie richtig ankommen soll, bin ich doch lieber zufrieden. Punkt.
Natürlich war das nicht immer so, ganz im Gegenteil.
Es hat auch schon düstere Zeiten in meinem Leben gegeben. Richtig dunkel sozusagen. Damals.
Vor vielen Jahren habe ich nämlich am eigenen Leib erfahren müssen, wie gleichgültig Menschen sein können und ich kann durchaus behaupten, dass diese Erfahrung keine Freude bereitet. Erst nachdem ich heute meine unbeschwerte Lebensphase erreicht habe, ahne ich, dass es Licht ohne Schatten im Leben wahrscheinlich nicht gibt. Vielleicht ist das aber auch umgekehrt?
Was ich damit sagen will: Ohne diese traurige Zeit in meinem Leben wüsste ich bestimmt gar nicht, wie gut es mir heute geht und das wäre doch wirklich schlimm!
Es gab da also diese Treppe. Eine breite und massive Treppe in einem Einkaufzentrum mitten in der Fußgängerzone dieser großen Stadt, die im Grunde überall hätte sein können.
Hunderte von Menschen gingen jeden Tag daran vorbei und niemand nahm Notiz von mir.
Ich möchte an dieser Stelle nicht erklären, wie es dazu gekommen war, aber diese Treppe war durch unglückliche Umstände leider für viele Monate zu meinem Zuhause geworden.
Vorher war ich natürlich nicht alleine gewesen. Es hatte andere in meinem Leben gegeben.
Manche waren zwar schnell wieder verschwunden, viele aber auch eine Zeit lang an meiner Seite geblieben. Nur 'Freund' konnte ich nicht einen davon nennen, denn als ich eines Tages sozusagen abrutschte und in den Dreck fiel, hat mir keiner beigestanden. Konnte nicht, oder wollte nicht …
Also fand ich mich letztendlich alleingelassen unter dieser Treppe wieder, von niemandem beachtet. Und konnte von da an jeden Tag Füße an mir vorbeiziehen sehen. Füße, die etwas weiter oben von Stimmen begleitet wurden, welche sich oft mit anderen Stimmen über Belanglosigkeiten unterhielten.
Über das tolle Kleid, das Andrea beim Kinobesuch vorige Woche getragen hatte.
Ob die neue Tasche auch zu dem hellbraunen Wintermantel vom letzten Jahr passen wird, der noch zu Hause im Schrank hängt.
Dass die Schuhe im Laden XY vorhin wirklich sehr schön gewesen waren, aber so teuer …
Und ich saß alleine unter meiner Treppe und hörte ihnen allen zu.
Was sollte ich auch sonst machen?
Die Füße waren meistens genauso schnell wieder fort, wie sie gekommen waren.
Begleitet von den Gesprächsfetzen und meiner Hoffnung, dass mich endlich nur einmal wieder jemand wahrnimmt.
Manchmal passierte es sogar tatsächlich, dass ein Augenpaar in meine Richtung blickte. Doch offensichtlich schien ich Luft zu sein, denn gleich im nächsten Moment wurde das zugehörige Gesicht wieder weggedreht ohne ein Anzeichen von Erkennen oder sogar Interesse.
Kinder waren dabei ein kleine Ausnahme, denn ab und zu kam es vor, dass eines stehenblieb und mich richtig ansah. Mich anlächelte! Bevor sie allerdings etwas sagen konnten, wurden sie stets weitergezogen von dem erwachsenen Menschen, dem die Füße daneben gehörten. Und ich versank wieder in meinem täglichen Einerlei: Füße – Stimmen – Nichtbeachtetwerden
Wenn der Abend kam, wurde es still um mich herum.
Die Füße verschwanden und wenn die Putzkolonne fertig war, verschwand auch das Licht.
Bis zum nächsten Morgen hatte mich die Dunkelheit in ihren Fängen. Und die Einsamkeit.
Manchmal kehrten zum Glück die Stimmen zu mir zurück, in meinem Kopf. Das ganze Gemurmel, das mich tagsüber umgeben hatte und auch einzelne Sätze, die stets daraus hervorsprangen. Das war schön, dann war es nicht mehr so still unter meiner Treppe.
Nun ja, um es kurz zu machen: Auch diese düstere Zeit hatte irgendwann ein Ende.
SIE war gekommen!
Zuerst waren es wieder ein paar Füße, die nur kurz stehen blieben. Doch dann bemerkte ich, dass ich angesehen wurde und zwar wirklich. Kein Blick, der nur zufällig in meine Richtung fiel und dessen Träger sofort weiterging und mich im selben Moment vergaß.
Nein, SIE schaute mich an und ein Lächeln erstrahlte auf ihrem Gesicht.
Von einer Sekunde auf die nächste veränderte sich daraufhin mein Leben.
SIE bückte sich herunter und zog mich unter dieser Treppe hervor. Heraus aus dem Dreck.
„Hast Du wirklich die ganze Zeit hier auf mich gewartet? Wie schön!", freute sie sich und wischte dabei den Staub aus meinem Fell. Und dann gingen wir gemeinsam zur Kasse und sie bezahlte.
Viel war es eigentlich nicht, aber vorher hatte mich einfach keiner haben wollen.
Dabei bin ich sogar richtig niedlich: Rosa und flauschig, von oben bis unten. Ein plüschiger Bauch mit kurzen Armen und Beinen daran. Süße schwarze Knopfaugen. Spitze Ohren. Schweinenase.
Übrigens nennt man mich Bärbel. Die pinke Bärbel.
Und dies ist meine wahre Geschichte!
Etwa ein dreiviertel Jahr hatte ich unter dieser Kaufhaustreppe gelegen. Unbeachtet.
Herausgefallen aus dem Regal, in dem ich mit den anderen Schweinchen gesessen hatte.
SIE hatte mich auch damals schon im Regal bemerkt, aber nicht mitgenommen, denn eine Erwachsene kauft sich doch kein Stofftier.
Ich bin allerdings noch tagelang durch ihre Erinnerung gespukt und sie hat sich geärgert. Weil ich doch so knuffig ausgesehen habe.
Nur waren zu diesem Zeitpunkt die Regale bereits umgeräumt und ich offenbar weg …
Heute, viele Jahre später, sitze ich auf ihrem Nachttisch und bin sehr zufrieden dort.
Es ist ein Mann dazugekommen und auch Kinder.
Ab und zu werde ich jetzt geknuddelt, gewaschen oder auch gebürstet.
Nur nachts kommen manchmal noch die Stimmen wieder.
Die flüstere ich dann einfach in ihr Ohr und werde sie so ganz schnell wieder los.
Ich glaube, in ihrem Kopf werden Geschichten daraus und das gefällt mir, denn auf diese Weise ist meine Zeit unter der Treppe anscheinend doch nicht unnötig gewesen.