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Unter den Gleichen

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16.11.2003
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Unter den Gleichen

Unter den Gleichen - Ein Nachruf

Unter den Gleichen - Ein Nachruf


Der junge Mann

Walter Borngert war vom Fieber ins Laken gedrückt worden. Es war sein letztes Laken, in seinem letzten Bett, im Totenbett. Aber die Ruhe, die sonst jedem Sterbenden galt, fing ihn nicht. Die Fesseln waren die des Fiebers und des Verrats. Schon oft wurde er betrogen, und es war immer nur eine Frage von Augenblicken, wann der nächste Denunziant seine vorgefertigte Aufgabe in einem vorgefertigten Staat ausführen würde.
Die Leber schickte alle Macht gegen Borngert, um ihn endlich zu vernichten. Was der Staat nicht vermochte (aber begann) führte der Leib zu einem bitteren Ende. Schweiß und Blut teilten sich mit Borngert das Totenbett. Er war zu schwach, um aufzustehen, um ein letztes Mal aufzubäumen. Harry Gonerts und Karl Unprecht brachten ihn in ein Krankenhaus, wo jetzt sein Bett stand. Die Fesseln der Denunzianten wurden ihm genommen, aber unsichtbar hielten sie ihn dennoch fest, denn die Ereignisse der Vergangenheit waren zu lebendig. Während Borngert starb, feierten die Fesseln ihren Endsieg über einen unbequemen Mann.

„Wo war der Alte ?“

Borngert war der einzige Sohn eines Volksschullehrers, über den es nicht viel zu sagen gab. Borngerts Mutter hatte zu Beginn einen größeren Einfluß auf ihren Sohn als es der Vater je gekonnt hätte. Der Sohn empfand Bewunderung für das Schreiben der Mutter. Als Frau gab sie ihm alles, was er für andere Frauen empfinden würde. Ihre Art, ihr Lächeln, ihre Verachtung für alles, was schlecht war. Als Heimatschriftstellerin schenkte sie Walter das Glück und die Freude, die ihn in späterer Zeit verließen. Sie verstand es auch, dass ihr Sohn zwar eine Bewunderung für die abendlichen Lagerfeuer der Jugend empfand, aber sehr schnell die versteckte Hörigkeit und den Willen, gewalttätig zu sein verabscheute. Es war also für niemanden eine Überraschung, dass er die bündische Romantik hinter sich ließ. Seinen Hang zu Rilke und den anderen aber konnte er nicht ablegen, denn die Macht der Natur, die für ihn ausdrücklich war, hatte ihn ergriffen. An ihr konnte jeder Mensch erklärt werden, dachte er damals noch.
So beobachtete Borngert Land und Leute seiner Umgebung. Die Uniformen der Jugend waren ihm ein Greuel. Zwar fühlte sich jeder oberflächlich berührt von der friedlichen Gewalt der alles umgebenden Natur, aber Staat und Sitte zwangen die Jungen, sich unterzuordnen. Wäre es ein Unterordnen unter die Natur geworden, Walter wäre erfreut und begeistert gewesen. Aber die Verbrecher im Staat verlangten Gehorsam und Gleichheit. Nicht die Natur, nein, die mächtigen Leute waren der Herr. Niemand durfte besonders sein, denn es wäre eine Störung der Ordnung.
Alles war gleich, bloß Borngert nicht mehr: Fortan trug er gern rote Pompons, die Hutkrempe schnitt er ab. Unter dem Hut trug er langes Haar. Er wurde schon äußerlich ein Dorn im Auge des wachen Staates.
Die Frauen aber, welche den Staat duldeten, ihm aber nicht verbunden waren, zeigten Entzückung für den jungen Mann, der in seiner Art die bestehende Gegenwart zu einem Kampf forderte. Sie waren meist älter als Borngert und förderten den noch jungen Mann in seinen Bestrebungen, die Wirklichkeit aufzuschreiben, wenn nicht gar zu stören. Gedanken an seine Mutter aber störten seine Beziehungen zu den Frauen. War es ihm früher dienlich, dass seine Mutter ein Zentrum seiner Gefühle war, so schien es nun ein Hindernis zu sein. In jedem Gesicht einer noch so liebreizenden Frau spiegelte sich das Antlitz der lieben Mutter. Ohne dies zu überwinden, ließ Borngert es sich jedoch nicht nehmen, seine Wirkung zu nutzen.
In seiner Lehre bei einem Buchhändler kam es zum ersten offenen Schlagabtausch mit den Verbrechern. Eine unwissende dumme Frau las eines Tages eine Ode Borngerts und glaubte in ihrer vom Staat aufgedrückten Flachheit an ein Bekenntnis zur Männerliebe. Nach einer kalten Nacht in einem dunklen Keller der Staatspolizei erkannte man zwar, dass die Ode lediglich eine Bewunderung für Rilke war, aber fortan wußte man den jungen Dorn zu beobachten.
Alle Briefe aus dem Schützengraben oder aus den Lazaretten wurden geöffnet und genau geprüft, denn man fürchtete diesen merkwürdigen Mann. Endlich glaubte man ihn erwischt zu haben, als er mit einer schweren Handverletzung versehen vom Schlachtfeld kam. Im Sommer brachte man ihn nach Nürnberg und warf ihm vor, sich die Verletzung selbst beigebracht zu haben.
Als Folge dieses Vorwurfs sperrte man ihn in eine Zelle. Sechs Wochen wartete Borngert auf den Vollzug der Todesstrafe. In dieser Zeit hätte er sich gern in einen braunen Balinesen verwandelt, aber Hunger und Angst unterdrückten gemeinsam mit dem Staat jeden Versuch der Verwandlung. Er wurde letztlich begnadigt, dann wieder verhaftet wegen seiner Protestbriefe, die er schrieb. Nach verkürzter Haft schickte man Borngert zurück an die Front, die er mit Fleckfieber und Erfrierungen an den Füßen verließ. Nach einem kurzen Aufenthalt in Smolensk kehrte er krank und schwach nach Hamburg zurück.
Natürlich ließ man ihn nicht gewähren: Wegen einer Parodie auf einen der sogenannten großen Herren des Staates steckte man ihn ins Gefängnis in Berlin. Zahllose Fliegerangriffe hätten dem gejagten Leben ein Ende bereiten können, aber das geschah nicht. Stattdessen wurde er entlassen und zur Bewährung an der Front nach Frankfurt geschickt. Die Franzosen nahmen ihn –damit er sich nicht an Freiheit gewöhnte- gefangen. Nach seiner Flucht wanderte er sechshundert Kilometer nach Hamburg zurück. „Ich bin wirklich eine Marionette“, sagte er sich auf seinen Wegen.
Entkräftet und zerstört lag er am Ende auf seinem Totenbett. Dort bäumte er sich gegen die Fesseln auf, die ihm niemals wirklich abgenommen wurden.

Der Alte

Wenn man stirbt, dann verliert man seinen Namen. Auch der Tod besteht nicht darauf, weiß er doch genau, wen er sich holen will. Ein vom Fieber geschundener Leib schwitzt sich durch das Elend seiner letzten Tage. Heiß und kalt wechseln den Terror. Leber und Leib bringen neue schlechte Kunde und stechen ihren ganzen Haß gegen sich selbst in die eigene Seite. Die Unmenschlichkeit, die Unnatürlichkeit der Gegenwart, die dem Wahnsinn die Türen öffneten, wenden sich nun gegen meinen Geist. Sie wollen Schlingen dort legen, wo noch kein Richter sie legen konnte. Ich wehre mich.
Hundeblumen legen sich um den Sarg; die Welt verstummt; brauner Balinese; Leber springt heraus; Wunden spritzen Bluteiter; Knochen knarren auseinander; Fleisch verödet; faulige Gerüche im Bett; schwarz wird alles; Fliegen surren in Löchern; springe auseinander; verwandle mich; Fesseln und Ketten brechen; winde mich heraus; ein Wolf in mir; ich fresse meinen Leib; bin leiblos; ichlos; gewonnen.

Der Alte sah den Tod eines Mannes, der ihn mal gerufen hatte:
„Wo ist denn der alte Mann, der sich Gott nennt ? Warum redet er denn nicht ! Gibt denn keiner, keiner Antwort ?“ schrie und schrieb er.
Der Alte antwortete nie.

 

Hi Kosh,

erstmal vorweg, ich lese Deine Geschichten sehr gerne, weil Du keine Mainstreamplots anbietest, sondern die Absurdität des Realen darstellst. Sprachlich sprechen mich der erste und letzte Abschnitt an- schreibe selbst gerne so - aber wieder fehlt der 'Feinschliff': Der Hauptteil deiner Geschichte liest sich wie eine Zusammenfassung, wie der Rohplot eines geplanten Romans, nicht wie eine Kurzgeschichte. Wenn Du das Leben des Prots in gänze darstellen willst, pobier sprachlich zu 'streamen', d.h. wichtige Bilder, Abschnitte seines Lebens aufzugreifen - schließlich schweift Borngert, den Tod vor Augen, durch sein Leben und zieht ein Resumee. Gehe mit ihm mit ( -> magst doch beschreibende Nähe, oder? ), führe den Leser dynamisch und lebendig. Oder, wenn Du es klassicher willst, schreib mehr.

Völlig eigennützig ( - schließlich bin ich davon überzeugt, daß Du irgendwann zu meinen Lieblingsautoren zählen könntest -),
liebe Grüße,
Leif2

 

Hallo !

Ja, was Du kritisierst, ist mir auch aufgefallen, stört mich ebenso. Ich arbeite bereits an einer ausgedehnteren, berührenderen Fassung.

Gruß,
Kosh

 

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