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Unter dem Nussbaum

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03.03.2012
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Unter dem Nussbaum

207 Sekunden, die Zeit eilt fort. Auf und ab schwankt mein Körper, einer besseren Zukunft entgegen. Erst „Tick“ dann „Tack“ murmelt die Uhr fragend. Ja, ich erinnere mich, mein kleiner Freund. 104 Ticks, 103 Tacks, solange hat es damals gedauert. Dann wurde ich ohnmächtig, was mich wohl auch jetzt zu der Annahme verleitet, 207 Sekunden noch zu haben. Dieses Mal ohne Wiederkehr. „Tick-Tack“. Ich baumle am Strick im Gleichschlag mit der Zeit.
Natürlich, Selbstmord, wie erbärmlich, die letzte Rückzugsmöglichkeit für einen hohlen Charakter, der vor Selbstmitleid überläuft. Dennoch, dass trifft es nicht ganz.

Als kleines Kind war ich durchaus religiös gewesen. Wenn man es als Tatsache begreift, dass ein Gott einen das Leben zum Geschenk machte, scheint es sicherlich absurd dieses Geschenk wegwerfen zu wollen. Diesen Gedankengang hatte ich mir damals zurechtgelegt und das Kapitel war für mich vorerst geschlossen. Nun, die Jahre kamen und Gott ging. Meine Einstellung zu dem Thema jedoch blieb vorerst gleich, ganz nach dem Motto: Mal abwarten was die Zukunft noch bringen mag. Ich begann zu realisieren, dass der Chefkoch „Zukunft“ es vorzog, mir jeden Tag die gleiche Mahlzeit zu kredenzen. Diese ähnelte stark einer halbherzigen Vorspeise vom Vortag . Also begann ich mir meine eigenen Gedanken zu machen.
Als Mensch, der gerne auch vorausplant, habe ich mir natürlich schon früher an den Tod gedacht, gerade auch im Kontext eines atheistischen Weltbildes. Ein guter Ansatz war Epikur. Ich ging also davon aus, den Tod nicht fürchten zu müssen, da ich ihn als endgültige Abwesenheit des Ichs zu interpretieren vermochte. Klar, unter Berücksichtigung dieser Gegebenheiten sollte Selbstmord noch absurder für mich geschienen haben. Dem war aber nicht so. Warum will also jemand das Leben selbst, also den Rahmen der eigenen Existenz, für immer vernichten? Vielleicht weil ihm das Gemälde gar nicht gefällt?

186 Sekunden spricht die Uhr, noch ist vieles möglich. Dieser Meinung war ich auch einst. Das Potenzial zufrieden und glücklich zu sein, und sei dieser Zustand noch so weit entfernt, stellte für mich einen Lebenswert per se dar. Nun, jeder Mensch wird mit dem Potenzial zu irgendwas in die Gesellschaft geboren, die dieses Potenzial wiederum ändert und dreht und wendet. Und obwohl ich noch immer der Meinung war, dass jeder grundsätzlich glücklich sein könnte, so schien doch nicht immer das entsprechende Umfeld dafür vorhanden zu sein.
Nein, ich gebe an dieser Stelle nicht der Gesellschaft die Schuld an allem. Darum habe ich auch keinen dieser kläglichen Abschiedsbriefe verfasst. Dieser Tod ist nur für mich alleine gedacht. Dass heißt letztlich nicht, dass ich mich nicht dazu gezwungen sehe eine andere Menschenkreatur mit meinem Ableben zu belasten. Dies ist bei der Tötung durch den Strick kaum zu vermeiden. Aber wenn mich jemand findet, dann einer meiner nervigen Nachbarn oder jemand vom Vater. Staat. Den echten gibt es ja jetzt schon eine Weile nicht mehr.
1. 5. 0. Der oder das Zeitmesser hat gesprochen oder geschnitten. Wie's beliebt. Es ist schon komisch: Umso älter man wird, desto schneller vergeht die Zeit. Man versucht nur noch irgendwie mitzukommen. Und ehe man sich versieht sind die Freunde von einst weg, die Familie irgendwie auch, alles was man erreichen wollte scheint unerreichbar. Irgendwann ging es mir scheinbar ganz gut. Ich hatte doch Freunde, oder? Ich komm euch gleich besuchen.
Die zwei letzten Minuten sind angebrochen. Mir schmerzt langsam die Lunge. Das Seil am Hals hat sich auch zu erstklassigem Weltkriegs-Stacheldraht entwickelt. „Wenigstens einer von uns beiden bringt's zu was.“ Ich würde dem Seil gerne diese aufmunternden Worte sagen, aber seltsamerweise ist meine Kehle eingeschlafen. Allgemein fühlt sich mein Körper ziemlich kribbelig an. Ich bin aufgeregt. Trotzdem habe ich Kopf- und Halsschmerzen. Warum geht es mir so schlecht, ich bin doch sonst nicht so anfällig?
Ach so, ja stimmt. Ich sterbe.

Wir sind zeitlich schon zweistellig. Ob man mich dafür hassen wird? Leer scheint die Welt geworden zu sein. Kalt auch. Sagt mir, dass ihr mich vermissen werdet. Das werdet ihr doch?
Nein, ich gehe mit Stolz, ihr wolltet mich ja nie. Ihr Schweine habt doch keine Ahnung, wie ihr jeden Tag euch gegenseitig tretet und schubst, nur um eurer jämmerliches Haupt in den vollen Fresstrog zu stürzen. Immer mehr, immer selbst am meisten, jeden Tag. Ich sollte euch danken, ich war einst auch so. Aber das ist schon viel zu lange her, als dass ich mich erinnern könnte.
Trotzdem hätte ich vielleicht etwas anders machen gekonnt? Ist es überhaupt legitim jetzt zu zweifeln?
Oh, gleich ist es soweit. 7...6...5...4...3...2...1..........
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Was ist los? Habe ich etwa noch Zeit?

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Naht!
Darüber, ob das eine Geschichte ist, kann man streiten. Egal! Selbstmord scheint ein beliebtes Thema für Kurzgeschichten zu sein. Das liegt vermutlich daran, dass so viele Menschen an Selbstmord denken. Und es mag wohl auch einen Zusammenhang geben zwischen Introvertiertheit (oder heißt es Introversion?), Depression, schreiben und Suizid (das alles vereint in einer Person). Ich fand Deine Geschichte nicht schlecht. Allerdings ist das Philosophieren darin für meinen Geschmack ein bisschen zu langatmig. Immerhin versuchst Du den Protagonisten als einigermaßen selbstmitleidslos darzustellen, oder besser vielleicht: Du stellst ihn so dar, dass er zu glauben scheint, er habe kein Selbstmitleid, obwohl er es wohl doch vielleicht hat? Nicht schlecht. Das könntes Du vielleicht nocht mehr ausarbeiten. Motto: "Ich bringe mich um, weil ich es will und nicht aus Selbstmitleid. Und übrigens waren das Leben und alles andere immer schlecht zu mir..."
Die Vorstellung, dass da einer am Strick baumelt und vor sich hin philosophiert, ist makaber, aber das hat was Witziges - für die, die den Schwarzen Humor mögen. Für mich gehört die Geschichte eher in die Rubrik "Humor" als in die Sparte "Philosophie", und ich hätte noch mehr Beschreibungen der Szenerie gut gefunden. Die stärksten Teile Deiner Geschichte sind die, wo der Protagonist seine Empfindungen beschreibt, sozusagen selbstironisch bis zum Ende (und ob dass wirklich kommt, lässt Du ja offen).
Den Titel finde ich übrigens gut: Passt, verrät nichts, lässt eher an ein Picknick oder ein Schäferstündchen denken.
Jannes

 

Hallo Naht

Schön, dass du wohlüberlegt einen Nussbaum wähltest, das Holz ist stabil und trägt die Last. Im Übrigen fehlt mir etwas das Ausgegorene, einen Sinn in diesem Galgenspiel. Galgenhumor ist es nicht, dies wäre es für mein Leserverständnis dann gewesen, wenn der Prot. etwa eine vorzeitige Himmelfahrt ausführen wollte, in Erwartung eines Paradieses. Doch der philosophische Aspekt ist hier ja das Tragende, von dir angeführt mit einer verfremdeten Aussage von Epikur.

Ich ging also davon aus, den Tod nicht fürchten zu müssen, da ich ihn als endgültige Abwesenheit des Ichs zu interpretieren vermochte.

Epikur sprach von menschlicher Seele in Weiterentwicklung des Atomismus von Demokrit. Seelenatome waren für ihn ein Stoffwechselvorgang im Austausch mit den Körperfunktionen. Bei Eintritt des Todes zerstreuen sich diese nach dieser Logik in unzählige Atome, da sie nur durch den Körper zusammengehalten werden. Demokrit dozierte, dass sich diese weiter zergliederten Atome in neue menschliche Wesen einnisten. Epikur widersprach diesem Satz – Irrtum meinerseits vorbehalten - nicht. Hier irrt also der Prot., ebenso wenn er es als Ich, im heutigen Sprachgebrauch definiert. Hierzu müsste er einen Schritt weitergehen und eine eigene Theorie erläutern.

Einen philosophischen Anteil könnte man in der Geschichte m. E. daraus ableiten, dass der Seelenbegriff Epikurs der Physik zugerechnet wurde. Der Akt des Erhängens ist ein physischer Vorgang, doch wo bleibt da die Erkenntnis, ausser dass es länger dauern kann, wenn das Seil keinen fachgerechten Knoten hat, der das Genick bricht?

So wie dargelegt wirkt mir die Geschichte etwas wirr, im Kern ein lustiges Moment, aber insgesamt einem philosophischen Lesestück nicht gerecht werdend. Dennoch hat es mir Spass gemacht, einem versteckten Sinn dahinter nachzuspüren, auch wenn ich ihn nicht fand.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hej Naht,

mir hat Dein Einstieg leider nicht gefallen. Für mich sind das aneinandergereihte Gedanken, die durch die Absicht des Erzählers, Selbstmord zu begehen eine scheinbare Basis erhalten.

Aber: Jemand der die Absicht hat, Selbstmord zu begehen, ist eben nicht einer, der "vor Selbstmitleid überläuft", sondern idR so verzweifelt, dass er diesen Weg als einzig möglichen begreift.

Dein Erzähler ist also lediglich selbstmitleidig. Irgendwelche Erkenntnisse dazu finde ich aber auch nicht.

207 Sekunden, die Zeit eilt fort.
Man stolpert förmlich über das Komma, ein "und" würde eher den Fluss der Zeit verdeutlichen. Meine Meinung.

Erst „Tick“ dann „Tack“ murmelt die Uhr fragend.
Dass eine Uhr fragend tickt, muss einen Grund haben. Mir fällt hier keiner ein.

Ich baumle am Strick im Gleichschlag mit der Zeit.
Und weil es sich da so gemütlich hängt und ich ja auch schlecht etwas anderes tun kann, philosophiere ich eben ein bisschen vor mich hin, ja, ja.

Diesen Gedankengang hatte ich mir damals zurechtgelegt und das Kapitel war für mich vorerst geschlossen.
Hat er oder sie schon als Kind über Selbstmord nachgedacht?

Ich begann zu realisieren, dass der Chefkoch „Zukunft“ es vorzog, mir jeden Tag die gleiche Mahlzeit zu kredenzen.
Eine für den Erzähler schmeichelhafte Variante von Einfallslosigkeit?

Klar, unter Berücksichtigung dieser Gegebenheiten sollte Selbstmord noch absurder für mich geschienen haben.
Nö, gar nicht. Absurd wird der Selbstmord z.B., wenn das "Ich" keinen Wert hat. Wenn das Ich als Last empfunden wird, könnte Epikur und ein Selbstmord sehr folgerichtig sein.

Warum will also jemand das Leben selbst, also den Rahmen der eigenen Existenz, für immer vernichten? Vielleicht weil ihm das Gemälde gar nicht gefällt?
Was denn nun, das Leben selbst oder die eigene Existenz? Das sind zwei Paar Schuhe. Will er alles zerstören, damit er zerstört wird? Das wird mit einem Strick um den Hals eher schwierig.

Das Potenzial zufrieden und glücklich zu sein, und sei dieser Zustand noch so weit entfernt, stellte für mich einen Lebenswert per se dar.
Einen Wert erhält das Sein doch nicht "per se" und auf Entfernung, sondern weil man es (z.B. das Glück) erlebt (hat).

Dieser Tod ist nur für mich alleine gedacht.
Selbstmitleid mit einer fiesen. selbstgerechten Note, weil er den "nervigen Nachbarn" ohne mit der Wimper zu zucken zumutet, durch sein Ableben traumatisiert zu werden.

Den echten gibt es ja jetzt schon eine Weile nicht mehr.
Was bedeutet in dem Zusammenhang "echt"?

Mir schmerzt langsam die Lunge.
Das ist albern.

Sagt mir, dass ihr mich vermissen werdet. Das werdet ihr doch?
:dozey: Ehrliche Antwort?

Nein, ich gehe mit Stolz, ihr wolltet mich ja nie. Ihr Schweine habt doch keine Ahnung, wie ihr jeden Tag euch gegenseitig tretet und schubst, nur um eurer jämmerliches Haupt in den vollen Fresstrog zu stürzen. Immer mehr, immer selbst am meisten, jeden Tag. Ich sollte euch danken, ich war einst auch so. Aber das ist schon viel zu lange her, als dass ich mich erinnern könnte.
Diese Theatralik finde ich wenig nachvollziehbar.

Trotzdem hätte ich vielleicht etwas anders machen gekonnt?
Hätte ich vielleicht etwas anders machen können?

Oh, gleich ist es soweit.
Fehlt nur, dass er in die Hände klatscht.

Was ist los? Habe ich etwa noch Zeit?
Eh, wo ist sein Selbstmitleid geblieben? Wahrscheinlich geht es ihm jetzt besser, weil er den Leser genötigt hat, den ganzen Klumpatsch mitzumachen.

Für mich war's nix.

LG
Ane

 

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