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Unter dem Meer

Cat

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06.03.2002
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Unter dem Meer

Die alte Frau hasst das Tosen der Wellen. Wind streicht um ihre Beine wie eine hungrige Katze. Haie, die beißen. Quallen, die auf der Haut brennen. Schiffe, die untergehen. Schönheit zu entdecken fällt ihr schwer. Das Salz des Wassers vergiftet die Luft, lässt kaum einen tiefen Atemzug zu. Wohin sie auch tritt, gibt der Boden nach, versinken ihre Füße. Tiefer, immer tiefer. Treibsand, davon hat sie schon gehört, verschlingt ihren Leib, schlägt über ihrem Kopf zusammen.

Unter dem Meer ist es kühl. Kleine Körnchen, die kitzelnd in ihre Nase dringen, atmet sie einfach wieder aus. Es funktioniert. Die Ruhe im Inneren der Erde lässt sich leichter ertragen als das grausame Kreischen der Möwen. Es treibt sie noch weiter. Meter um Meter nähert sich ihr Körper dem Zentrum. Dort ist es warm. Noch kann sie es nicht spüren. Dunkelheit beschützt sie vor den Killerhaien. Den Mörderquallen. Vor der salzigen Gischt, die in den Augen brennt wie Salzsäure. Säure, die ihre Augäpfel auffrisst, in ihr Gehirn eindringt. Eine fiese Flüssigkeit, gemein, hinterhältig. „Gnade!“, ruft die Frau und die Gischt gehorcht, löscht alles aus. Kein Denken, kein Fühlen mehr.

An diesem Ort lebt es sich besser. Die Wärme kommt näher, angenehm prickelt der Sand. Langsames Sinken geschieht, auch ohne ihr Strampeln. Völlig bewegungslos treibt es sie voran, weit entfernt vom Grauen. Wie einfach das ist. So sorglos, dass sie ein lustiges Liedchen pfeifen möchte. Ha, ha, das funktioniert nicht, ihre Lippen bringen hier unten keinen Ton zustande. Von den Zehen aus steigt die Hitze empor. Die Frau ist mit sich zufrieden, denn sie hat es den anderen gezeigt. Denjenigen, die immer besser wussten, was gut für sie ist. Seht ihr mich nun, seht ihr, wie glücklich ich bin?

Horch, was klingt wie ein Topf gefüllt mit kochendem Wasser? Das Geräusch erzeugt Heiterkeit, Erinnerungen werden wach. Es blubbert, gluckst. Diese herrlichen Laute!
Bald erreicht sie das Feuer.

Weit über ihr tobt das Meer.

 

Das Ende eines schrecklichen Tages - so entspannt will es wohl jeder ausklingen lassen. Guter Beschreibungsstil, fühl gleich die Ruhe und Eentspanntheit mit.

 

hey cat

anders als smily sehe ich deine protagonistin nicht am ende eines langen tages, sondern eines langen lebens. was du beschreibst klingt sehr endgültig. die frau hat ihr leben hinter sich gelassen und sieht es in ihrer rückschau als zufriedenstellend an. das feuer als krematorium oder metapher für tod oder unterwelt, das meer als metapher für das leben.

die geschichte gefällt mir, obwohl ich die gefahr sehe mit meinem ansatz total daneben zu liegen.
cu bigmica

 

Hallo smily und bigmica,

Feuer als Sinnbild für den Tod, Meer als Sinnbild für Leben. Das sehe ich ähnlich.
Das Meer soll bedrohlich auf die alte Frau wirken. Wenn sie jedoch die Augen davor verschließt (Sand), empfindet die Protagonistin die von Smily angesprochende Ruhe und Entspanntheit. Doch auch die Gefahr, auf die sie zutreibt (Feuer), wird damit ausgeblendet.

Ich überlege, den Satz „So viel Freude an einem Tag, der so schrecklich begann“ lieber herauszunehmen, da er fälschlicherweise den Eindruck erweckt, alles geschähe an einem Tag. Es handelt sich aber eher um eine langfristige Entwicklung.

Danke für eure Kritiken!
Cat

 

Hi Cat, deine Geschichte hat mir gefallen, nur wäre ich vorsichtig mit den Metaphern, welche du benutzt.
Du siehst das Meer als Bild für das Leben. Dies ist aber heikel da es gewöhnlich die Endlosigkeit und das Hinübergleiten in den Tot symbolistert. ( Siehe Symbolik des Totenflusses bei den Griechen oder Symbolik des Meeres in " Tot in Venedig".)
So gesehen macht diese Symbolik aber auch in deiner Geschichte Sinn:
Die Frau steht am Anfang noch über dem Wasser bei den Möven , also im Leben, und gleitet dann aus eigener Entscheidung herraus ins Meer ab, also auf die Strasse in den Tot. Dieser Weg ist in deiner Geschichte quallvoll und gefährlich, endet aber in einem wohlig warmen und sicherem Ort, dem Tot.

Ich weis nicht ob du es dir so gedacht hast , aber es macht Sinn denke ich.
Ok, auf jeden Fall eine Geschichte bei der es sich lohnt über sie nachzudenken.

 

Hallo Cat,

Sehr gut.
Gelungen.
ich war sehr überrascht Surreal, und alles mit Logik.
z. b. hast du eine Erklärung dafür abgegeben, warum die Haie sie nicht angreifen können, der Dunkelheit wegen. Ich habe es so verstanden, daß sie dem Erdinneren und der dem dort existierenden warmen kern immer näher kommt. Tja, es ist der reine Surrealismus für mich. Nicht kompliziert sondern einfach.

Habe aber leider eine Sache nicht verstanden.
Steht sie am ende am Kochtopf und träumt? oder nicht?
Denn wenn das so ist, dann schlägt diese Story in hier um. Denn dadurch, daß sie träumt wird sie real!.

Also das Ende habe ich leider nicht richtig interpretieren können!

Liebe Grüße Archetyp

 

@Marot
Danke, dass du dich mich meiner Geschichte befasst hast.
Ich habe es mir ein bisschen anders gedacht. Den Weg zum Feuer, die Dunkelheit und Wärme empfindet die Frau als beruhigend. Wohin er letztlich führt, will sie nicht wissen. Dem Meer gegenüber kann sie nur Negatives abgewinnen, es macht ihr Angst, sie verschließt sich davor.

@ Archetyp
Auch dir herzlichen Dank für deine Kritik. Du hast es ganz richtig verstanden – der Weg der alten Frau führt zum Erdinneren, in der Dunkelheit fühlt sie sich sicher.
Zum Ende: Nein, sie steht am Ende nicht am Kochtopf und träumt. Für sie weckt das Geräusch, das eigentlich Gefahr symbolisieren soll, ein Gefühl der Geborgenheit, da es sie an eine gewohnte Szene aus ihrem Leben erinnert. Die Gefahr verdrängt sie.

Viele Grüße
Cat

 

Hallo Cat,

eine Geschichte, die gut die Einstellungen der alten Frau zum Leben zeigt ("Die alte Frau hasst das Tosen der Wellen."). Das Leben, was sie als unangenehm empfindet. Es sogar so sehr ablehnt, dass sie die Natur als Bedrohung empfindet. Die objektive Schönheit der Natur wird zu einer subjektiven Bedrohung, vor der sie nur die Flucht als Ausweg sieht. Diese Flucht vollzieht sich allerdings durch ihre Passivität bzw. sie trägt nichts zu dieser bei. Und diese Passivität scheint ihr dann ein Ort des Wohlfühlens zu geben.
Allerdings wird mir nicht ganz klar, warum die alte Frau am Ende doch noch Empfindungen haben kann, wo doch
die Gischt alles ausgelöscht hat ("Kein Denken, kein Fühlen mehr.")?

Liebe Grüße

Liabup

 

Hallo Cat!

Deine Beschreibungen im ersten Absatz empfand ich als sehr unangenehm - was aber auch heißt, daß sie ihre Wirkung nicht verfehlen. Trotzdem habe ich das Gefühl, daß sie ein bisschen zu hart sind, durch die Quallen auf der Haut oder die Haie, die beißen.

Surreal ist sie, denke ich, auf jeden Fall. Nur verwendest Du einige Metaphern, die mir persönlich nicht so zusagen. Stilistisch ist sie ganz gut, außerdem hast Du eine sehr gute Rechtschreibung. :)

Ich überlege, den Satz „So viel Freude an einem Tag, der so schrecklich begann“ lieber herauszunehmen, da er fälschlicherweise den Eindruck erweckt, alles geschähe an einem Tag.
Ja, bitte mach das. Vor allem hatte ich dadurch erst das Gefühl, es handle sich um einen Selbstmord...

Ein kleiner Fehler noch:

schlägt über ihren Kopf zusammen.
- ihrem

Liebe Grüße
Susi

 

Hi Cat,
auch ich fand die Geschichte ziemlich gut und ich hatte auch das Gefühl sie einigermaßen richtig verstanden zu haben. Aber eine Sache fand ich nicht ganz schlüssig. Wo du schreibst, dass der Sand sie vor all den gefährlichen Dingen im "Meer" schützt, u.a. vor der
"salzigen Gischt, die in den Augen brennt wie Salzsäure"
Dann beschreibst du wie die Gischt "ihre Augäpfel auffrisst, in ihr Gehirn eindringt". Aber wie kann die Gischt diese Dinge tun, wenn doch der Sand, wie du davor geschrieben hast, sie davor schützt?

Sasami

 

@Liabup

Allerdings wird mir nicht ganz klar, warum die alte Frau am Ende doch noch Empfindungen haben kann, wo doch die Gischt alles ausgelöscht hat ("Kein Denken, kein Fühlen mehr.")?
Ich sehe „Kein Denken, kein Fühlen mehr“ eher als Wunschdenken der alten Frau. Sie stellt sich vor, wie die Gischt sie angreift und hofft auf deren Gnade.

@Susi
Die Beschreibungen im ersten Absatz habe ich bewusst so hart gewählt, weil sie darstellen sollen, wie sehr sich die alte Frau in die vermeintlichen Gefahren hinein steigert.
Den zitierten Satz werde ich wirklich heraus nehmen. Selbstmord sollte in der Geschichte kein Thema sein.
Den kleinen Fehler habe ich gleich ausgebessert.

@ Sasami
Die Gischt tut diese Dinge nur in der Vorstellung der alten Frau. Sie bildet sich ein, die Gischt sei gefährlich und würde bei einer Berührung äußerst bösartig reagieren.
Und sie glaubt nur, dass der Sand sie vor allem Bösen beschützt. In Wirklichkeit ist er nur ein Vorwand, um sich dem Meer nicht stellen zu müssen.

Danke euch für’s Lesen und Kritisieren! :)

 

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