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Unsterblich

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19.09.2013
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Unsterblich

Meine Mutter ist Lehrerin und das macht mich froh, denn sie könnte ja auch Tankstellenwart oder Putzfrau sein. Und da macht es mich doch etwas stolz, dass ich eine so schlaue Mutter habe.
Sie hört immer alte Musik und immer nur auf Deutsch. Und wenn sie eine Stelle kennt und mag grölt sie laut mit. Manchmal auch, wenn sie die den Text nicht kennt. Aber das macht nichts. So ist meine Mama eben.
Seit Papa krank geworden ist, hat sich Mama verändert. Aber sie will nicht, dass ich das merke. Also sage ich lieber nichts. Sonst wird sie noch böse oder erzählt irgendwas von Papa. Und das mag ich nicht.
Mein Papa war mein bester Freund und der schlauste Mensch der Welt und jemand, mit dem man angeben konnte. Sogar einen Doktortitel hatte er. Und zwar einen echten und nicht einen falschen wie einmal dieser Politiker, über den sich Mama so aufgeregt hat.
Meine Mama ist jetzt nicht wirklich politisch interessiert, aber als sie es in der Zeitung gelesen hat, hat sie aus Wut aus Versehen den Kaffee über die Zeitung geschüttet und das hat mich auch sauer gemacht. Nicht, weil irgendein Politiker irgendwas falsch gemacht hat, sondern weil der Kaffee genau auf die letzte Seite getropft ist. Und - wie jeder weiß - ist die letzte Seite die Seite mit den Witzen und Comics. Die einzige Seite, die mich an der Zeitung interessiert und dann konnte ich sie nicht mehr lesen. Aber ich möchte ja gar nicht über Politik oder Musik reden, sondern über den kleinen Jungen.
Der kleine Junge heißt, glaube ich, Geromino oder Jeroma oder irgendwas, was ich nicht kannte. Aber ich bin mir nicht mehr ganz sicher.
Meine Mama hat einmal von ihm erzählt, als wir uns gestritten haben, weil ich nicht aufräumen wollte.
„Schatz“, hat sie gesagt, „Sei doch mal froh, dass du nicht noch 6 Geschwister hast, sowie Geromino aus meiner Klasse. Der hat nicht mal ein eigenes Zimmer“. Ich bin mir nicht sicher, ob sie Geromino gesagt hat, aber ich nenne ihn jetzt einfach mal so.
Jedenfalls hat mich das mit ihm wirklich traurig gemacht und ab da habe ich jeden Tag nach ihm gefragt. Und meine Mama hat jeden Tag neue Geschichten erzählt.
Über seinen Vater, der die Familie nach seiner Geburt verlassen hatte und die Väter seiner Geschwister, die es ihm gleichtaten.
Von seiner Mutter sprach sie oft. Wie schwer sie es doch habe und, dass wir froh seien sollen, weil unsere Mama nicht als Putzfrau arbeiten muss und auch keinen Grünen Starr habe. Ich bin mir nicht sicher, was ein grüner Starr ist, aber ich habe auch nicht nachfragen wollen, weil meine Mama so geschaut hat, wie sie es immer tut, wenn sie nichts gefragt werden möchte.
Ich frag mich manchmal, wieso Gerominos Mutter sich nicht Hilfe gesucht hat oder einen vernünftigen Mann oder warum sie den Starr nicht einfach in den Zoo gebracht hat. Aber vielleicht hatte sie dazu einfach keine Zeit. Meine Mama hat gesagt, dass nicht jede Frau eine Mutter ist, nur weil sie Kinder hat. Ich denke, sie meint damit, dass Gerominos Mutter eine schlechte Mutter ist. Aber das finde ich unfair zu sagen. Sie hat doch 7 Kinder und keinen Mann und ich glaube, wenn ich später einmal älter bin, möchte ich nicht so enden. Und seine Mutter kann an der Situation auch nicht ändern. Meine Lehrerin sagt immer "Wenn man die Situation nicht verbessern kann, dann sollte man doch wenigstens seine Haltung dazu ändern". Und damit hat sie recht, denn meine Lehrerin ist schlau!
Einmal hat Mama mir etwas erzählt und das hat mich schon ganz schön schockiert und es macht mich froh, dass ich einen so netten Bruder habe. Auch wenn wir uns ab und zu in die Haare kriegen und er immer das Nutella leer macht.
Geromino hatte eine Zahnlücke und meine Mama hat etwas gefragt wie „Oh, hast du einen Milchzahn verloren?“ und hat ihn dabei angelächelt, weil sie wusste, dass Kinder davor schreckliche Angst haben. Jedenfalls war es bei mir so.
Und er hat dann geantwortet, als wäre es das alltäglichste der Welt, „Nein, den hat mir der Musima ausgeschlagen.“ Der Musima ist sein großer Bruder, „Wegen der Zahnfee. Der legt die doch immer unter sein Kopfkissen und bekommt dann Geld.“, so hat es Mama erzählt, „Und der war auch kein Milchzahn mehr, aber das macht nichts. Die Zahnfee nimmt ihr trotzdem“. Und dann hat er sie mit seiner Zahnlücke schief angegrinst.
Mama meinte, dass sie das melden muss und ich war echt sauer auf Gerominos Mutter, egal wie schlecht sie es hat. Meine Mama hat mir schon vor Jahren erzählt, dass sie selbst sich hinter der Zahnfee versteckt. Also legt Gerominos Mutter das Geld unter Musimas Kissen, ohne dass sie nachfragt oder sehen möchte, wo er seinen Zahn verloren hat.
Meine Mama hat sich früher immer gefreut, wenn ich einen Zahn verloren habe und ich musste meinen Mund immer ganz weit auf machen. Und dann durfte ich mir ein Eis aussuchen und ich habe immer Zitrone genommen, weil es Sommer war und Zitrone ist so erfrischend.
Meine Mama hat mir auch erzählt, dass sie ein langes Gespräch mit Geromino und seiner Mutter hatte, weil irgendwas mit seinen Armen nicht stimmte und er immer lange Pullover trug. Und das geht ja nicht, weil es viel zu warm ist und Mama meinte, dass er sich dann nicht konzentrieren kann. Aber sie hat mich dabei ganz komisch angeguckt, als ob sie etwas ganz anderes meinte, es aber nicht sagen wollte. Darum habe ich auch nicht nachgefragt.
Mama meinte nur, dass sie ihm helfen möchte und das finde ich gut. Ich hab ihr angeboten, ihm ein paar T-Shirts zu schenken, damit er nicht immer Pullover anziehen muss. Aber sie hat nur gelacht und gesagt, dass es einen Grund gibt, dass er einen Pullover anzieht. Auch im Sommer. Sie hat eine Menge Wörter gesagt, die ich nicht verstanden habe und ich musste ihr versprechen, dass ich immer mit ihr rede, wenn ich Probleme habe. Sie hat gesagt, dass Probleme, wenn man sie im Kopf verdrängt, irgendwann keine Lust mehr haben, im Kopf zu bleiben. Und dann macht man Fehler und verletzt andere Menschen. Und dann hat sie mir drei dieser breiten Plastikarmbänder geschenkt, die man sogar beim Schwimmen am Arm lassen darf. Und ich musste ihr versprechen, die Nummer darauf anzurufen, wenn ich jemals traurig bin. Das finde ich ganz schön komisch von Mama. Ich kann doch immer mit ihr reden. Aber sie meinte, das ist schon okay so und ich würde das irgendwann verstehen.
Die Armbänder sind pink und ich finde, sie stehen mir ganz gut. Ich kann noch kein Englisch, aber auf ihnen steht „Love yourself“, „Live on“ und „Fight the fight“ und ich weiß sogar, was das bedeutet. Mama hat es mir übersetzt. Und auf jedem steht dahinter dieselbe Nummer, aber ich hab sie noch nicht angerufen. Ich traue mich nicht. Aber Mama hat gesagt, dass das ganz nette Leute sind und dann hat sie irgendeinen Beruf gesagt. Ich weiß aber nicht mehr genau, wie er heißt. Es war ein langes Wort, das ich mir nicht merken konnte. Ich würde es jetzt wirklich gerne aufschreiben, damit ich etwas schlau wirke. Aber ich weiß es wirklich nicht. Und Mama ist gerade nicht da, also kann ich sie jetzt auch nicht fragen. Heute ist Gerominos Beerdigung. Mama hat in letzter Zeit viel telefoniert und immer etwas wie „Ich hätte helfen müssen!“ oder "Die Anzeichen waren da" gesagt.
Er hat an den Schienen gespielt und wurde überfahren und das hat mich wirklich traurig gemacht. Meine Mama hat mir aber erklärt, dass er unsterblich ist und, dass Unsterblichkeit nichts mit dem Tod zutun hat.

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Die Gedanken meines Siebenjährigen-Ichs in Worte gefasst.

 

Hej dunkelbunt,

ich hatte beim Lesen den Eindruck, Du hast dich langsam warm geschrieben.

Zu Beginn wird mal von diesem, mal von jenem erzählt, später bleibt es dann beim Geronimo-Thema. Ich würde Dir empfehlen, rauszustreichen, was von der eigentlichen Geschichte ablenkt und auch nicht weiter erklärt wird, den kranken Vater oder auch die Anspielung auf Guttenberg.

Den eher naiven als kindlichen Tonfall hast Du nach meinem Empfinden einigermaßen getroffen, teilweise zu überzogen dargestellt

Ich bin mir nicht sicher, was ein grüner Starr ist, aber ich habe auch nicht nachfragen wollen, weil meine Mama so geschaut hat, wie sie es immer tut, wenn sie nichts gefragt werden möchte.
Ich frag mich manchmal, wieso Gerominos Mutter sich nicht Hilfe gesucht hat oder einen vernünftigen Mann oder warum sie den Starr nicht einfach in den Zoo gebracht hat.

inhaltlich bringe ich es nicht immer mit einem Siebenjährigen zusammen.
Grundsätzlich frage ich mich, warum postet Du eine Geschichte mit dem möglichen Ich eines Siebenjährigen in Jugend?
Ich meine damit nicht, dass Du sie in "Kinder" posten solltest, aber warum benutzt Du nicht das Ich eines wenigstens Elf- oder Vierzehnjährigen?

Ich glaube, dass die Geschichte teilweise Verwirrung stiften würde, als für die Entwicklung von Fragen und eines Verständnisses für Kinder wie Geronimo zu sorgen. Ein Beispiel:

Also legt Gerominos Mutter das Geld unter Musimas Kissen, ohne dass sie nachfragt oder sehen möchte, wo er seinen Zahn verloren hat.
Ein schiefes Bild. Einerseits eine Mutter, die das behütetet Kinder-Zahnfee-Spielchen spielt, andererseits eine Mutter die hinnimmt, dass eins ihrer Kinder dem anderen einen Zahn ausschlägt.

Meine Mama hat mir auch erzählt, dass sie ein langes Gespräch mit Geromino und seiner Mutter hatte, weil irgendwas mit seinen Armen nicht stimmte und er immer lange Pullover trug.
Diese Anspielung eignet sich nicht für Jüngere, weil sie überhaupt nicht verstehen, worauf Du hinaus willst. Jugendliche brauchen wiederum keine Umschreibungen.

Ich hoffe, dass Du Dich nicht entmutigen lässt und weiter schreibst!
Viel Spaß noch hier,

LG
Ane

 

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