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Unser ist eine andere Welt

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12.02.2004
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Unser ist eine andere Welt

„Es tut mir Leid.“ Mein Anwalt hat mir geraten, Reue zu zeigen. Das war am ersten Tag meiner Untersuchungshaft. Ich saß in einem lindgrün gestrichenen Zimmer. Die Farbe direkt auf den Putz gestrichen. Mit mir befanden sich ein Spiegel, ein alter Holztisch, drei Stühle, zwei davon am Tisch, eine Hängelampe und eine Seite einer dunkelbraunen Furniertür in dem Zimmer. Ein Poster an der Wand zeigte die Konterfeis gesuchter Terroristen. Während ich saß und wartete, studierte ich die Gesichter der Menschen auf dem Plakat. Die meisten hatten einen wirren Blick. Meiner Meinung nach konnte man das Böse in ihren Augen erkennen. Eindeutig. Ich glaube, es ist das fahrige, das rastlose in ihren Blicken, die Art, wie sie der Kameralinse ausweichen, was sie verrät. Mir könnten, sollte ich ihnen einmal gegenüberstehen, mir könnten diese Verbrecher nichts vormachen. Ich erkenne jemanden, der Schuld mit sich trägt.

Ich betrachte mich gerade im Spiegel, als der Raum sich öffnete und ein Justizbeamter gemeinsam mit meinem Anwalt eintrat. Mit ausladender Gestik reichte er mir die Hand zur Begrüßung. Die andere umklammerte den Griff seines Aktenkoffers. Die Adern traten hervor. Der Justizbeamte trat mit seiner grauen Uniform eine Symbiose mit der Wand ein und verschwand, sich auf den Stuhl neben der Tür sitzend, in ihr. Der Händedruck fiel fest aus. Ich sah meinem Gegenüber in die Augen. Und er mir. Dann stellte den Aktenkoffer auf den Tisch, legte ihn auf den Rücken und öffnete ihn mit geübten Griffen. Ich betrachtete derweil seinen Pulsschlag, der sich knapp oberhalb seines Hemdkragens abzeichnete. Bumm – bumm – bummbumm – bumm. Er war nervös, doch es gelang ihm dieses hinter seinem professionellen Auftreten zu verstecken. Aber vor mir kann man nichts verbergen. Nicht mal sein größtes Geheimnis, seinen größten Schatz. Nicht einmal Vanessa konnte sich meiner Aufmerksamkeit entziehen. Nicht mal sie.

„Sagen Sie, wann immer sie gefragt werden, dass ihnen Leid tue, was passiert sei. Dass Sie, wenn sie nur könnten, all das ungeschehen machen würden wollen.“ „Aber das würde ich nicht wollen,“ entgegnete ich. Mein Anwalt hielt inne, überlegte einen Moment und fuhr dann, nur scheinbar ungerührt fort. „Seien Sie offen. Erzählen Sie dem Gericht, wie es sich der Vorfall abgespielt hat. Sagen Sie die Wahrheit, Herr Biskopp. Das ist ihre einzige Chance.“ „Wollen Sie das wirklich?“, fragte ich. „Selbstverständlich,“ ereifert sich mein Anwalt. „Dann kann ich nicht sagen, dass es mir leid tut, Herr Anwalt.“ Ich strich mit meinen Händen über die zerkratzte, verbrauchte Oberfläche des Tisches. Sie war so ganz anders als Vanessas Haut.

Die ersten Verhandlungstage bargen für mich nur wenige Höhepunkte. Das Blitzlichtgewitter der Fotografen bei meinem Eintritt in den Gerichtssaal zählte zweifelsohne dazu. Zunächst erwog ich, mein Gesicht hinter einem dieser zartgelben Pappordner zu verbergen, in denen ich Schreibunterlagen verbarg, die mir mein Anwalt gab, damit ich während des Prozesses so hätte tun können, als schriebe ich mit, vor mein Gesicht zu halten. Doch ich hatte nichts zu verbergen. Ich nicht. Also ließ ich den Ordner unter meinen Oberarm geklemmt und sah in die Objektive der Welt. Der Saal war hell erleuchtet, die Vorhänge aus schwerem Samtersatz und die Plätze der Prozessbeobachter besetzt. Als ich mich setzte um auf den Richter und seine Beisitzer zu warten, ließ ich meinen Blick durch die Stätte meines Prozesses schweifen. Grelle Blitze irritierten mich nicht im Geringsten. Mein offener Blick die Anwesenden dagegen sehr. Mein Anwalt lehnte sich zu mir herüber. Einen solch großen Fall hatte er noch nie. Ich denke, er ist mir mehr als nur ein wenig dankbar. „Haben Sie gut geschlafen?“ fragte er. „Selbstverständlich;“ antwortete ich und wand mich dem Justizbeamten zu, der hinter meiner rechten Schulter Platz genommen hatte und laut mit seinem Schlüsselbund klimperte. „Gib’ mal die Zeitung, bitte.“ Das war ein weiterer Höhepunkt des Prozessalltages: das Studium der journalistischen Ergüsse. Oder besser dessen, was die ver-bild-ete Öffentlichkeit für ebensolche hielt. Mit Amüsement überflog ich die Zeilen, die meinem Prozess gedachten. Selbst die verschiedenen Storys über Vanessas Eltern und ihr ach so endloses Leid genügten meinen Ansprüchen an etwas gut geschriebenes nicht.

Autorität erkennt man an. Ansonsten würde sie nicht existieren. Es gibt Menschen, zu denen ich auch mich zähle, die strahlen Autorität aus, sie ist uns quasi Gott gegeben. Andere wiederum, erbitten sich Autorität durch alberne Anweisungen. Sie haben es nötig, dass ein jeder sich erhebt sobald sie einen Raum betreten. Und stellen ein Nichtbefolgen dieser absurden Regelung gar unter Strafe. Am dritten Verhandlungstag beugte ich mich widerwillig und von mir selbst enttäuscht dieser Erwartungshaltung. Die beiden Ordnungsgelder die ich schon zu zahlen angewiesen wurde rissen ein immenses Loch in meinen Etat. So betrat der Richter also den Saal, ich stand auf, er registrierte dieses mit einem Blick der Genugtuung. So ein armes Würstchen. Er forderte die Gerichtsschreiberin auf, einen bestimmten Part des Protokolls von Tag 2 vorzulesen. Sie tat, wie ihr geheißen und hielt mir eine meiner bisherigen Aussagen vor. Ich blickte in den Saal und suchte nach Vanessas Eltern. Ich fand sie und im Gesicht der Mutter erkannte ich ein Bruchteil dessen, was ich in jener Nacht in Vanessas Augen sah. Völlige Leere. Es war ein guter Prozesstag.

Die Tage im Gefängnis gehen schneller vorüber, als ich zunächst befürchtete. Die Bibliothek ist erstaunlich gut ausgestattet. Und so lese ich, wenn ich nicht gerade aushilfsweise irgendwo arbeiten muss. Ohne Urteil gibt es hier halt keine Arbeit. Wie draußen: Ohne Heim, kein Job. Meine Stunde Hofgang nutze ich täglich aus. Auch bei Regen. Manchmal ergibt sich für die Häftlinge die Gelegenheit eines Gespräches mit mir. Mich langweilt das zumeist. Die Verpflegung ist reichlich und das ist ja schon mal was. Neulich fragte mich einer, warum ich denn hier sei. Ich sagte es ihm und er trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Seitdem kommt er mir nicht mehr nah. Das meine ich mit natürlicher Autorität. Jürgen, der Justizvollzugsbeamte, der mich meist vom Gefängnis in den Gerichtssaal bringt, wollte wissen, was ich früher gemacht hatte. Damals, bevor ich jungen Mädchen folgte. „Ich bin Arzt,“ erklärte ich ihm, „Internist, um genau zu sein.“ „Und wie konnten Sie dann so was tun? Ich meine, Sie sind doch ein kluger Mann, Herr Biskopp.“ „Wie hätte ich nicht tun können, was ich aus vollstem Herzen wollte,“ antwortete ich.

Nachts ist es jedoch schwer. Nicht immer, aber ich kann eine gewisse Sehnsucht nicht verhehlen. Eine Sehnsucht nach dem etwas Unschuld um mich herum. Etwas Reinem. Wir laufen durch die Straßen verdreckter Städte, gehen über die leeren Marktplätze ödester Dörfer. Wir begegnen Menschen, denen die Verfehlungen ihres Lebens ins Gesicht geschrieben sind. Im Restaurant treffen wir Mister Versicherungsbetrug. An der Ampel stehen wir Schulter an Schulter neben L’Adultera und zu Hause, am Tisch, im Bad, im Bett teilen wir die Luft mit dem zu einem lästigen Neutrum verkommenen Partner. Welch Wohltat ist da die Flucht in die Arme der Unschuld. Das Versinken in großen Augen, die ehrfurchtsvoll die eigenen abtasten. Eine Berührung warmer, weicher Oberarme, kaum länger als die eigene Hand, solch eine Berührung kann Welten vor dem Einsturz bewahren. In manchen Nächten denke ich noch an Vanessa. Am nächsten Morgen verlange ich stets nach neuer Bettwäsche.

„Herr Biskopp, sie müssen sich schon kooperativer zeigen,“ beschwerte sich mein Anwalt. „Ich sage nur die Wahrheit.“ „Aber die wird Ihnen nicht weiterhelfen.“ Ich merkte auf, doch in ungehobelter Art und Weise fuhr mein Anwalt mir über den Mund. „Wollen Sie etwa den Rest ihres Lebens hinter Gittern verbringen?“ „Wenn das die Strafe für meine so genannte Tat ist, dann werde ich wohl damit leben lernen,“ antwortete ich. „Ich bitte Sie doch nur, dem Gericht zu zeigen, dass Sie ein Mensch sind. Zeigen Sie ihnen, dass auch sie Gefühle haben.“ „Sie wissen doch gar nicht wovon Sie reden,“ ich wurde laut, „Gefühle. Ha! Sie glauben vielleicht, nur weil Sie ihren Golden Retriever zwei Mal täglich ausführen und ein Mal in der Woche mit Ihrer Frau schlafen, wüssten Sie, was Gefühle sind. Was Liebe ist. Herrgott, davon haben Sie doch keine Ahnung! Sie kennen nur ein Gefühl. Das ‚So-wie-es-ist-ist-es-okay-Gefühl’, mehr nicht! Erzählen Sie mir nichts von Gefühlen. Hören sie lieber tief in sich hinein. Schenken Sie ihren Fantasien mal mehr Aufmerksamkeit als für den schnellen Wichs zwischendurch. Setzen Sie sich erst mal mit ihren Wünschen auseinander. Werden Sie sich bewusst, wer Sie sind, bevor sie es wagen, meine Gefühle in Frage zu stellen.“ Ich stand auf du beendete das Gespräch.

„Heute war ich nach der Schule noch bei Nicole. Wir haben im Garten gespielt und dabei bin ich hingefallen und habe mir mein Knie aufgeschürft. Nicole hat doofe gelacht darüber. Dann sind wir mit den Rädern noch zum Spielplatz gefahren. Martin war auch da. Er hat schon auf uns gewartet hat er gesagt. Diesmal wollte er uns nur beim Spielen zusehen. Wir spielten ungefähr eine Stunde. Dann musste ich nach Hause. Martin gab mir und Nicole noch eine Schokolade. Und mir dazu noch einen Schlüsselanhänger. Wenn ich pfeife, dann pfeift der zurück. Martin ist wirklich der tollste Erwachsene den ich kenne. Total cool. Diesmal wollte er auch gar keinen Dankeschönkuss. Nicole kann morgen nicht spielen. Aber hoffentlich ist Martin morgen auch wieder da.“ Die Staatsanwältin las mit Tränen erstickter Stimme den letzten Eintrag aus Vanessas’ Tagebuch vor. Eine Show, die sie sich hätte sparen können.

Als die Journalisten des Spiegel meine Zelle betraten, waren sie ganz offensichtlich ob meiner Sauberkeit und des akkurat gemachten Bettes überrascht. Der Fotograf, der in diesem Distrikt keine Erlaubnis zu fotografieren hatte wich meinen Blicken aus und versuchte einen Blick aus dem kleinen Fenster hinaus in den Hof zu erhaschen. „Lohnt nicht,“ sagte ich. So kümmerte er sich um den Zip des Reißverschlusses seiner Lederjacke. Die Frau mit dem Diktiergerät sah sich aufmerksam die Einbände der sich auf meinem Nachttisch befindlichen Bücher an. „Sie lesen viel, Herr Boskopp?“ „Ja, mit Leidenschaft.“ Sie fuhr mit dem Finger die Bände entlang. „Camus, Dostojevski, Büchner. Und Ellis?“ „For inspiration only,“ lachte ich. „Das ist geschmacklos, Herr Boskopp. Widerlich.“ Die Reporterin schüttelte den Kopf. „Das Mädchen war acht Jahre alt. Acht. Warum haben Sie das getan? Warum nur?“ „Sie denken, es war wegen des Sexes? Sie denken, genau wie alle anderen, dass es mir nur um Sex ging, nicht wahr? Sie haben keine Ahnung.“ „Warum denn dann?“ „Aus Liebe,“ antwortete ich. „Ich tötete Vanessa aus Liebe. Der Sex, das war nur ein Produkt unserer Liebe. Doch ging es mir bei der Tötung darum, sie aus dieser Welt zu nehmen. Diese Welt hätte sie nur zu Grunde gerichtet. Sie hätte Vanessas Reinheit besudelt. Die Welt wie sie ist, ist nicht lebenswert. Zu viele Enttäuschungen standen bereit, um sich in Vanessas Leben zu stürzen. Sie hätte nicht verstanden, warum wir nicht zusammen bleiben konnten. Sie wäre daran zerbrochen. Ich habe sie mit der Tötung gerettet.“ Die Artikelüberschrift neben meinem rasierten Gesicht lautete: Er tat es aus Liebe.

Ein Raunen geht durch den Saal, als ich zum ersten Mal in meinem Prozess das Wort ergreife. Es ist der Tag der Urteilsverkündung. „Ja, es tut mir leid.“ Ich spüre die Woge der Zufriedenheit, die meinen Anwalt umspült. „Es tut mir Leid für mich. Wir haben einander geliebt. Und nunmehr bin ich allein.“ Ich setze mich und höre das laute Weinen der Mutter im Publikum. Doch es prallt ebenso an mir ab, wie das Urteil das folgen soll. Urteilt doch über mich. Ihr zählt nicht. Ihr nicht.

 

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