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Ungewitter
Die stromverzerrte Gitarre jammert einen Kontrapunkt zum fiebrigen Flehen einer von Gott und der Welt verlassenen Country-Sängerin. Hinter dem Duschvorhang über der Badewanne reibt sich Herbert Krämer mit einem braunen Brocken Kernseife über die zottige Brust und den prächtigen Wanst. „As long as I feel this achin' pain“, dröhnt es aus dem Radioempfänger über dem Waschbecken in das kleine Badezimmer. Herbert dreht am Wannenhahn. Mit einem befreienden Stöhnen schüttelt er sich im eiskalten Wasser, das aus dem verkalkten Brausekopf auf ihn niederplätschert. Im Radio beginnt eine Nachrichtensendung. Es ist 14 Uhr und 3 Minuten. Herbert schiebt den Duschvorhang beiseite und hievt sich umständlich aus der Wanne.
„Der Deutsche Wetterdienst meldet für den heutigen Freitagabend erneut orkanartigen Sturm in ganz Süddeutschland.“
Der kirschrote Massey-Ferguson-Traktor schaukelt mit Herbert aus der Hofzufahrt und hinaus auf den schmalen Landwirtschaftsweg, der sich an den grünen Hängen entlang schlängelt. Als er nach einer Weile das kleine Tannenwäldchen umkurvt hat und in einiger Entfernung die knorrigen Bäumchen der Apfelwiese erkennbar werden, kommt Herbert plötzlich der Gedanke an seinen Großvater.
„Die Bäume! Sie standen in herrlichster Blüte!“ So begann für gewöhnlich jene merkwürdige Erzählung des Alten. Herbert lauschte ihr jedes Mal wie gebannt, obwohl er die Geschichte bereits damals unzählige Male gehört hatte. Als kleiner Junge faszinierte ihn immer wieder die Art, mit der sein Großvater von den Vorkommnissen am Sonntag, den 23. April 1933, berichtete. Herbert hoffte jedes Mal, herausfinden zu können, wovor dieser stattliche, einbeinige Mann so in Ehrfurcht zu versinken drohte. Der Alte saß für gewöhnlich in seinem dunkelgrünen Ohrensessel, die Pfeife in der einen, die gepolsterte Lehne in der anderen Hand und sprach mit hochgezogenen Augenbrauen vor sich ins Leere: „Die Bäume standen in herrlichster Blüte!“ Dann erzählte er üblicherweise kurz davon, wie Herberts Ururgroßvater die Apfelwiese auf dem Hang hinter dem kleinen Tannenwäldchen angelegt und unter welcher Mühsal und welchem Segen zwei Generationen mit dem unwirtlichen Flurstück gelebt hätten. Die Augen des betagten Mannes begannen zu leuchten und die drei dünnen, altersmüden Glieder reckten und streckten sich, während er mit all seinem verbliebenen Ausdrucksvermögen darzustellen versuchte, wie eine Apfelernte abzulaufen hatte: Die Weidekörbe, die mit jedem Apfel schwerer wurden und auf das Fuhrwerk gehoben werden mussten; die Holzstangen mit den eisenberingten Leinensäckchen an den Enden, die in die Baumkronen gestoßen wurden; die Apfellese am Boden; die Rückenschmerzen davon; die Bauchschmerzen während der Fahrt nach Hause im dämmrigen Abendlicht. Der Alte sprach von einer Apfelernte, als stellte sie den ersehnten und höchstheiligen Festakt eines jeden Kalenderjahres dar. Irgendwann während der Erzählung begann er dann leise zu schmatzen, und Herbert wusste, dass sich die Geschichte nun der Schilderung der Brennküche nähern würde. Jener Ort, an dem das durch Apfelmühle und Holzfass zu Maische gereifte Obst in einem kupfernen Brennkessel zu einem durchsichtigen Elixier verwandelt wurde. Ein Elixier, das, abgefüllt in Glasflaschen mit Korkverschluss, als edler Krämer-Brand weit über die Gemeindegemarkung hinaus Bekanntheit erlangt hatte. Und hieran passierte es meist unvermittelt und immer an anderer Stelle – Herbert wusste nie, ob er die Funktionsweise eines Brennkessels noch geschildert bekäme oder nochmals vom Wirkungsgrad der unterschiedlichen Brände hören sollte; irgendwann, an keiner besonderen Stelle, verlor das Gesicht des Alten schlagartig an Ausdruck und Farbe, seine Glieder erstarrten mitten in ihrer Bewegung und die Augenbrauen hingen voller Entsetzen droben an der kahlen Stirn fest. Sein Blick glitt ins Leere. „Die Bäume!“ Für gewöhnlich trank der Alte noch einen großen, beruhigenden Schluck aus seiner Tabakspfeife, bevor er erneut leise und niedergedrückt vor sich hin sprach: „Ich weiß es noch. Ich vergess' das nicht.“ Um dann fuhr er fort, mit jenem unnahbaren Staunen in seinen Worten, das den kleinen Herbert jedes Mal erschaudern ließ: „Am Weißen Sonntag war's. Am Dreiundzwanzigsten im April 1933. Es passierte über Nacht. Alle Blüten waren verbrannt. Verbrüht waren sie! Alle fielen sie von den Bäumen.“
Herbert hat große Mühe die Plastikplane alleine zur Seite zu zerren. Als er die Gerätschaften vor wenigen Wochen auf die Wiese geschafft hatte, war es Alfred, der ihm dabei half all die Kisten, Körbe und Leinensäcke vom Hof hierher zu karren. Nun musste das ganze Zeug wieder in die Scheune zurück. Denn sollte das Unwetter seinen Weg ins Tal finden, wovon auszugehen war, dann bliebe von all dem nicht viel übrig. Als Herbert den Großteil der Utensilien verladen hat, schaut er hinab, wo die kleinen Häuschen friedlich im Schatten der Berge vor sich hin dösen. Vereinzelt haben bereits die kleinen rotbraunen Schornsteine damit begonnen ihre weißen Rauchsäulchen auszukeuchen. Es ist 17 Uhr und 14 Minuten. Allerorten wird es Zeit fürs Abendbrot. Herbert setzt sich auf eine der Holzkisten und fingert ein Wurstbrot aus einer Alufolie. Er merkt, dass ihm Alfred fehlt. Früher hatten sie oft zusammen gegessen.
Meist kam der Freund schon am frühen Abend zu ihm und half bei Gelegenheit, alltägliche Arbeiten auf dem Hof zu verrichten. In der Regel war das nicht besonders viel, aber durch Herberts Vollzeitstelle in der Blechverarbeitungsfirma im neugegründeten Gewerbeareal am Dorfrand, blieb schon mal das ein oder andere liegen: Die paar Hühner in der Scheune hinter dem Haupthaus brauchten Futter; die Beerensträucher im Garten Wasser; das Hoftor Öl; die Äpfel wollten, wenn es an der Zeit war, geerntet und eingefahren werden; und gebrannt werden musste selbstverständlich. Alfred war einer der Wenigen, die es verstehen konnten, weshalb Herbert den heruntergewirtschafteten Hof nicht zugunsten einer Wohnung im Dorf abstieß. Hier oben am Hang lebte man in angenehmer Abgeschiedenheit. Alfred war gerne hier. Und er blieb auch gern lange. Bis zum Essen eigentlich immer; und am liebsten bis in den späten Abend. Sehr oft musste Herbert seinen Freund drängen zu gehen, da er um seinen wohlverdienten Schlaf bangte, sobald es draussen dunkel wurde. Denn Alfred wiederum wurde mit zunehmender Dunkelheit wacher und redseliger, und das nicht zuletzt, weil sich auch zunehmend Apfelschnaps in seinen Venen befand. In den letzten Monaten erzählte er in diesen späten Stunden immer wieder die gleichen Geschichten, durch die er im Dorf bereits einen zweifelhaften Ruf erlangt hatte. Herbert merkte jedoch rasch, dass sein Freund das Erzählen selbst mehr brauchte als irgendjemanden, der ihm und den besonderen Vorkommnissen, von denen er zu wissen behauptete, leichtfertig Glauben schenkte. Er musste diese Geschichten loswerden. Und obgleich Alfred immer mit einem breiten Grinsen sprach, seine Hände wirre Gesten formten und er hämisch spottend die schmerzhaften Details seines Martyriums preisgab, so sah Herbert in dieser grotesken Darbietung stets etwas, das ihm einen kalten Schauer in die Knochen jagte – es war da etwas an Alfred, das ihm gleichzeitig eng vertraut und völlig fremd vorkam; es war dieses unzugängliche, abgründige Staunen.
Herbert hebt das letzte Bündel Leinensäcke auf die Ladefläche und zieht ein zerknittertes Tuch aus dem Hosenbund. Als er sich den Schweiß aus dem Nacken wischt, bemerkt er, wie sich über dem gegenüberliegenden Bergkamm bereits dunkle Wolken zusammenrotten und die Landschaft ringsumher in unheilvolle Grautöne getaucht wird. Er schaut über sich, wo ein kleiner Rest heller Wolkenflecken vor einem zornig aufpeitschenden Wind zu fliehen scheint.
Alfred hatte ihm immer gepredigt, dass es nichts brächte, davonzulaufen. Er habe es probiert. Mehrfach. Aber sie hätten ihn immer wieder gefunden. Immer wieder hätten sie in abgeholt und ihre grausige Tortur an ihm exerziert. Es waren verworrene und mit der Zeit scheinbar zusammenhanglose Bilder, die der schnapserfüllte Freund zu veranschaulichten versuchte. Es war der Versuch, das in Worte zu fassen, was sein Geist entworfen hatte, um nicht an der schieren Unfassbarkeit seiner Erfahrung irre gehen zu müssen; für Alfred waren diese Bilder jedoch ebenso real wie der Schock, der sie hatte entstehen lassen, und es gelang ihm manchmal sogar, so lebhaft davon zu sprechen, dass Herbert sich Teile der Erzählungen Alfreds recht gut vorzustellen vermochte. Obgleich er hoffte, dass man dem armen Freund bald aus seinen wahnhaften Vorstellungen heraushelfen möge.
Als er Alfred vor drei Wochen in der Nervenklinik besuchte, schien dieser trotz der offensichtlich starken Medikamente noch immer diese Bilder mit sich zu tragen. Er gab ein jämmerliches Bild ab: Seine Augen waren trübe und das ihm typische Grinsen war seinem Gesicht vollständig entfallen; die wild gestikulierenden Hände schienen in den tiefen Seitentaschen eines beigen Pyjamas erstarrt; und doch, etwas war geblieben. Herbert konnte es ausmachen: Irgendwo zwischen dem mühsam hervorgebrachten Silbenbrei, mit dem Alfred sich zu artikulieren versuchte, nahm Herbert den ehrfürchtigen Ton seiner verfremdeten Stimme war; irgendwo in der buckligen Haltung, die Alfred mittlerweile angenommen hatte, erkannte Herbert die Last dieses unergründlichen und unverhandelbaren Staunens.
Der Regen schmerzt. Unnachgiebig peitscht er Herbert ins Gesicht, während der Massey-Ferguson kampfeslustig zurück in Richtung des Hofes knattert. Gewaltige Donnerschläge dröhnen hinter ihnen ins Tal und er versucht seinen Blick nicht vom lausigen Rest der Fahrbahn abkommen zu lassen. Das Kissen unter ihm, auf dem schaukelnden Traktorsitz, ist nur noch ein nasses Bündel; der Weg vor ihm: ein dunkler, morastiger Pfad. Das herabstürzende Wasser verhängt die Sicht auf alles, was sich mehr als ein paar Schritte entfernt vor den dampfenden Frontscheinwerfern befindet. Doch als ein greller Lichtblitz über den Bergkamm hinter ihm zuckt, sieht Herbert plötzlich unweit vor sich das Bild des heimischen Hofes auflodern und wundert sich, dass er seinem Ziel bereits so nahe gekommen ist. Er scheint schneller unterwegs gewesen zu sein, als es ihm vorkam. Und im selben Moment holt ihn ein Gedanke an Alfred ein, der immer behauptete, es fühle sich an wie ein Blitz, wenn er abgeholt worden sei. Wie ein Blitz so hell sei es gewesen und wie bei einem Blitz hätte er auf nichts anderes achten können als auf dieses Licht, das ihn umgeben hätte. Kurz bevor sie ihn in die Nervenklinik einlieferten hatte Alfred gesagt, dass die Fremden selbst am ehesten mit einem Blitz zu vergleichen seien. „Das sind Naturgewalten“, krächzte er mit hochgezogenen Mundwinkeln und weit aufgerissenen Augen. „Das ist wie ein Blitz, Herbert! Ein Blitz der dich blendet, der dich wachrüttelt, und im nächsten Augenblick bist du bei ihnen.“ Nie beschrieb Alfred die Fremden ohne zuvor ein ganzes Glas zu leeren. Er brauchte Mut, um das alles loszuwerden. „Wenn du bei ihnen bist, dann siehst du erst, dass sie ganz ähnlich sind so einem Blitz. Herbert! Die sind wie ein Blitz. Wie Blitze sind die! Gewaltig, unvorhersehbar und in einer Sekunde entscheiden sie, ob du lebst oder stirbst!“
Mit einem schrecklichen Surren verliert das rechte Vorderrad des Massey-Ferguson den Kontakt mit dem aufgeschwemmten Schotterweg. Das Lenkrad bricht Herbert aus den Händen und weg ins Nichts. Er greift panisch danach, kriegt es tatsächlich zu fassen, doch die Kraft, mit der das tonnenschwere Gefährt den Hang hinabdrängt, reisst ihm die Arme überkreuz. „Scheiße!“ schreit er in die Dunkelheit, als herumwirbelnde Äste die Frontlichter zerschlagen und der Traktor auf die beiden rechtsseitigen Räder rutscht. Der Massey-Ferguson beugt sich der Schwerkraft, überschlägt sich und stürzt den Hang hinab ins Tal.
Alfred galt allen im Dorf als der Spinner, der nach dem Tod seiner Frau mit dem Saufen begonnen hatte und schließlich in seinem umspülten Geiste die Geschichten von vermeintlichen UFO-Besuchen hervorbrachte. Erst waren es irgendwelche Sichtungen seltsamer Lichter. Man wunderte sich zunächst lediglich darüber, weshalb Alfred überhaupt nachts allein im Wald spazieren ging. Schon kurze Zeit später folgte die Geschichte, wie Alfred Zeuge gewesen sein wollte beim mysteriösen Verschwinden einer ganzen Kuhherde. Einfach verschwunden sei sie, berichtete er damals unter Tränen. Die ganze Herde. Spurlos. Und kurz danach kamen sie dann auch ihn holen: Außerirdische. Ihn, den einfältigen Dorfdeppen. Entführt und quälenden Experimenten unterzogen. Die Männer in den weißen Kitteln, die ihn dann Monate später ebenfalls abholten, erklärten, dass Alfred sich die Spuren seiner Entführungen selbst zugefügt hätte. Irgendwie muss es der arme Spinner geschafft haben, sich noch im jämmerlichsten Zustand erstaunlich präzis geformte Schnittwunden einzuritzen. Den Leuten im Dorf blieb vor allem auch jener Vorfall in Erinnerung, bei dem es Alfred fertig gebracht hatte, sich nachts allein auf eine vier Kilometer entfernte Waldlichtung zu schleppen, um bei Tagesanbruch den dort eintreffenden Holzarbeitern eine neuerliche Entführung vorgaukeln zu können. Doch er wartete vergeblich auf deren Ankunft – der Arme konnte nicht wissen, dass die Arbeiten in jenem Waldstück wegen einer fehlerhaften Abholzungsgenehmigung um zwei Tage ausgesetzt werden mussten. Entsprechend erstaunt waren die Männer, als sie den ausgemergelten Alfred frühmorgens auf der Lichtung liegen sahen: Mit nichts anderem bekleidet als einer regennassen Jeanshose. Wie er es allerdings geschafft hatte, dass sein gesamter Unterleib in nur einem einzigen der engen Hosenbeine steckte, blieb allen ein Rätsel.
Herbert trinkt einen kräftigen Schluck direkt aus der Flasche. Er trinkt sonst nie aus der Flasche. Für ihn hatte das stets etwas widerwärtiges, Schnaps aus einer Flasche zu trinken. Das taten nur Säufer und Landstreicher. Jetzt, wie er so da steht am Fenster, mit zerrissener Kleidung und blutigen Händen, da ist ihm das egal. Er hat keine Ahnung, wie er dem Traktor entkommen konnte. Draussen vor ihm tobt ein unbändiger Sturm und er ist am Leben. Er nimmt noch einen Schluck und stapft benommen zum alten, dunkelgrünen Ohrensessel. Rings ums Haus rast etwas mit ohrenbetäubendem Lärm. Ein greller Lichtblitz zuckt durchs Zimmer. Herbert hört noch ein leises Wimmern und in dem Moment, als er bemerkt, dass er vergessen hat, das Radio im Badezimmer auszuschalten, überwältigt ihn die Erschöpfung.
Am nächsten Morgen wacht Herbert mit Schmerzen in seiner linken Flanke auf. Er bemerkt gar nicht, dass er auf dem Fußboden liegt. Auf dem Rücken liegend befühlt er seine Seite, was den Schmerz nur verstärkt. Vorsichtig hievt er sich auf die Ellenbogen, in die Hocke, auf die Beine. Er würde gerne an sich herunter blicken, aber ein Ziehen in seinem Rücken hindert ihn daran. Das grelle Tageslicht, das durch die Fenster flutet, blendet ihn. Er reibt sich die Augen und geht zur Haustür. Bis er sich ans Licht gewöhnt hat, ist er bereits einige Schritte auf den Hof gehumpelt. Die Sonne strahlt und aus den Kleidungsfetzen an ihm strömt der Geruch von geronnenem Blut, gebrannten Äpfeln und Schweiß. Von irgendwoher singt ein Vogel mit einer Inbrunst, als hätte er nicht erwartet, noch einmal den Anbruch eines Tages preisen zu dürfen. Als Herbert die Augen öffnet, ist das erste was er sieht, die wüste Schneise aus Dreck und Geäst, in der sich sein Traktor samt Anhänger ins Tal hinab gewühlt hat. Bei dem Anblick wird ihm flau. Sein Blick wandert weiter. Zunächst sind da nur die Wiesenflächen, die sich zwischen seinem Hof und dem Dorf befinden: Überall darauf verteilt liegen dicke Baumteile, die ihre Seitenäste in die Höhe recken. Der Sturm muss gewaltig gewesen sein und hat allem Anschein nach das Gehölz des nahen Tannenwäldchens auf den Wiesen am Hang verteilt. Dann reibt er sich die Augen erneut und erblickt etwas, das aussieht wie ein totes Tier. Es liegt direkt in seiner Hofeinfahrt. Nur wenige Schritte vor ihm. Als er näher kommt, erkennt er, dass es gar kein totes Tier ist. Jedenfalls kein vollständiges, totes Tier. Herbert schaut ungläubig in die fahlen Augen, die in dem schlammüberzogenen, abgetrennten Kuhkopf hängen. Dahinter liegen Innereien, riesige Darmschlingen und etwas Dunkles, das aussieht wie eine Leber. Weiter unten auf dem Kiesweg liegen gleich mehrere abgetrennte Hufe und immer wieder weiß-schwarz gescheckte Bündel in roten Lachen. Dahinter noch mehr davon. Er zählt zwei, vier, acht, zehn, zwanzig... ihm wird klar: Da unten auf den Wiesen, das sind gar keine Baumstümpfe. Er reibt sich erneut die Augen und sieht seinen Großvater und Alfred vor sich – beide staunen nicht minder als er.
„Ein Orkan mit Böenspitzen von bis zu 250 Kilometer pro Stunde verursachte in großen Teilen Süddeutschlands massive Zerstörungen. Bisherigen Meldungen zufolge...“. Und im Badezimmer läuft das Radio.