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Ungesehen

Beitritt
11.08.2013
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Ungesehen

Die Lichter schienen dunkler zu werden, als der Mann das Apartment betrat. Mit einem gewissen Widerwillen lies sie ihn ein. Sie wusste nicht, warum sie es tat. Sie fürchtete sich vor ihm. Nicht vor seiner Erscheinung. Nein, es war etwas anderes.
Er hatte einen grauen Nadelstreifenanzug an, über dem er einen dunklen Mantel trug. Das einzig bunte Kleidungsstück, das er trug, war eine rote Krawatte. Aber auch dieses Rot wirkte dunkel, ja gar traurig. Er sah vornehm, dennoch unauffällig aus.
Sie wies ihm den Weg ins Wohnzimmer und bedeutete ihm, sich zu setzen. Ihr war, als kenne sie ihn nicht, und bis jetzt hatte er noch kein Wort gesagt. Es war, als hätte sie keine Kontrolle über sich, denn nicht er, sondern sie setzte sich, als er auf das dunkelblaue Sofa zeigte.
Nun saß sie ihm gegenüber und starrte ihn an, ohne ein Wort zu verlieren. Sie verlor sich in seinen tief blauen Augen. Das Geschehen kam ihr fern und unbedeutend vor. Dieses Gefühl verstärkte sich sogar noch, als er die Stimme erhob.
Sie hörte ihn nicht, als sie aufstand und zum Balkon schritt. Er versuchte nicht sie aufzuhalten, nein, im Gegenteil. Seine Worte waren wie ein goldenes Band, das sie die Balkontür hinaus, in die kalte Nacht führte. Auch als sie über die Brüstung kletterte, stand er nur hinter ihr, sie mit dem Blau seiner Augen verfolgend.
So stand sie da, in ihrem weißen Nachthemd in die Ferne der Nacht blickend. Eine einzelne Träne löste sich von ihrem Auge, rollte ihre Wange hinunter und schlug zehn Stockwerke weiter unten auf den dunklen Asphalt auf.
Immer noch redete der Mann im Anzug auf sie ein. Sie verstand seine Worte nicht, verstand aber sehr wohl, was sie tun musste.
Kein Schrei zerriss die Stille der Nacht. Kein Laut kam über ihre Lippen, als sie sich vom Geländer löste. Sie hatte ein Lächeln im Gesicht, als sie endlich, seit langen Jahren wieder Freiheit verspürte.

Als Mr. Miller nach Hause kam, war die Polizei schon vor Ort. Er stieg langsam, mit einem unguten Gefühl aus seinem Wagen.
Ein älterer Mann in Uniform kam auf ihn zu. Er war es auch, der ihn ein paar Minuten später vom leblosen Körper seiner Frau wegzerrte und versuchte, ihn zu beruhigen.

Etwas entfernt von all dem stand ein Mann in einem grauen Nadelstreifenanzug im Schatten eines Gebäudes und beobachtete das Geschehen.
Schon bald drehte er sich um und verschwand, ungesehen ins Dunkel der Nacht.

 

Hallo Schattenschreiber

Und Herzlich Willkommen bei kurzgeschichten.de.

Dein Debüt wirkt auf mich sehr knapp - mehr wie ein Fragment als wie eine vollständige Geschichte.

Ich hab da immer meine Schwierigkeiten mit so knappen Texten, vor allem auch in dieser Rubrik - wo es viel auf Atmosphäre und einen durchdachten Spannungsbogen ankommt. Das ist in so ganz kurzen Geschichten wie deiner kaum umsetzbar.

In der Regel brauchst du Figuren, mit denen der Leser mitfiebern kann, in die er sich hineinversetzen kann - in deinem Text erfährt man praktisch nichts über die Figuren, entsprechend nimmt man auch den "Selbstmord" der Frau eher mit einem Schulterzucken hin. Gäbe es zuvor Szenen, welche die Frau im Alltag zeigen, oder die sie mit einem Konflikt konfrontieren, sähe das wohl anders aus. Aber so - ja, sie springt vom Balkon. Du legst zwar Wert auf Details (Farbe der Krawatte, die Träne, die heruntertropft), was schonmal gut ist, aber von Details alleine kann eine Geschichte nicht leben.

Warum zeigst du uns nicht mehr von den Figuren, auch, was es mit diesem seltsamen Mann auf sich hat? Hat er übersinnliche Kräfte, oder ist es ein verrückter Arzt? In welchem Verhältnis steht die Frau zu ihm, haben sie sich zuvor schon getroffen? Welche Rolle spielt der Ehemann? Hat er vielleicht einen Verdacht und beginnt jetzt, Jagd auf den Mann zu machen? Also du siehst, da sind schon einige Fragen da, an einer (oder an mehreren) solltest du dich jetzt festbeißen und daraus eine ausführlichere Geschichte schreiben. So, in der Form, ist das einfach zu knapp und schlussendlich zu wenig.

Eine Stilkritik kann ich auch nicht wirklich machen - das wenige, was mir aufgefallen ist:

Die Lichter schienen dunkler zu werden, als der Mann das Apartment betrat.

"scheinen" nur ganz sparsam einsetzen - hier, was heißt das konkret? Wurden sie denn jetzt dunkler (falls ja, das auch so formulieren) oder nicht (dann ganz weglassen)?

Mit einem gewissen Widerwillen lies sie ihn ein.

"Mit einem gewissen Widerwillen" - das kann man kompakter formulieren, "widerwillig", dann fällt auch das unschöne (weil nichtssagende) "gewiss" heraus. Außerdem: ließ

Er hatte einen grauen Nadelstreifenanzug an, über dem er einen dunklen Mantel trug. Das einzig bunte Kleidungsstück, das er trug, war eine rote Krawatte. Aber auch dieses Rot wirkte dunkel, ja gar traurig. Er sah vornehm, dennoch unauffällig aus.

Die Szene ist zu überfrachtet mit Adjektiven - grau, dunkel, bunt, rot, dunkel, traurig, vornehm, unauffällig. Es ist schwer, als Leser da ein Bild zu bekommen, besser du gehst mit den Adjektiven sparsamer, aber dafür genauer um (was ist bspw. ein "trauriges Rot"?)

Der Rest ist soweit ich beurteilen kann ok.

Ich wünsch dir hier noch viel Spaß, beim Schreiben und auch Kommentieren von anderen Geschichten.

Grüsse,
Schwups

 

Hallo Schattenschreiber

Zuerst habe ich auch gedacht, was Schwups geschrieben hat: ein Fragment, eine Skizze.

Dann habe ich es noch mal gelesen, langsam, wie ein Gedicht. Und plötzlich hat's "gezündet". Die merkwürdige Szene gibt genug Anhaltspunkte, damit die Fantasie sie auskleiden kann. Hat sie Drogen genommen und sich alles eingebildet? Ist der Mann ein Dämon, der sein Vergnügen darin findet, seine Macht auszuüben? Oder ein Todesengel, der die Frau aus ihrem qualvollen Leben holt?

Antworten würden hier nur stören, den Zauber verscheuchen.

Liebe Grüsse
Bertram

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Leute

Danke für die Begrüßung und die Antworten. Das ist meine erste Kurzgeschichte, und ich wollte mal sehen wie sie so ankommt. Ich kann deine Kritik verstehen Schwups, da vieles offengelassen wird, allerdings war es wirklich meine Absicht das Meiste im Dunkel zu lassen. Daher bin ich über Bertrams Beitrag ziemlich froh :D Trotzdem Danke für die Kritik, deshalb bin ich ja hier. Werd mir deine Kritik zu Herzen nehmen Schwups, da du ja nicht unrecht hast.

MfG Schattenschreiber

EDIT: Ich hab mir übrigens auch schwer damit getan die Kurzgeschichte einem Genre zuzuordnen.

 

Hallo und Willkommen Schattenschreiber!

Ich habe deine Geschichte gelesen und mir gedacht: Das ist kein schlechter Anfang. Dieser geheimnisvolle Mann, der andere komplett seinem Willen unterwerfen kann, und jemanden zwingen kann, sich selbst zu töten - das ist spannend, ich würde gern wissen, was es mit dem auf sich hat. Ist das ein Auftragskiller mit übernatürlichen Kräften, oder eine dämonische Kreatur in menschlicher Verkleidung? Warum musste die Frau sterben? etc.
Vom Stil her fand ich es auch ganz gut zu lesen.

Leider war die Geschichte zu Ende, als ich gerade dachte, sie geht erst richtig los. Jetzt kannst du dich darüber freuen, dass es dir gelungen ist, mich neugierig zu machen, und dass ich die Geschichte im Kopf weitergesponnen habe, weil ich wissen wollte, was als nächstes passiert. Aber ich finde, man sollte sich als Autor nicht darauf ausruhen, dass im Kopf der Leser Dinge stattfinden, die man gar nicht geschrieben hat. Es ist natürlich schön, wenn das passiert, aber sich da zufrieden zurück zu lehnen und zu sagen "genau das wollte ich!", das ist schon arg bequem, nicht? :D

Du musst ja nicht ins andere Extrem verfallen und den Leser bei jedem Schritt an die Hand nehmen und sagen: schau her, das ist der Protagonist, und da ist der Böse, und jetzt zeig ich dir ein Zehn-Punkte-Programm, wie der eine den anderen fertig macht. Man kann Sachen im Dunkeln lassen, so dass verschiedene Interpretationen möglich sind, das ist manchmal spannender, als wenn man jeden Winkel der Geschichte ausleuchtet.

Aber ich finde, man sieht in deinem Text ganz deutlich, wo du gedacht hast: So, und jetzt schnell ein Ende dranhängen, wer weiß, wo das sonst noch hinführt.

Bis zu der Stelle, wo die Frau sich vom Balkon stürzt, hatte ich das Gefühl, du weißt genau, was du willst, und hast das auch geschrieben.

Und dann kommt:

Als Mr. Miller nach Hause kam, war die Polizei schon vor Ort. Er stieg langsam, mit einem unguten Gefühl aus seinem Wagen.
Ein älterer Mann in Uniform kam auf ihn zu. Er war es auch, der ihn ein paar Minuten später vom leblosen Körper seiner Frau wegzerrte und versuchte, ihn zu beruhigen.
Das wirkt doch echt wie: Oh, Abendbrot ist fertig, da muss ich hier schnell abschließen.

Wenn du den Ehemann einführen würdest, um zu zeigen, dass er völlig fassungslos ist, weil seine Frau nie auch nur das kleinste Anzeichen gezeigt hat, dass sie suizidgefährdet sein könnte, und wie er dann versucht, herauszufinden passiert ist ... und vielleicht dem seltsamen Besucher auf die Spur kommt, dann könnte das spannend sein. Aber der ist nach vier Sätzen wieder verschwunden, da könntest du ihn doch genausogut weg lassen. Da kommt null Emotion rüber in diesen Sätzen, weil ich über den Mann nichts weiß und keine Ahnung habe, wie der zu der Frau gestanden hat.

Also, Mut zu mehr Länge und mehr Details!
Der Anfang gefiel mir schon ganz gut, aber es ist halt bloß ein Anfang. :)

Grüße von Perdita

 

Hallo Schattenschreiber,

deine Geschichte war sehr kurz und da bleiben noch - für mich - zu viele offene Fragen, warum hat er das gemacht oder weshalb sie? Warum fühlte sie sich frei?

Der Hintergrund fehlt zu der Geschichte, die an sich gut geschrieben ist.

 

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