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Unfall
Unfall
Es war keine Fahrspur zu erkennen, alles war weiß. Die Leitpfosten sowie vereinzelte Bäume am Straßenrand zeigten mir den Weg durch die Nacht. Warum nur muss ich immer der erste sein, der hier noch vor den Räumfahrzeugen entlangfährt. Es war still, so ungewöhnlich still. Der Schneefall hatte aufgehört und ein leichter Dunst machte sich breit. Der Himmel, mit Wolken verhangen, ließ den neuen Tag noch nicht erahnen. Ich starrte auf das von meinen Scheinwerfern erleuchtete Weiß. Es war, als wenn mein Wagen schweben würde, wie von einer unsichtbaren Kraft getragen. Ich glitt durch ein sachtes Tal, der Dunst verdichtete sich darin zu stärkerem Nebel. Vor mir lag nun ein Hügel, ob ich die Steigung schaffe? Auf einmal hörte ich Geräusche, wie mein Wagen gegen die Schneemassen ankämpfte. Der Motor heulte auf. Die Räder drehten durch. Es war doch bloß noch ein kleines Stück. Ich hatte keine Chance mehr und ließ mich langsam zurück rollen. Für den zweiten Versuch beschleunigte ich am Anfang etwas mehr. Ich würde es sicher schaffen. Doch kurz vor der Kuppe strahlten mir zwei Scheinwerfer ins Gesicht. „Was soll denn das jetzt“ hörte ich mich sagen. Nach kurzem Überlegen ließ ich mich wieder zurückrollen um den anderen Wagen passieren zu lassen. Wieso habe ich die entgegenkommenden Scheinwerfer nicht eher bemerkt? Wieso mussten wir uns ausgerechnet an dieser Stelle begegnen? Ich sah das Fahrzeug zunehmend deutlicher. Es war ein Streifenwagen. Die Polizei, hier bei uns? Was hatte das zu bedeuten? Beim aneinander Vorbeifahren tauschten wir uns irgendwelche Gesten aus. Ich wollte noch etwas rufen, so wie „ich hätte Sie mal sehen wollen, wenn…“. Doch sie hätten es wohl nicht gehört und auch nicht verstanden. Schon so oft bin ich hier entlang gefahren. Frühmorgens, wenn die meisten noch schlafen. Noch nie kam mir an dieser Stelle ein Fahrzeug entgegen, ich war fast immer der einzige auf der gesamten Strecke. Warum ausgerechnet heute und die Polizei höchstpersönlich, die sich sonst in unserer verlassenen Gegend eher selten blicken lässt. Ich beruhigte mich langsam und fuhr weiter. Auf der Kuppe des Hügels, den ich jetzt mit Leichtigkeit schaffte, konnte ich schon die Lichter des nächsten Ortes sehen.
Nach dieser kurzen und zugleich bewegenden Autofahrt, saß auf einem Fensterplatz im Bus, der mich und die anderen Kollegen zur Arbeitsstelle bringen sollte. Es war immer noch dunkel. Hier war die Straße schon geräumt. Man hörte, dass sie nass war. Dieses gleichmäßige Rauschen und die vorbeieilenden Bäume stimmten mich schläfrig. Ab und zu wurde ich wachgerüttelt, wenn der Bus abbremste, um noch weitere meiner Kollegen mitzunehmen. Wir näherten uns einer starken Rechtskurve. Der Bus fuhr zu schnell, viel zu schnell! Ich schaute vor zum Fahrer. Es war dieser eine, der einen zügigen Fahrstil bevorzugte. Mit ihm waren wir immer eher auf Arbeit und, was noch viel wichtiger war, auch eher zu Hause. Aber hier muss er doch nicht so rasen. Jetzt brems doch endlich ab! Dieser eine Fahrer war auch sonst etwas anders als die anderen. Es kam vor, dass er mitten auf einer Kreuzung scharf bremste, nur damit wir mit ihm eine besonders auffällige Dame begutachten konnten „Guckt euch mal diese Titten an!“ oder „Ist das nicht ’ne geile, süße Maus?“ und wir schauten alle in diese Richtung. Viel zu schnell fuhren wir in die Kurve. Schafft er es, den Bus in Gewalt zu behalten? Schon so oft sind wir mit dem Bus durch diese Kurve gefahren und jedes Mal war es gut gegangen. Wir näherten uns dem linken Straßenrand. Der Straßengraben!. Es holperte heftig. Schreie! Noch rechtzeitig vor den nächsten Bäumen kam der Bus zum Stehen. Ich hätte nie geglaubt, dass hier so ein breiter Graben ist und wir standen mitten drin. Durch die Fensterscheiben sah man, ich traute meinen Augen kaum, Wasser. Gleich würde es eindringen. Ob sich die Türen öffnen lassen? Ich wollte hier raus! Das Wasser! Schnell!
Ich zuckte zusammen, öffnete die Augen. Meine Blase drückte, ich musste aufs Örtchen. Erleichtert war ich auf dem Weg zurück ins Schlafzimmer. Wieso stand die Hoftür noch offen? Ich hatte gestern Abend nicht abgeschlossen, da meine Tochter noch nicht zu Hause war und die Tür war einen Spalt breit geöffnet. Auch das Licht im Korridor hatte ich angelassen. Genau wie jetzt. Alles sah so aus wie am Vorabend. War Susanne nicht nach Hause gekommen? Schon so oft wurde sie freitags von einem Freund aus dem Nachbardorf abgeholt. Sie fahren dann zusammen in ein wiederum anderes Dorf, treffen sich dort mit anderen um über Gott und die Welt zu plaudern. Bisher hatte sie doch immer abgeschlossen und das Licht gelöscht, nachdem sie heimgekommen war. Da ich heute nicht so zeitig raus musste, legte ich mich noch einmal ins Bett. Bestimmt war sie doch zu Hause und hatte es nur vergessen. Oder doch nicht? Susanne ist 18 Jahre, bisher hatte sich aber keine Freundschaft oder Liebe zu einem Jungen entwickelt. Dass sie einfach nicht nach Hause kam, ist unvorstellbar. Vielleicht war etwas passiert. Ein Unfall? Der Traum!
Nein, so etwas gibt es doch nicht. Wollte mir dieser Traum etwas sagen, wollte er mich warnen, kann ich noch etwas verhindern? Das Telefon, gleich werde ich aufstehen und nachsehen ob es funktioniert. Ich dachte an einen Film, den ich mir vor einer Woche angesehen habe: Final Destination 2. Ein grausamer Film, bei dem viele Menschen umkommen und jedes Mal zuvor hat jemand so einen Tagtraum um bestimmte Dinge vorherzusehen. Naja – das war doch bloß ein Film. Da gab es doch auch eine Geschichte in der Bibel, wo sieben magere Kühe sieben fette fressen, dabei aber nicht dick werden. Das hatte damals erst Überfluss und dann eine Hungersnot zur Folge. Sollte man in Träumen wirklich etwas vorhersehen können? Ich dachte wieder an meinen Traum: erst die Polizei, dann der Unfall. Was kann das nur zu bedeuten haben? Ich war aufgebracht, setzte mich auf die Bettkante. Draußen wurde es langsam hell. Ein leichter Dunst verwischte alle Konturen.
Ich blickte über meine Schulter zu meiner Frau. Sie schlief noch seelenruhig, hatte keine Ahnung von dem was mich beschäftigte. Sollte ich sie wecken und ihr alles erzählen? Nein, - schließlich war heute auch noch Valentinstag und da sollte man seinen Lieben doch etwas anderes gönnen als so eine mysteriöse Geschichte. Was kann da nur passiert sein? Der Freund mit dem Susanne mitfuhr ist vertrauenswürdig, von ihm ging keine Gefahr aus. Seine Frau und er, sie erwarten in zirka drei Wochen ihr erstes Kind. Außerdem war er auch unser Freund und fast so alt wie ich. Ich schaute wieder aus dem Fenster. Es lag ja gar kein Schnee! Ich war für den Augenblick etwas erleichtert. Mein Blick folgte den sich in der Ferne drehenden Windrädern. Hoffentlich werden die Bäume bald wieder grün, damit ich diese Dinger nicht sehen muss. So ging es nicht weiter, es musste jetzt was passieren! Ich vernahm ein Geräusch, eine Tür wurde geschlossen. Es durchzuckte mich, ich war hellwach. Susanne war doch zu Hause. Ich ging durch das Nachbarzimmer auf den Korridor. Ich sah eine Bewegung. Mein Sohn kam mir entgegen. „Hast du Susanne schon gesehen?“ „Nein, wieso?“ „Ich glaube die ist gestern gar nicht nach Hause gekommen.“ „Doch Papa, ich habe sie noch kommen hören“
Ich kann mir durchaus vorstellen dass es sinnvolle Traumdeutungen gibt. Aber nicht bei mir - und das ist gut so.
Ende