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Und wo wohnst du?

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19.06.2002
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Und wo wohnst du?

Der Neuankömmling schüttelte sich wie ein junger Hund, der versehentlich in den Dorfteich gefallen war. Wassertropfen perlten auf seiner Jacke.
„Na, Malte, hat dich dein Nadinchen nicht fort lassen wollen?“ wurde er von einem der Gäste des Dorfkrugs empfangen, der mit anderen am Tresen saß.
Malte schüttelte sein blondes Haupt.
„Nein, wir hatten wieder einmal einen Einsatz.“ Mit eine Blick auf den Wirt fuhr er fort: „Machst du mir ´nen Pils fertig, Thies?“
Ein anderer Zecher grinste ihm entgegen: „Siehe da! Der Häuptling unserer Feuerwehr löscht auch lieber mit Bier statt mit Wasser.“
Inzwischen hatte Malte inmitten der anderen Männer Platz genommen. Ihren Gesichtern war anzusehen, dass sie vor Neugierde platzten. Sie hingen förmlich an seinen Lippen, um aus erster Hand zu erfahren, welchen spektakulären Einsatz er und seine Kameraden wieder einmal gemeistert hatten.
Der blonde Mann griff zu seinem Bierglas, besah kurz die akkurat gezapfte Blume, hob sein Glas, prostete seinen Nachbarn zu und nahm einen tiefen Schluck.
Mit dem Handrücken wischte er sich über die Lippen.
„Und?“ bedrängte ihn ein anderer Gast, „warum ist die Feuerwehr heute ausgerückt?“
Er sah reihum in die Gesichter der Männer, griff umständlich in seine Jackentasche, kramte die Packung Zigaretten hervor und zündete sich bedächtig eine an. Tief sog er den Rauch in seine Lungen, blies dann eine große blaue Wolke in die Luft.
„Nichts Bedeutendes...“ murmelte er.
Enttäuscht wand sich Holger ab, der am Ende des Tresens saß, und widmete sich seinem Bier.
„Da hat die alte Möller wieder einmal ihren Suppentopf auf dem Herd vergessen...“ lästerte Tönne.
Malte winkte ab: „Nicht einmal das. Wir mussten - wieder einmal - einen Keller leer pumpen.“
Lautes Gelächter erfüllte den Dorfkrug. Eine weitere Erklärung war nicht erforderlich. Jeder Einheimische verstand, bis auf den Mann mittleren Alters, der sich von einem der Tische erhob und sich zu den Zechern am Tresen gesellte.
„Entschuldigen Sie, aber ich bin fremd hier.“ Sein unverkennbarer sächsischer Dialekt verriet, dass er die Wahrheit sprach. „Droll ist mein Name. Sandro Droll!
Ich bin Ihrem Gespräch vorhin gefolgt. Ich möchte mir eines der neuen Häuser ansehen.“
Alle lachten. Irritiert fuhr Droll fort: „Habe ich jetzt etwas Falsches gesagt?“
Thies, der Wirt, grunzte: „Eines der Häuser von der oberbayerischen Haus- und Wohnungsbau-Gesellschaft?“
Droll nickte.
Thies wies auf Malte. „Ein neuer Kunde für die Feuerwehr.“
Der Feuerwehrhauptmann räusperte sich, nahm noch einen Schluck, und wandte sich dann dem Fremden zu.
„Seit vielen hundert Jahren leben Menschen in diesem Dorf“, erklärte er. „Sie haben erst ein paar Häuser errichtet, an der Strasse entlang. Dann wurde die Kirche gebaut. Und rund um das Gotteshaus wuchs das Dorf ringförmig weiter, ganz bedächtig und im Laufe von mehreren hundert Jahren.“
Droll nickte.
„Das suche ich für meine Familie. Wir möchten gerne hierher ziehen. Und besonders interessant erscheint uns das Angebot der von Ihnen genannten Wohnungsbaugesellschaft.“
Tönne, der neben Malte saß, entfuhr ein tiefer Seufzer. Er streckte seine Hände vor, zeigte sie dem Fremden.
„Hier! Dieses sind die Hände eines ehrbaren Zimmermannes. Seit Generationen baut meine Familie Häuser in dieser Region. „
„Und?“ Droll verstand ihn nicht.
„Raten Sie einmal“, erklärte Malte, „weshalb ein bayerisches und kein hiesiges Unternehmen vom alten Geyer das Grundstück mitten im Dorf erworben hat?“
Der Fremde zuckte die Schultern.
„Keine Ahnung. Vielleicht kann ein großes Unternehmen attraktivere Angebote unterbreiten als ein kleiner Handwerksbetrieb.“ Dabei blickt er Thies an.
Malte schmunzelte.
„Opa Geyer sitzt jetzt mit einer jungen Frau auf Mallorca und lässt sich sein Rheumaknie von der Sonne bescheinen. Seit mehr als hundert Jahren hat seine Familie sich vergeblich bemüht, das Grundstück mitten im Dorf zu verkaufen. Doch es fand sich niemand.“
„Warum nicht?“ wollte Droll wissen. „Das Grundstück ist doch ideal. Ringsherum befindet sich alte gewachsene Bausubstanz und genau in der Mitte hat dieses innovative Unternehmen herrliche Einfamilienhäuser errichtet, alle voll unterkellert.“
Malte lachte, die anderen Dorfbewohner stimmten ein.
„Das Grundstück hat niemand erworben, weil alle bisherigen Interessenten Plattdeutsch verstanden.“
Droll sah irritiert von einem zum anderen.
„Sehen Sie“, fuhr der Feuerwehrhauptmann fort, „das Areal wurde von einem bayerischen Unternehmen erworben. Finanziert hat es eine süddeutsche Bank. Niemand dort ist des Plattdeutschen mächtig. Verkauft sind bisher nur wenige Häuser. Und wenn Sie sich einmal die Namensschilder an den Gartenpforten ansehen, finden Sie: Wagls, Mayrs, Berghäusls, Schmitzkes oder Ürgüns, Lopez und vielleicht auch einmal Drolls.“
„Tja...“ Malte holte tief Luft.
„Frerch, Thies, Tönne, Claas und Malte, die wohnen alle ´Up de Bult´. Ein auswärtiges Unternehmen, aber nur dieses, baut eben neue Häuser ´In de Masch´. Und so kommt es, dass unsere Feuerwehr diese armen Neubürger gelegentlich zum Kellerauspumpen besuchen muss...“

Tja, und wenn du die Geschichte immer noch nicht verstanden hast... macht nichts. Für dich gibt es „In de Masch“ noch ein freies Grundstück...

 

Hm... Erinert mich an die Jever-Werbung mit dem Städler und den zwei Eingeboren:
"Der spricht ja viele Sprachen."
"Aber genützt hat es ihm trotzdem nix."

Aber irgendwie kann ich der Idee hier nicht viel abgewinnen. Es wirkt künstlich herausgezögert.
Den Anfang, bis der Fremde kam, fand ich jedoch gut.

 

Hallo Darian,

vielen Dank für deine kritischen Anmerkungen. Der von dir zitierte Gag ist mir zwar bekannt, allerdings nicht im Kontext mit Jever-Werbung.

Die Idee hinter meiner Geschichte ist der Verweis auf kleine sprachliche Besonderheiten der Regionen, die Einheimischen als selbstverständlich erscheinen, für Fremde hingegen oft eine Barriere bedeuten.

Wer z.B. im Münsterland ein Wurstbrötchen bestellt (eigentlich auch für alle Rundstück-, Semmel- oder Sonstwas-Esser eine eindeutige Bezeichnung), bekommt... eine in Blätterteig gebackene Hackpastete. Genauso spannend ist es, einmal die unterschiedlichen Bezeichungen für Volksfeste zusammen zu tragen. Vom Dom über Schützenfest, Freimarkt, Kerb, Send, Rummel, Kirmes, Kirchweih, Wies´n bis Wasen - und sicher noch ungenannt viel mehr) lassen sich hier ungeahnt viele Ausdrücke sammeln, die im Zweifelsfall ein Dorf weiter schon keine Geltung mehr finden.

Das zur Idee. Dennoch freue ich mich über deine Reaktion. Falls du noch zusaätzliche Anregungen haben solltest, würden mich diese sehr interessieren.

Mit einem fröhlichen Gruß aus Münster
Hannes

 

Hallo Hannes, schade, dass diese Story so wenig Resonanz findet. Kommen hier denn alle aus dem Süden. Ein schöne kleine runde humorige Geschichte.

Ich komme aus Norddeutschland, hiesse auch, dass die Feuerwehr bei mir nicht ausrücken würde.

Eigentlich ist diese Story, die flüssig geschrieben und die richtige Länge hat, ein kleiner guter Gag!

Liebe Grüsse Stefan

 

Hallo Hannes!

Ja...diese doofen Oberbayern. :susp:

Sogar in Oberbayern werden Häuser gebaut, die regelmäßig leergepumpt werden müssen, wenn bei Hochwasser die Dämme nicht halten...sogar hier in Süddeutschland. :D

ZUr Geschcihte: wie Arche schon sagte, gut geschrieben, nett aufgebaut...für mich eine kleine nette Geschcihte für Zwischendurch.
Eins ist mir noch aufgefallen:

"bemüht, dass Grundstück mitten im Dorf zu verkaufen" - das

schöne Grüße
Anne

 

Regen, Wind und Strand... das klingt wie Urlaub, und der hat mich auch darin gehindert, euch früher zu antworten.

Hallo Anne,
hallo Stefan,

herzlichen Dank für eure wohlmeinende Kritik. Nun ja, rein zahlenmäßig sind wir Nordlichter ja eine (qualifizierte) Minderheit, aber – ehrlich die Hand aufs Fischerhemd – den bayerischen Rundfunk tun wir uns auch selten an...

Mit dem Wasser können wir ja gottlob umgehen, so ein büschen Sturmflut ist ja fast Alltag. Da rumort keiner, wenn so ein kleiner Bach einmal überläuft... Der Blanke Hans ist da schon ein anderer Gegner. Und der Keller läuft auch nur dann voll, wenn die Deppen planen (das hätte ich jetzt nicht sagen dürfen).

Wie gut, dass noch nicht alle den Norden entdeckt haben. Stellt euch einmal vor, der Rest der Republik würde sich auf den Weg machen und die touristische Invasion starten? Mir reichen die 18 Mio. Nordrhein-Vandalen, denen ich am letzten Wochenende im Elbtunnel begegnet bin (* nichtganzernstgemeintdaselbstdortwohnend *).

Vielen Dank, Anne, für den Hinweis auf das „hängende s“ (da hat der dicke Daumen wohl etwas zu lange auf der Taste verweilt).

Mit einem fröhlichen Gruß aus Münster

Hannes

 

Hallo Hannes,

nette Geschichte, immerhin klären die Herren den `Ausländer´ wenigstens auf...

„von einem der Tische erhob“ - müßte das nicht `an´ heißen?
Region. „ - Region.


Tschüß... Woltochinon

 

Moin Woltochinon,

klar doch... niemand bleibt unaufgeklärt im Regen stehen, schließlich sind wir Nordlichter ja auch in vielen Gegenden auf sprachlichen Support angewiesen.

Interessant fand ich deinen Hinweis zu "von einem der Tische" oder "an einem der Tische". Für mich klingt "von" nicht verkehrt, ohne dass ich den Stein der Weisen für mich beanspruche. Weitere Hilfe hierzu wäre willkommen.

Danke für deinen Kommentar und ...
tschüs ock
Hannes

 

Hallo Hannes,

bei "von" denke ich, er saß auf dem Tisch, aber je öfter ich "an" sage, um so seltsamer klingt dann auch dies...

Alles Gute,
tschüß... Woltochinon

 

Lieber Hannes,

auch wenn man nicht dabeistehen hat, wer diese Geschichte geschrieben hat, könnte man unschwer herausfinden, dass dies mal wieder ein echte Hannes Nygaard-Story ist. Schnucklig ist sie, unterhaltsam, zügig und mit einem leichten Schmunzeln geschrieben und zum Schmunzeln für den Leser. Eine kleine Unterhaltungslektüre also. Sie hat mir gefallen.

Die typischen Hannes Nygaard-Geschichten-Merkmale sind:

- der Plot handelt von Land und Leuten nördlich der Elbe
- es ist immer ein wenig Lokalkolorit vorzufinden

- es ist immer etwas Mundartliches, Typisches vorzufinden

- es handelt sich um einschichtig angelegte kleine Episoden, also keine verwobenen Handlungsstränge

- die Grundstimmung ist immer positiv, meistens sogar direkt zum Schmunzeln angelegt.

:)

Lieben Gruß
elvira

 

Liebe Elvira,

bei deiner freundlichen Kritik bin ich mir nicht sicher, ob die sommerlichen Herbsttage oder deine Worte mich mehr erwärmen. Danke für deine lieben Freundlichkeiten, aber es macht dem Schreiberling einfach Spass, über eine lebenswerte Landschaft mit liebenswerten Menschen zu fabulieren, und wenn es auch noch den einen oder anderen Leser findet, dann wird die Herbstsonne um Längen geschlagen.

Liebe Grüße von der beschaulichen Aa an die liebenswerte (an der) Alster

Hannes

 

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