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Und wo wohnst du?
Der Neuankömmling schüttelte sich wie ein junger Hund, der versehentlich in den Dorfteich gefallen war. Wassertropfen perlten auf seiner Jacke.
„Na, Malte, hat dich dein Nadinchen nicht fort lassen wollen?“ wurde er von einem der Gäste des Dorfkrugs empfangen, der mit anderen am Tresen saß.
Malte schüttelte sein blondes Haupt.
„Nein, wir hatten wieder einmal einen Einsatz.“ Mit eine Blick auf den Wirt fuhr er fort: „Machst du mir ´nen Pils fertig, Thies?“
Ein anderer Zecher grinste ihm entgegen: „Siehe da! Der Häuptling unserer Feuerwehr löscht auch lieber mit Bier statt mit Wasser.“
Inzwischen hatte Malte inmitten der anderen Männer Platz genommen. Ihren Gesichtern war anzusehen, dass sie vor Neugierde platzten. Sie hingen förmlich an seinen Lippen, um aus erster Hand zu erfahren, welchen spektakulären Einsatz er und seine Kameraden wieder einmal gemeistert hatten.
Der blonde Mann griff zu seinem Bierglas, besah kurz die akkurat gezapfte Blume, hob sein Glas, prostete seinen Nachbarn zu und nahm einen tiefen Schluck.
Mit dem Handrücken wischte er sich über die Lippen.
„Und?“ bedrängte ihn ein anderer Gast, „warum ist die Feuerwehr heute ausgerückt?“
Er sah reihum in die Gesichter der Männer, griff umständlich in seine Jackentasche, kramte die Packung Zigaretten hervor und zündete sich bedächtig eine an. Tief sog er den Rauch in seine Lungen, blies dann eine große blaue Wolke in die Luft.
„Nichts Bedeutendes...“ murmelte er.
Enttäuscht wand sich Holger ab, der am Ende des Tresens saß, und widmete sich seinem Bier.
„Da hat die alte Möller wieder einmal ihren Suppentopf auf dem Herd vergessen...“ lästerte Tönne.
Malte winkte ab: „Nicht einmal das. Wir mussten - wieder einmal - einen Keller leer pumpen.“
Lautes Gelächter erfüllte den Dorfkrug. Eine weitere Erklärung war nicht erforderlich. Jeder Einheimische verstand, bis auf den Mann mittleren Alters, der sich von einem der Tische erhob und sich zu den Zechern am Tresen gesellte.
„Entschuldigen Sie, aber ich bin fremd hier.“ Sein unverkennbarer sächsischer Dialekt verriet, dass er die Wahrheit sprach. „Droll ist mein Name. Sandro Droll!
Ich bin Ihrem Gespräch vorhin gefolgt. Ich möchte mir eines der neuen Häuser ansehen.“
Alle lachten. Irritiert fuhr Droll fort: „Habe ich jetzt etwas Falsches gesagt?“
Thies, der Wirt, grunzte: „Eines der Häuser von der oberbayerischen Haus- und Wohnungsbau-Gesellschaft?“
Droll nickte.
Thies wies auf Malte. „Ein neuer Kunde für die Feuerwehr.“
Der Feuerwehrhauptmann räusperte sich, nahm noch einen Schluck, und wandte sich dann dem Fremden zu.
„Seit vielen hundert Jahren leben Menschen in diesem Dorf“, erklärte er. „Sie haben erst ein paar Häuser errichtet, an der Strasse entlang. Dann wurde die Kirche gebaut. Und rund um das Gotteshaus wuchs das Dorf ringförmig weiter, ganz bedächtig und im Laufe von mehreren hundert Jahren.“
Droll nickte.
„Das suche ich für meine Familie. Wir möchten gerne hierher ziehen. Und besonders interessant erscheint uns das Angebot der von Ihnen genannten Wohnungsbaugesellschaft.“
Tönne, der neben Malte saß, entfuhr ein tiefer Seufzer. Er streckte seine Hände vor, zeigte sie dem Fremden.
„Hier! Dieses sind die Hände eines ehrbaren Zimmermannes. Seit Generationen baut meine Familie Häuser in dieser Region. „
„Und?“ Droll verstand ihn nicht.
„Raten Sie einmal“, erklärte Malte, „weshalb ein bayerisches und kein hiesiges Unternehmen vom alten Geyer das Grundstück mitten im Dorf erworben hat?“
Der Fremde zuckte die Schultern.
„Keine Ahnung. Vielleicht kann ein großes Unternehmen attraktivere Angebote unterbreiten als ein kleiner Handwerksbetrieb.“ Dabei blickt er Thies an.
Malte schmunzelte.
„Opa Geyer sitzt jetzt mit einer jungen Frau auf Mallorca und lässt sich sein Rheumaknie von der Sonne bescheinen. Seit mehr als hundert Jahren hat seine Familie sich vergeblich bemüht, das Grundstück mitten im Dorf zu verkaufen. Doch es fand sich niemand.“
„Warum nicht?“ wollte Droll wissen. „Das Grundstück ist doch ideal. Ringsherum befindet sich alte gewachsene Bausubstanz und genau in der Mitte hat dieses innovative Unternehmen herrliche Einfamilienhäuser errichtet, alle voll unterkellert.“
Malte lachte, die anderen Dorfbewohner stimmten ein.
„Das Grundstück hat niemand erworben, weil alle bisherigen Interessenten Plattdeutsch verstanden.“
Droll sah irritiert von einem zum anderen.
„Sehen Sie“, fuhr der Feuerwehrhauptmann fort, „das Areal wurde von einem bayerischen Unternehmen erworben. Finanziert hat es eine süddeutsche Bank. Niemand dort ist des Plattdeutschen mächtig. Verkauft sind bisher nur wenige Häuser. Und wenn Sie sich einmal die Namensschilder an den Gartenpforten ansehen, finden Sie: Wagls, Mayrs, Berghäusls, Schmitzkes oder Ürgüns, Lopez und vielleicht auch einmal Drolls.“
„Tja...“ Malte holte tief Luft.
„Frerch, Thies, Tönne, Claas und Malte, die wohnen alle ´Up de Bult´. Ein auswärtiges Unternehmen, aber nur dieses, baut eben neue Häuser ´In de Masch´. Und so kommt es, dass unsere Feuerwehr diese armen Neubürger gelegentlich zum Kellerauspumpen besuchen muss...“
Tja, und wenn du die Geschichte immer noch nicht verstanden hast... macht nichts. Für dich gibt es „In de Masch“ noch ein freies Grundstück...