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Und wer mich auch holen will!
Das Klappern der Rollläden, zu dem sich ein unrhythmisches Trommeln gesellt hat, lässt mich aus einem tiefen traumlosen Schlaf fahren. Der Sturm von heute Nacht scheint sich noch nicht beruhigt zu haben. Warum sollte sich das Wetter nicht auch dem Gebaren der Menschen anpassen? Unberechenbar, wütend und gefährlich zu sein gehört zum Leben. Warum sollen sich nur die aufrechtgehenden Zweibeiner diese Rechte nehmen?
Langsam greife ich aus dem Bett und versuche eine der angebrochenen Weinflaschen zu angeln, die sich in dieser Woche auf dem Boden angesammelt haben. Ich schließe ein Auge und arbeite daran, mit dem anderen irgendwelche Fremdkörper im Inneren des Behälters zu entdecken. Zu meiner Zufriedenheit schwimmen nur ein paar Teile des Korkens im Rebensaft. Gerade als ich die Flasche an den Mund setzen will, donnert wieder eine Windböe gegen die Rollläden.
Mit der Flasche zum Fenster zeigend schreie ich: „ Super Kumpel! Lass es mal so richtig Krachen!“
Lächelnd registriere ich wie auf meine Worte wieder eine Böe den Licht- und Fensterschutz erzittern lässt, setze die Flasche an die Lippen und lasse den Inhalt ohne zu schlucken in meinen Körper laufen. Schade, die kleine Menge Flüssigkeit lässt mein Zittern nicht beenden. Auch der wohlige Schauer, der meinen Körper nach dem ersten Schwall Alkohol erbeben lässt, fehlt jetzt vollkommen.
Langsam drehe ich mich zum Rand des Bettes und versuche angestrengt noch eine gefüllte Weinflasche zu finden. Doch leider ist die Anstrengung vergeblich. Auch die Anstrengung meinen Körper mit einer Zigarette zu betrügen scheitert. Die Packungen, die sich auf meinem Nachtkästchen stapeln sind leer. Fluchend richte ich mich auf. Den üblichen Schwindelanfall unterdrücke ich erfolgreich und torkle ins Bad. Mein Körper scheint so ausgelaugt und begierig nach Alkohol zu sein, dass ich kaum registriere wie ich auf einen halbverrosteten Kronenkorken latsche und mich daraufhin eine kleine Blutspur auf meinem Weg begleitet.
Normalerweise vermeide ich es meine Fratze im Spiegel zu sehen. Doch irgendwie will ich heute meine Leidensfähigkeit testen und riskiere einen Blick. Was ich dort zu sehen bekomme lässt meinen Körper noch mehr erzittern. Ekel und Selbstmitleid machen sich in mir breit. Wenn ich es nicht selbst am besten wüsste, würde ich nicht glauben, dass ich erst neununddreißig Lenze zähle. Mein schütteres und bereits vollständig ergrautes Haar, meine gelb unterlaufenen Augen, meine eingefallenen Wangen und die ausgemergelte mit Falten übersäte Haut, machen sogar auf mich den Eindruck als würde ein Greis aus dem Spiegel schauen.
Doch so richtig eklig wird es, als ich meinen Mund öffne um zu sehen ob die Mundfäule etwas zurückgegangen ist. Von den zwölf Zähnen, die mir noch geblieben sind erstrahlt nur noch einer in einem uringelben Ton, während die anderen von Braun bis Schwarz alle Töne aus dem dazwischen liegenden Teil der Farbskala aufweisen. Während ich gegen den Ekel ankämpfe verzieht sich das Gesicht im Spiegel zu einer furchterregenden Maske. Sie blickt mich grinsend an und eine Gänsehaut breitet sich auf meinem Körper aus, als ich bemerke wie sich die gelbunterlaufenen Augen glutrot färben und von kleinen gelben Blitzen erleuchtet werden. Auch das graue Haar verfärbte sich und das Schwarz, das sie nun angenommen haben glänzt im Schein der Lampe, die über dem Spiegel hängt.
Als diese Maske nun den Mund öffnete um etwas zu sagen fehlen auch noch die restlichen zwölf Zähne und mein Blick fällt in eine schwarze nie zu enden scheinende Höhle, aus der ein blechern klingendes Lachen ertönte.
„Sie dich nur an!“ sagt diese unheimliche Stimme. „ Niemand hat es bisher geschafft sich ohne meine Hilfe so zu Grunde zu richten. Mein Dank sei dir dafür gewiss. Dein Platz an meiner Seite ist reserviert, denn lange wird es nicht mehr dauern bis ich dich holen werde.“
Diesen Worten folgt wieder dieses grauenhafte Lachen und das Spiegelbild wird nun langsam schwarz, in meinem Kopf rumort es und der Schwindel, den ich nach dem Aufstehen erfolgreich bekämpft habe, kommt nun umso brutaler.
Ich weiß nicht, wie lange ich auf dem Badezimmerboden lag. Scheiß Kreislauf! Das ist jetzt schon das dritte Mal in dieser Woche, dass ich diese Stimme höre und umkippe. Meine Hände um den Rand des Waschbeckens geklammert, zieh ich mich hoch und suche im Badezimmerschrank nach der Flasche Rasierwasser. Ich weiß zwar, was auf mich zukommt, wenn ich mir dieses Zeug in den Rachen kippe.
Doch leider habe ich keine Alternative. Mit dem Körper brauch ich nicht auf die Strasse treten. Nach zwanzig Metern werde ich zusammen sacken. Was dann auf mich zukommt wird wohl noch schlimmer werden, als ein Schluck vom Rasierwasser. Krankenhaus, Psychiatrie, Entzug, Krämpfe, Schmerzen und die Realität. Nein, nicht mit mir!
Wie soll ich denn da noch funktionieren können? Die Stimme hat mir ja gesagt, dass mein Platz reserviert ist. Es soll mich doch holen, wer mich holen möchte. Ich habe nichts zu verlieren.
Ich löse den Verschluss des kleinen Flakons und werfe noch einmal einen Blick in den Spiegel.
Der Ekel kriecht wieder empor. Ich setze die Flasche an meine Lippen und lasse die bläuliche Flüssigkeit in meinen Rachen laufen.
Der Husten kommt ohne Voranmeldung. Er schüttelt meinen knochigen Körper wie ein Sturm das Geäst eines Baumes. Kalter Schweiß tritt aus jeder meiner Poren und die Herpesbläschen im Inneren meines Mundes brennen wie die Hölle. Der Schrei, den ich zwischen zwei Hustenattacken ausstoße, klingt fremd und weit entfernt. Wieder lasse ich mich auf den Badezimmerboden sinken und warte bis das Schlimmste vorbei ist.
Es dauert nicht lange und ein wohliger Schauer breitet sich in mir aus. Das ist genau das Gefühl, auf das ich noch vor kurzem im Bett liegend gewartet habe. Meine Mundhöhle schmerzt zwar immer noch, doch das Glück, das sich in meinem Körper ausbreitet, lässt sogar das nebensächlich werden.
Langsam rapple ich mich hoch, suche aus dem Haufen zerknitterter und schmutziger Wäsche eine Hose und ein Hemd, schlüpfe hinein und mach mich auf die Suche nach Socken. Doch nach kürzester Zeit gebe ich es auf. Denn ein paar Strümpfe zu finden, die nicht ekelhaft stinken oder aus Dutzenden von Löchern bestehen, scheint aussichtslos zu sein. Also zieh ich mir meine alten Stiefel über, schlüpfe in den speckigen Parker, der über dem Bettende liegt und verlasse meine Bude.
Auf der Strasse angekommen, bleibe ich erst mal stehen und lasse mir den eiskalten Wind um die Ohren pfeifen. Dieses Gefühl ist phantastisch. Ich spüre Freiheit, Fremde, Bedrohlichkeit, Kälte und Wärme. Kurz spiele ich mit dem Gedanken mich auszuziehen und meinen Körper von dieser Luft komplett umspielen zu lassen. Doch auch hier habe ich die Angst vor den Konsequenzen. Pikierte Anwohner, Polizei, Psychiatrie usw.
Also lass ich meine Klamotten an und mache mich auf den Weg zu meiner Stammkneipe. Es ist jetzt kurz vor achtzehn Uhr. Das bedeutete, dass der Laden gut gefüllt war und ich meine Anonymität voll genießen kann. Keine dumme Sprüche aushalten, keine Diskussionen über Sport und Politik über mich ergehen lassen, sondern nur der sein, der man sein will.
Ich öffne die Tür der Kneipe und pralle gegen warme, verrauchte und alkoholgeschwängerte Luft.
Kurz spiele ich mit dem Gedanken die Türe wieder zu schließen und auf der Straße zu bleiben, um weiterhin den Wind zu genießen. Doch die Lust auf ein kühles Bier und einen Klaren zwingt mich, die Gaststätte zu betreten.
Wie ich es vorrausgesehen habe, ist der Raum rappelvoll und niemand von den Stammgästen bemerkt mich. Ich setze mich auf einen Barhocker und gebe dem Wirt das ihm wohlbekannte Zeichen.
Wenige Augenblicke steht auch schon ein Glas Bier und ein Schnaps vor mir. Nach einigen Großen Schlücken dreh ich mich um und beobachte das Treiben. Es ist alles wie immer. Einige Männer im Arbeitsgewand stehen an der Wand mit einem Glas in der Hand und diskutierten lautstark. An den Tischen verteilt riskieren gestresst aussehende Menschen sich ein Magengeschwür einzuhandeln indem sie das Abendessen herunterwürgen. Bei den Flippern versuchen Jugendliche ihr Glück und Hannes sitzt wieder an seinem angestammten Platz und schnarcht, den Kopf auf den Tisch gelegt, vor sich hin.
Etwas ist aber anders. Ich kenne diese Kneipe schon eine halbe Ewigkeit. An den runden Tisch dort in der Ecke kann ich mich nicht erinnern. Das ist es nicht, was mir fast den Atem abschnürt. An diesem Tisch sitzt eine Frau, die ich noch nie zuvor gesehen habe. Das kann ich mit Sicherheit sagen, denn diesen Anblick würde ich nicht mal im größten Delirium vergessen können.
An diesem kleinen Tisch sitzt der pure Sex. Schwarze gewellte und ewig lange Haare. Ein Blick wie Feuer, volle Lippen, die dir zurufen „nur ich werde dir das Paradies zeigen!“ Ein Traumkörper in hautenges rotes Latex gekleidet, das das Ende erst am Boden findet.
So sehr ich mich auch anstrenge, ich kann den Blick nicht von der Frau wenden. Zudem spüre ich auch etwas in meinen Lenden, das ich schon seit einer Ewigkeit vermisse. Freude breitet sich in mir aus. Diese Erektion ist der Wahnsinn. Ich wusste gar nicht, in welche Höhen mein Penis sich schrauben kann. Doch zu dem Steifen gesellt sich auch die Trauer, dass ich meinem besten Freund nicht den Gefallen tun kann, in die engen Weiten der Frau in Rot zu tauchen.
Was soll denn eine Vollblutfrau von so einem herunter gekommenen Wrack wie mir wollen. Wenn sie Befriedigung wollte, hätte sie hier in der Kneipe Auswahl genug. Jetzt erst fällt mir auf, dass ich der einzige hier bin, der anscheinend bemerkt welch eine Frau in dem Eck sitzt. Niemand scheint Notiz von ihr zu nehmen. Genauso scheint es, dass die Frau in Rot von niemandem in der Kneipe Notiz nimmt.
Sie rührt mit einem Strohhalm in einem Cocktailglas. Hin und wieder nimmt sie den Halm zwischen ihre Lippen und saugt mit einer verführerischen Geste daran, wobei sie es nicht vermeidet mir eindeutige Blicke zu zuwerfen.
Jetzt wird es mir zuviel. Mein Ständer hat sich zu neuen Rekorden gesteigert. Ich muss etwas tun, bevor mir der altersschwache Reißverschluss platzt und sich hier eine peinliche Szene ereignet.
Ich gehe also aufs Klo und sperre mich in eine Kabine. Doch kaum habe den Hosenschlitz geöffnet, meinem besten Freund Luft verschafft, fällt er mir auch schon zusammen. Leise fluchend und meine Gedanken an das Vollblutweib in Rot gerichtet, versuche ich verzweifelt wieder Blut in den Schritt zu bekommen. Leider vergeblich. Nach enttäuschenden zehn Minuten will ich meinen streikenden Freund wieder einpacken als ich Schritte im Klo höre, die nur von einer Frau in Pumps stammen können. Vorsichtig öffne ich die Türe einen kleinen Spalt, um zu sehen wer sich hier ins Männerklo verirrt hat.
Doch kaum werfe ich einen Blick durch den Spalt sehe ich auch schon in die Augen des Vollblutweibs.
Mir bleibt nicht mal mehr die Zeit zu erschrecken, denn schon hat sie die Tür der Kabine geöfnet und sieht mich mit einem Blick an, der Bände spricht. Sie will mich besitzen. Und zwar hier und jetzt und das mit Haut und Haaren. Es fallen keine Worte. Mit einem sanften Stoss schupst sie mich auf den Toilettensitz, kniet sich hin und nestelt an meiner Hose. Schon die kleinste Berührung von ihr reicht aus, um meinen schlappen neue Dimenison erreichen zu lassen. Fast jeder Muskel meines Körpers verkrampft sich und Millionen von kleinen Schauern jagen durch meinen Körper als sie mein Geschlechtsteil in den Mund steckt und sanft daran saugt. Schwindel packt mich wieder. Doch diesmal ist es nicht einer der Anfälle, die mich noch in meiner Wohnung überfallen haben. Es ist wie das Gefühl des kalten Windes. Ich spüre wieder Freiheit, Fremde, Bedrohlichkeit, Kälte und Wärme. Dazu gesellt sich Leichtigkeit und eine anheimelnde Dunkelheit. Ich habe das Gefühl als würde ich schweben, in andere Dimensionen gleiten, weg von der beschissenen Welt hinein in das Paradies.
Meine Gedanken verschwimmen. Je näher ich dem Höhepunkt komme, desto mehr nahe ich dem Ende. Dem Ende vor dem ich jahrelang Angst hatte und dem ich jetzt entgegenfiebere.
Egal wer mich jetzt holt, verdammt noch mal hol mich endlich. Kaum schießt der Gedanke durch meinen Kopf verkrampft mein Körper noch mehr und meine Gedanken, meine Gefühle und Gelüste verlassen mich.
P.S.: Die Geschichte wurde Rechtschreibtechnisch überarbeitet. Ich möchte daher bitten, von Korrekturlisten Abstand zu nehmen, auch wörtliche Verbesserungsvorschläge finde ich nicht angebracht.
Danke
Henna