Mitglied
- Beitritt
- 01.08.2003
- Beiträge
- 18
- Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:
- Kommentare: 12
Und Wer bist du ...
Ruhelos strich sie in der Wohnung umher. Er würde wiederkommen. In seinem Blick hatte sie die Gier gesehen, die jede Vernunft vernichtet hatte. Sie wusste nicht, was sie tun sollte.
Vor Erregung zitterten seine Hände auf dem Treppengeländer, als er in der Dämmerung das Treppenhaus hinaufhastete. Nach einem halben Jahr hatte er sie endlich gefunden. Gerüchte von Augenzeugen angehört, gedroht, geschmeichelt und im Geheimen seine Schlüsse gezogen aus dem, was man ihm erzählte. Und heute Nacht würde es soweit sein.
Er würde sich diese Kraft zu eigen machen und sie benutzen, sich aufschwingen zum Herrscher, mächtig und geschützt vor jedem anderen, der versuchte, den Drogenhandel dieses Viertels, ach was, dieser Stadt, an sich zu reißen. Reißen ... er lächelte bösartig vor sich hin.
Schon als er sie das erste Mal vor zweieinhalb Wochen aus einer Toreinfahrt beobachtet hatte, war ihm klar gewesen, dass sie es sein musste. Die Art und Weise, wie sie ging, geschmeidig, anmutig, vor innerer Energie vibrierend, ihr Leben, das sie in den Menschenmassen New Yorks unauffällig und einsam verschwinden ließ, sie geradezu unsichtbar machte ...
Und als er sie gestern aufsuchte und ihre Tür zur Seite drückte, hatte nicht seine Gestalt oder sein Revolver im Schulterhalfter sie erschreckt, sondern der Dolch. Sie konnte ihm nicht entkommen.
Sie spürte die nahe Verwandlung, ihre Sinne begannen sich zu schärfen und sie hörte seine Schritte auf der Treppe, wie er sich knarrend ihrer Wohnung näherte, unaufhaltsam und mit einer einzigartigen Waffe bestückt, die ihr Leben beenden konnte. Ihre Muskeln verkrampften sich, als sie sich auf ihren Knochen verschoben, ihre Haut prickelte, als das Fell ihre Haut durchstieß. Doch noch hatte sie einen letzten Rest menschliche Vernunft in sich. Sie durfte das nicht geschehen lassen, sie durfte ihm nicht die Macht geben, die ihm ebenfalls die Wergestalt verlieh, so dass seine innersten, animalischsten Züge der Seele bei Vollmond zu den herrschenden Instinkten und zur Prägung der Körperform würde.
Er öffnete die Tür mit einem Dietrich, schließlich konnte sie ihm nicht öffnen. Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn, als er den Dolch am Griff packte und das Wohnzimmer betrat. Er erstarrte, als er sie sah: Das war besser, als in seinen kühnsten Träumen ...! Ihr Blick blieb auf die silberne Klinge gebannt, und er zitterte innerlich. Überleben mussten sie beide, zumindest bis zum nächsten Vollmond, damit er sehen konnte, ob der Zauber gewirkt hatte. Und ihn bei Bedarf wiederholen konnte. Sie knurrte, das Nackenfell sträubte sich, als sie ihn mit hasserfülltem Blick fixierte. Schweiß durchtränkte sein Hemd, er zitterte jetzt vor Furcht, denn dieses Knurren sprach zu Instinkten, die tief in seinem Selbst verborgen lagen, die ihm sagten, dass er in tödlicher Gefahr war.
Sein Geruch nach Schweiß und Angst machte sie wahnsinnig, seine langsamen, unsteten Bewegungen reizten ihren Beutetrieb aufs Äußerste. Er war ein Eindringling, er musste vertrieben werden. Wenn er genügend Angst bekam, würde er vielleicht fliehen und noch war genug Mensch in ihr, um eine Verfolgung zu verhindern.
Mühsam formten sich in ihrer Kehle Worte: „Flieh du Narr! Werwesen sein heißt sein Innerrrrrr...“ und mit diesem Knurren verschwand das letzte bisschen Vernunft aus ihrem Blick.
Jetzt musste er handeln.
Als sie wieder zu Bewusstsein kam, sah sie ein heilloses Durcheinander. Ihr Wohnzimmer war nur noch ein einziger Haufen von umgeworfenen und teilweise zertrümmerten Möbeln, Bücher lagen verstreut auf dem Boden, Bilder waren von den Wänden gefallen und zersplittert, die Vorhänge waren zerrissen. Mühsam stützte sie sich hoch, beinahe fiel sie wieder in Ohnmacht. Schnitte waren auf ihren Fingern, ein Stich musste an ihren Rippen abgeglitten sein, denn jeder Atemzug brannte wie Feuer, sie lag in einer kleinen Lache ihres eigenen Blutes. Leichengeruch war im Zimmer nicht wahrzunehmen, also hatte sie ihn nicht getötet, aber der Blutgeschmack im Mund verriet ihr, dass sie ihn verwundet und er damit sein Ziel erreicht hatte. Der Wolf in ihr war ruhig und friedlich, der Eindringling aus ihrem Revier war vertrieben. Der Mensch in ihr wusste, dass sie es nicht darauf beruhen lassen konnte. Auch er hatte jetzt die Fähigkeit, durch einen Biss die Wergestalt zu verleihen, was würde er mit dieser Macht nur tun! Sie musste ihn finden. Sein Geruch stand noch im Zimmer, sein Blut hatte sie noch auf der Zunge, sie würde ihn ohne Zweifel wieder erkennen.
Nachdem sie sich erfrischt hatte, nahm sie die Verfolgung auf. Seine Duftspur stand durch seine Erregung überdeutlich in der Luft. Draußen war es schwieriger, mit langen Atemzügen durch Nase und halb geöffneten Mund prüfte sie die Luft. Wo war die Fährte? Und dann trieb ein Windhauch seine Witterung zu ihr. Sie würde ihn finden.
In der Lagerhalle war es dunkel. Er hatte seinem Mann die Waffen abgenommen, und ihm nur seine Silberkette gelassen. Und dann hieß er ihn warten.
Der Andere zitterte. Ihm war der fanatische Blick nicht entgangen, und nachts alleine ohne Waffen von seinem Chef zu einem einsamen Treffen beordert zu werden, ließe jedes Bandenmitglied das Schlimmste befürchten. Er küsste unauffällig das Kreuz an der Kette, das sein Chef vorhin mit einem Grinsen bedacht hatte. Triumphierendes Gelächter ließ ihn erschauern. Der Vollmond war zum Teil von Wolken bedeckt und nun sah er in diesem diffusen Licht, wie sein Chef sich krümmte, sich kratzte und dabei wie irre lachte. Die Umrisse schienen zu zittern, sich zu verschieben....
Von draußen war ein unheimliches Heulen zu hören, und auch dieser Mann kannte die Sagen und begriff, was er sah. Er wandte sich zur Flucht, lauschte voll Panik auf den leisen Tritt ihm nacheilender Pfoten. Er stieß die Stahltür auf, noch immer war von drinnen nichts zu hören, doch vor ihm stand der größte Wolf, den er je gesehen hatte. Sein Kreuz dem Tier entgegenhaltend, tastete er sich rückwärts an der Wand entlang, und ob es nun das Silber oder das heilige Kreuz war, das Wesen schien gebannt. Dann huschte der Wolf durch die Tür nach innen.
Mehrere Wochen war sie jeden Abend durch das Viertel gezogen, hatte seine Wechsel gesucht und ausgemacht. Auch der Wolf in ihr hatte langsam Spaß an der Sache, der Jagdtrieb war erwacht. In dieser Woche hatte sein Geruch wieder diese strenge Färbung der Erregung, er spürte wie sie die nahende Verwandlung.
Diesen Tag war sie die ganze Zeit unauffällig, wie es nur Jäger können, an seinen Fersen geblieben. Ihr Revier war gewachsen, ihr Instinkt befahl ihr, keine Rivalen in ihrem Revier zu dulden, als vernunftbegabter Mensch durfte sie seine Kräfte nicht zulassen. Sie beherrschte diese Wandlung schon länger, diesen Vorteil musste sie nutzen. Jetzt befand er sich mit noch jemandem in diesem Gebäude. Der Mond erreichte den höchsten Stand.
Sie ließ einen Jagdgesang ertönen, der auch ihren Revieranspruch erklärte. Er war in der Lagerhalle, sie musste ihn dort drinnen stellen. Die Tür war verschlossen, doch sie roch die Panik eines Menschen und hörte seine Schritte näher kommen. Er würde die Tür öffnen, und mühsam hielt sie sich unter Kontrolle und wartete ab. Das war nicht der Reviergegner ... warte .... Die Tür ging auf, der Andere stolperte heraus. Seine Witterung und die ihres Rivalen strömten aus der Tür. Schweiß und Furcht schürten ihren Jagd- und Kampftrieb. Sie wollte ihn finden und stellen. Ihr Revier verteidigen, ihre Beute stellen. Sie folgte der Duftspur in die Halle. Prüfte den Geruch ... die Umwandlung hatte ihn verändert ... es roch nach Beute.
Hier hatte er sich verwandelt, wie ein Leuchtfeuer strömte es aus seiner Kleidung, wo ging die Spur weiter? Warum zeigte er sich nicht? Langsam, lautlos umkreiste sie die Kleidung, die Strenge des Duftes betäubte sie beinahe .... Sie hob den Kopf und schnüffelte, sie musste sich beeilen, der Wolf in ihr wurde stärker, wenn sie ihn töten wollte, musste sie denken können!
Mit seinem letzten Funken Verstand bemerkte er, dass etwas nicht stimmte. Wo waren die erwachenden Instinkte? Allein seine Furcht schien sich zu vermehren, und als er draußen das Heulen vernahm, sackte er wie gelähmt zu Boden. Er zwang sich, zur Wand zu rennen, dort angekommen kauerte er sich hinter einem Stapel Zeitungen zu Boden. Der andere Mann, so spürte er am Vibrieren des Bodens, rannte davon. Er erkannte, dass er sich verwandelt haben musste, er besaß kribbelndes Fell, er hörte hervorragend, er spürte die Luftverwirbelung in seiner Nähe, roch den kalten Linoleumboden und die feuchten Zeitungen. Und er hörte ein Schnüffeln. Er roch seinen Feind, er musste unsichtbar werden, kauern, sich klein machen, ducken! "Versteck dich", schrie sein Inneres ihm zu. Er hielt seinen Atem so flach wie möglich, zog die Hinterbeine unter seinen Körper und spannte alle Muskeln zur Flucht. Die Schritte des Feindes kamen näher, aber vielleicht übersah sie ihn ja. Denn sie musste es sein, wusste als einzige, was er vorhatte. Hätte er sie nur getötet! Doch alleine der Gedanke an Blut ließ ihn zusammenzucken.
Die Wölfin drehte ruckartig den Kopf, sie hatte eine Bewegung wahrgenommen. Die Beute! Finden, Aufstöbern, Jagen, Packen! Langsam pirschte sie sich an das Versteck heran. Verharrte. Die Witterung war stark. Sie schob sich näher, sammelte sich zum Sprung. Noch ein kleines Stück, krampfhaft hielt sie den Fang geschlossen, um ihren vor Eifer hechelnden Atem zu unterdrücken. Als sie noch einen halben Meter entfernt war, sprang das Tier, das hinter den Zeitungen gehockt hatte, davon. Sie warf sich herum und nahm die Verfolgung auf, das Tier raste kopflos an der Wand entlang, hetzte im Zick-Zack davon, so dass ihre Kiefer ins Leere schnappten. Die engen Begrenzungen der Lagerhalle passten nicht in sein Fluchtverhalten, panisch lief es gegen die in der Halle gelagerten Gegenstände.
Doch bald hatte die Wölfin den großen Hasen in eine Ecke getrieben. Als sie ihn packte, klagte er mit dem Laut, den alle Hasen in ihrer Todesangst von sich geben, -Eeeeh-, wie ein weinendes Kind, doch das Knacken seines Genicks ließ ihn verstummen. Und die Wölfin fraß.