und trotzdem...
Er stieß wild mit den Füßen auf und schleuderte imaginären Personen wilde Schimpfwörter ins Gesicht. Seine Salve endete mit einem lauten Gegrunze und einem Fußtritt gegen einen Baumstumpf, der mit Sicherheit auch nichts für die Stimmung des Wütenden konnte. Wenn jemand in der Nähe gewesen wäre und sich auch noch getraut hätte näher heranzutreten, er hätte nicht nur die Wut in den Augen des Mannes gesehen, sondern auch etwas Traurigkeit. Die Traurigkeit rührt daher, dass er nichts gegen seine Wut, die aus seiner eigenen Unzulänglichkeit entspringt tun kann.
Langsam trottet er auf die Stadt zu, die er gezwungen ist, ab und zu zu verlassen, um seiner Wut Luft machen zu können. Allerdings wird es von mal zu mal schlimmer. Langsam geht er die Strassen entlang. Menschen laufen ihm entgegen, überholen ihn. Jemand drängelt sich zwischen ihm und einem Entgegenkommenden hindurch. Dabei gibt er wütende Laute von sich. Der Mann hört es nicht, er spürt nicht, wie er zur Seite gestoßen wird, merkt nicht, dass er dadurch wiederum eine andere Person anstößt, die sich keifend beschwert. Er sieht seine Füße, sieht wie sie sich mühsam vorwärts bewegen. Er beobachtet sie, dabei dringt es nicht in sein Bewusstsein vor, dass er seine eigenen Schritte sieht. Ab und zu ändert das paar Füße, das er beobachtet die Richtung. Die Strassen werden leerer. Die Füße scheinen zu irgendeiner Seitenstrasse zu wollen. Er wundert sich darüber, wie zwei Füße es ganz alleine schaffen einen Weg zu finden. In seiner Vorstellung stülpen sich aus den Füßen Augen heraus. Es macht ein Geräusch als ob eine Tomate überfahren wird. Eine Haut zieht sich langsam über die Augen. Sie zwinkern ihm zu, während lange schwarze Wimpern wachsen. Ihm ist so, als würde der linke Fuß ihm zulächeln. Ja, er kann sogar einen plombierten Backenzahn erkennen. Der Mann lächelt nicht zurück. Irgendwie kommt es ihm albern vor, einem Fuß zuzulächeln. Der rechte Fuß, den er kurzfristig aus den Augen gelassen hatte, stößt unerwartet gegen eine Betonstufe. Es macht ein Geräusch, als ob ein nackter Körper auf Wasser aufschlägt und die Augen des rechten Fußes explodieren mit wilden Gebärden. Erschreckt und Trost suchend will der Mann sich noch mal vom linken Fuß anlächeln lassen, doch der lässt nichts mehr seiner gewesenen Persönlichkeit erkennen. Er scheint nur noch ein ganz normaler alter Schuh zu sein.
Der Mann schleppt sich eine Treppe hinauf, tritt durch eine Tür, steigt eine weitere Stufe hinauf, tritt durch eine nächste Tür. Matt begrüßt er den ausgemergelten Mann mit dem ungepflegten Äußeren, der ihm aus einem kastenartigen Etwas entgegenblickt und schon seit geraumer Zeit seine Bewegungen imitiert. Der Kastenmann nickt unauffällig und keineswegs aufdringlich zurück.
Einen Fuß vor den anderen setzend, ohne dass wirklich eine Wille festzustellen wäre, bewegt er sich weiter vorwärts, durchquert einen Flur, der eine persönliche Note vermissen lässt, gelangt in ein Zimmer in dem er sich mit einem gequälten Seufzer in ein Monstrum eines Sessels fallen lässt.
Seine Augen fallen zu. Wütende Stimmen sausen ihm durch sein Bewusstsein, die ihn daran erinnern, was er noch alles tun müsste. Schnaubend jagt er hinter ihnen her, um ihnen mit der letzten Kraft, die er noch hat, den Gar aus zu machen. Er fühlt sich wie ein hässliches Insekt, das versucht fette Würmer aus einem ausgehöhlten, verfaulten Apfel zu vertreiben. Dann überrascht ihn ein Dämmerzustand, der ihn bald hinabreißt in Tiefen, wo die Würmer zu Giganten werden.
Der schrille Schrei eines Weckers, der ihn - weiß der Himmel warum – gerade dann aus seinen Tiefen reißt, wo eine stinkende Hyäne dabei war, sein Bein zu verzehren. Er sitzt noch genauso in dem Monstersessel, wie er sich am Abend vorher hatte hineinfallen lassen. Sein rechter Arm ist taub. Langsam macht sich im Arm ein unangenehmes Kribbeln breit. Der Mann ignoriert es. Mehr aus Gewohnheit als aus einem wirklichen Anlass heraus verlässt der Mann seine Ruhestätte und betritt einen Raum in dem das Wasser auf dem Boden steht und den der unangenehme Geruch von Schimmel durchzieht. Er sieht die feuchten Wände schon lange nicht mehr, riecht schon lange nicht mehr den Verfall. Er spritzt sich etwas Wasser ins Gesicht und flieht dann wie in wilder Panik. Er rennt die Treppen hinunter, durch Strassen, an grauen Einheitsgesichtern vorbei. Er sieht sie nicht, auch nicht das eine Gesicht, das Mitleid verspricht. Er rennt.
Als ihm bewusst wird, wo er sich befindet, sitzt er an einem See. Mit seinen Händen zerbröckelt er Brot, welches gierig von Spatzen gepickt wird. Wo das Brot herkommt - er weiß es nicht. Er spürt eine gewisse Ruhe in sich aufsteigen. Neben ihm zieht eine Mutter misstrauisch ihr Kind weg, das ihn neugierig beäugt.
Wieder versinkt er in eine Tiefe, Doch diesmal begleitet ihn das Zwitschern eines Vogels. Er ist jung. Er steht auf einer Veranda und blinzelt in die Sonne. Vor ihm auf der Wiese spielen Kinder, die ihn johlend auffordern, ihr Spiel mitzuspielen. Schüchtern blickt er hinter sich um denjenigen zu finden, der rufend aufgefordert wird. Als im endlich klar wird, dass er gemeint ist, ist es ihm, als tanze die Sonne auf seiner Nasenspitze einen Schwungvollen Tanz.
Er beginnt zu laufen du ein längst vergessen geglaubtes Gefühl nimmt Besitz von jeder einzelnen seiner Poren. Es ist das Gefühl des Hinlaufens durchzuckt es seine Gedanken und schiebt damit das Gefühl des Weglaufens um ein paar Zentimeter in den Hintergrund.
Schweiß strömt ihm von Gesicht und Rücken als er ausgelaugt aber glücklich vom Spielen auf seine Veranda zurückkommt. Seine Brust ist geschwollen von dem Stolz den er verspürt. Er ist stolz endlich mal „ja!“ gesagt zu haben, nicht weggelaufen zu sein.
Als der Mann aufwacht, kann er gerade noch ein Blick erhaschen auf das Paar, das Arm in Arm am Ufer spazieren geht. Er erhebt sich und lenkt seine Schritte nach hause. Im Rücken spürt er, wie die Sonne und der Schatten miteinander spielen.