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Und natürlich darf geschossen werden

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24.10.2016
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Und natürlich darf geschossen werden

Duell im Morgengrauen. Ein Tisch, zwei Stühle, zwei Waffen.

Sie nahmen voreinander Platz, zogen gleichzeitig die Stühle nach hinten, setzten sich gleichzeitig, legten gleichzeitig die Waffen nieder. Die Synchronität der Bewegungen war flüssig, fast elegant und ließ ein Schauspiel vermuten. Und wenn, dann musste es eine Tragödie sein. Ort, Zeit und Geschehen ließen keinen anderen Schluss zu.

"Du bist also gekommen."

"Ja, ich bin hier."

"Wie lautet deine Verteidigung?"

"Wie lautet meine Anklage?"

"Nun, es ist die Unwahrheit. Die Lüge. Du hast dich einer Lüge bemächtigt, um die Unwahrheit zu sprechen. Sie ist da, verbreitet sich. Kriecht wie dichter Nebel durch alle Ritzen, quillt aus allen Löchern empor, steigt auf, befällt Länder, befällt die Menschen, die dort leben. Schutzlos hast du sie ausgeliefert."

"Sie hätten fragen können."

"Wonach?"

"Nach der Wahrheit. Aber niemand wollte sprechen, niemand wollte hören, niemand wollte die Wahrheit sehen."

"Dann hast du sie alle stumm, taub und blind gemacht?"

"Sie haben es mir leicht gemacht. Als ich kam, saßen sie mit gesenkten Köpfen und trüben Augen, hielten sich die Ohren zu – wohlwissend, was kommen würde."

"Woher hätten sie es wissen können?"

"Die Zeit hat es ihnen gezeigt. Die Jahrhunderte haben es ihnen gezeigt. Die geführten Kriege haben es ihnen gezeigt. Der Mensch war der Mensch, ist der Mensch und bleibt der Mensch. Die Beweggründe für sein Handeln sind einfach. Er braucht etwas, er nimmt es sich. Die Mittel dafür sind erschlichen, gestohlen, geliehen."

"Du verkennst die Leidensfähigkeit, das Durchhaltevermögen, die Güte und den Mut."

"Ich habe davon nichts vorgefunden."

"Diese Dinge müssen nicht laut zu Tage treten."

"Woher weißt du dann, dass sie noch da sind?"

"Weil eine leise Stimme bereits genügt."

"Und wie soll diese leise Stimme heißen?"

"Widerstand."

Sie rückten gleichzeitig die Stühle ab, standen gleichzeitig auf, nahmen gleichzeitig ihre Waffen zur Hand, betätigten gleichzeitig den Abzug. Einer fiel, einer blieb stehen. Eine Waffe fiel zu Boden.

"Ich habe es gewusst, von Beginn an. Ich würde standhaft bleiben."

 

"Und natürlich darf geschossen werden." Das klingt wie etwas, das Donald Trump gesagt haben könnte ...

Lieber Jonath,

willkommen im Forum.
Formal ist deine Geschichte gut - Rechtschreibung, Zeichensetzung etc. (Auch wenn's jetzt banal klingt, aber das ist nicht selbstverständlich.) Deshalb kann ich mich gleich auf den Inhalt deiner Geschichte stürzen ... Ich hab sie zweimal gelesen, etwas gewartet, sie auf mich wirken lassen ... Aber sie hat sich mir leider nicht erschlossen.

Es ist eine Parabel, oder so kommt es mir vor. Und die beiden am Duell beteiligten Personen sind keine konkreten Menschen, sondern stellen etwas dar (eine höhere Instanz - Moral und Unmoral? Versuchung und Tugend? Sowas in die Richtung, so wirkt es auf mich).
Die Nachricht, die du vermitteln willst: Menschen sind (zum Großteil) schlecht - handeln/denken unreflektiert. So hat es "Person A" erfahren. Und das Gute, das "Person B" in ihnen vermutet/schon gesehen hat, hat sein Gegner nicht erkannt.
Vielleicht liegt es an mir, aber wer die beiden Duellanten sein sollen ... Keine Ahnung. Dass ich es nicht weiß, stört mich nicht einmal. Muss man auch nicht, um die Quintessenz deiner Geschichte er erahnen.
Allerdings stört mich etwas anderes: Es ist alles etwas eindimensional, teilweise unlogisch.

Person A hat eine Lüge verbreitet und behauptet, die Menschen hätten es ihm leicht gemacht:

"Als ich kam, saßen sie mit gesenkten Köpfen und trüben Augen, hielten sich die Ohren zu – wohlwissend, was kommen würde.""

Wenn die Menschen so verschlossen waren, wieso haben sie dann die Lüge mitbekommen?
Wenn sie so verschlossen waren, waren sie nicht nur für die Wahrheit, sondern auch für die Lüge unempfänglich? Hätten sie sich nicht vielmehr zuerst auf die Lüge gestürzt, denn die Lüge hat etwas Verführerisches - etwas, dass die Menschen entflammen lässt. Stellt etwas Aufregendes dar, dass die Wahrheit nicht an sich hat?

Es hat vielversprechend angefangen. Doch das Ende ... Keine Ahnung, worauf sich der Überlebende bezieht, was das soll. Werde wohl abwarten müssen, vll später noch einmal lesen.

Lieber Jonath, deine Geschichte ist zu kurz (und für mich zu kryptisch) als dass ich viel mehr dazu sagen könnte, deshalb musst du dich von mir mit einem "nicht schlecht" zufrieden geben. Aber ich bin gespannt, mehr von dir zu lesen.

Liebe Grüße
Tell

 

Liebe Tell,

ich danke Dir für Deine ausführliche Kritik und Meinung:) Als Neuling war ich sehr auf die erste Nachricht gespannt!

Ich stimme Dir zu: Die Aussage könnte von Trump stammen. Passt zumindest herrlich zu seinem "politischen" Aktionismus...
Tatsächlich habe ich mir die Aussage von Ulrike Meinhof (in den 1970er Jahren in einem Interview über die RAF) geliehen (eigentlich "Und natürlich kann geschossen werden").
Du hast die beiden Duellanten als "höhere Instanzen" und nicht als Figuren/Menschen gewertet und so habe ich es auch schreiben wollen.

Die Ungereimtheit (Wahrheit verkennen, aber die Lüge verstehen) ist mir überhaupt nicht bewusst gewesen. Ich werde an dieser Stelle nochmal ein paar Möglichkeiten ausprobieren und dann eine "2.0-Version" hochladen - mal sehen, wie es dann wirkt.
Und zum Ende...es sollte offen bleiben, wer von beiden das Duell nicht überlebt, sodass für den Leser Spielraum für eigene Gedanken bleibt. Aber wie geschrieben - die "2.0-Version" steht noch aus:)

Liebe Grüße auch an Dich,
Jonath

 

Hallo und herrlich willkommen hierorts,

Jonath,

schon die Einleitung

Duell im Morgengrauen. Ein Tisch, zwei Stühle, zwei Waffen.

Sie nahmen voreinander Platz, zogen gleichzeitig die Stühle nach hinten, setzten sich gleichzeitig, legten gleichzeitig die Waffen nieder. Die Synchronität der Bewegungen war flüssig, fast elegant und ließ ein Schauspiel vermuten. Und wenn, dann musste es eine Tragödie sein. Ort, Zeit und Geschehen ließen keinen anderen Schluss zu.

zeigt mir eine Spiegelung, nur das der Spiegel - der sich ja nicht selbst spiegeln kann, es sei denn, ein zwoter Spiegel stünde am anderen, realen Ende der Tischanordnung - der eine, reelle Tisch verdreifachte sich somit, wenn er zwischen den Spiegeln - nicht hinter den Spiegeln, wie des der symphatischen kleinen Alice Liddell widerfährt (ich hoff, ihren Hausnamen korrekt mit drei l geschrieben zu haben, ansonsten mögen sie und Lewis C. mir verzeihen). Die reale Figur wird von vorn wie hinten gezeigt, die Waffe wäre nur einmal zu sehen - als Duellwaffe, also im Angesicht des vermeintlichen zwoten Duellanten usw. Ein zu erwartendes "hinterrücks" gibt's nicht, weil der reale Leib das Spiegelbild im zwoten Spiegel verdeckt ... usw.

Die Einheit von Zeit und Raum lässt sogar bei diesem Einpersonen Kammerspiel - und wär's an der frischen Luft - ein klassisches Melodram vermuten.

"Du bist also gekommen."

"Ja, ich bin hier."

beginnt das Drama zwischen mir und dem andern, an sich früher, bis Luther sogar, die Zahl zwo, die immer noch im anderthalb (mehr als eins) weiterlebt, was bedeutet, der Eine ist immer zugleich der Andere, der Gegner/Feind, das Fremde. Und dann wird's ein Lügenstück, dass der Trumple als Kandtdat gar nicht vollziehen könnte und auch nicht die, die gar bald massenhaft den Anglergruß zum teutschen erheben wollen.
"Ich habe es gewusst, von Beginn an. Ich würde standhaft bleiben."

"Die Gebrochenen
und das Erbrochene
frei nach Georg Christoph Lichtenberg

Trafen sich einst die Gebrechen,
Die zugleich von Frau und Mann
Gern zu eignem Zweck genutzet,
Wenn man so recht nicht will - doch kann.
„Ach,“ der Blinde fragt den Lahmen,
„Wie mag es denn weiter gehn?“
Sagt der Lahme zu dem Armen:
„Bester Freund, so wie Sie’s sehn!“
Fragt der Stumme dann den Blinden,
Was dort vor sich geh‘ im Land.
Doch der Blinde kann nichts finden,
Fragt den Tauben ganz entspannt.
Ach!, der Taube, der versteht nicht,
Was der Blinde ihn g‘rad fragt,
Trotzdem bleiben beide höflich,
Keiner übern andern klagt.
Und der Blinde sagt dem Stummen -
Als der eben vor sich hinbrummt:
„Freund, lass uns ein Liedchen summen,
Dass die ganze Welt verstumme!“
Doch der Stumme denkt für sich:
„Was will dort der Mensch mir sagen?
Oder ist im Kopf er nicht ganz dicht? –
Leider kann ich ihn nicht fragen.“
Doch der Taube spricht zum Stummen:
„Was Sie mir gesagt, mit Verlaub,
Hört’ ich nicht mal als ein Summen,
Denn, mein Herr, ich bin ganz taub.“
Fragt der Blinde gerad‘ den Lahmen:
„Werter Freund, Sie wollen gehn?
Dann darf Ihr Wille nicht erlahmen,
Vom Sitz erst einmal aufzustehn.“
Doch der Lahme sagt dem Blinden:
„Wenn ich Sie recht verstanden hab,
Müsst ich, um zu gehn, erst mich schinden?
Käm’ ich da nicht schnell zu Schanden?“
Und der Lahme frömmelt sehr,
Fährt hoffnungsfroh nach Lourdes.
Ruft dort laut: „Hilf mir, Gott & Herr!“,
Am End’ der langen Tour.
Und das Wunder, es geschieht,
Ist kaum zu begreifen:
Eh der Rollstuhl sich versieht,
Trägt er neue Reifen.

Der Taube kann nix hören,
Der Blinde kann nix sehn,
Der Stumme kann nix reden
Und wir woll’n nix verstehn."​


Gruß

Friedel

 

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