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Und jetzt fällt mir kein Titel ein...

Seniors
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20.11.2001
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Und jetzt fällt mir kein Titel ein...

Als ich zum ersten Mal in diese Stadt kam, kannte ich mich noch überhaupt nicht aus. Ich stieg einfach am Bahnhof meiner alten Heimat in den Zug der Zeit und setzte genau heute vor einem Jahr am Bahnsteig vier meinen Fuß zum ersten Mal auf den Boden dieser modernen, schnelllebigen Metropole. Ich sah mich ein bisschen um, fand Geschäfte, die mich nicht lockten, Wohnungen, deren Besitzer Bilder, Geschichten, Kochrezepte, Tips für jede Lebenslage und vieles mehr in ihren Räumen ausstellten und auf Besucher hofften, sowie kleinere und größere Kaffeehäuser, die zum Teil nur bestimmte Gesprächsthemen ihrer Gäste duldeten.

Die ersten drei Monate verbrachte ich großteils in einem dieser Cafés, das recht belebt schien und ein Thema bot, das mich interessierte. Ich hörte mich ein wenig um und überwand mich, einen Menschen in dieser seltsamen Stadt anzusprechen, dabei hatte ich ein mulmiges Gefühl... Es dauerte eine Weile, bis er mir antwortete, er begrüßte mich aber herzlich und ich hatte den ersten Kontakt geknüpft. Jetzt schien alles leichter, denn schon kamen andere Menschen auf mich zu, die mich ebenfalls ansprachen und sich auch mit mir unterhalten wollten. Das freute mich sehr, insbesondere da ich ja aus meiner alten Heimat eher die Zurückhaltung und die Schüchternheit oder auch Ablehnung kannte, die die meisten Menschen ausstrahlten.
Es lief alles ein bisschen anders hier und alle waren per Du. Manchmal bekam man die Antwort schneller, manchmal dauerte es länger, je nachdem, wie oft der Gesprächspartner da war. Denn man konnte auch mit Leuten reden, die zum Beispiel gerade zuhause schliefen oder zu jemand ganz anderem sprachen. Man sagte einfach seine Worte heraus und der andere hörte sie sich an, wann immer er Zeit hatte und gab dann die Antwort.

Ich fand das sofort sehr praktisch, die Worte blieben sozusagen in der Luft hängen, bis mein Gesprächspartner wiederkam und sie in seine Gehörgänge eindringen ließ. Ich war hier plötzlich nicht mehr darauf angewiesen, mir Termine auszumachen, die dann irgendjemand nicht einhielt. Dieses Verfahren brachte natürlich noch mehr Vorteile mit sich. Man konnte, wenn man wollte auch einmal länger nachdenken, bevor man seine Meinung zum Ausdruck brachte. Oder während man sie sagte, zwischendurch aufs Klo gehen, ohne dass der Zuhörer es irgendwie bemerkte und man sich entschuldigen mußte, oder auch mit vollem Mund sprechen und er sah es nicht. Man gab ja die Sprechblase erst ab, wenn man alles hineingesprochen hatte, was man loswerden wollte. Ja, er sah es nicht einmal, wenn man frisch aus der Badewanne noch nackt vor ihm saß und ihm dabei von Politik erzählte. Außerdem passte der Chef des Lokales auf, dass niemand böse Worte in seine Sprechblasen steckte, diese wurden dann sofort wieder aus der Luft gefangen und restlos vernichtet.
Eine zeitlang gefiel es mir ganz gut, in diesem Café. Doch dann begann der Chef, der alleine dort reg.. arbeitete, immer mehr Worte aus der Luft zu fangen, Worte, von denen auch alle anderen, die sie bereits gehört hatten, meinten, es gäbe keinen Grund für sein Tun.
Zufällig bekam ich durch einen anderen Gast in diesem Café das Flugblatt eines anderen Lokals und schaute dort kurz hinein, der erste Eindruck war etwas seltsam, aber ich hatte doch das Gefühl, dass es ganz interessant sein könnte und machte hin und wieder einen Blick hinein.
Der Chef drehte nun völlig durch und man durfte in seinem Lokal nicht mehr frei kommunizieren, sondern er wollte haben, dass man die Worte, die man sagen wollte, zuerst bei ihm abgibt, damit er sie prüfen und von allen Seiten begutachten konnte, bevor er diese Sprechblasen in den Raum stellte. Viele Worte verschwanden daraufhin, und so auch immer mehr Gäste.

Auch ich verließ dieses Lokal nun. Zu diesem Zeitpunkt fehlte es mir aber auch nicht mehr. Viele wesentlich interessantere Menschen fand ich in diesem neuen Lokal und es gab auch viel mehr Gesprächsthemen, ja, man konnte eigentlich über alle Themen sprechen, wenn man nur die richtigen Worte fand.
Abgesehen, davon, dass es mich auch architektonisch mehr ansprach, was mir aber nicht wirklich wichtig war, hatte man in diesem Kaffeehaus auch noch die Möglichkeit, selbst sein Gesagtes wieder zurückzunehmen, oder umzubessern. Man konnte seine Worte einfach wieder aus der Sprechblase nehmen, andere hineinsprechen oder sie leer lassen, und die selbe Sprechblase wieder an den selben Ort hängen, nur eben mit verändertem Inhalt.
Es war ein sehr großes Café mit vielen Räumen, in das ich da geraten bin, dessen Umfang ich erst nach und nach ausmachte. Der Lokalmeister, wie er sich nannte, hatte einige Angestellte, die ihm halfen, sein Lokal von Beleidigungen und Beschimpfungen sauber zu halten und das funktionierte ganz gut, zumal ja großteils nur wirklich nette Leute hier waren. Manchmal kam es auch vor, dass jemand Etwas in das falsche Zimmer sagte. Dann schoben die Angestellten die Sprechblase an den richtigen Platz – die sind nicht sehr schwer, selbst die größten Sprechblasen konnte einer alleine schieben. Ansonsten, wenn es gerade nichts zu tun gab, waren die Angestellten ganz normale Menschen, die sich mit den anderen unterhielten. Keiner von ihnen war nur zum Arbeiten da und es war überhaupt sehr gemütlich hier. Der Lokalmeister selbst war ein richtiger Heimwerker, der nur selten seinen Werkzeuggurt ablegte und immer irgendwo etwas zu Basteln hatte.
Ich erkannte immer mehr den Wert dieses Cafés und verbrachte mehr und mehr Zeit darin, fing an, mich richtig wohl zu fühlen, süchtig zu werden. Das hatte einen einfachen Grund: Ich spürte Menschlichkeit und Ehrlichkeit.
Ich lernte mithilfe der Menschen hier, meine Worte so zu wählen, dass sie die richtige Form ergaben, in der man sie hier gerne sah. Das war zu Beginn gar nicht so einfach, da ich noch so vieles nicht verstand. Wir diskutierten in einer Ecke des Lokales wiederholt über die Fehler, die man beim Zusammensetzen seiner Worte immer wieder macht und wie man sie vermeiden kann. Ich nahm mir Vieles sehr zu Herzen und schloss auch einige der Anwesenden, die ich als besonders liebe Menschen erkannte, ein bisschen dort hinein. Und eins ist sicher: Ich geh hier nie wieder weg, solange es besteht, mein „Zuhause im Netz“.

Danke Mirko, Danke an alle.

[ 08.08.2002, 13:55: Beitrag editiert von: Häferl ]

 

hallo häferl - hätte ein kompliment schöner ausfallen können? Noch etwas: woher weisst du eigentlich, wie ich fühle??? liebe grüße. ernst

 

Hallo Ernst Clemens!

Danke für Dein schnelles Lob!

Hab gerade noch einen Satz im letzten Absatz eingefügt, der mußte noch dazu...

Schön, daß Du auch so fühlst! ;)

Alles liebe
Susi

[ 06-08-2002, 16:47: Beitrag editiert von: Häferl ]

 

Na, Häferl. Dann hoffen wir mal, daß der Umzug auf den neuen Server glatt verläuft, was? :D

Eine Liebeserklärung an kurzgeschichten.de, süß. Stellenweise meiner Meinung nach zu sehr übertrieben, was den Heile-Welt-Faktor betrifft, aber nun ja, es ist dein Empfinden.

Titelvorschlag: "Hier bin ich Mensch, hier kann ich sein"

Noch etwas zum letzten Satz: Man sollte niemals nie sagen... ;)

 

Hehe Poncher - was Negativeres hast Du nicht für mich? Ehrlich?! :D
Ist ja kaum zu glauben... :)

Was Deinen Titelvorschlag betrifft, ist er sicher eine gute Idee und wenn ich Deutsche wäre, würde ich ihn glatt nehmen. Aber jeder Österreicher denkt dabei wahrscheinlich an den dm-Drogeriemarkt, der das in seiner Werbung nutzt - "Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein", und das ist für mich leider ein Hinderungsgrund...

Ja, den Heile-Welt-Faktor lass ich mal so, als Bild des Idealzustands... ;)

Alles liebe
Susi

[ 06-08-2002, 17:08: Beitrag editiert von: Häferl ]

 

Hehe Poncher - was Negativeres hast Du nicht für mich? Ehrlich?! Ist ja kaum zu glauben...
Ich hab heute einen guten Tag erwischt, also gewöhn dich mal nicht so sehr daran. :p

Wenn du den Faktor als Idealzustand siehst, dann: :eek: Wer kann das denn auf Dauer schon wollen? ;)

So, genug der Laberei jetzt aber hier!

 

Danke Paulchen! Ein bisserl überziehen soll man ja auch, hat irgendjemand da hinten in der Ecke gesagt... :D

 

Hi Häferl,

schön geschrieben, aber für mein Empfinden ein bißchen dick aufgetragen. Einige werden es als eine Art "Radfahren" sehen, wobei ich persönlich fest davon überzeugt bin, dass du es aus vollem Herzen geschrieben hast.

Was den Titel anbetrifft, Vorschläge:

virtuelle Menschlichkeit
virtuelle Heimat
Worte ohne Ton
Gesehene Worte
Allein in Gesellschaft
Zuhause im Netz
Where do you want to read today?

Nur ein paar hingeschluderte Möglichkeiten, vielleicht inspirieren sie dich ja.

Gruß
Maris

 

Liebe Susi!

Der Vergleich mit einem Café liegt mir persönlich sehr! Zumal ich hier mit einem Häferl Kaffee, noch im Pyjama sitzend eine Sprechblase zusammenbastle, die ich demnächst an dich abschicken werde.
Tja, mir geht es ähnlich. Zwar wird meine Rechnung, die mir der "Ober" für Juli und August präsentieren wird, ziemlich hoch ausfallen, aber ich hab ja auch viel konsumiert - und das fast ausschließlich in diesem Café. Ab September werden meine Besuche hier ein wenig schrumpfen - mein Konto wird aufatmen -, aber die Sucht wird bleiben.
Zum Titel hab ich auch nicht wirklich die zündende Idee, aber vielleicht ein paar Denkanstöße:

Welt der Worte
Café "Sprechblase"

Tja, viel mehr fällt mir auch nicht ein.

Viele liebe Grüße
Babs

 

Hi Susi!

Wirklich ein wenig dick aufgetragen, in Richtung Selbstbeweihräucherung, aber nach dem ganzen missgünstigen, ignoranten, gehässigen und schlicht dummen Gemecker der letzten Zeit in und um Kg.de ist sowas auch mal nötig. :)

Da wird einem warm ums Herz...

Ach ja, "Zuhause im Netz" ist doch ein prima Titel.

Gruß

Ben

[ 07.08.2002, 16:49: Beitrag editiert von: Ben Jockisch ]

 

Heja Susi,

deine Reality-Story ist voller Gefühl, man merkt, wieviel dir kg.de bedeutet. Damit sprichst du - glaub ich - vielen aus der Seele (inkl. mir).

Sicher, du hast ein bisserl stark aufgetragen, aber das ist nicht so wichtig, finde ich. :)

Grüße!

 

Hi,
mir gefällt die Geschichte richtig gut. Warmherzig und ... einfach lieb. Man weiß, dass da was hinter steckt.
Die Umsetzung mit der Stadt, den verschiedenen Cafés und den Sprechblasen wirkt, gibt der Geschichte den Charme der Kneipenviertel in (hier Namen einer Stadt einsetzen) in einer lauen Sommernacht. Idealisierung gehört hier einfach dazu.
Und bei dieser Story - würde ich sagen - ist der Titel echt mal zweitrangig.
Schön gedacht und gut gemacht.

Lieben Gruß, baddax

(Der Tag ist ein Stück heller geworden und heute passiert sicherlich nichts schlimmes mehr. ;) )

[ 07.08.2002, 16:50: Beitrag editiert von: baddax ]

 

Selten genug liest man sie, die Liebeserklärungen an kg.de. Und wie es sich für eine Liebeserklärung gehört, ist sie durch die rosarote Brille geschrieben.

Der Lokalmeister selbst war ein richtiger Heimwerker, der nur selten seinen Werkzeuggurt ablegte und immer irgendwo etwas zu Basteln hatte.
Hehe. Bob, der Webmeister. Jo, wir schaffen das!

Wunderschön. Danke dafür.

Ach ja: von welcher Konkurrenz ist denn die Rede? :D

[ 07.08.2002, 21:24: Beitrag editiert von: Webmaster ]

 

Danke Euch allen für die vielen Blumen! :)

Freut mich natürlich, daß Euch die Geschichte gefällt - und den Titel laß ich jetzt so, jetzt haben wir uns ja schon dran gewöhnt und die Vorschläge von Euch verraten alle zuviel vom Inhalt (Danke trotzdem! :) ), so gesehen ist der jetzige sogar sehr passend. :lol:

Alles liebe
Susi

PS.: Mirko, was meinst Du denn mit Konkurrenz? Das davor? Das war doch keine Konkurrenz, sondern ganz ein anderes Forum... ;) Konkurrenz gibts ja gar nicht. Jedenfalls nicht wirklich.

[ 08.08.2002, 00:48: Beitrag editiert von: Häferl ]

 

So, und weil mir von mrchance unterstellt wurde, ich hätte die Geschichte geschrieben, um mich quasi einzuschleimen, möchte ich, abgesehen davon, daß ich mir sicher bin, daß ich das nicht nötig hätte :lol: , hier noch etwas dazu sagen. Nämlich wie es zu der Geschichte gekommen ist:

1. Die Idee mit den Sprechblasen und dem Kaffeehaus hatte ich schon lang, mindestens ein halbes Jahr. Nur wußte ich nie, wie ich sie umsetzen soll, habs ein paar Mal probiert, aber es wurde nie etwas draus...

2. Wie zu beginn der Geschichte steht, bin ich seit genau einem Jahr im Netz, und da hab ich halt auch so drüber nachgedacht, damit mir nicht fad im Kopf wird... und bin schließlich drauf gekommen, daß ich ohne kg.de meinen Anschluß wieder gekündigt hätte - weil dann der Preis in keiner Relation zu dem stehen würde, was es mir bringen würde. Einzig kg.de rechtfertigt für mich das monatliche Bezahlen der Rechnung.

3. So fand ich zur Idee, mein erstes Jahr im Netz und das Finden von kg.de mit der Idee der Sprechblasen zu verknüpfen. Daß es so eine Liebeserklärung wird, hatte ich da gar nicht vor... Ich ließ mich einfach gehen, und das wurde dann halt draus.

Und wer mir das nicht glaubt, ist selber schuld an seinen negativen Gedanken.

Alles liebe
Susi

 

Hallo Häferl,

der Titel ist doch so OK., einfach weil`s DEIN ursprünglicher Titel ist. Das dick Auftragen ist doch ein gewolltes Stilmittel, eben um auch ein wenig Ironie hineinzubringen, denn schließlich geht es ja nicht um die Rettung der Menschheit...
Auf halber Strecke dachte ich eigentlich, daß die Geschichte politisch wird (Redefreiheit, Diktatur) und der gewählte Stil `nur´ zum Einlullen des Lesers dient, bevor die `Bombe´ platzt. Doch so ist`s auch in Ordnung, man muß doch nicht immer zwanghaft gesellschaftspolitisch oder gar vom Nihilismus getrieben die Welt (und Papier) beschreiben. (Wie sagte es einmal Rainer über eine meiner Geschichten? „Eine belanglose Story, die man gelesen haben sollte“ – fand ich toll).Deine Geschichte will ich damit nicht als belanglos hinstellen.
Noch zwei Anmerkungen: Müßte es nicht heißen: Wann i m m e r er Zeit hatte?
Warum sieht man die Nacktheit nicht?

Tschüß... Siegbert

 

Ich finde diese Idee auch süß. :shy:
Schöner Einfall.

Als Titel kam mir spontan auch zuerst "Zuhause im Netz" in den Sinn, aber es stimmt schon, es ist viel besser wenn man die Geschichte liest ohne zu wissen dass sie sich auf kg.de bezieht. So ging es mir nämlich als ich sie das erste Mal las, und es war eine angenehme Überraschung als ich dann den Bezug merkte.

Nur die Rubrik hat mich ein bisschen irritiert ... hätte es vielleicht eher unter "Gesellschaft" vermutet ...

[ 08.08.2002, 16:51: Beitrag editiert von: Ginnyrose ]

 

Hallo Siegbert!

Es freut mich, daß ich Dich ein bisschen in die Irre führen konnte! :D

Mit dem "wann immer er Zeit hatte", hast Du natürlich recht, ohne "immer" ist es schon sehr umgangssprachlich.

Ich glaube, beim Punkt mit der Nacktheit suchst Du ein bisschen zu viel philosophisch - wenngleich man es so natürlich auch auffassen könnte... wenn ich Deine Frage richtig interpretiere. ;)

Und den Titel laß ich jetzt wirklich, da fährt die Eisenbahn drüber. :)

.

Hallo Ginny!

Daß Du meine Geschichte "süß" findest, finde ich lieb ;) .

Warum sie in Seltsam steht: Weil ich die Idee mit den Sprechblasen, die wieder aus der Luft gefangen werden und so, doch irgendwie seltsam fand.
Nach Gesellschaft gehört sie nicht, da es kein gesellschaftliches Thema ist, sondern im Grunde eigentlich großteils kg.de betrifft, bzw. mich (aber ich bin auch, zumindest noch, kein gesellschaftliches Thema - vielleicht wirds ja noch, wenn ich weiterschreibeundschreibeundschreibe... :lol: ).

Alles liebe und
Danke Euch beiden
Susi

 

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