- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 20
Und golden glänzen die Gitterstäbe
Wieso liege ich manchmal hier, höre dich gleichmäßig und ruhig atmen, während draußen der Wind den großen Ahornbaum in sanften Tönen zum Klingen bringt und denke, dass ich nicht all das habe, was ich mir wünsche?
Wieso schweifen meine Gedanken ab, sehen Orte, an denen ich sein möchte, sehen Menschen, die ich um mich haben will? Weshalb führe ich Gespräche, die ich nur in diesen Gedanken führen kann?
Ich spüre, wie diese Fragen sich in meine Traumbilder schleichen und ihnen langsam die Basis nehmen wollen, mit einer Lanze, mit schlechtem Gewissen an diese Orte kommen und die mächtige Waffe diesen Menschen durch den Leib stoßen. Und schon werden die Bilder schwach, in Bruchteilen einer Sekunde, verschwimmen nicht langsam, sind einfach weg und ich spüre wieder die Dunkelheit einer normalen Nacht um mich.
Wenn ich die Augen aufschlage, zuerst nichts erkenne, dann die gewohnten Umrisse des Zimmers wahrnehme, haben diese Fragen meinen Kopf ausgefüllt.
Es ist natürlich Nonsens, erzählen sie mir, als antworteten sie sich selbst. Du hast dich einfach nur gehen lassen und ich bin dabei, ihnen zu glauben. Sei glücklich mit dem, was du hast, sagen sie und sie haben recht, diese Fragen. Lies ein Buch, schaue Dir einen Film an und wir werden dich nicht stören, denn das ist richtig und wichtig. Gehe auf in den Geschichten, die dir da erzählt werden und genieße diese Momente.
Das tue ich. Wirklich. So antworte ich ihnen.
Aber kann ich nicht weiterspinnen?
Kann ich?
Gerne, sagen sie. Aber hier - und sie halten ihre Lanzen vor sich, junge, stolze Recken einer großen Armee – hier ist der Preis, der dich dann nicht schlafen lassen wird. Da liegt sie neben dir, da liegt dein Leben um dich herum, erfüllt von den Menschen, die du haben kannst, darfst. Kannst du es ihnen verübeln, fragen sie, wenn sie sich vor den Kopf gestoßen fühlen? Und fragend sehen sie mich an.
Aber sie wissen es doch nicht! Ich beharre auf meinen Träumen, eher trotzig als bewusst, so, wie ein gerade gefangenes Tier in die Stäbe seines Käfigs beißt.
Du weißt, antworten sie, es reicht, dass du es weißt. Du musst dich an diese Stäbe gewöhnen, das ist ihre Antwort. Wir dachten, du hättest es längst getan. Zeit genug hattest du dafür. Du bekommst doch deine Träume zugesteckt. In passenden Rationen. Der Käfig ist golden.
Ja, sage ich, ich weiß. Da sind Hände um mich herum, die mir alles geben, was ich wohl brauche. Aber was ist mit dem, das ich mir wünsche?
Wünsche, wünsche, wiederholen sie meine Worte, beinahe genervt. Sind denn die Menschen um dich herum nicht genug? Ist das Leben, das du hast, nicht genug?
Ich liege da und weiß im ersten Moment nicht, was ich sagen soll. Die Äste des Ahorn werfen lange Schatten an die Gardine und ich betrachte sie eine Weile. Ich höre den Wind, das Ticken der Uhr und spüre die wohlige Wärme, die um mich herum ist. Spüre, dass ich mich rundum wohlfühlen kann. Sie haben schon recht, diese Fragen, die da mit ihrem quälenden schlechten Gewissen herkommen und mir sagen, dass ich undankbar bin, dass ich Menschen, Orte, dass ich mein Leben verletze, wenn ich nach dem lange, was außerhalb dieses Käfigs liegt.
Ich bin glücklich, dass ich diese Menschen kennen- und liebengelernt habe. Ich bin froh, dass ich an diesen Orten sein kann, an denen ich lebe. Das ich all das tun kann, was ich tue.
Aber bin ich so nicht nur eine perfekt funktionierende Maschine? Ein Baum, der wächst, aber keinen Schatten wirft? Denkt ihr nicht auch? frage ich sie.
Nein, sagen sie. Du bist das, was du sein sollst. Ein Mensch, der perfekt funktioniert. Das ist ein Unterschied.
Sie dreht sich im Schlaf um, murmelt etwas in mein Ohr, spürt vielleicht dieses Zwiegespräch. Ihr Atem streichelt sanft meine Haut und ihr Haar liegt wie zufällig zwischen meinen Händen, so, dass ich es durch meine Finger gleiten lassen kann, wie ich es gerne tue. Sie kuschelt sich an mich und ich merke, dass das genug ist.
Es ist genug, sage ich den Fragen.
Sie beruhigen sich und ich kann sie fast untereinander murmeln hören: Na also, er hat es begriffen. Leute, packt die Lanzen zur Seite, gehen wir schlafen.
Für den Käfig, füge ich hinzu und sie erstarren im Weggehen.
Was war das? fragen sie, ohne sich auch nur umzudrehen.
Es ist genug für den Käfig, sage ich. Die Menschen, mit denen ich zusammen bin. Ich liebe sie. Alle. Die Orte, an denen ich bin. Sie gefallen mir und ich fühle mich wohl. Das Leben das ich lebe. Es ist eines der besten. Im Käfig.
Ich schweige kurz, so tun es die Fragen. Sie wissen nicht, was sie noch fragen sollen. Beinahe sehe ich die Gitterstäbe golden aufblitzen, als ich fortfahre:
Aber so bin ich kein Mensch, nicht, wie ihr es sagt. Das, was mich zum Menschen macht, ist die Freiheit da draußen, ist der Drang, sie zu spüren, sie zu besuchen und zu leben. In meinen Träumen.
Ich sehe die Fragen durcheinander rennen, kaum, dass sie ihre Starre überwunden haben. Sehe sie zu ihren Lanzen greifen.
Legt sie zur Seite, sage ich und lache, denn ich sehe, wie die Waffen in ihren Händen schrumpfen, schmelzen und schließlich verschwinden.
Sie können mir nichts mehr anhaben.
Von den ganzen Fragen und Antworten habe ich Durst bekommen, greife neben das Bett, finde die Wasserflasche, die da steht, wo sie immer ist. Ich lösche meinen Durst und schließe wieder die Augen. Teste noch einmal, ob ich in dem Käfig leben kann, denn das Bett ist weich, das Essen ist gut und die Hände reichen mir mein Kurzweil durch die Gitterstäbe.
Ich kann.
Und dann sehe ich meinen Atem vor mir. Er entweicht in leisen Schüben in die Nacht hinaus, der Käfig kann ihn nicht halten. Und dann kommen die Bilder wieder. Von den Orten, an denen ich nie war, wohl nie sein werde und die Menschen, die ich so gerne um mich haben würde, sie winken mir zu. Ich muss lächeln und höre leise Gitarrenmusik, sanfte Töne, die in Dur und Moll in meinem Geist tanzen und beiden keine Wertung abzwingen, sondern Freude und Trauer zu einem wonnigen Gemisch aus lachender Wehmut vereinen.
Ich freue mich und drehe mich in unserem Bett auf die Seite, um sie mit meinen Armen zu umfassen. Hier fühle ich mich auch wohl.
Gleichzeitig eilen meine Gedanken, meine Gefühle auf diese Welten zu, lassen den Käfig hinter sich. Mag er noch so golden sein, es ist ein Käfig.
Und während sich alles nähert, weiß ich, dass ich jederzeit mit Freude auch hierher zurückkehren kann, wo ich all das habe, was ich in der wirklichen Welt brauche. Ich kann zurückkehren, denn ich weiß, dass, wenn ich sterbe, mein Atem das Letzte sein wird, was von mir bleibt.
Und für ihn sind die Gitterstäbe kein Hindernis.
ENDE