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Thema des Monats ... und genau aus diesem Grund ...

Seniors
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12.12.2004
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... und genau aus diesem Grund ...

Narzissus Schönfärb hatte mehr als eine gerade Nase.
Mit leicht gebeugten Knien stand er vor dem Fenster und blickte auf den frisch gedüngten Rasen des Universitätsgeländes.
Der Duft von erdiger Geradlinigkeit erfüllte seine Sinne.
Hinter ihm öffnete sich die Tür und zwei Herren im Gehrock betraten den Raum.
Narzissus rotierte auf seinem Absatz. Er lächelte.
Ordinarius Reichhall Gangeldropp setzte sich auf die Lehne eines Stuhls und zog eine Dose Bier aus der Tasche.
»Schönfärb, das ist ihr leitender Professor, Corvinian Rangelmeier“, sagte er.
»Na, wir sind ja ein ganz ein gescheiter Absolvent“, räusperte sich dieser und blätterte in ein paar Aktenblättern.
»Bester des Abschlussjahrganges, Größter im Fotoclub und Schönster am Abschlussball. Wir wollen also bei uns anfangen?«
»Die Suche nach der Weltformel hat mich schon immer begeistert«, erwiderte Schönfärb und spielte mit seiner goldenen Gürtelschnalle.
»Ist ja schon gut, sie fangen gleich an. Im ersten Stock«, sagte der Vorstand, rammte einen Mauernagel in seine Bierdose, öffnete den Verschluss und jagte den Inhalt so schnell wie möglich in seinen Magen.

Eine Liftfahrt später stand Schönfärb in einer großen Halle, wo weißgekleidete Mathematiker ihre Köpfe zusammensteckten.
»Hier kümmern wir uns um die fundamentalen Probleme der großen Theorie. Wir versuchen die Ängste und Nöte unserer Gesellschaft in mathematische Formeln zu binden.«
An den Wänden hingen meterlange Tafeln, auf denen unzählige Zeichen aller unvorstellbaren Wahrscheinlichkeit zufolge schreibbar geworden waren.
Freundlich nickend ging er durch die kleinen Kreise der denkenden Theoretiker.
Rangelmeier drückte ihn sanft zu einer der größten Tafeln.
»Da ist der Schwamm, da ist die Kreide. Viel Spaß“, kicherte er und verschwand in der Menge.
Narzissus las die ersten Sätze laut vor.
»Gruppe Alpha: Die hängenden Fußballfelder von Estragon.
Problemstellung: Zuschuss für verlorene Bälle ohne Aufwertung der Mindestversicherungsgrenze.
Gruppe Beta: Die laufenden Wälder von Stiegelhamm.
Problemstellung: Bedienungsanleitung für Zahnstocher.
Gruppe Gamma: Das Team der 100-Meter-Brustkrauler der Damen
Problemstellung: Keine Brustvergrößerungen.«
Ohne mit der Wimper zu zucken ging Schönfärb an die Arbeit.

Es verging ein Monat. Narzissus rechnete, formulierte, diskutierte.
Ja er ging soweit und argumentierte.
Gültigkeiten, Ansprüche, Tiefenhypnose.
Letztendlich klopfte er an die Tür von Professor Rangelmeier.
»Na Schönfärb, wir haben uns ja gut eingelebt«, sagte dieser.
»Herr Professor, ich bin fertig«
Rangelmeier sah ihn mit bezwungenen Augen an.
»Dann lassen sie mal hören.«
»Dieweil alle drei Probleme einen einzigen Nenner haben, lautet die Lösung wie folgt«, dabei legte er seinem Leitenden eine 40-seitige Dissertation mit Kornblumen vor.
»Da das Wollen in greifbarem Unverständnis mit dem Brauchen steht, ergibt sich eine Korrelation mit dem kollektiven Unterbewusstsein. Es folgt, dass die menschliche Unschärferelation des Einzelnen, Basis für das Mißbill der Gemeinschaft ist.
Ich habe dies anhand der Verhältnismäßigkeit zwischen Metereologen, ihrer Glaubwürdigkeit und der daraus resultierenden Scheidungsquote ermittelt.«
Rangelmeier ächzte, Schönfärb strahlte.

Kurz darauf stand Narzissus vor Ordinarius Gangeldropp.
»Da haben sie sich aber schnell qualifiziert!«, sagte er und griff in seine Schreibtischkühllade um eine Bierdose herauszufischen.
»Ich habe nur nach den offensichtlichen, psychischen Mängeln des kleinsten Nenners gesucht.“
»Und das wäre?“, fragte der Vorstand und ließ sein Bier zischen.
»Die menschliche Unschärferelation.«
»Und DAS wäre?“
»Die Lüge«, gab Narzissus frohlockend als Antwort.
»Interessanter Ansatz! Können sie diese Theorie weiter verfolgen?“
»Jederzeit“
Gangeldropp nickte zurfieden, reichte ihm einen Nagel und sagte:
»Na dann machen sie mir doch mal das Bier auf. Willkommen im zweiten Stockwerk“. Damit drückte Schönfärb den Nagel in die Bierdose des Ordinarius und ließ die Bäche sprudeln.

Einen Tag später trat der Beförderte aus dem Lift in den zweiten Stock.
Ein alter Mann nickte ihm dankend zu, als er die Türen aufhielt.
Er zog einen schweren Wagen hinter sich her, auf dem Kartonschachteln mehr Recht als schlecht gestapelt waren. Das Gewicht schien nicht nur den Rücken des Hausmeisters zu beugen.
Schönfärb nickte freundlich und orientierte sich.
Professoren in roten Anzügen huschten durch die Gänge.
Er sah kurz auf den Überweisungsschein von Gangeldropp.
»Zimmer 2III5b«, murmelte er und trat ein.
Hinter dem Schreibtisch saß ein langweiliger, dünner Mann, dem man sofort abnahm die Bohnen quellen zu hören.
»Professor Stillhalter?«, fragte Narzissus.
»Eusebius für sie, mein junger Freund«, antwortete die Schwerfälligkeit in Person.
Er kramte einen Zettel aus dem Papierkorb und stand auf.
»Gruppe §: Das Konsortium der inhomogenen Frauenschaft .
Problemstellung: „Ja zum Korsett!“
Gruppe %: Die Bruderschaft der naseweisen Zwergenradler.
Problemstellung: „Stoppt Downhill-Racing.“
Gruppe &: Der Extremlaubsäger von Bon Venuto di Compostella.
Problemstellung: „Wir haben ein Recht auf die olympischen Spiele“.
»Schwierig, aber nicht unlösbar«, sagte Schönfärb.
Eusebius führte ihn in ein gemütliches Wohnzimmer, wies ihm eine Couch zu und drückte ihm einen Taschenrechner in die Hand, der mit Kartoffelenergie lief.
Narzissus dachte, er überlegte, er rang mit sich.
Er kontrollierte, exzerpierte, standardisierte.
Ja er ging soweit und fraternisierte sich mit seinen Kollegen.

Schmerzhaft verklärt ging er nach ein paar Tagen den Gang entlang.
»Sind sie schon wieder hier?«, fragte er den Hausmeister, der erneut einen schweren Karren mit Kartons vor ich her schob.
»Irgendwer muss es ja machen, oder?“, lächelte der alte Mann freundlich.
Wie von schlechter Milch geschüttelt, traf es Schönfärb zwischen seine Hemisphären.
Er ging in das Wohnzimmer und fabulierte, koagulierte und integrierte.

Zwei Stunden später stand er vor Eusebius.
»Herr Professor, es ist vollbracht!“, sagte er und hielt ihm eine 80-seitiges Kompendium mit zwei Packungen Aspirin entgegen.
Stillhalter zuckte zurück.
»Sie sind ja wirklich das Wunderkind, wie alle sagen.“
»Da es zwischen Brauchen und Müssen eine ähnliche Gleichgestaltigkeit gibt wie im ersten Stock, folgere ich dieses: Anhand der Glaubwürdigkeit des Einzelnen in Außenseitergruppen, weiß ich, dass nur die individuelle Verstandserlaubnis die Probleme der Gemeinschaft ausmacht. Ich habe das hier anhand des Personenverkehrs in mittleren Großstädten skizziert. Schwarzfahren ist unabhängig von der Allgemeinschädigung eine Lustbarkeit von Randgruppen«.
Stillhalter knirschte mit den Zähnen.
»Sie sehen sich soeben im dritten Stockwerk, mein Freund. Aber glücklich bin ich darüber nicht“.
Schönfärb grinste und Stillhalter hielt still.

Der neue Mann im dritten Stock pumpte sich Kaffee aus dem Brunnen neben dem Lift.
Die Türen öffneten sich leise und der Hausmeister schob einen leeren Wagen vor sich her.
»Schon wieder?«, fragte Narzissus.
»Noch immer!«, murmelte der Greis.

Das Meisterhirn, wie ihn jetzt alle nannten, wurde im dritten Stock mit einer goldenen Robe bekleidet.
In einem Prunksaal wurde dem jungen Mathematiker ein handgeschnitzter Schreibtisch zugewiesen.
»Narzissus Schönfärb! Hier seien dir nun die letzten aller Fragen gegeben.
Gruppe Waschuschtl: Der watende Prediger von Sülit
Seine Anfrage: „Kneipkuren? Ja oder Nein“
Gruppe Scharschtel: Der Bananengeradebieger von Kalakurum
Seine Anfrage: „Warum Bananensplit?“
Gruppe Argeschaftl: Der Hallenhalmameister von Parafit
Seine Anfrage: »Keine Macht dem „Mensch ärgere dich nicht!“«, trug Professor Kasimir Wortverdreher vor und gratulierte ihm.
Einen elektronischen Rechenschieber in der Rechten und ein Blatt Papier in der Linken saß er nun da.
Er distinguierte, er arrangierte, er flatulierte.
Ja, er ging soweit und epilierte.

Es vergingen Tage, es vergingen Wochen, er kam der Lösung aufregend näher, aber viel zu langsam.
Immer wieder traf er den Hausmeister am Gang, der brav seinen Wagen vor sich her rollen ließ.
Narzissus war am Ende seiner Kraft. Die Anfragen waren so unwichtig für die große Formel, so erniedrigend für das Weltgeschehen, dass es ihm Zehennägel verbiegende Ängste in das Ultimatum seiner Berechungsversuche trieb.
Mit einem Kaffee in der Hand starrte er auf das große Schild der Tür, aus dem der Hausmeister mit vollem Wagen kam und mit leeren Wagen hineinging.
„Eintritt bei schwerer Strafe verboten!“, stand da.
Dem magischen Jungrechner war es jetzt egal.
Er öffnete die Tür und konnte sich keine Nanonasenkrümel mehr bewegen.
»Was machen sie hier?«, entfuhr es ihm heiser.
»Aufräumen!«, gab der Hausmeister zurück und fütterte die Maschine.
Den fragenden Augen Schönfärbers entgegenkommend setzte er nach:
»Hab ihre Arbeit aus dem ersten Stock gelesen. Sehr interessant. War aber auch schnell durch!«
Schönfärbers Mund versuchte ein: »Aber, aber, aber« zu artikulieren.
»Wissen sie, sie suchen so angestrengt nach einer Weltformel. Wozu?«
»Na um alles zu verstehen, um alles zu…«
Schönfärb spielte unsicher mit seiner goldenen Gürtelschnalle.
»Da packen sie mal mit an! Werden sowieso nur Pornos und Bibeln draus.«, lächelte der Hausmeister und griff nach Schönfärbers Abschlussberechnungen.
»Was soll ich brauchen, wenn ich nicht wissen will, was ich tun muss?“, lachte der alte Mann und stopfte dem hüpfenden Reißwolf mit drei Kilo Papier das Maul.

 
Zuletzt bearbeitet:

Nicht ganz, mein lieber LEhrling, nicht ganz. Es ist zwar skurril, aber Uwes dichte an hirnverknotenden Namen und Wendungen bekommst Du nicht hin.
Na das war jetzt aber klar, oder :D
Hab mich aber bemüht es verständlicher zu schreiben :lol:

Fehler wurden ausgebessert.
Freut mich trotzdem, dass es dir gefallen hat. *juhuuu*

lg, Flo

ps: NEIN ich habe keine Drogen genommen und JA ein paar Bier. :D

 

Tja, ich hätte mir gewünscht, dass der Reißwolf und sein Hausmeister im 4. Stock wohnen (und Schönfärber beim Nachspionieren dorthin gekommen wäre). Ansonsten herrlich skurril.

LG

Jo

 

Hi Jobär!

Schön das es dir gefallen hat.
Tja, den Hausmeister in den 4. Stock zu setzen, wäre doch zu, ... wie sagt man ... aufgesetzt gewesen ;)

lg, LE

 

Oha, ein Text der polarisiert!

@z-p:

Nein, bin dir natürlich nicht böse.
Was ist schon logisch in einer Welt in der die Fußballfelder vom Himmel hängen :D
Aber im Ernst, ich habe bei diesem Text gelernt, wie sauschwer so etwas zu schreiben ist. *voruwehutzieh*
Trotz aller Absurdität, muss die Welt trotzdem irgendwie funktionieren.
Da betrachtet man Kafkas Genie mit ganz neuen Augen.

@wölfchen:

Das wäre natürlich der Überhammer gewesen, wenn der Reißwolf ein Tier gewesen wäre. ;)

Danke fürs Lesen und zu bewerten versuchen.

lg, Euer LE

 

Beste Stelle:

War aber auch schnell durch.

:lol:

Wie ich Dir schon während Deiner, äh, Konzeptionsphase PMte, betrachte ich den Text hauptsächlich als Parabel oder Märchen, d.h. die Meta-Ebene steht im Vordergrund. Der Eindruck liegt nahe, weil die Treppenstufen-Struktur typisch für Märchen u.ä. ist (weiß der Geier wieso). Zudem geht die tatsächliche Handlung nicht über die für die Meta-Ebene nötigen Elemente hinaus. Bemalt hast Du diese Holztreppe mit teilweise gelungenen ("Gruppe %"), teilweise verwegenen (die Namen), teilweise unterirdischen ("Der Bananengeradebieger von Kalakurum") Wortspielen (aber das ist sicher Geschmackssache). Dass diese z.T. als Klamauk aufgefasst werden, liegt an ihrer geringen Tiefe. Da bleibt nichts im Halse stecken, ich muss nicht ob mehrdeutiger Ironie grübeln, ich gehe über die meisten Kalauer hinweg, weil sie für mich keinen Sinn ergeben.

Die Aussage der Metaebene lautet: Egal wie hochkomplex eine Wissenschaft forscht, am Ende braucht es doch kein Mensch.
Ich würde dies nicht vorbehaltlos unterschreiben, aber es geht sicher in die richtige Richtung. Etwas konkretere Seitenhiebe auf die Forschungslandschaft mit ihren abgeschriebenen und nie gelesenen Papers, lehrmüden Professoren und ... nachbearbeiteten Messresultaten wären aber schön gewesen.

Ein direkter Vergleich zu meiner ebenfalls sehr skurrilen Geschichte bietet sich an, aber das überlasse ich dem Publikum, ausgenommen dies: Ich habe mich bemüht, die Grenze zur Absurdität, zur Groteske (beide sind eher surreal) nicht zu überschreiten, sondern eine abstruse, aber denkbare Realität darzustellen (ob ich das geschafft habe, mögen andere beurteilen; ich fürchte, dass ich es teilweise übertrieben habe). Du bist auf jeden Fall im Bereich der Absurdität gelandet; ob Du das wolltest oder nicht, kannst Du uns ja gelegentlich verraten.

Fazit: absurde Parabel, der es etwas an Tiefe fehlt.

Uwe
:cool:

 

Hi Uwe!

Soll ich ganz, ganz, ganz, ganz ehrlich sein?
Ich wollte einfach mal den Bogen so richtig überspannen.
Ohne Rücksicht auf logische, inhaltliche oder tiefsinnige Verluste. :D
Differentialdiagnostisches Schreiben, sozusagen.
War eine sehr interessante Erfahrung, die ich nur jedem empfehlen kann.
Wenn man mal so richtig die Sau des Wahnsinns rauslassen kann, sieht man nachher "normale" Geschichten in einem ganz neuen Licht.

Um den dreistufigen Aufbau kommt man beim besten Willen nicht herum.
Klar, deine Geschichte zielt auf eine praktkable Lösung. Meine ist eine Geschichte, um der Geschichte willen, dag ich mal.

Zum Tiefgang muss ich sagen... DU hast recht. ;)
Ich habe aber auch nie beabsichtigt irgendwas epochemachendes aus diesem Text rauszuholen. Natürlich könnte man da und dort die Ironie und Knüppel-aus-dem-Sack-Schraube noch etwas anziehen, aber irgendwie schien es mir unpassend, etwas geistreiches in eine so schräge Welt einzubauen.
Obwohl, wenn ich jetzt so drüber nachdenke... Gerade das wäre ja auch reizvoll. *grübel*
Vielleicht fällt mir ja noch ein netter Dreh ein.

Danke jedenfalls für dein Kommentar und freut mich, dass ich dich niederabsurden konnte. :D
Daher bin ich auch über etwaige Verrisse überhaupt nicht böse, weil das Ganze, wie du richtig erkannt hast, ein besserer Konzepttext ist.

lg, LE

 

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