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- 26.07.2002
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Und das was bleibt, bin ich
Du bist sehr attraktiv...oh, wie sehr bauen diese Worte doch auf. Egal, ob derjenige nur ein Foto von deinem Gesicht gesehen hat oder nicht. Denn schauen wir der Wahrheit mal ins Gesicht. Ich bin weder eine Barbiepuppe, noch könnte ich je an einem Schönheitswettbewerb mitmachen. Ich gehöre zu der Spezies, die allgemein nicht wirklich ein zu ordnen sind. Fett, pummlig, gut gebaut, schwere Knochen. So viele Ausdrücke und doch beschreiben sie nicht im mindesten das Gefühl, ich zu sein, mit diesen Blicken zu leben. So sehr zu leben, dass man an schlechten Tagen selbst einen gut gemeinten Blick als demütigend und demoralisierend empfindet. Denn was wissen diese dünnen Menschen schon. Ich weiß manchmal nicht, was ich dazu sagen soll, wenn meinen Freundin mit den Traummaßen von 1,68 m und 58 kg jammert, dass sie eine dicken Hintern hat. Sie finden das unfähr?! Das kaum ein Mensch, egal wie er gebaut ist, mit ihrer/ seiner Figur zufrieden ist?! Das jeder ein paar aufbauende Worte gut gebrauchen könnte!? Das sollte es aber nicht sein!
Zum Beispiel heute. Aufgebaut durch meinen neuen Chatpartner gehe ich zur Arbeit. Ich finde die Welt einfach wunderbar, werfe mein Haar zurück und strahle die ganze Zeit übers Gesicht. Niemand kann mir was, ich bin wunderbar! 20 Meter vor meinem Ziel kommen mir zwei Kinder entgegen. Vielleicht 14 oder 15 jahre alt, mit diesem Schlabberlock, sie wissen schon, die Hose bis zu den Knien und bloß nicht die Haare waschen! Oder zumindestens soviel Gel hinein, dass man das denken könnte! Einer von ihnen hebt die Hand, in dieser fahrigen Bewegung, die mich an eine Begrüßung direkt aus den Gettos von NY erinnert und ruft mir zu:
"Hey, du fette Sau!"
Ich weiß nicht genau, ob ich weinen, ihn verprügeln oder mich überhaupt zu erkennen geben soll. Vielleicht meint er ja jemanden hinter mir. Aber ich traue mich nicht, mich umzudrehen, denn tief in mir weiss ich es: ICH BIN FETT. Nichts spielt mehr eine Rolle. Nicht mein Bemühen, fit zu werden oder beruflich aufzusteigen. Nicht meine Anstrengungen, Ruhe zu bewahren und gute Laune zu haben. Es hat mich erwischt! Ich bin entlarvt. Passt auf, bring eure Kinder in Sicherheit, das Monster kommt! Dann ist es vorbei. Die zwei Meter Abstand sind überwunden und meine gute Laune auch. Das ist es nämlich, was meine Freundin und mich unterscheidet. Ihr sagen sie alle, dass sie toll aussieht. Bei mir schweigt man lieber, weicht mir aus oder zerstört jeden nur so kleinen Hoffnungsfunken mit so welchen Ausrufen.
Am besten gefallen mir noch die Tage, an denen es die obligatorischen Familientreffen gib. Wenn man die Personen, an die man schon das ganze Jahr nicht gedacht hat, wiedersieht und einem der Onkel sagt, dass man ja nicht so leicht vom Fleisch fallen kann, natürlich mit einem Augenzwinkern dabei. Wobei mir immer unklar ist, ob er dem ganzen die Schärfe nehmen will oder ob er sich selbst gegenüber eine Entschuldigung finden will:
'Ich hab sie zwar beleidigt, demoralisiert und das war bestimmt auch nicht nett, aber ich habe ja gezwinkert, also bin ich unschuldig'
Sie denken, ich bin verbittert, und?! Ich werde schon vom weitem verurteilt. Jedes Pfund zuviel spiegelt meinen schlechten, zügellosen und unmoralischen Körper wieder. Ich habe keine Disziplin. Und diese Klamotten. Wie kann ich mir die nur anziehen. Ich sollte doch auch mal Rücksicht auf den Betrachter nehmen! Also wirklich!
Doch sehen wir der Wahrheit wieder einmal ins Gesicht. Wer hat hier Angst, dass jemand ein falsches Bild von einem hat. Was treibt jemanden dazu, mich schief anzusehn, zu tuscheln oder mich gar zu beleidigen. Mit der Jungend kann man auch nicht alles erklären. Was bring uns dazu, mich auszuschließen wäre unehrlich, anderen so den Tag zu vermiesen. Denn das passiert nämlich. Jetzt, auch 5 Stunden danach, bin ich noch so wütend, dass meine Hände nicht aufhören können, in die Tasten zu hauen. Ist es, weil wir tief in uns eine schwarze Seele, einen kleinen Teufel, haben? Macht uns das so gemein? Oder haben wir einfach Angst? Angst vor dem, was nicht in unsere perfekte Welt passt, was anders ist oder scheint. Es ist natürlich einfacher, andere zu verurteilen, als zu hinterfragen, warum diese Person so oder so 'anders' ist. Ich tue es leider immer noch tagtäglich, obwohl ich mich bemühe, es zu ändern. Aber das bedeutet auch, seinen Weg alleine zu gehen. Denn obwohl einen seine engsten Vertrauten als das akzeptiert haben, was einen glücklich macht, ist es immer noch so, als würden diese wenigen Stimmen gegen eine Brandung ankämpfen. Fast nicht zu hören...
'Fett, dick, Sau, ich hab dich lieb, Walross, wieder zugelegt, du bist sehr attraktiv, Schwein, quillt das bei dir raus! Zieh bloß was an, was über den Arsch hängt!'
Und doch gibt es eine Stimme, die an mich glaubt. Wer ist so gnadenlos ehrlich und schummelt so hinreißend passend? Wer baut einen auf? Auf wenn kann man bauen, wenn es einem wieder einmal dreckig geht? Sicher, manchmal ist diese Stimme auch böse und redet mir ein, dass andere das vielleicht anders denken könnten. Aber das ist ja das Schöne an ihr, sie erinnert sich immer an die Momente, wo ich gut augesehen habe. Denn diese Stimme bin ich! Meine gute Laune, meine Hoffnung, meine Lebensfreude, meine Eitelkeit, mein Selbstvertrauen. Denn das möchte ich nicht verlieren. Was habe ich dann denn noch...?
Denn das was bleibt, bin ich
[ 30.07.2002, 14:27: Beitrag editiert von: Daniela Breitenstein ]