Unbeugsames Fließen
Tanzen.
Endlich wieder tanzen.
Ich dränge mich in die Menge, heute ist’s mal wieder voll. Schon beim reinkommen atme ich quasi nur noch Wasserdampf ein. Es ist heiß, stickig und voll.
An der Decke des Clubs sind in regelmäßigen abständen Lampen angebracht, die je nach Beat anders aufleuchten. Mal Rot, Grün, Blau oder Gelb. Außerdem ist die Decke vollständig mit Spiegeln ausgelegt. In der Mitte des Clubs ist die Tanzfläche, während außenherum altmodische, rote Bänke stehen. Am hintersten Tisch sitz ein älteres Ehepaar, sie sehen etwas deplatziert aus. Peinlich berührt von den Dancemoves einiger Druffigirls, spielt er an dem Etikett seiner Bierflasche herum bis er schließlich ansetzt und in einem Zug leer trinkt. Seine Frau versucht ein wenig zum tackt zu wippen, doch kommt schon nach 2 Wacklern wieder raus und lässt es dann ganz bleiben.
Schmunzelnd drücke ich mich weiter in die Menge. Um mich herum habe ich nun nur noch wippende Körper, die perfekt zum Beat springen und mich quasi mitreißen.
Zu meiner Begeisterung ist die Musik heute melodisch elektronisch, wundervolle Melodien zu den richtigen dumpfen Bässen. Bei jedem Bass lässt sich die Menge fallen und wird quasi vom Bass hinabgedrückt bevor sie sich wieder hochschraubt.
Neben mir tanzt ein jüngerer Typ von der eher unangenehmeren Sorte. Seine „Sorry I’m fresh“ Cap verdeckt seinen Millimeter Boxerhaarschnitt. Der Kurzhaarschnitt soll wahrscheinlich seinen akribisch trainierten Stiernacken hervorheben. Sein, nur aus Muskeln bestehender Oberkörper steckt in einem Muskelshirt. Durch die maximal freie Haut bekommen die umstehenden auch den maximalen Anteil seines Schweißes ab, weswegen sich jeder versucht weg zudrücken, was wiederum zu Folge hat, dass er nach rückt und die andern zurück drücken.
Irgendwie bin ich genau zwischen 2 solcher Kerle mit Stiernackenkommando geraten. Ohne mich zu beachten, drücken beide gegen mich. Ich bekomme keine Luft mehr und schreie auf, aber bei dem Bass hat das keinen Sinn.
Sie Drücken sich mit ihren Körper gegen mich, sodass ich ihre volle Ladung an Schweiß abbekomme. Jetzt läuft mir nicht nur mein eigener Schweiß in Sturzbächen den Körper hinab, sondern auch noch den von den zwei Bodybuilder Pasteten.
Und auf einmal werde ich zu Wasser zerquetscht. Die beiden Typen knallen gegeneinander und ich falle wasserfallartig zu Boden.
Zuerst bilde ich eine Pfütze, doch durch die vielen Füße werde ich in alle Richtungen verstreut. Ich fließe vorbei an den neusten Nike Sneakern, den angeranzten Vans oder widerlich spitzen Stöckelschuhen. Immer wieder tritt jemand auf mich drauf wodurch ich immer weiter nach außen fließe. Irgendwie kann ich mich steuern, ich kann fließen.
Ich fließe langsam Richtung Ausgang, vorbei an der Theke, wo sturzbesoffene mit der Barfrau diskutieren und dabei fast von ihren Barhockern fliegen.
Langsam lasse ich mich die Treppe hinab tropfen. Um nicht an Masse zu verlieren, muss ich langsam die Treppe hinab tropfen. Unten angekommen glotzt mich der Türsteher ungläubig an. Schnell versuche ich an ihm vorbeizufließen.
Draußen regnet es in strömen. Ohne nachzudenken fließe ich nach draußen.
Bevor ich es realisiere bin ich zerteilt in tausend Stücke, fließe in tausend Richtungen.
Ich kann mich nicht selbst wieder erkennen. Ich sehe aus wie jeder andere Regentropfen, ich fließe wie jeder andere, ich bin kein Individuum, ich bin einer von vielen.
Unbedeutend. Klein. Unscheinbar.