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Unberührbar
Jetzt steht er vor mir – drahtig und entschlossen. Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Trotzdem fasziniert mich diese Gestalt. Ohne Gesicht und ohne Gnade bringt er den Tod. Der Tod ist sein Geschäft. Ich versuche meine Augen von ihm abzuwenden. Und doch haben wir viel zu besprechen - viele Fragen müssen beantwortet und viele Details geklärt werden. Nervös war ich schon seit mir der Meister die Aufgabe übertragen hat. Das Werk muss seinen Anfang finden. Alles muss so geschehen, dass der Henker seiner hehren Pflicht nachkommen kann. Das Werkzeug muss in höchster Perfektion der Hand dienen, die es führt.
Schon oft bewiesen sich meine Schwerter im Kampf. Im Kampf Mann gegen Mann. Ritterlich und fair. Keine Keulen und Schnabelhämmer sind es, die unsere Schmiede verlassen, sondern dem edlen Kampf dienende Waffen. So wertvoll, dass ich mir in zwei Leben keines leisten würde können. Die Aufnahme in die Gilde steht bevor. Nun muss ich mich beweisen. Ein Werkzeug des Todes wird es sein, das verlässlich zu dienen hat.
Mit dem Zirkel nehme ich Arm- und Fingerlängen des Henkers – bedacht, ihm nicht näher als notwendig zu kommen, und ihn auf keinen Fall zu berühren. Schwer habe ich gerungen, ob ich dem Auftrag gewachsen bin. Eine Waffe zu schmieden ist das Eine, ein Richtwerkzeug zu erschaffen das Andere. Eine Waffe dient dem Kampf, ein Richtwerkzeug dient der Obrigkeit. Beide dienen dem Tod.
Den armen Sünder hängen zu sehen scheint zu gewöhnlich. Hinrichtungen mit blutiger Hand sollen die Beutel der Edlen füllen. Die Gräuel der Zeit haben die Menschen stumpf werden lassen.
Das Volk verlangt Abwechslung.
Das Volk verlangt Ablenkung.
Das Volk will unterhalten werden.
Man muss dem Volk etwas bieten.
Alle lechzen nach Blut und das Gold glänzt verführerisch.
Die Obrigkeit hat diesem Wunsch Rechnung getragen und dem Scharfrichter den Auftrag erteilt, ein Richtschwert in Auftrag zu geben. Die beste Ware beim besten Schmied.
Damit auch hierorts mehr Leute der Hinrichtungen beiwohnen.
Damit auch hierorts mehr Blut fließt - und mehr Geld.
Die Staatskassen sind leer. Darum soll das Blut dem Gold dienen. Darum soll die Neuerung des Enthauptens mit dem Schwert Einzug halten.
Der Anger ist schon Tage vor der Hinrichtung voll mit fahrendem Volk. Der Tross ist gewaltig. Für jeden ist etwas dabei. Alle Geschmäcker, seien sie auch noch so abartig, werden bedient. Das Geld regiert und das Grauen verkauft sich gut: Vor Zauber schützender Tand, Ablassbriefe für die ganz Gläubigen, Tücher mit dem Blut der Gehängten, Fingerknochen für den Geldbeutel - all das soll hier den Besitzer wechseln. Seltene Düfte von unbekannten Gewürzen, Tees und Rauchwaren durchziehen die Gassen. Allerlei Darbietungen und Vergnügungen biedern sich an.
Am Richtplatz angekommen, erwartet mich die Hauptattraktion. Ein entstellter Krüppel wird unter derbem Gejohle vorgeführt. Eine Mischung aus gieriger Erwartung und offen zur Schau gestellter Erregung beherrscht die Masse. Und das Verlangen nach Abwechslung - das Verlangen nach Blut.
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Breit und lang liegt sie vor mir. Schön anzuschauen ist sie. Wohlige Schauer laufen mir über den Rücken. Die Klinge ist wohl gelungen; nun werde ich sie zur Vollendung bringen!
Den Knauf habe ich gering ausgelegt, damit er die Wucht des Hiebes nicht zähmt. Das untere Ende der Klinge habe ich gerundet und drei Löcher in sie geschlagen. Niemand soll dieses Werkzeug als Waffe missbrauchen können. Den Griff umwickle ich traditionell mit gedrehtem Silber. Die Parierstange ist kurz und schmal; eher Zier als Handschutz. Kein anderes Schwert soll diese Klinge je kreuzen. Bei der Wahl der Gravur hat mir der Henker freie Wahl gelassen. Bedächtig und konzentriert meißle ich den kalten Stahl.
"When ich thu dis Schwert erheben, schenk ich dem Sünder das evge Leben"
Die ersten Buchstaben gehen leicht von der Hand. Span um Span frisst sich der Meisel in das Eisen. Geduldig zieht sich die Arbeit über die Stunden.
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Der fremde Geruch mahnt zur Vorsicht. Allerlei Beutelschneider und Diebesgesindel mischen sich unters Volk. Die Art von Lärm bin ich nicht gewohnt. Ich bin ein Mann der Tat. Ich bin ein Schmied. Das Sammelsurium der Eindrücke lässt mir das Blut schneller werden. Ein Zahnloser zerrt mich in ein Zelt, in dem zwei Zwerge einen Affen in Ketten vorführen und mit Prügel auf ihn einschlagen. Laut schreit die gequälte Kreatur und setzt sich erneut zur Wehr. Mir ist nicht nach Kuriosität. Ich löse mich und gehe meines Weges.
Keine drei Armlängen neben mir poltert der Karren vorbei. Gerade zur rechten Zeit habe ich mich eingefunden. Der arme Sünder wird zum Richtplatz gebracht. Die Schergen prügeln ebenfalls auf ihn ein - warum dann im Zelt dafür zahlen?
Zwei Schergen stützen den Verurteilten. Zur sehr hat ihn die peinliche Befragung und die Prügel während des Transportes geschwächt. Hoffentlich hält er bis zur Hinrichtung durch.
Stille. Schlagartig verstummt jedwedes Geräusch. Nur vereinzeltes Greinen von Kindern und Siechen ist zu hören. Ich sehe in erwartungsvolle Gesichter, als der Büttel das Urteil verkündet. Meine Gedanken derweil sind andere:
Die erste Hinrichtung mit blutiger Hand.
Die erste Hinrichtung mit dem neuen Richtschwert.
Die erste Hinrichtung mit dem von mir erschaffenen Werkzeug.
Rundherum setzt nach der Verlesung der Lärm wieder ein. Ein Raunen geht durch die Menge, als der Henker das Schafott betritt. Mit einer ausladenden Geste lüpft er das Tuch und bietet der jubelnden Menge das Schwert dar. Gegen alle vier Himmelrichtungen präsentiert er das todbringende Instrument und die Menge jubelt in erregter Vorfreude.
Auf dem Richtplatz wirkt er größer als in der Werkstatt. Vom Blut getränkt ist seine Kutte. An Schweinen soll er sich versucht haben, heißt es. Um das Schwert beim großen Spektakel mit sicherer Hand zu führen. Zehn Hiebe und mehr waren bei ungeübten, mit der Anatomie nicht vertrauten Todesknechten schon von Nöten, um einem Verurteilten den Kopf zu nehmen. Eine Schande ist das für diesen Berufszweig. Sind doch unter den vielen Säufern und Abdeckern auch Könner am Werk.
Mit dem ersten Hieb muss es vollbracht sein. Das ist er mir schuldig, der Unberührbare. Was er in Händen hält, habe ich erschaffen. Tadellos hockt es in seiner Hand, perfekt verlängert es den todbringenden Arm. Eine morbide Vorstellung liefert er schon jetzt. Immer wieder schwillt das Gejohle der Menge an, wenn er das Schwert in Richtung des Verurteilten schwingt. Großes Können und viel Übung zeigt er beim waagrechten Schlag. Exakt im neunzig Grad Winkel führt er den tödlichen Schlag vor. Als er in meine Richtung blickt, deutet er eine Verbeugung an. Ich erwidere seine Geste und neige mein Haupt ebenfalls. Die Leute mustern mich staunend. Im Augenwinkel nehme ich die offenen Münder wahr.
Der Schmied! - raunt es verhalten durch den Pöbel. Die meisten überrage ich um einen Kopf. Die Schultern sind breit geworden in den letzten Jahren. Erst jetzt bemerke ich meine rußverschmierten Arme; gleich von der Schmiede aus bin ich zur Richtplatz geeilt. Diese Mal will ich rechtzeitig vor Ort sein. Rechtzeitig um mein Werkzeug zu ehren. Durch die lederne Gesichtsmaske funkeln seine Augen. Ich halte dem Blick stand. Nun weiß er, dass ich ihn begleite. Nicht nur mein Richtschwert, auch er durchläuft heute eine Prüfung.
Seine erste Hinrichtung mit blutiger Hand.
Wieder ein Aufschrei des Publikums, als er hinter dem armen Sünder Stellung bezieht. Nun folgt der Auftritt des Pfaffen. Wieder wird es still. Obwohl keiner das Latein versteht, blicken doch alle betroffen zu Boden. Der Anschein zählt. Der Geistliche bekreuzigt sich.
Stille. Kein Geräusch stört die feierliche Zeremonie.
Das peinliche Verhör hat den Verurteilten gezeichnet. Die herausgerissene Zunge und die abgetrennten Hoden hängen an einem Riemen um seinen Hals. Blutige Furchen an Kinn und Brust zeugen vom Gebrauch der Ketzergabel. Blutüberströmt ist auch der Unterleib vom Spreizen. Unzucht hat der Sünder begangen. Einige Knaben des Ortes sind befragt worden. Die Lichtesten sollen sie nicht gewesen sein. Und was gesagt und aufgeschrieben wurde, weiß nur der Inquisitor. Die stumpfen Augen des Verurteilten sind der Beweis der erwiesenen Gnade. Die Kundige soll ihn besucht und mit allerlei Kraut die Schmerzen gedämpft haben. Da hat sich die Obrigkeit nicht lumpen lassen. Nicht dass den Verurteilten zu früh die Kraft verlässt – und am Ende die Hinrichtung nicht dem Protokoll folgend - vollendet werden kann.
Ein Schwall schwarzes, halbverdautes Blut speit der Verurteilte aus und besudelt damit des Pfaffen Kruzifix. Wie lange mochte er das Würgen schon unterdrückt haben? Die Menge zeigt sich entsetzt. Was für eine Gottlosigkeit! Wütend schlägt der Pfaffe dem Delinquenten das Kruzifix mehrmals kräftig ins Gesicht, wischt es an dessen Hemd notdürftig ab und zieht mit beleidigter Miene von dannen. Was für eine Gottlosigkeit! Was für eine Schweinerei! Stundenlang wird der fromme Kirchenmann das schöne, goldene, mit Steinen reich verzierte Sakral nun reinigen müssen.
Die Buhrufe verstummen, als die Schergen die Folterinstrumente präsentieren. Jubelrufe sogar von den Kindern, als Brand- und Spreizeisen, Gelenksschrauben und der Zungenreißer hochgehalten und symbolisch vorgeführt werden. Wahrliche Meisterstücke der Plattnerzunft und der Harnischmacher sind diese Objekte! Ich wende mich ab und gehe in ein Hurenzelt. Eine Rothaarige grinst mir am Eingang entgegen. Noch fast alle Zähne hat sie, obwohl sie sicher schon dreißig Lenze zählt. Ich gebe ihr den Obolus und besteige sie. Sie ist es gewohnt, hart genommen zu werden. Wortlos schiebe ich sie danach beiseite und verlasse das Zelt. Was sind diese Bedürfnisse doch kurzweilig!
Sofort werde ich wieder Teil der grölenden Masse. Auf dem Richtplatz geben Feuerschlucker eine Darbietung. Gekonnt schockieren sie die Menge mit meterhoch gespienen Feuerlanzen. Ein Trommelwirbel kündet den kommenden Höhepunkt an. Bis jetzt hatte der Henker Gelegenheit, die Anatomie des Verurteilten zu studieren. Trifft er einen Wirbel oder gar die Schulter wird er wohl mit Schimpf und Schande seines Amtes enthoben werden. Die Glocken läuten nun ebenfalls. Machtdemonstration der Kirche. Mit festem Schritt nähere ich mich der Hinrichtung. Wohlan – lasst es geschehen!
Stille. Glocken und Trommeln verstummen. Kein Vogelgezwitscher, kein Räuspern, nicht einmal der Wind stört diesen weihevollen Moment. Die Stille ist spürbar, dumpf und voll aufgeladener Spannung.
Stille. Totenstille. Die Welt hat aufgehört zu atmen. Der Henker bringt das Schwert in waagrechte Positur. Im Halbkreis schneidet die Klinge die Luft. Aufrecht mit verbundenen Augen kniet der arme Sünder und ergibt sich seinem Schicksal.
Verlangsamt nehme ich das grausige Geschehen wahr. Ich sehe die heraustretenden Adern des Verurteilten, meine, seinen Schweiß riechen zu können. Sein Blick geht ins Leere. Mühelos dringt die Klinge durch Haut, Fleisch und Mark. Kein ausgefranster Schnitt. Alles glatt durchtrennt; so glatt, dass der abgeschlagene Kopf am Rumpf ruhen bleibt. Ich habe auch beim Schleifen ganze Arbeit geleistet.
Ein wahrlich gekonnter Hieb. Henker und Schwert haben die Feuertaufe bestanden. Kein Blut dringt aus der Schnittstelle. Noch immer scheint die Welt ringsum eingefroren. Kein Ton dringt an mein Ohr. Der Henker fasst den Schädel des Hingerichteten am Schopf und hält ihn in die Menge. Die Augen des Geköpften blicken ungläubig und seine Lippen formen unhörbare Worte. Ich sehe weit aufgerissene Münder und gierige Fratzen. Erst jetzt passiert es. In pulsierenden Tiraden ergießt sich der rote Lebenssaft des Sünders über Schergen, Henker und Schafott. Erst jetzt nehme ich den gewaltigen Lärm der Meute wieder wahr. Die Welt erwacht in grausiger Ekstase.
Ein wahrlich ohrenbetäubender Lärm! Was für ein gelungen Spektakel! Die Menschen drängen zum Toten, um ein paar Tropfen des Lebenssaftes abzubekommen. Ist billiger als nachher die blutgetränkten Tücher beim Henker zu kaufen!
Der Körper des Toten fällt nach vorne. Die Welt um mich versinkt in einem lustvollen, roten Rausch. Die vorher körperlich spürbare Spannung weicht einer dumpfen Gelöstheit. Wie war doch der Tag gelungen! Es werden noch viele Köpfe rollen. Allein der leeren Kassen wegen. Ich wende mich ab und gehe nach Hause. Noch nach hundert Schritten vernehme ich das Gejohle.
Es ist vollbracht, die Menge hat bekommen was sie verlangt.
Es ist vollbracht, der Edlen Beutel haben sich gefüllt.