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Unbehagen

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22.07.2018
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Unbehagen

Unbehagen

Man kennt sich. Schließlich wohnt man ja schon über zehn Jahre Wand an Wand in der Mietskaserne in Hamburg-Dulsberg. Manchmal trifft man sich auf dem Flur, quatscht miteinander, lästert über den Vermieter, den blöden alten Sack. Manchmal geht man auch mal ein Bier trinken, drüben beim „Dithmarscher Grill“. Und meist futtert man auch eine super-leckere Currywurst oder eine von den hausgemachten Frikadellen, mit Fritten, Ehrensache. Dann läuft im Sportkanal ein Spiel und man ergeht sich in Fachsimpeleien.

Dann wieder sieht man sich eine Weile nicht. Klar, man hat ja auch noch anderes zu tun.

In der Wohnung des Anderen war man noch nie. Wozu auch? Er hat kein Haustier, das man mal versorgen müsste, wenn er nicht da ist. Und Pflanzen hat er erst Recht keine. Das weiß man, weil er´s mal erwähnt hat, unten im Flur bei den Briefkästen. Blumen und so´n Gedöns, das wäre was für Frauen, hat er gesagt. Und weil seine schon vor langer Zeit abgehauen sei, müsse er sich nicht damit rumplagen. Dann lachte er, laut und dröhnend. Scheiß‘ auf die Weiber, hatte er gesagt. Man nickte, klar, war einem ja auch so ergangen.

Dann wieder: Funkstille. Nichts. Sogar sein Fernseher, der immer laut vor sich hin plärrte, bleibt stumm. Man denkt kurz darüber nach, aber dann fängt der Tatort an. Spannend bis zum Schluss. Und komisch, der Professor und der leicht tölpelige, dicke Kommissar. Haha!

Die Tage fließen so dahin. Man hat zu tun. Den Geruch nimmt man kaum war. Ja sicher, schließlich war man jahrzehntelang Raucher und hat sich die Geruchsrezeptoren gründlich versaut.

Irgendwann wird`s wieder besser. Sogar die Zicke von oben links meckert nicht mehr, wenn sie durch den Flur schleicht, um sich eine neue Buddel Schnaps zu organisieren. Man denkt sich: Wenn die so weitermacht… Und schon ist wieder was anderes. Man hat zu tun.

Dann, eines Tages an der Tür. Ob man wisse, was mit dem nebenan sei? Man runzelt die Stirn. Nee, wieso? Der habe schon ewig seine Post nicht mehr aus dem Briefkasten geholt. Man denkt: Post? Der hat doch nur das Wochenblatt und den üblichen Werbedreck bekommen. Hat er mal gesagt. Vor wie langer Zeit eigentlich?

Man überlegt. Man geht mit dem Hausmeister zur Nebentür. Man klopft. Man lauscht. Man sieht den Hausmeister ratlos an. Vielleicht im Urlaub? Ja, vielleicht. Oder…? Oder was? Man liest ja Zeitung, die Mopo. Da steht manchmal so was drin.

Fast ein halbes Jahr hat der Andere in seiner Wanne gelegen. Herzinfarkt, aus die Maus. Als sie ihn fanden, war das Wasser verdunstet und der Körper zur Mumie verschrumpelt.

Man schüttelt den Kopf. Wie konnte das nur passieren? Dann geht man ins Wohnzimmer. Gleich kommen die Nachrichten. Als man sich setzt, spürt man einen Schmerz im linken Arm. Unbehagen macht sich breit.

 

Hej @Sven B. und herzlich willkommen,

deinen Text habe ich gelesen, weil er kurz ist. Ich sage das so unverblümt, denn gleich zu Beginn mit deinem ersten Satz

Man kennt sich.

wird mir klar, das ist eine recht unpersönliche Geschichte, die in Andeutungen und Oberflächlichkeiten verharrt. Ich lese lieber ausgeschriebene Geschichten, bei denen ich etwas zu den Protagonisten aufbauen kann. Egal ob Sympathie oder Antipathie.
Die Thematik ist natürlich allemal eine Geschichte wert, aber in dieser Form passt sie zwar zum gleichgütigen, beliebigen Miteinander in einem handelsüblichen Nullachtfünfzehn-Mietshaus, aber so recht emphatisch kann ich eben nicht werden. Mit niemandem.

Du hast interessante Anhaltspunkte, wie die „entlaufende“ Frau, nicht vorhandene Pflanzen und Haustiere, dein Stil ist flapsig und erinnert mich eher an den Plauderton ausm Dithmarscher Grill ;). In einer Geschichte nach meinem Geschmack hätte ich es gerne wortreicher.

Das ist der Leseeindruck eines Leserleins und ein freundlicher Gruß achtern, ;) Kanji

 

Hi @Sven B. und willkommen hier!

Und meist futtert man auch eine super-leckere Currywurst oder eine von den hausgemachten Frikadellen, mit Fritten, Ehrensache.

super-lecker würde ich streichen, passt für mich irgendwie nicht. Geschmackssache (Wortwitz unbeabsichtigt ;) )


Wenn die so weitermacht…

Leerzeichen vor Dreipunkt

Dann, eines Tages an der Tür. Ob man wisse, was mit dem nebenan sei?

Hier solltst du noch in einer Ellipse sagen, wer da draußen steht. Hab zuerst an die Polizei gedacht, man ahnt ja schon, wie der Hase läuft. Erst im nächsten Absatz finde ich erst heraus, dass es der Hausmeister war, das kannst du einfach nach oben schieben und dann z.B. "gemeinsam" schreiben.

Dein Text hat mir gut gefallen, weil der abgehackte Stil direkt das im Titel enthaltene Unbehagen hervorruft. Gut, man kann sich ja denken, was kommt.

Allerdings passt für mich die Anonymität ("man kennt sich") nicht mit den konkreten Nomen ("Mopo", "Hamburg-Dulsberg") zusammen. Entweder du formulierst so, dass es wirklich jederzeit, jederorts und jedem passieren könnte, dann bleib strikt bei der Anonymität. Oder aber du schmückst die Geschichte aus, gibst deinen Figuren Gesichter und Eigenheiten, Leben. Für mich mischst du hier zwei Stile, die gegensätzlich sind. Verstehst du, was ich meine?

Unterm Strich hat es mir gut gefallen und über deine Anmerkung zum Text musste ich schmunzeln, toll!

Viele Grüße und viel Spaß bei den Wortkriegern!
Dein @Salomon

 
Zuletzt bearbeitet:

Man kennt sich. Schließlich wohnt man ja schon über zehn Jahre Wand an Wand in der Mietskaserne in ...

beginnt Deine Geschichte im „man-Modus“. Aber was bedeutet dieses „man“ denn eigentlich?

Am interessantesten für mich ist es als Adverb („das kann ich man eben nicht so recht begreifen“, Matthias Claudius), das nahe beim mhd. „wan/de“ liegt (nhd. „außer, ausgenommen; aber; wenn nicht“, Du siehst, da noch als Konjunktion und Adverb), tatsächlich aber verwendestu es als Pronomen, das aus dem „Mann“ gebildet wurde – als Indefinitpronomen, dass den einzelnen wie alle Menschen umfasst – kurz, alles und nichts, der personifizierte namenlose Jedermann, zu dem dann das gleichermaßen alles und nichts umfassende „manchmal“ passt, das gleichermaßen auch „manchmal eben nicht“ beinhaltet.

Anonymität richtet nicht nur im Netz einiges Unheil an, was Unbehagen erzeugt. Wie viel mehr unter Nachbarn, wo der Tratsch und die Gerüchteküche im Treppenhaus wie Aufzugschacht köcheln – hautnah und doch so fern.

Ob die angerissene Geschichte des linken Arms die Spannung steigert, wag ich zu bezweifeln. Manchmal ist es bedeutsam, manchmal eben nicht. Man muss nicht alles überbewerten.

Und dann doch eine Anmerkung jenseits des Allgemeinen:

Man denkt sich: Wenn die so weitermacht[...]… Und schon ist wieder was anderes. Man hat zu tun.

Wie kann man „sich" denken? Selbst der Jupp von nebenan braucht kein Reflexivpronomen, um was auch immer zu denken. Jupp weiß, dass er ist! Er, sie, es, alle denken schlicht dies und das. "Man" aber denkt "sich"! Wer „sich“ denkt spiegelt oder tummelt sich in Philosophie. Ich kneife mich, weil es gerade kein anderer tut und ich was fühlen/spüren will …

Und Du siehst, wie hier die Auslassungspunkte auf Distanz zum vorhergehenden Wort (tun) gehen, behaupteten sie doch direkt am Wort, dass dort zumindest ein Buchstabe fehle. Da käme ich nie drauf ... Also besser eine Leerstelle zwischen letztem Buchstaben des vorhergehenden Wortes und dem ersten Auslassungpunkt. (Kommt öfters vor, musstu selbst schauen).

Aber im anderen Falle wäre die Ästhetik des Apostrophs weitaus rationeller und sparsamer.

Nun, überm Schreiben hat man/hab ich Dich nicht vergessen und darum

herzlich willkommen hierorts!,

Sven B.

 

Hi @Sven B. und willkommen hier!

super-lecker würde ich streichen, passt für mich irgendwie nicht. Geschmackssache (Wortwitz unbeabsichtigt ;) )


Leerzeichen vor Dreipunkt

Hier solltst du noch in einer Ellipse sagen, wer da draußen steht. Hab zuerst an die Polizei gedacht, man ahnt ja schon, wie der Hase läuft. Erst im nächsten Absatz finde ich erst heraus, dass es der Hausmeister war, das kannst du einfach nach oben schieben und dann z.B. "gemeinsam" schreiben.

Dein Text hat mir gut gefallen, weil der abgehackte Stil direkt das im Titel enthaltene Unbehagen hervorruft. Gut, man kann sich ja denken, was kommt.

Allerdings passt für mich die Anonymität ("man kennt sich") nicht mit den konkreten Nomen ("Mopo", "Hamburg-Dulsberg") zusammen. Entweder du formulierst so, dass es wirklich jederzeit, jederorts und jedem passieren könnte, dann bleib strikt bei der Anonymität. Oder aber du schmückst die Geschichte aus, gibst deinen Figuren Gesichter und Eigenheiten, Leben. Für mich mischst du hier zwei Stile, die gegensätzlich sind. Verstehst du, was ich meine?

Unterm Strich hat es mir gut gefallen und über deine Anmerkung zum Text musste ich schmunzeln, toll!

Viele Grüße und viel Spaß bei den Wortkriegern!
Dein @Salomon

Hi Salomon,

ganz herzlichen Dank für die Blumen und die wirklich hilfreichen Anmerkungen. Ich habe die Geschichte noch mal überarbeitet und sie gefällt mir besser als zuvor, weil sie jetzt in sich stimmiger ist. Mein Sohn hatte mir ja schon gesagt, dass ich mich auf gutes und vor allem ehrliches Feedback freuen kann.
Ich bin gespannt, ob Dir meine anderen Geschichten auch gefallen könnten. Mal schauen.
Herzliche Grüße Sven

 

Hi Sven,

Ich bins noch mal. Du sagst, du hast die Geschichte überarbeitet? Der Text hier im Forum ist aber nicht aktualisiert. Wenn du magst, kannst du gerne den Text hier bearbeiten und deine Überarbeitungen zeigen, wie es hier üblich ist. (Sofern sich das mit dem neuen Design nicht geändert hat, was ich bezweifle.) Mich würde es durchaus interessieren, wie du die neuen Ideen umgesetzt hast!

Schön, wenn die Anmerkungen hilfreich für dich waren!

Viele Grüße,
@Salomon

 

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