Unbehagen
Unbehagen
Man kennt sich. Schließlich wohnt man ja schon über zehn Jahre Wand an Wand in der Mietskaserne in Hamburg-Dulsberg. Manchmal trifft man sich auf dem Flur, quatscht miteinander, lästert über den Vermieter, den blöden alten Sack. Manchmal geht man auch mal ein Bier trinken, drüben beim „Dithmarscher Grill“. Und meist futtert man auch eine super-leckere Currywurst oder eine von den hausgemachten Frikadellen, mit Fritten, Ehrensache. Dann läuft im Sportkanal ein Spiel und man ergeht sich in Fachsimpeleien.
Dann wieder sieht man sich eine Weile nicht. Klar, man hat ja auch noch anderes zu tun.
In der Wohnung des Anderen war man noch nie. Wozu auch? Er hat kein Haustier, das man mal versorgen müsste, wenn er nicht da ist. Und Pflanzen hat er erst Recht keine. Das weiß man, weil er´s mal erwähnt hat, unten im Flur bei den Briefkästen. Blumen und so´n Gedöns, das wäre was für Frauen, hat er gesagt. Und weil seine schon vor langer Zeit abgehauen sei, müsse er sich nicht damit rumplagen. Dann lachte er, laut und dröhnend. Scheiß‘ auf die Weiber, hatte er gesagt. Man nickte, klar, war einem ja auch so ergangen.
Dann wieder: Funkstille. Nichts. Sogar sein Fernseher, der immer laut vor sich hin plärrte, bleibt stumm. Man denkt kurz darüber nach, aber dann fängt der Tatort an. Spannend bis zum Schluss. Und komisch, der Professor und der leicht tölpelige, dicke Kommissar. Haha!
Die Tage fließen so dahin. Man hat zu tun. Den Geruch nimmt man kaum war. Ja sicher, schließlich war man jahrzehntelang Raucher und hat sich die Geruchsrezeptoren gründlich versaut.
Irgendwann wird`s wieder besser. Sogar die Zicke von oben links meckert nicht mehr, wenn sie durch den Flur schleicht, um sich eine neue Buddel Schnaps zu organisieren. Man denkt sich: Wenn die so weitermacht… Und schon ist wieder was anderes. Man hat zu tun.
Dann, eines Tages an der Tür. Ob man wisse, was mit dem nebenan sei? Man runzelt die Stirn. Nee, wieso? Der habe schon ewig seine Post nicht mehr aus dem Briefkasten geholt. Man denkt: Post? Der hat doch nur das Wochenblatt und den üblichen Werbedreck bekommen. Hat er mal gesagt. Vor wie langer Zeit eigentlich?
Man überlegt. Man geht mit dem Hausmeister zur Nebentür. Man klopft. Man lauscht. Man sieht den Hausmeister ratlos an. Vielleicht im Urlaub? Ja, vielleicht. Oder…? Oder was? Man liest ja Zeitung, die Mopo. Da steht manchmal so was drin.
Fast ein halbes Jahr hat der Andere in seiner Wanne gelegen. Herzinfarkt, aus die Maus. Als sie ihn fanden, war das Wasser verdunstet und der Körper zur Mumie verschrumpelt.
Man schüttelt den Kopf. Wie konnte das nur passieren? Dann geht man ins Wohnzimmer. Gleich kommen die Nachrichten. Als man sich setzt, spürt man einen Schmerz im linken Arm. Unbehagen macht sich breit.