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umsonst...

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04.06.2010
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umsonst...

umsonst...

Die Kameras beobachteten ihn aus toten Augen, er konnte ihre Blicke auf sich spüren. In Embryohaltung zusammengekauert, lag er hustend und Wasser erbrechend auf dem Boden, inmitten von Schläuchen, Drähten und Nährflüssigkeit. Über ihm ragte sein nun leerer Tank auf. Dampf wogte aus dem Inneren hervor und verflüchtigte sich im Raum.
Jemand hatte die Aufwachsequenz hervorgerufen, aber wo war dieser Jemand und warum zur Hölle fühlte er sich so dreckig? Natürlich, der verdammte Lungenkrebs, er erinnerte sich wieder, wegen dem hatte er sich doch überhaupt erst dazu überreden lassen, in die Kühlkammer zu steigen. Vorsichtig und mit zitternden Armen setze er sich auf und unter heftigen Husten spuckte er Gewebe und Blut auf den Boden. Er fragte sich, wieso er sich, statt wohlbehütet in einem weißen, nach Stärkemittel duftenden Krankenbett aufzuwachen, auf dem metallenen Boden eines riesigen Tanklagers wiederfand, allein ohne eine Menschenseele an seiner Seite. Eins stand jedenfalls fest, er hustete bis ihm die Tränen kamen, wenn er nicht bald jemanden fand, dann hatte er nicht mehr lange zu leben. Seine zerfressenen Lungen hatte die Zeit in der Kühlkammer jedenfalls nicht geheilt.
Er erhob sich langsam auf seine Knie und betrachtete die Kammer in der er sich befand. Etwa 100 Meter lang, erstreckten sich auf beiden Seiten stahlgetäfelte Wände, an denen sich Kryotanks reihten. Er glaubte, dass sich etwa 150 in der Halle befinden mochten. Vorsichtig begann er damit die Schläuche, die ihn noch mit dem Tank verbanden, zu lösen und erhob sich darauf vollends auf seine noch schwachen Beine. An einigen der Tanks leuchteten Lampen und Anzeigen, Andere waren dunkel. Die die leuchteten, stellten die einzige Lichtquelle in der sonst dunklen Halle dar. In sämtlichen Tanks lagen Menschen. Einst in Sekundenbruchteilen erstarrt, schliefen sie vor sich hin. Natürlich handelte es sich vielmehr um eine Stasis als um Schlaf, künstlich herbeigerufen durch schock gefrieren des Körpers. Zu der Zeit als man ihn einfror, tat man so etwas nur mit den hoffnungslosesten Fällen, da man damals noch keine Möglichkeit gefunden hatte, einen gefrorenen Körper ohne Schäden aufzutauen. Man war aber doch voller Hoffnung gewesen, dass dies in nicht allzu ferner Zukunft möglich werden würde. Er erinnerte sich an den Vortrag des Kryotechnikers, der ihn über die Risiken aufgeklärt hatte. Tatsächlich hatte er damals nicht die Hälfte dessen verstanden, was der Mann ihm so euphorische vorgetragen hatte, nur irgendetwas von spitzen Eiskristallen die sich beim Auftauen bilden, aber wann war eigentlich damals? Wieder betrachtete er die Tanks, als könnten die Menschen darin plötzlich aufwachen und ihm erzählen, was passiert war, seit man ihn wie übrig gebliebenen Eintopf eingefroren und verstaut hatte. Aber sie lagen nur still in ihren Tanks, vermutlich beseelt von der Hoffnung eines Tages geweckt und von ihrer unheilbaren Krankheit, mit fortgeschrittenerer Technologie, doch noch befreit zu werden.

Seine Muskeln zuckten unkontrolliert und warmer Urin lief sein Bein hinab. Nach dem langen Schlaf erlangte er nur langsam die Kontrolle über seinen Körper zurück. Obwohl er vollkommen nackt war fror er nicht, es war sogar angenehm warm in dem Gebäude, hieß das nicht, dass irgendjemand die Temperatur regulieren musste? Oder aber er befand sich viele Meter unter der Erdoberfläche, dort war es immer warm und das Fehlen von Fenstern lies diesen Schluss durchaus zu. Eigentlich war es unwichtig, er war aufgewacht und jemand musste dafür verantwortlich sein! Langsam schritt er die linke Reihe der Kryotanks ab, bis er plötzlich die Augen aufriss und vor einem der Tanks auf die Knie sank. Die Anzeigen waren schwarz und in seinem Inneren spannte sich pergamentartige Haut über einem grinsenden Schädel. Eingetrocknete Augen blickten ihn aus viel zu großen Höhlen an. Eine Kryoleiche! Was war passiert, wieso hatte niemand den Toten entfernt? Als er sich umsah erkannte er, dass es sich nicht um die einzige handelte. Tatsächlich glaubte er, überall dort wo keine Armaturen mehr brannten, grinsende Schädel unter den Scheiben zu erkennen. Ein Schaudern durchlief ihn. In diesem Moment entdeckt er in der Mitte der Reihe einen offenen Tank. Schläuche lagen davor auf dem Boden, inmitten einer Pfütze kalter Nährflüssigkeit. Dort hinten war noch einer! Er erkannte weitere offene Be-hälter, überall in der Halle. Es schien so, als sei er doch nicht der Einzige, den sie zurückgeholt hatten, aber wo waren die Anderen? Außerdem verwirrte ihn, dass er nur vor dem einen Tank Reste von Nährflüssigkeit entdeckte, wie lange waren die anderen Tanks schon offen?
Unter einem plötzlichen Hustenkrampf wandte er sich ab und schritt zielgerichtet auf die einzige Tür des Raumes zu, die er soeben ausgemacht hatte. Als er sie erreichte, musste er erneut schrecklich Husten, wieder spuckte er Blut. Es gab keine Zeit zu verlieren. Die schwere Metalltür war bereits ein kleines Stück offen und so schlüpfte er durch den Spalt. Er befand sich nun in einem schwach beleuchteten, steril wirkenden Korridor. Er ging an zahlreichen, verschlossenen Türen vorbei, bis er ganz am Ende eine erreichte, an der eine Tafel angebracht war. <Kontrollzentrum> stand dort, in seltsam kantigen Buchstaben. Das Schloss dieser Tür war herausgebrochen wurden. Er öffnete sie und trat ein. Die Person die ihn er-weckt hatte musste ganz sicher hier gewesen sein. Er sah eine Reihe von Terminals, ihre Anzahl schien der der Kryotanks zu entsprechen. Einige von ihnen standen leblos da, während andere summende Geräusche von sich gaben. Obwohl ihm das Design der Maschinen sehr neumodisch erschien, war doch zu erkennen, dass sie schon lange hier standen. Überall lag Staub und viele Monitore hatten feine Sprünge. Sein Blick viel auf Einen, der als Einziger hell erleuchtet war.
Auf schwarzem Grund leuchtete dort eine Anzeige:

-------------------------------------------------
X:\sys ||SYSTEM
prozesskrit zeit ueberschritt...
X:\sys ||SYSTEM
automat Dekry0 Proz eingeleit um Schaed zu verm
X:\sys ||SYSTEM
Dekry0 Proz erfolgreich! erwarte EINGABE
--------------------------------------------------

Die Erkenntnis traf ihn wie ein Stein und ihm wurde schwarz vor Augen. Niemand hatte ihn aufgeweckt, die Maschine hatte den Auftauvorgang eingeleitet, um seinen Körper vor Schäden zu bewahren. Das heißt, er hatte die maximal ertragbare Zeit von 64 Jahren in dem Tank verbracht. Ohne Dekryosierung hätten seine Hirnzellen nun langsam angefangen sich selbst zu zersetzen. Er war tot! Ohne medizinische Hilfe konnte er keine 2 Tage mehr überleben, es war alles umsonst gewesen…
Nach einigen Sekunden wandte er sich von dem Bildschirm ab. Vom Gefrier-trauma noch zu benommen um wirkliche Verzweiflung zu empfinden, dachte er nach. Wenn er schon sterben musste, dann nicht hier, Gott weiß wie viele Meter unter der Erde, in diesen metallischen Gängen die ihn immer mehr einzuengen schienen und nach Tod rochen. Außerdem, wer weiß was ihn an der Oberfläche erwartete, Menschen? Er war mittlerweile zu der festen Gewissheit gelangt, dass er sich tief unter der Erdoberfläche befinden musste und machte sich auf die Suche nach einem Fahrstuhl. Erstaunlicherweise fand er sofort einen der noch funktionierte.
Langsam setzte sich das metallene Ungetüm in Bewegung und strebte der Oberfläche entgegen. Der Mann blickte die Wand an und dachte an die Anderen da unten. Bei der Vorstellung, wie in einigen Jahren der Nächste aufwachen und sich fragen würde was hier vor sich ging, wurde ihm schlecht. Vielleicht hätte er alle Maschinen abschalten sollen… Andererseits, was ging es ihn an. Er würde vermutlich in den nächsten Stunden sterben, alles Andere war egal, stellte er mit nüchterner Sachlichkeit fest. Einzig die Frage, wo sich die vor ihm erweckten befanden, gab ihm noch Rätsel auf. Als der Fahrstuhl langsam zum stehen kam und sich die Türen öffneten, wurde ihm auch diese Frage beantwortet. Auf der grünen Lichtung die sich vor ihm erstreckte lagen sie.
Knochen, angeordnet zu menschlichen Formen, manche noch mit Geweberesten, andere vollkommen kahl. Unter ihnen war auch ein aufgeblähter Körper, der sich noch mitten im Stadium der Verwesung befand. Um die Lichtung erhoben sich riesige fremdartige Bäume und aus ihren Kronen schrie und sang Getier. Eine silberblaue Krähe saß direkt vor ihm, auf dem aufgeblähten Toten, und beäugte ihn neugierig, mit ihren schwarzen Knopfaugen. Das Tier war um einiges größer als er diese Vögel in Erinnerung hatte. Von plötzlicher Wut übermannt brüllte er sie an und warf einen Stein nach dem Tier. Der Wurf verfehlte sein Ziel und die Krähe flog unter rauem Krächzen davon. Erneut schüttelte ihn ein Hustenkrampf und er musste sich setzen. Als er da so saß, um sich die Leichen seiner Vorgänger, die alle in dieser grünen Idylle ihr Ende gefunden hatten, wurde ihm endgültig klar, dass es keine Rettung für ihn gab. Die Tränen brachen aus ihm heraus und er überließ sich ihnen.
Hunderte Meter unter der Erde gab eine Leitung der seit Jahrzehnten gewachsenen Last nach. Es zischte und sämtliche Kontrolllampen in dem riesigen Tanklager erloschen. Auch für die letzten Menschen, die in den Tanks auf ein neues Leben warteten, war die Reise nun vorbei. Die Kameras beobachteten alles aus toten Augen.

 

Hallo VanDort,

Die Geschichte ist sprachlich gut, klar erzählt, handwerklich einwandfrei. Nur fehlt es Originalität und Würze um herauszustechen.

Ausgestorbene Kryokammern unter der Erde, das kenn ich doch. Das ist nicht originell, aber erstmal halb so wild. Ich habe selbst schon eine ganz ähnlich gelagerte Geschichte geschrieben, daher habe ich fast ein Deja-Vu - vllt. sticht es mir deshalb besonders ins Auge. Aber wenn ich das darf, darfst du es natürlich auch.

Problematisch ist, dass auch im weiteren Verlauf wenig Überraschendes passiert. Natürlich ist da niemand mehr am Leben und die Technik verrostet, so ist das immer ;)
Du solltest auch ein besseres Ende suchen. Die Geschichte ist aus einer klaren Perspektive erzählt. Wir sollen mit dem Lungenkrebs-Patienten mitfühlen. Und der denkt sich

Vielleicht hätte er alle Maschinen abschalten sollen… Andererseits, was ging es ihn an.
Dann sollen wir im letzten Absatz doch noch mit den übrigen Patienten mitfühlen. Würde ich ersatzlos streichen, bleib bei deinem Protagonisten und schließe mit ihm ab.

Dann wären da noch ein paar Ungereimtheiten:
Wo ist die Zivilastion hin? Ausgestorben? Wozu verfrachtet man aber Kranke unter die Erde? Deren Überleben ist nun nicht grad essentiell für das Überleben der Menschheit. Man ahnt da etwas von Krieg und Mutationen... nur will das in meinem Kopf nicht ganz aufgehen.
Der Protoganist wurde zu einer Zeit eingefroren, als man noch nicht wusste, wie das Auftauen funktionieren soll. Also nicht allzuweit in unserer Zukunft. Dann sollte er auch als einer der Ersten an seine maximale Kryozeit geraten. Wenn die maximale Zeit 64 Jahre beträgt, dann ist da sicher noch kein Gras über die Zivilisation gewachsen sein, für fremdartige Bäume und Riesenvögel ist es reichlich verfrüht.

Insgesamt ist die Geschichte gar nicht schlecht, aber man könnte noch deutlich mehr herausholen, wenn sie weniger vorhersagbar wäre.

Viele Grüße,
Marcel

 

Hey Marcel,

vielen Dank für deine Mühe und deine konstruktive Kritik!
Besonders das du die Geschichte nicht sehr originell und relativ vorhersagbar findest hat mich nachdenklich gemacht. Ich werde bei meinen weiteren Geschichten mehr darauf achten!

noch einmal großen Dank und Grüße,
Björn

 

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