Umleitung
Als sie aus ihrem Appartement ging schien die Sonne. Es war zwar bewölkt, doch sie hoffte, dass sich das schöne Wetter noch eine Weile halten würde.
Sie steckte die Prüfungsbogen in ihre Tasche und ging zum Auto. Die Beulen waren fast nicht mehr zu sehen.
Nachdem sie ihre Tasche auf dem Beifahrersitz abgelegt hatte, schnallte sie sich an und startete den Wagen.
Sie fuhr nicht gerne Auto, vor allem nicht alleine, also machte sie wie immer das Radio an. Sie bog aus ihrer Ausfahrt auf die Straße und gab langsam Gas. Zum Glück herrschte nicht viel Verkehr, denn das hätte sie unsicher gemacht.
Als sie die Hauptstraße erreicht hatte konnte sie sich gleich in den träge dahinfließenden Verkehr einreihen. Im Radio lief ein Song von einer ihr unbekannten Gruppe, doch er gefiel ihr. Mit ihren Fingern tippte sie den Takt auf ihrem Lenkrad mit.
So fuhr sie eine Weile, entlang der Hauptstraße und blickte geistesabwesend in der Gegend herum. Auf dem Bürgersteig sah sie einige Menschen, ein paar, die hektisch mit ihren Aktentaschen unterm Arm zur Arbeit gingen und ein paar, die Einkäufe für den Tag besorgen mussten.
Nachdem sie links abgebogen war musste sie vor einem Schülerlotsen warten, der gerade dabei war einige Schulkinder auf ihrem Schulweg über die Straße zu geleiten. Als sie all die kleinen Kinder sah, klammerten sich ihre Finger am Lenkrad fest und ihr Körper verkrampfte sich. Von der Hupe des Wagens hinter ihr wurde sie wieder in die Wirklichkeit geholt, so dass sie sich zwang sich zu entspannen und weiter zu fahren.
Sie bemerkte, dass die Wolken dichter geworden waren und es schien kälter geworden zu sein, darum stellte sie die Heizung an. Der Wagen hinter ihr bog nun in eine Seitenstraße ab und sie war etwas erleichtert.
Doch diese Erleichterung hielt nicht lange an. Sie blickte genau auf ein Umleitungsschild, welches sie erschaudern ließ. Jetzt hatte sie also keine andere Wahl mehr, sie konnte nicht mehr zurück. Ihr wurde heiß und Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn. Sie stellte die Heizung wieder aus. Immer hatte sie gehofft, dass ihr diese Situation erspart bliebe, doch nun war es nicht mehr zu ändern.
Sie folgte den gelben, sie anglotzenden Umleitungsschildern und sie merkte, wie ihr Herz anfing zu rasen. Ihr Puls war blitzschnell in die Höhe geschossen und sie hörte ihr Blut in den Ohren rauschen.
Nur noch eine Kurve, ein paar Meter nur noch und sie würde an die Stelle kommen, vor der sie sich so fürchtete.
Ihr kamen die Sekunden wie Stunden vor und sie konnte ihren Blick nicht von der Straße wenden. Es fing an zu regnen. Erst nur ein bisschen Nieselregen, dann immer größere, heftigere Tropfen.
Der Verkehr bewegte sich sehr langsam vorwärts und sie kam sich wie eine Schnecke vor, die gezwungen wurde, an ihrem größten Feind vorbeizuschleichen.
Die Kurve war erreicht. Sie fing an, am ganzen Körper zu zittern. In Zeitlupentempo bog sie in die Kurve ein und sah den Platz der nun bei ihr schreckliche Erinnerungen an Bilder auslöste, die sie nicht verdrängen konnte. Aber sie konnte damals nichts dafür: er war so schnell aus dem Haus gerannt..........sie konnte gar nicht mehr reagieren. Sie traf keine Schuld.
Auf einmal fing es an zu blitzen und zu donnern. Ihr liefen Tränen über die Wangen. Sie wagte nicht herüber zu schauen, in dem Moment, in dem sie vorbeifuhr.
Nach ein paar Sekunden wurde der Verkehr wieder etwas schneller und ihr Puls beruhigte sich jetzt ein bisschen. Sie wischte sich die Tränen weg und konzentrierte sich auf die Musik aus dem Radio.
Es hörte auf zu regnen und auch Blitz und Donner waren verstummt.
Sie musste die nächste rechts abbiegen und setzte den Blinker an. Nun war es endlich vorüber.