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Umarmung
Fädiges Blaukraut, waberndes Neumoos, glockige Blinkblumen, wogende Tanzweiden, Wandergras und Zuckfarne. Eine sonnenhelle Wiese, die Hyzinten und die Waadtblumen leuchten uns entgegen. Ich fass deine Hand, du und ich, es ist schön, dieser Ort ist für uns gemacht.
Lunapark – Betreten auf eigene Gefahr!
Wir gehen weiter, das Buschwerk wird dichter, bald wird die Sonne sich neigen. Sarah! – ich hauche deinen Namen und blicke in deine lustigen, verträumten Augen. Du lächelst sinnend. Eine Hungerwicke kriecht auf mich zu und wickelt sich zärtlich um meine Füsse. Warum hast du mich hierhin geführt? Da vorn ist der Wald, verhangen, wir treten ein, das Sonnenlicht wird rar, Streifen aus Licht. Wow, wie gedämpft und still es jetzt ist. Ich kenne hier eine Lichtung, sagst du. Deine Stimme samtig und dunkel, verschwindet im schluckenden Waldkörper. Tausend Augen blicken auf uns.
Mit der Besiedlung des Mondes erhöhte sich die Nachfrage nach neuen autotrophen Gattungen. Die BioDesignFactories erblühten auf dem gesamten Erdball und die Menschen staunten über die Schöpferfreude der Wissenschaftler. Einige der neuen Pflanzengattungen sind wurzellos und besitzen eine ausgeprägte Autotaxis. Sie reagieren auf Bewegungen, Gerüche, Geräusche.
Wir sind angekommen. Eine Oase im Neuweltdschungel, einen Steinwurf gross. Ich umarme dich, drücke deinen Körper an mich, Brust an Brust, bin benebelt vom Geruch deines Haares. Du schaust kurz auf und entwindest dich. ‚Setz dich, wir brauchen nicht mehr weiter.‘ Du lässt dich zu Boden gleiten, lautlos wie eine Schlange, schaust und schaust, bist weit weg. ‚Scharr nicht so mit den Füssen!‘ sagst du.
Ich setze mich neben sie, befreie mich von meinen Schuhen, es ist heiss. ‚Wir haben Lärm gemacht‘ flüstert Sarah ‚Das Blaukraut liegt flach.“ Ich schaue. Ja richtig, das Blaukraut liegt flach. Das Fädige und das Lappige, kraftlos dahingestreckt, ein fleckiger, pinker Teppich.
Die Neupflanzen gab es zunächst nur auf dem Mond, wo sie sich rasch verbreiteten. Schliesslich baute man auch auf der Erde am Rande von Wüsten die sogenannten Lunaparks.
Minuten später erheben sich die ersten Stengel. Scheue, neugierige Gesellen recken sich auf. Fusshoch, kniehoch. Ein Genzelbusch öffnet seine Haube, hunderte gelbe Blüten springen hervor. Da noch einer! Sie wackeln hin und her (träge Tanzbären, kommt mir in den Sinn). Am Waldrand die Front aus Geiselbäumen, graue, triste Gesellen. Und doch: Ein paar lösen sich aus der Formation, treten hervor. Die gerade noch wattig drögen Langweiler schiessen mit ihren Geiseln, die fingerdicken Lianen rollen sich auf und ab, steigen zum Himmel, fallen herab und winden sich zuckend.
Gemäss der GenDesign-Konvention von Accra ist die Entwicklung neuer Tierarten untersagt. Die Wissenschaftler beugten sich, doch sie fassten den Pflanzenbegriff sehr weit. Experten warnen seit längerem vor den Lunaparks. Sie sind zwar gut überwacht und die Neupflanzen müssen alle Handicapgene enthalten.
Eine Sinfonie aus Farben. Blüten öffnen und heben sich. Die Halme des Blaukrauts stehen jetzt stramm. Streng und wach, Polizei und Publikum. Oh, diese Geiselbäume! Die kleinsten sind die raschesten. Schieben sich nach vorn, kommen näher und näher. Seid ihr neugierig auf uns? Ich stehe auf, wills mir genauer ansehen. Keine Angst, du Kleinbaum? Und dein Freund da, kommst auch zu mir? Was ist mit euch? Da wirft einer eine Geisel nach mir, eine Schlinge formt sich um meine Hand.
Kritiker nennen die Flora der Lunaparks auch Monsterpflanzen. Von deren Eigenheiten zeigen sie sich nicht angetan. Die Natur hat Derartiges nicht vorgesehen, sagen sie. Auch warnen sie vor Mutationen. Die Vegetation des Planeten sei in Gefahr.
Überall diese Mistpflanzen um mich herum! Mein Körper ist umschlungen von zahllosen Geiseln, ich kriege kaum Luft, sehe nichts mehr. Sie schieben sich auf mich, um mich, drücken, würgen, zerren an mir. Es ist eine groteske Umarmung. ‚Sarah!‘ schreie ich ‚Sarah!‘ Ich lasse mich zuckend fallen, strample wie ein Baby. Ringsum gieriges Blattwerk.
Eine Berührung an meiner Schulter. „Sssssss.“ Es wird lichter. „Sssssss“ zischt sie wieder, kaum hörbar. Die Bäume weichen zurück.
„Was war das?“ rufe ich, noch knieend, keuchend. „Das war gefährlich.“
Sarah streicht mir über den Kopf.
„Ach was.“ sagt sie.