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Um jeden Preis
Der junge Mann saß bereits seit 30 Minuten einsam in diesem fensterlosen Gang und wartete. Worauf, das wusste er nicht so genau. Unruhig zupfte er am Ärmel seines Hemdes. Er spielte mit dem Gedanken einfach aufzustehen und zu gehen. Aber nein; das war seine letzte Chance.
Der Mann sah auf die Uhr. Seine Gedanken hingen tief in der Vergangenheit. Die Fehler, die Schande, die Reue, die Buße. Alles vergebens.
Der Mann erschrak förmlich, als die Tür aufgerissen wurde. Ein Mann, er sah ungepflegt aus, bedankte sich und schüttelte einem Anderen in tiefschwarzem Anzug die Hand. Sie verabschieden sich und der Anzugträger wandte sich zu dem Mann auf der Bank.
"Sind Sie der Nächste?", fragte er.
"Äh ja..."
"Na dann folgen Sie mir."
Der Mann auf der Bank erhob sich zögernd und folgte schließlich dem schwarz gekleideten Mann. Sie betraten einen riesigen Raum. Er war so hoch, dass die Decke nicht zu sehen war. Wenn es überhaupt eine Decke gab. An den fensterlosen Wänden hingen Gemälde. Sie zeigten alle das gleiche Motiv. Der junge Mann blieb stehen und betrachtete sie.
"Was ist auf den Bildern dargestellt?"
Der junge Mann sah, wie der Mann in schwarz grinste. Er fletscht dabei die Zähne soweit, dass sein Zahnfleisch zu sehen war.
"Was sehen sie denn?", fragte er immer noch breit grinsend.
"Ich bin mir nicht sicher, es ist irgendwie unscharf. Ich kann es nicht beschreiben", sagte der junge Mann stirnrunzelnd.
"Setzen wir uns doch erst mal. Wollen Sie was trinken?", warf der schwarz gekleidete Mann ein und wies auf einen übergroßen Schreibtisch aus schwarzer Eiche.
"Ja gerne. Wasser bitte", entgegnete der junge Mann und nahm Platz. In einem Aschenbecher qualmte eine Zigarre.
Der Mann in schwarz kam mit zwei Schwenkern zurück. Sie waren mit Whisky gefüllt. Drei Eiswürfel schwammen darin.
"Hier, ihr Wasser."
"Oh danke, aber ich trinke nicht."
"Wohl eher nicht mehr...kommen sie, trinken sie einen mit mir."
"Nein wirklich...ich möchte nicht."
"Der ist älter als ich. Ein ganz elder Tropfen. Probieren sie..." Der Mann in seinem schwarzen Anzug hatte sich über den Schreibtisch gelehnt und hielt dem jungen Mann das Glas hin. Das Klimpern der Eiswürfel hallte durch den gesamten Raum.
"Ok...ein Schlückchen, für sie", entgegnete der junge Mann. Er nahm den Schwenker und benetzte seine Lippen. Der Whisky schmeckte himmlisch.
"Na sehen sie. Der ist gut, nicht wahr?", sagte der Mann in schwarz. Er hatte wieder dieses abscheulich breite Grinsen aufgelegt.
"In der Tat wirklich vorzüglich", bestätigte der junge Mann und stellte das Glas vor sich auf den Tisch.
"Nehmen sie noch ein Schlückchen."
Das Grinsen in seinem Gesicht wurde immer breiter.
"Nein danke, ich hatte genug." Das Unbehagen stieg dem jungen Mann zu Kopf. Oder war es der Alkohol.
"Wie sie meinen. Rauchen sie?", fragte der Mann in schwarz und nahm den Zigarrenstummel aus dem Aschenbecher. Genüsslich zog er den Rauch ein und blies Ringe.
"Nein, ich rauche nicht. Es schmeckt eklig und bringt einen um."
"Versuchen sie es."
Er öffnete eine Zigarrenkiste, wählte eine aus und zog sie unter der Nase entlang.
Lächelnd betrachtete er die Zigarre.
"Ahhhh, ein besonderes Stück", sagte er mit einem abwesenden Lächeln.
"Die müssen sie unbedingt probieren. So etwas Feines bekommt man nicht alle Tage."
Er schnitt die Zigarre an und reichte sie dem jungen Mann. Zögerlich nahm er sie entgegen.
"Ich weiß nicht..."
"Ach kommen sie. Einmal ist keinmal."
Wieder dieses Grinsen.
"Na schön. Überredet."
Der junge Mann nahm das goldene Feuerzeug und entzündete die Zigarre. Sofort hustete er und streckte die Zigarre von sich.
"Das ist ja widerlich!"
"Sie dürfen nicht zu tief inhalieren. Es wird besser mit der Zeit. Glauben sie mir."
Ungläubig sah der junge Mann ihn an und versuchte schließlich einen weiteren Zug. Es wurde tatsächlich besser. Entspannt lehnte sich der schwarz gekleidete Mann in seinem übergroßen Sessel zurück.
"Weswegen sind sie eigentlich hier?", fragte er und zog an seiner Zigarre.
"Ich habe ihre Anzeige in der Zeitung gesehen. Ich hoffe, sie können mir bei meinem Problem helfen", entgegnet der junge Mann.
"Welches Problem haben sie denn?"
"Der Alkohol...hat mein Leben zerstört...ich bin süchtig..."
Stammelnd starrte er beschämt auf seine Schuhe.
"Alkoholsucht? In ihrem Alter?"
"Ja na ja...mein Leben war nicht besonders leicht..."
"Das glaube ich ihnen sofort. Aber was erwarten sie von mir?"
"In der Anzeige stand, sie könnten bei Problemen jeder Art Abhilfe schaffen. Unentgeltlich."
"Das stimmt.", sagte der Mann in schwarz und legte seine Zigarre ab.
"Aber ich muss wissen, was ich tun soll."
"Befreien sie mich von der Sucht! Ich habe schon alles versucht. Ich schaffe es nicht. Sie sind meine letzte Hoffnung!", jammerte der junge Mann den Tränen nahe.
"Nana, beruhigen sie sich. Ich kann ihnen helfen."
"Können sie? Wie?"
"Blicken sie zur Wand."
Der Mann im schwarzen Anzug zeigte auf die Bilder. Sie waren nicht länger unscharf.
"Was sehen sie?"
"Ich...Ich sehe...eine Wohnung, leere Flaschen, Müll, Kotze, ein Mann liegt darin."
"So sieht ihr Leben aus, wenn sie weiterhin saufen."
"Nein...Nein! Ich werde mich ändern, aber sie müssen mir helfen!"
"Das werde ich."
Er kramte ein Dokument aus seinem Schreibtisch und legte es vor den jungen Mann.
"Unterschreiben sie hier und ihr Leben wird sich zum Guten wenden."
Ohne zu zögern nahm der junge Mann den goldenen Füller und unterzeichnete. Welche Wahl hatte er?
"Sehr gut. Sehr gut."
Dieses furchtbare Grinsen.
"Das wars? Bin ich geheilt?"
"Schauen sie an die Wand, dort ist ihr Leben abgebildet. Was sehen sie?"
"Glückliche Kinder, glückliche Familie, ein glückliches Leben!"
"Probieren sie doch den Whisky nochmal."
"Ich weiß nicht, ich hab doch unterschrieben und..."
"Ach kommen sie, mir zu liebe."
"Ok, aber nur ein kleines Schlückchen."
Der Whisky schmeckte grässlich, als wäre er mit Schwefel gemischt.
Strahlend setzte der junge Mann das Glas ab und zog an seiner Zigarre. Sie schmeckte besser denn je.
"Ich werde nie wieder etwas trinken! Ich schwöre!"
"Ich weiß, dass Sie das nicht werden. Ich denke, mehr kann ich nicht für sie tun."
"Ich verdanke ihnen Alles!"
"Nana, jetzt übertreiben Sie aber."
Dieses furchtbare Grinsen.
"Ich werde ihnen auf ewig danken. Sie haben mich auf den rechten Pfad gebracht."
Die beiden Männer rauchten entspannt ihre Zigarre zu Ende und unterhielten sich dabei über Gott und die Welt.
Bei der Verabschiedung, begleitete der Mann im schwarzen Anzug den Jungen zur Tür.
"Wenn sie wieder mal ein Problem haben, kommen Sie."
"Das werde ich auf jeden Fall tun."
Sie verabschiedeten sich und der junge Mann trat zur Tür hinaus. Draußen saß ein älterer Herr. Er beachtete ihn nicht weiter.
"Sind Sie der Nächste?", hörte der junge Mann den Anzugträger fragen.
Draußen war es warm und der junge Mann war froh wieder Tageslicht zu sehen. Er zog die Luft genusvoll ein. Sie schmeckte frisch, zu frisch.
Der junge Mann brauchte unbedingt eine Zigarre...um jeden Preis...