Uglytropolis
Die Sonne ging unter.
Irgendwie bekam ich mit, dass die Kleinstadt heute Abend auflegen würde.
Titel aus der Metropole, Sirenen, Hupen und Verkehrslärm.
Untermalt von einer orangefarbenen Brühe im Himmel und unter den Straßenlaternen ließ sie die Junkies durch die Straßen tanzen.
Grund genug um an einem Freitagabend das Haus zu verlassen, sich zu betrinken und auf der Tanzfläche sein Glück bei den Damen zu versuchen.
Ich hatte ein Paar alte Bekannte getroffen, ein bisschen Süßholz geraspelt und bin dem Disc Jockey auf die Nerven gegangen.
Irgendwann zur After Hour begannen meine Füße zu schmerzen und der Gin wurde in meinem Mund zu Gift.
Einem Freund ging es ähnlich.
Also gingen wir,
um den Abend zu beenden, bevor er noch ein übles Finale nahm.
Wir waren noch nicht zu müde und um etwas später zurück nach Hause zu kommen, setzten wir uns in eine Tankstelle am Stadtrand und tranken Kaffee, während draußen, hinter den verstaubten Fenstern, Typen an ihrem 90iger Jahre Mercedes lehnten und Bordsteinschwalben im Neonlicht an der Straße warteten.
Gelangweilt beobachteten wir die Spiegelung der Deckenlampen auf der schwarzen Oberfläche in unseren Tassen, als er mich fragte:
"Du meintest mal, man würde es erkennen, wenn Menschen eine Geschichte zu erzählen hätten."
Ich lächelte, hob meinen Blick aber nicht von der Tasse:
"Klar. Auf jeden Fall."
Ich konnte nicht anders, als zu einem Vergleich auszuholen:
"Wenn du die Straßen von Midtown Manhattan runtergehst, läufst du an Wolkenkratzern aus dem 21. Jahrhundert vorbei und an welchen, die schon über hundert Jahre alt sind.
Irgendwie erinnern mich diese Bauwerke an die Menschen.
Weißt du, früher gehörte die Fassade zur tragenden Struktur des Gebäudes, genauso wie der Kern.
Alte Türme verfallen, wie die Menschen von früher.
Wenn es ihnen schlecht ging sah man es: Falten, verfallene Augen.
Heute baut man anders.
Fassade und Kern sind klar getrennt.
Ein moderner Wolkenkratzer könnte von innen völlig ausgebrannt sein, während die gläserne Fassade bei Nacht noch immer leuchtet wie ein stilvolles Mädchen auf dem Dancefloor.
Die Menschen sind ähnlich.
Mann muss auf Details achten, wenn man wissen will, was hinter der beeindruckenden Fassade passiert.
Ab und zu ein unsicherer Blick.
Falsches Lachen.
Du weißt was ich meine."
Ich leerte meine Tasse.
"So ein Blödsinn", lachte er leise.
Ich zuckte mit den Schultern
"Die besten Geschichten hört man auf Toiletten." , fügte er hinzu.
"Meinst du?", lachte ich nun.
"Midtown Manhattan.", meinte er, als wir die zweite Runde Kaffee tranken,
"Sollte man auch mal gesehen haben."
"Um einiges besser als dieses beschissene Kaff."
"So schlimm ist es hier auch nicht."
"Findest du? Sag mir lieber, was hier hier nicht schlimm ist."
Er zögerte:
"Die Wälder. Der Fluss."
"Ist das alles?", fragte ich, lachte fast schon zynisch.
"Und was findest du hier so schlimm?"
"Die verfallende Industrie. Die Menschen, die Säufer und Junkies, die, die ihren langweiligen Jobs nachgehen, ohne darüber nachzudenken, dass es noch eine Welt hinter diesen Wäldern gibt.
Das praktisch jeder zweite, der dir auf der Straße begegnet an Depressionen leidet und jeder dich so ansieht, als wüsste er nicht, ob er dich auslachen, oder verprügeln sollte."
"Verdammt.", murmelte er, "Du kannst auch binnen Sekunden die Stimmung von 'nem ganzen Abend versauen, oder?"
"Gut möglich.", antwortete ich bitter.
"Der Kaffee geht auf dich.", meinte er noch, bevor er ging.
Ich biss mir auf die Lippen und blieb noch eine halbe Stunde sitzen, bis ich mich auch auf den Heimweg machte.
Der Weg war lang und es war der kälteste April seit langem, die Nächte waren klirrend.
Ich hatte meine Zigaretten in der Tankstelle vergessen, war aber zu müde noch einmal um zudrehen.
In einem Fenster vor mir sah ich, wie sich eine gelbblinkende Ampel, etwa 50 Meter hinter mir spiegelte. Blickte nach oben, und erkannte die Kleinstadt, wie sie mit einem Schein im Nebel und Nieselregen verzweifelt versuchte auf ihre Anwesenheit aufmerksam zu machen. Sie und ich waren die letzten verbliebenen Anwesenden auf der Tanzfläche, doch ich war zu müde und hatte keine Lust auf den letzten Tanz bei zu leisem Jazz.
Stattdessen erinnerte ich mich an einen Abend in der Bar, eine Szene in der Toilette, als am Pissoir neben mir ein Mann so laut fluchte, dass ich zu viel Angst zum Pissen hatte. Als er sich endlich wegdrehte hatte er noch gefragt: "Hast du Ahnung, wie es im Knast ist?"
"Mein ganzes scheiß Leben war ein Knast.", hatte ich gemurmelt.