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TV Kills
Obwohl die bebenden Augenlider das obere Drittel seines Sehfeldes in zuckendes Schwarz hüllten, seine Schläfen pochten und ein Schmerz wie ein irres Messer durch seine Stirn schoss; irgendwie fand Herbie mit zitternden Händen die Fernbedienung neben seiner Matratze auf dem Boden liegen. Hastig drückte er darauf herum, doch das unerträgliche Sausen aus dem Fernseher einige Meter vor ihm nahm kein Ende. Er schrie. Seine Stimme kam ihm erschreckend fremd vor. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte er festzustellen, wo er war. Dies war sein Zimmer, kein Zweifel – aber wie war er hierher gekommen? Das einzige woran er sich erinnern konnte, war, dass er mit Björn im „Fuchsbau“ war. Wie und wann er zurück in seine auf seltsame Weise verändert scheinende Wohnung kam, war ihm ein Rätsel.
Er versuchte sich aufzurappeln und den Fernseher auszuschalten. Das fiebrige Sausen in seinem Schädel wurde von einem dumpfen, pulsierenden Dröhnen abgelöst. Er ging nur ein paar Schritte in Richtung der schmerzbringenden Höllenapparatur, da durchsiebten tausend grelle Blitze seinen Kopf, als ob die Bildröhre des Apparates in der Lage gewesen wäre, Schmerzen in Form von Lichtimpulsen in seinen Körper zu senden. Ihm war kotzübel. Dass ihm trotz der unsäglichen Schmerzen in Kopf und Gliedern noch nicht sein Mageninhalt auf dem Fußboden seiner Einzimmerwohnung begegnete, grenzte an ein Wunder. Er schrie erneut, fuchtelte wild mit den Händen um sich und stolperte über seine eigenen Beine, die sich im Bettlaken verhäddert hatten. Es war sein Kinn, dass zuerst auf dem staubigen Linoleum aufschlug; mit einem leisen Knacken folgten kurz darauf nahezu zeitgleich linke Schulter und Kniescheibe. Er wollte abermals schreien, aber brachte keinen Ton hervor. Unter Qualen schob er seinen Körper zur Wand, vor der ein braunes, dreibeiniges Tischchen die schmerzstrahlende Fernsehapparatur trug. Sein Speichel zog Fäden von der Blutlache, die sein Kinn hinterlassen hatte. Herbies Haltung und die ihn begleitenden Sekrete gaben ihm etwas Schneckenartiges.
Endlich erreichte er auf einem Knie und beiden Ellenbogen kriechend die Wand - er hob den Kopf: direkt vor ihm summte ein schwarzes Netzteil in einer Steckdose. Er gab mühevoll Zug auf das Kabel, indem er sich aus der insektoiden Bauchlage auf seinen Rücken zu manövrieren versuchte. Ein blauer Funke züngelte ein paar Zentimeter vor ihm aus der Wand. Der Stecker pendelte schadenfroh über Herbies schmerzverzerrtem Gesicht. Er lag jetzt halb auf dem Rücken; mit aufgerissenen Augen - das Sausen des Fernsehers hielt an. Er blickte nach oben: Wie konnte diese Teufelsmaschine ohne Strom funktionieren? Er schrie und eine ihm fremde Stimme formte ungewohnte Laute. Panisch schob er sich rücklings in etwas Abstand zu dem verhängnisvollen Apparat, der auf seinem braunen Tischchen so dicht über ihm thronte, dass er glaubte, dessen Schmerzstrahlen töteten ihn augenblicklich. Wie kann diese Scheiß-Maschine ohne Strom funktionieren? Mit einer unwirklichen Mischung aus Wut und Panik schnappte sich Herbie das mahnend schwingende Stromkabel und zog mit aller verbleibender Kraft. In dem Augenblick, in dem Herbie realisierte, dass der Fernseher bereits aus war und seine Schmerzen allein mit dem gestrigen Alkoholexzess zu tun hatten, zerschnitt ihm die klirrende Mattscheibe das Gesicht. Zwei Drittel seines Sehfeldes waren pechschwarz, als ihm der aberwitzige Gedanke kam, dass er gerade mit seinem Kopf in einer Fernsehbildröhre feststeckte. Dann züngelte abermals ein blauer Funken und es war schlagartig finster.