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Tunguska

Monster-WG
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18.06.2015
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Tunguska

Nebel hing zwischen den wenigen Bäumen, die noch standen. Es nieselte und war kalt und doch schwitzten sie in den Arbeitskleidern, die sie am Morgen im Materialdepot vorgefunden hatten. Zwei Größen zur Auswahl, orange Streifen über Brust und Rücken, dazu weiße Helme und Handschuhe. Man hatte sie zur Baracke in der Obereichi gefahren, und nun, nach einer halben Stunde Marsch, standen sie im feuchten Unterholz. Hundert Meter vor ihnen fraßen sich Motorsägen durch mächtige Stämme, die am Boden lagen, als hätten die Götter Mikado gespielt. Sie trugen das zersägte Holz zusammen und schichteten es zu riesigen Haufen. Der Boden war glitschig und nass.

Ein halbes Jahr zuvor hatte ein Sturm das Dorf heimgesucht, Hausdächer abgedeckt, zwei Lastwagen umgekippt und in einem finalen Kraftakt den Blick auf die Kirchturmglocken freigelegt. Man reagierte schnell. Versicherungssummen wurden ausbezahlt, Gebäudeschäden repariert, der Buochser Dorfkern wiederhergestellt. Den Wald hingegen musste man noch aufräumen und diese Aufgabe übertrug man Zivilschützern, denjenigen Männern, die von sich sagten, sie könnten nicht gut hören oder kifften jeden Tag, oder aus sonstigen Gründen nicht dazu taugten, der Schweizer Armee zu dienen. Vier Tage Einsatz, Übernachtungsmöglichkeit vor Ort. Keiner war über dreißig, die meisten kannten sich, und alle wohnten in Buochs. Nur Patrick war aus der Stadt angereist, zurück an den Ort, dem er vor drei Jahren entflohen war. In der Hosentasche das Aufgebot, die Quittung dafür, dass er seinen Heimatschein in Buochs gelassen hatte, um Steuern zu sparen. Patrick blickte sich um. Braun und grün in allen Varianten.

Für das Grobe waren Waldarbeiter zuständig, den Zivilschützern blieben Handsägen und Äxte. Die meiste Zeit verbrachte Patrick gebückt, alle paar Minuten zog er seine Hosen hoch. Er hatte versucht, die defekte Metallschnalle an seinem Gürtel zu reparieren, und war gescheitert. Seine Nase lief, er suchte nach Taschentüchern.
„Nicht rumstehen, Waser!“, rief Kretz. Er stand auf einer kleinen Anhöhe und rauchte.
„Mein Gürtel ist kaputt.“
„Morgen, Waser. Das schauen wir uns morgen an.“
Ausgerechnet Kretz. Patrick kannte ihn von der Primarschule. Er erinnerte sich, wie er, der kräftige Kretz, ihm eines Tages aufgelauert und sein Gesicht mit Brennnesseln eingerieben hatte, weil Patrick ihn nicht hatte abschreiben lassen. Wie er stets auf Umwegen zur Schule ging, um Kretz nicht zu begegnen. Wie dieser, wenn alle Schüler aus dem Dorf beichten gehen mussten, einer nach dem anderen, grinsend vor der Kirche stand, während Patrick vor Angst und Scham zitterte.

Um halb zehn war Pause. Kaffee in Pappbechern, eine Flasche Zwetschgenschnaps wurde herumgereicht. Kleinere Gruppen hatten sich gebildet, je drei oder vier Männer, die Hände in den Hosentaschen. Patrick hatte sich gegen eine Fichte gelehnt, die den Sturm überstanden hatte.
„Hier sieht’s aus wie in Tunguska“, sagte er.
„Was?“, fragte Kretz.
„Tunguska. Russland, neunzehnhundertacht. Alle Bäume im Umkreis von vierzig Kilometern wurden niedergemäht.“
„Niedergemäht?“
„Ja.“
„Von was?“
„Weiß man nicht so genau. Ein Komet.“
„So, so. Tugaska. Studierst du, oder was? Bist du an der Uni?“
„Ja.“
„Aha“, sagte Kretz und blickte sich um. „Hat jemand Feuer?“ Er steckte sich eine Zigarette in den Mund und ließ sie sich von Hans anzünden, einem schlaksigen Typen mit vernarbtem Gesicht. Die Gruppen hatten sich aufgelöst, zwanzig Männer blickten zu Kretz, wohl weil sie dachten, die Pause sei vorbei und es gebe neue Anweisungen.
„Hast du eine Freundin?“ Kretz grinste.
„Ja“, log Patrick.
„Und? Schluckt sie's?“

Die Arbeiten waren kaum koordiniert. Sie schwärmten in Zweierteams aus, jedes dorthin, wo es gerade passte, zersägten und zerhackten Holz in tragbare Stücke, sammelten Äste und schleiften Baumkronen durch das Gebüsch. Patricks Partner war Edi, ein drahtiger Zweimetermann, dessen Gesicht an Munchs Schrei erinnerte, zumal er in einer viel zu engen Jacke steckte. Er arbeitete wie ein Tier.
„Lass mich mal.“ Beinahe hätte er ihm ein Bündel Äste aus den Armen gerissen.
„Geht schon“, sagte Patrick und beim dritten oder vierten Mal: „Es ist okay, Edi. Ich kann das.“
„Wie du meinst.“
In der Mittagspause setzten sie sich mit Sandwiches und Militärkeksen in der Hand auf einen Baumstumpf, etwas abseits von den anderen, Rücken an Rücken.
„Willst du meinen Schinken?“, fragte Patrick.
„Hast du keinen Hunger?“
„Ich esse kein Fleisch.“
„Warum nicht?“, fragte Edi nach einer kurzen Pause. Bevor Patrick antworten konnte, kam Kretz herangestapft.
„Guten Appetit, Männer.“ Worauf er sich umdrehte, die Hose öffnete und mit kräftigem Strahl an einen etwas höher gelegenen, mit hellgrünem Moos überwachsenen Stein pisste.
„Krieg' ich jetzt den Schinken?“, fragte Edi.

Für jeden Holzstoß einen Kanister Benzin. Schwarzer Rauch brannte in ihren Augen, doch sie blieben in der Nähe stehen, zogen die Handschuhe aus und streckten die Arme in Richtung der Flammen. Die Arbeit eines Tages. Es fühlte sich gut an, so als habe man seine Wohnung entrümpelt und schaue den Müllwagen zu, wie sie wegfahren und am Horizont verschwinden. Für einen Moment entspannte sich Patrick, der Blick auf das Feuer machte ihn beinahe glücklich. Doch dann fiel ihm ein, dass er hier oben übernachten musste.

Vierzehn Männer schliefen unten im Dorf, sieben blieben oben. Sie gingen zurück zur Baracke, holten Schlafsäcke aus einem der Lieferwagen und brachten sie in den Schlafraum. Drei mal drei übereinandergestapelte Feldbetten. Grobe Bretter als Wände, ein Fenster, blind und hinter einem staubigen Geflecht von Spinnweben. Der mit zwei Bierzelttischen bestückte Aufenthaltsraum war etwas grösser. Es gab fließendes Wasser und ein Klo.
„Schön haben wir es hier“, sagte Edi. Er feuerte den Ofen an. Bierharassen wurden herbeigeschleppt, Spielkarten aus Hosentaschen gezogen. Kretz setzte sich neben Patrick.
„Gut gearbeitet heute!“ Er lachte. Dann etwas leiser: „Hast du gemerkt? Sieben Männer, neun Betten.“
„Ja, und?“
„Wirst schon sehen.“ Er kramte die Wagenschlüssel hervor und hielt sie vor Patricks Gesicht als seien sie magische Pendel.

Eine Stunde später waren sie da. Nina trug eine blaue Adidasjacke, sie hatte schwarze Haare und ihre Wangenknochen lagen hoch. Trix sah aus wie eine Prostituierte und das war es, was Patrick dachte. Zwei Nutten, von Kretz auf den Berg verfrachtet. Die eine davon berückend bleich und im falschen Kostüm.
„Hallo“, rief Trix und winkte ihnen zu. Ihre Absätze hatten sich, nachdem sie dem Lieferwagen entstiegen war, in den schlammigen Boden gegraben. Hans rannte zu ihr hin, wusste aber nicht weiter. Es sah aus, als huldige er einer Gottheit, die jeden tötet, der sie berührt. Einer rief, er müsse seine Jacke auf den Boden legen. Dann stieg auch Kretz aus, zwei Schlafsäcke in der Hand.
„Voilà, meine Herren. Nina und Trix. Freundinnen von mir. Kommt ihnen einer von euch blöd, gibt's was auf die Fresse. Und jetzt lasst uns feiern.“
Sie gingen rein. Edi hatte Suppe gekocht, Fleischkäse in Büchsen lag auf dem Tisch. Es gab Kaffee mit Kirsch.

Patrick spielte mit drei anderen Jungs Karten. Es waren nicht die schnellsten Denker und so blieb ihm gelegentlich Zeit, den Kopf zu heben, die Stirn zu runzeln, als ob er einen raffinierten Spielzug ersinne, und dabei einen Blick auf Nina zu werfen. Nach einer Weile, dachte er, hätte er ein Bild von ihr, einen Gesamteindruck, ohne sie anstarren zu müssen. Er riskierte noch einen Blick und dieses Mal sah sie ihn direkt an, ihre Augen waren schwarz wie Kohle.
„Waser, du Trottel!“, rief Toni, sein Spielpartner. Patrick hatte die Farbe nicht bedient und die restlichen Stiche gehörten den Gegnern.
„Tobasca?“, fragte Toni.
„Tunguska.“
„Ja, so sieht's aus. Die haben uns platt gemacht.“ Die drei griffen nach ihren Bierflaschen und gingen nach draußen, um zu rauchen.

Da war es wieder, das Gefühl, das ihn die ganze Kindheit über begleitet hatte. Das Gefühl, am falschen Ort zu sein. Er saß am leeren Biertisch und dachte darüber nach, was geschähe, wenn er jetzt einfach losliefe. Er könnte den letzten Zug erwischen, der ihn zurück in die Stadt und in die Zivilisation brächte. Würde man ihn verhaften? Zurückbringen und dem Gespött der Jungs aussetzen, die sich dort hinten, am zweiten Tisch, zum Trinkspiel mit Würfeln versammelten? Er blickte sich unschlüssig um.
Da stand Nina auf und setzte sich zu ihm. Sägemehl klebte an seinen Kleidern, Fichtenharz an den Händen und er hatte den Eindruck, dass er ziemlich streng rieche. Aber da saß sie nun und lächelte.
„Du bist also der Fremde“, fragte sie.
„Na ja, ich bin hier geboren.“
„Aber du wohnst in der Stadt? Studierst?“
„Ja. Und du?“
„Ich bin Malerin.“
„Okay. Was malst du denn? Welcher Stil?“
„Malerei Kuster. Ich streiche Wohnungen.“

Nina sprach langsam und undeutlich. Sie war neunzehn. Vor zwei Jahren war sie von daheim ausgezogen und hatte zusammen mit ein paar Typen ein großes Bauernhaus gemietet, dessen Innenwände sie komplett schwarz strichen. Sie warf Drogen ein, deren Namen Patrick nicht kannte. Ihre Freunde nannten sie Nintschi, weil sie Witschi zum Nachnamen hieß, sie mochte Splatterfilme und hatte keinen Freund. Die ist eine Nummer zu groß für dich, dachte Patrick, riss sich zusammen, füllte zwei Gläser mit Schnaps und machte auf Zen. Begehre nicht und du bekommst, was du willst.
„Seit wann bist du solo?“, fragte er.
„Du zuerst.“ Nina lächelte.
„Meine letzte hieß Noemi. Nichts Ernstes. Üble Trennung. Hat echt viel geheult, als es zu Ende war“, log er. Während er sprach, wurde ihm bewusst, wie betrunken er war. Die Stimmen der anderen verschmolzen zu akustischem Brei, der Kirsch brannte in seiner Kehle, seine Blase schmerzte. Er wollte nicht aufstehen, jetzt, da es ihm gelungen war, das Gespräch in vielversprechende Bahnen zu lenken. Doch sein Körper duldete keinen Aufschub.
„Ich geh' mal pinkeln.“

Kretz haute ihm von hinten auf die Schulter und beinahe hätte Patrick das Gleichgewicht verloren. Eine Weile standen sie schweigend da, das Grölen aus der Baracke im Rücken, und blickten in die Finsternis. Es hatte aufgehört zu regnen.
„Kommst du voran?“, fragte Kretz.
„Womit?“
„Mit Nintschi.“
„Sie ist nett.“
„Soll quieken wie ein Schweinchen, die Fotze.“ Er legte die Hand auf seinen Nacken und drückte zu. „Hol sie dir!“ Dann kramte er eine Schachtel Gauloises aus seiner Hosentasche. „Hast du Feuer?“

Nichts hatte sich verändert, als er die Baracke wieder betrat. Die Jungs würfelten und tranken. Edi legte Holz nach und Trix half ihm dabei. Nina saß noch immer am Ende des vorderen Tisches. Patrick setzte sich wieder zu ihr.
„Und jetzt du“, sagte er.
„Was?“
„Dein Ex?“
„Ich hatte noch keinen Freund.“
„Echt?“
„Das ist nichts für mich. Irgendwann vielleicht.“
„Sechserpasch!“, rief Toni am hinteren Tisch. Nina drehte ihren Kopf und lachte. Toni war auf den Tisch geklettert, schwang seine Hüften und griff sich in den Schritt.
„Sechserpasch, yeah. Your butt is mine. I`m bad, I`m bad, you know it! Ich hab's euch allen gezeigt!“
„Geile Nummer“, rief Nina. Patrick sah, wie sich ihr Körper spannte, bereit aufzustehen und mitzutanzen. Er fasste sie am Unterarm.
„Was?“
„Weißt du, wie Kretz über dich spricht?“ Ninas Lachen erstarb. Sie hatte sich wieder zu Patrick gedreht und sah ihm in die Augen.
„Was soll das?“
„Ach nichts.“
„Doch. Sag schon.“
„Na ja. Weißt du, wie er über dich spricht, hinter deinem Rücken?“
„Ja, das weiß ich. Er nennt mich ein geiles Stück Frau.“ Sie goss sich einen Schnaps ein, ihre Hände zitterten. „Na und?“
„Ich dachte nur.“
„Nicht denken, Fremder. Aber du meinst es sicher gut.“ Sie stand auf. „Ich muss mal.“

Kretz kam herein, zog die Jacke aus, klopfte Asche von seinen Hosen und sah sich um. Als sich die Tür zum Klo wieder öffnete, stand er bereits davor, dann legte er seinen Arm um Ninas Schultern und flüsterte ihr etwas zu. Sie grinste. Die beiden setzten sich zu den anderen und Patrick fühlte ein Brennen in seinem Gesicht. Ihm wurde übel.
Die Truppe wurde ruhiger. Tonis Michael-Jackson-Imitation war ein letzter Versuch gewesen, die Müdigkeit zu überlisten, die in ihren Gliedern steckte. Die ersten legten sich schlafen. Trix und Edi machten es sich am Boden vor dem Ofen gemütlich. Hier sei es warm und man könne nebeneinander liegen, wie er im Tonfall eines Kindes erklärte, das von seinem Lieblingsversteck erzählt. Auch Patrick kroch in seinen Schlafsack. Aufstehen um sieben und ab in den Wald, Kater hin oder her, war Kretz' Ansage gewesen. Nina hatte ihn nicht mehr angesehen. Sie hat erkannt, wer ich bin, dachte Patrick.

Kretz hatte Recht. Nina quiekte wie ein Schwein. Sie waren nach draußen gegangen, hatten es aber vorgezogen, bei der Baracke zu bleiben.
„Warte“, hörte man Kretz sagen. „Stütz dich dort ab.“
„Mach schon. Meine Möse friert sonst ein.“
Sie lagen wach, fünf Männer in ihren Feldbetten und Patrick dachte an Brennnesseln und Kometen, daran, wie jämmerlich er im Vergleich mit Kretz abschnitt. An Ninas dunkle Augen. Als die beiden endlich fertig waren, drehte Patrick sich zur Seite und die Metallfedern quietschten.
„Holst du dir einen runter, Waser?“, fragte Hans.

Stare pickten mit gelben Schnäbeln nach Nahrung. Der Nebel hatte sich verzogen, die Sonne wärmte ihre Körper. Sie kamen langsamer voran als am Tag zuvor. Kretz hatte sich gar nicht erst die Mühe gemacht, seine Arbeitskleidung anzuziehen. In Jeans und Rollkragenpulli ging er von Anhöhe zu Anhöhe, um den Teams Anweisungen zuzubrüllen. Er trug einen Ast mit sich, den er mit einem Sackmesser zu einer Art Speer zugeschnitten hatte.
„War lustig, gestern“, sagte Edi.
„Klar doch.“
„Trix ist sehr lieb.“
„Hm.“
„Wie findest du sie?“
„Nett. Sie ist nett“, sagte Patrick. „Gratuliere.“
„Danke.“ Edi strahlte.

„Hey Waser!“ Kretz hatte sich von hinten genähert, als Patrick dabei war, einen Ast unter einem Baumstamm hervorzuzerren. Er hob seinen Kopf und sah eine graue Masse an der Spitze von Kretz' Speer. Das Ding hatte Beine, schleimiger Saft tropfte herunter. Kretz hatte eine Kröte aufgespießt.
„Zweites Frühstück?“ Kretz grinste. „Mal probieren?“
„Was soll das?“
„Nur ein Scherz. Ich mag es, kleine Kröten aufzugabeln, wenn du weißt, was ich meine.“
„Arschloch.“
„Langsam, Waser. Das war Nintschis Entscheidung. Ihr hat's Spaß gemacht. Find' dich damit ab.“
„Lass mich weiterarbeiten“, sagte Patrick zu Kretz, der noch immer neben ihm stand. Er nahm die Axt und hackte einen Ast weg. Tunguska. Wüstes Land, öde und plattgewalzt. So wie ich, dachte Patrick. Er holte Schwung und hackte noch einen Ast weg und Kretz hob den Arm. Aus Patricks Innerem kam ein Krächzen.
„He!“, rief Edi.
Patrick hieb auf den nächsten Ast und dann auf noch einen, aber den hatte er schon weggeschlagen, oder der war gar nie dagewesen, und die Axt schwang durch und schlug in Kretz' Schienbein.
„Du …“ Aber weiter kam er nicht. Kretz zuckte und fiel um, seine Jeans färbte sich dunkel.
Sie banden das Bein mit Patricks Gürtel ab. Die Schnalle war noch immer defekt und sie nahmen Edis Gürtel dazu.
„Du verfluchter Wichser. Ich bring' dich um!“, schrie Kretz.

Toni fuhr Kretz ins Spital, zwei Männer gingen mit. Die anderen standen neben der Baracke und schauten dem Wagen nach. Patrick hielt noch immer die Axt in der Hand. Er zitterte. Edi zündete eine Zigarette an und steckte sie ihm in den Mund.
„Kannst nichts dafür.“
„Okay.“
„Der wird schon wieder.“
„Okay.“
„Was ich dich noch fragen wollte.“
„Ja?“
„Weshalb genau isst du kein Fleisch?“

 

Hej Peeperkorn,

auf mich macht Deine Geschichte erstmal einen soliden Eindruck, das wirkt schon ziemlich gekonnt. Ich kann trotzdem nicht voller Überzeugung behaupten, dass sie mir so richtig gefallen hat.

Ich überlege, ob das eher an der von Dir gewählten Perspektive liegt oder daran, dass ich den Erzähler so uneindeutig finde. Teilweise wirkt der blasiert, oft unbeteiligt und gleichzeitig kommt er mit einem Batzen unverdauter Gefühle daher. In diesem Zwiespalt geht die Spannung, die seine Versuche etwas aus sich zu machen, was er gar nicht ist, haben könnte für mich verloren.

Vielleicht wäre es mir anders gegangen, wenn eben perspektivisch eine größere Distanz zu ihm und seinem Handeln vorgegeben gewesen wäre. Eigentlich würd ich immer behaupten, es gibt nichts Spannenderes als jemandem beim Scheitern zuzusehen, wobei das jetzt sensationslüsterner klingt, als ich es meine.
Ich will sagen, dass ich solche Underdogs lieber lese als alles andere.
Ich bin mir aber wie gesagt nicht sicher, wie Du den meinst.

Vielleicht spielt auch eine Rolle, dass die Rückblenden auf Noemi mir zu blass wirkten, weder ihn noch seine Verliebtheit konnte ich da nachempfinden.
Dagegen mochte ich die Beschreibungen der Arbeit im Wald. Da hatte ich das Gefühl, dass die Geschichte was hergibt.
Dieser Unfall am Schluss, der wirkte dann wieder etwas gewollt auf mich.

Mal so drei Anmerkungen:
"als hätten die Götter Mikado gespielt"
da fehlt mir jetzt die göttliche Perspektive, wenn man mitten drin steht, sieht es bestimmt anders aus

"die meiste Zeit verbrachte ich gebückt, Schweiß rann in meine Arschspalte"
Fand ich insofern irritierend, weil der Schweiß vermutlich nicht nur da rann aber selbst wenn, was fange ich mit dieser Information an?

Den Freier-Wille-Absatz fand ich etwas sperrig. Falls das eine Art Überleitung von Noemis/Ninas freiem Willen zu seinem eigenen Versehen/Willen andeuten sollte, ist mir das einen Tick zu demonstrativ, als kurzer Exkurs zum freie Willen zu unergiebig.

Soweit meine Eindrücke. Viel Spaß hier weiterhin.
Gruß
Ane

 

Lieber Peeperkorn,

jetzt habe ich deine Geschichte zum zweiten Mal gelesen und stehe ihr wie beim ersten Mal ziemlich unschlüssig gegenüber. Irgendwie kann ich sie nicht packen – nicht die Charaktere und auch nicht das, was da eigentlich geschieht.
Fangen wir mit dem Ich-Erzähler an: Er hat es schwer mit den Frauen, schafft es nicht, an sie heranzukommen, nicht an Noemi, nicht an Nina. Warum das so ist, reißt du an, vertiefst es aber nicht:

So wie andere üben mussten, sich zivilisiert zu benehmen, so musste ich mich anstrengen, um zu verwildern.
Was meinst du damit? Ist der Schlag mit der Axt (der mir recht konstruiert erscheint), wenn es denn kein Zufall ist, der erste Schritt in diese Verwilderung, raus aus seinem Frust, hin zur Männlichkeit? Aber auch hier bleibst du vage, für mich zu vage. Und was ist mit den beiden Frauen los? Warum verhält sich Nina, wie sie sich verhält? Geht sie zu Kretz, weil der Ich-Erzähler zu unsicher ist, weil er es nicht schafft, offen zu sein, offen zu sagen, was er empfindet, was er möchte, wonach er sich sehnt? Oder liegt der Schlüssel in ihrer Person? Aber wo finde ich ihn? Dieselben Fragen stellen sich mir auch bei Noemi. Du sprichst von einem ‚Desaster’, ein wirklich großes Wort, dessen Substanz dein Text mMn nicht hergibt.

Die einzige Person, die ich mir wirklich vorstellen kann, das ist Kretz, dieser Widerling. Er ist konsequent: quält Tiere und Menschen.

Peeperkorn, was mir bei dieser Geschichte fehlt, ist das, was ich sonst bei deinen Geschichten so mag: das Psychologische, das das Handeln der Menschen erklärt. Diese Dimension suche ich vergeblich. So erschließen sich mir die Personen und ihr Handeln leider nicht.
Nebenbei: die sexuellen Einsprengsel kommen mir zu gewollt vor, wirken (mir) in deinen Sätzen wie Fremdkörper.

Gut beschrieben hast du den Rahmen, die Aufräumarbeiten. Hier finde ich schöne Stellen. Am besten hat mir

… als hätten die Götter Mikado gespielt.

gefallen. Ein schönes Bild, um die Auswirkungen eines ‚Kyrill’ oder anderer Stürme zu veranschaulichen.

Lieber Peeperkorn, diesmal hat mir deine Geschichte leider nicht so gut gefallen. Ich bin auf deine nächste gespannt. In diesem Sinne

liebe Grüße in die Schweiz
barnhelm

 

Hallo Peeperkorn,

und war kalt wie die Sau
Ich kenne das nur als „kalt wie Sau“
Okay, bei „Grössen“, „frassen“ und „und meine Schuhe liessen durch“ erkannte ich schon: Schweiz :)
Dispensationsgesuch und Bierharassen musste ich hingegen schon googlen ...

zwei Lastwagen umgekippt, die vor der Garage Gabriel standen,
"die vor Gabriels Garage standen"
oder „Garage von Gabriel“.
Oder meinst du mit Garage gar nicht eine überdachte, abschließbare Parkmöglichkeit für ein Auto, sondern eine Autowerkstatt? (Wie im Englischen ...) :hmm:

„Was hat die Axt hier zu suchen? Verfluchte Weichbirnen!“, schrie Kretz.
Der Satz steht da so völlig zusammenhangslos am Ende des ersten Absatzes.
Was ist denn passiert und was passiert denn danach? ist er dadrauf getreten o.ä.?

Die folgenden Sätze gefallen mir sehr gut:

Mein Partner war Edi, ein drahtiger Zweimetermann, dessen Gesicht an Munchs Schrei erinnerte, zumal er in einer viel zu engen Jacke steckte.
Und an diesem Abend bot sich die Chance, einen ersten Schritt zu tun, denn Nina hatte sich zu mir gesetzt, hier oben, wo es keine Dusche gab, Sägemehl an meinen Kleidern klebte und die Hände nach Fichtenharz rochen.
Die Stimmen der anderen verschmolzen zu akustischem Brei, die absurde Arbeit im Wald schien Monate her zu sein, der Kirsch brannte in meiner Kehle, meine Blase schmerzte.
Hier sei es warm und man könne nebeneinander liegen, wie er mir im Tonfall eines Kindes erklärte, das von seinem Lieblingsversteck erzählt.

Den Absatz „Freier Wille“ fand ich etwas schwierig; passte sprachlich und inhaltlich irgendwie nicht ins Gesamtbild.

Im Großen und Ganzen eine schöne Geschichte mit teilweise sehr guten Beschreibungen/Vergleichen.

Hat mir Spaß gemacht.

Liebe Grüße,
GoMusic

 

Hallo Ane

Besten Dank für deinen hilfreichen Kommentar.

Ich überlege, ob das eher an der von Dir gewählten Perspektive liegt oder daran, dass ich den Erzähler so uneindeutig finde. Teilweise wirkt der blasiert, oft unbeteiligt und gleichzeitig kommt er mit einem Batzen unverdauter Gefühle daher. In diesem Zwiespalt geht die Spannung, die seine Versuche etwas aus sich zu machen, was er gar nicht ist, haben könnte für mich verloren.

Das war eine bewusste Entscheidung, aber wohl keine glückliche. Ich wollte etwas mehr Offenheit in meine Figuren reinbringen, weniger erklären, mehr beschreiben, wollte eine auch etwas widersprüchliche Figur schaffen (der Typ ist zwanzig, oder so). Ich finde diese eindeutigen Charaktere und Erzähler meist etwas langweilig. Aber das muss ich austarieren. Besten Dank für diesen Hinweis.

Vielleicht wäre es mir anders gegangen, wenn eben perspektivisch eine größere Distanz zu ihm und seinem Handeln vorgegeben gewesen wäre.
Gute Idee, vielleicht schreibe ich es noch entsprechend um.

Vielleicht spielt auch eine Rolle, dass die Rückblenden auf Noemi mir zu blass wirkten, weder ihn noch seine Verliebtheit konnte ich da nachempfinden.
Kann ich nachvollziehen. Da fehlt noch eine Episode, zwei.

Dieser Unfall am Schluss, der wirkte dann wieder etwas gewollt auf mich.

Das finde ich schwierig. Der Unfall ist ja erstens mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gar keiner. Und er ist doch einer der Gründe, weshalb Zimmermann die ganze Geschichte überhaupt erzählt. Vielleicht muss ich das irgendwo deutlich machen.

Fand ich insofern irritierend, weil der Schweiß vermutlich nicht nur da rann aber selbst wenn, was fange ich mit dieser Information an?

Ist doch dort besonders unangenehm, aber wird sonst schon deutlich und ich habe es gestrichen.

Den Freier-Wille-Absatz fand ich etwas sperrig. Falls das eine Art Überleitung von Noemis/Ninas freiem Willen zu seinem eigenen Versehen/Willen andeuten sollte, ist mir das einen Tick zu demonstrativ, als kurzer Exkurs zum freie Willen zu unergiebig.

Dacht‘ ich mir. Habe den Abschnitt gestrichen.

Viel Spaß hier weiterhin.

Bei solch hilfreichen Kommentaren: auf alle Fälle!

Lieber Gruss
Peeperkorn


Liebe barnhelm

Schade, dass dir der Text nicht so gefallen hat. Du hattest einen ähnlichen Leseeindruck wie Ane, wenn ich dich recht verstehe.
Ich wollte mal eine Geschichte schreiben, in der „das Psychologische, das das Handeln der Menschen erklärt.“ etwas reduziert und nicht so viel erklärt wird. Das ist nicht so gut gekommen, wie gesagt, muss ich das wohl noch etwas austarieren lernen.

Besten Dank, barnhelm, deine Rückmeldungen helfen mir hierbei sehr.

Liebe Grüsse
Peeperkorn

Hallo GoMusic

Oder meinst du mit Garage gar nicht eine überdachte, abschließbare Parkmöglichkeit für ein Auto, sondern eine Autowerkstatt? (Wie im Englischen ...) :hmm:

Genau! Habe es kursiv gesetzt.

Der Satz steht da so völlig zusammenhangslos am Ende des ersten Absatzes.

Ich wollte Kretz schon mal einführen, als Feldherr, der über der ganzen Szenerie herrscht. Ist aber nicht nötig und wenn es verwirrt… Ich habe den Satz gestrichen.

Den Absatz „Freier Wille“ fand ich etwas schwierig; passte sprachlich und inhaltlich irgendwie nicht ins Gesamtbild.

Ich wollte einleiten, dass der Erzähler selbst nicht weiss, ob er absichtlich zugeschlagen hat, oder nicht. Ich streiche die Passage.

Im Großen und Ganzen eine schöne Geschichte mit teilweise sehr guten Beschreibungen/Vergleichen. Hat mir Spaß gemacht.

Das freut mich.

Ganz lieben Dank, GoMusic, für deine Anmerkungen.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Lieber Peeperkorn,

Ich mochte den Anfang der Geschichte sehr, das las sich toll, ich roch förmlich den Wald. Ab da, wo das Thema "Frauen" dazu kommt, kann ich mich in den meisten Punkten Ana anschließen, sie hat das, was auch mich bei dem Text irriiert hat, gut auf den Punkt gebracht.

So, wie ich deinen Protagonisten verstehe, ist er eigentlich weder Noemi noch Nina gegenüber ehrlich, sondern spielt eine Rolle und Beide verübeln es ihm, als er aus der Rolle fällt und wenden sich ab. Und ich als Leserin kann ihn auch nicht wirklich fassen, was vielleicht auch an seiner inneren Sprache liegt, die von derb zu Bildungsbürgertum wechselt und wieder zurück. So wirkt mal die "Arschspalte" mal der philosophische Einschub fremd auf mich.

Aber es gab auch viele Stellen, die mir richtig gut gefallen haben.

„Du bist also der Fremde“, fragte sie.
„Na ja, ich bin hier geboren.“
„Aber du wohnst in der Stadt? Studierst?“
„Ja. Und du?“ Kein Gelaber über mein Studium. Geheimnisvoll geblieben. Gut gemacht.
„Ich bin Malerin.“
„Okay. Was malst du denn? Welcher Stil?“
„Malerei Kuster. Ich streiche Wohnungen.“

Amüsant, wie er sich anstrengt und dennoch in jede Falle tappt!

Ich spielte mit drei anderen Jungs Karten. Nicht die schnellsten Denker und so blieb mir Zeit, den Kopf zu heben, die Stirn zu runzeln, als ob ich einen raffinierten Spielzug ersinne, und dabei einen Blick auf Nina zu werfen, nur ab und zu, so dass sie nichts merkte. Nach einer Weile, so dachte ich, hätte ich ein Bild von ihr, einen Gesamteindruck, ohne sie anstarren zu müssen. Doch ich hatte so was wie visuelle Amnesie. Wie sah sie schon wieder aus? Ich riskierte noch einen Blick und dieses Mal sah sie mich direkt an, ihre Augen waren schwarz wie Kohle und mein Schwanz wurde hart.

Das gefällt mir gut, auch wie raffiniert er sich dünkt, das ist süß mit der Amnesie.


„Na ja. Weisst du, wie er über dich spricht, hinter deinem Rücken?“
„Ja, das weiss ich. Er nennt mich ein geiles Stück Frau.“ Sie goss sich einen Schnaps ein, ihre Hände zitterten. „Und was willst du jetzt tun? Ihn verprügeln? Mich retten? Ist es das, was du willst? Das arme Mädchen retten? Böse Männer von ihm fernhalten?“
„Ich dachte nur.“
„Nicht denken, Fremder. Aber du meinst es sicher nur gut.“ Sie stand auf. „Ich muss mal.“

Das Fettgedruckte finde ich zu viel. Irgendwie unglaubwürdig, dass sie seine Aussage mit so vielen Worten und in diese Richtung interpretieren würde. So naiv schätze ich sie nicht ein. Er will sie ja nicht retten, er will mit ihr ins Bett und sich etwas beweisen. Es wirkt auch so, als versuche er bei ihr Punkte zu machen, indem er den Kretz anschwärzt und dass sie darauf ablehnend reagiert finde ich verständlich. Er outet sich einfach mit diesem Satz, dass er nicht zu ihrer Welt gehört.

Ich merke, dass ich meine zwiespältigen Gefühle gegnüber dem "Zimmermann" nicht ganz von meiner Textkritik trennen kann, als Charakter stimmig finde ich ihn dann wieder schon. Er ist sexuell und in seinen Aggressionen sehr gehemmt. Deshalb muß er das alles hintenrum regeln (z.B. als er dem Kretz ins Bein hackt) oder planen:

Mir war klar, dass der Kerl, der ich sein wollte, keine Entschlüsse fasst, die seinen Charakter betreffen, aber hey, es war ein Anfang. So wie andere üben mussten, sich zivilisiert zu benehmen, so musste ich mich anstrengen, um zu verwildern.

Dass ihm sein Dilemma halb bewußt ist, passt gut dazu.

Es gibt in deiner Geschichte so Momente, wo er mal etwas mehr zu sich kommt.

Für jeden Holzstoss einen Kanister Benzin. Schwarzer Rauch brannte in unseren Augen, doch wir blieben in der Nähe stehen, zogen die Handschuhe aus und streckten die Arme in Richtung der Flammen. Es fühlte sich gut an, so als habe man seine Wohnung entrümpelt und schaue den Müllwagen zu, wie sie wegfahren und am Horizont verschwinden. Einen Moment lang dachte ich, dass es ganz gut gewesen sei, dem Aufgebot zum Arbeitseinsatz Folge zu leisten und es nicht mit einem Dispensationsgesuch zu beantworten.

Vielleicht sollte er noch etwas mehr Zeit im Wald zubringen. ;)

Es ist immer interessant deine Geschichten zu lesen, Peeperkorn!

Liebe Grüße von Chutney

 

Liebe Chutney

Vielen Dank für deine Anmerkungen. Du verstehst es sehr gut, das Positive ebenso wie das Problematische herauszustreichen. Besonders den Hinweis zur "Rede" von Nina fand ich sehr hilfreich. Man läuft ja Gefahr, Dinge, die man selbst eigentlich sagen möchte, in den Mund der Protagonisten zu legen. Ich habe den ganzen Text durch ein: "Na und?" ersetzt. :)

Merci und lieber Gruss
Peeperkorn

Liebe alle

Vor dem Hintergrund eurer Bemerkungen habe ich grössere Änderungen vorgenommen:
- Erzählperspektive: Ich - Er
- Den Protagonisten "vereinheitlicht". Weniger Schwanken zwischen derber und gehobener Sprache.
- Alle Passagen zu Noemie gestrichen.
- Namen geändert

Liebe Grüsse
Peeperkorn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Peeperkorn,

die Geschichte hat schon eine gewisse Atmosphäre. Mit deiner Wortwahl ist sie doch an manchen Stellen sehr speziell, damit machst du manchem deutschen Leser erstmal keinen Gefallen. Aber andererseits gibt es dadurch auch einen Kolorit. Du musst dir halt als Autor im Klaren sein, dass der eine oder andere mal googlen muss oder sich fragt, was du mit bestimmten Ausdrücken sagen wolltest.

Mir fehlt in der gesamten Handlung ein wenig der Fokus. Worauf wolltest du hinaus? Patrick ist der Hauptprotagonist, aber irgendwie läuft der an mir vorbei. Ich würde auch in der dritten Person näher an ihn dran. Wie fühlt er sich bei diesem Arbeitseinsatz? Ist er auf Kretz neidisch, wenn der Nina vögelt oder regt er sich über sich selbst auf, weil er so schüchern ist? Was denkt er, als er die Zwei draußen hört?
Mir kommt es so vor, als dass der Autor selbst nicht so recht wusste, ob er nun den Arbeitseinsatz als solchen thematisieren oder den Patrick innerhalb dieses Settings vorstellen wollte. Gewichte da noch um, damit man als Leser besser rein kommt.

Hier z.B.

„Lass mich weiterarbeiten“, sagte Patrick zu Kretz, der noch immer neben ihm stand. Er nahm die Axt und hackte einen Ast weg und holte Schwung und hackte noch einen Ast weg und dann noch einen dritten, aber den hatte er schon weggeschlagen, oder der war gar nie dagewesen, und die Axt glitt ab und schwang durch und schlug in Kretz` Schienbein.

könnte viel mehr Emotion von Patrick rein. Erzähl von Wut oder Fremdkräfte, die einwirken oder irgendwas, was Patrick vereinnahmt hat - das könnte ein sehr dynamischer Absatz sein, wo man als Leser mitfiebert und denkt, hey Patrick, pass' auf, was du machst, du hast eine Axt in der Hand ... aber so schnell kann ich gar nicht denken, da ist die schon im Schienbein drin.

Und der Reihe nach:


Nebel hing zwischen den wenigen Bäumen, die noch standen. Es nieselte und war kalt und doch schwitzten sie in den aus grobem Stoff gefertigten Arbeitskleidern, die sie am Morgen im Materialdepot vorgefunden hatten. Zwei Grössen zur Auswahl, orange Streifen über Brust und Rücken, dazu weisse Helme und Handschuhe. Man hatte sie zur Baracke in der Obereichi gefahren, und nun, nach einer halben Stunde Marsch, standen sie im feuchten Unterholz.

Nach diesem Absatz dachte ich, es handele sich um ein Setting zwischen 1900 und 1945. Alleinig die orangen Streifen haben mich dabei irritiert. Ich komme auf diese Annahme, weil ich unter grobem Stoff gefertige Arbeitskleidung und dem Begriff Baracke, dazu noch ein halbstündiger Marsch sofort ein Arbeitslager vor Augen hatte.

Das Bild änderte sich dann erst durch

... und diese Aufgabe übertrug man Zivilschützern, denjenigen Männern, die von sich sagten, sie könnten nicht gut hören und kifften jeden Tag, oder aus sonstigen Gründen nicht dazu taugten, der Schweizer Armee zu dienen

Für mein besseres Verständnis wäre mit ... und doch schwitzten sie in der Sicherheitsbekleidung aus starrem Material/Stoff geholfen.

Der Boden war glitschig und Patricks Schuhe liessen durch.
Mag sein, dass man das in der Schweiz so sagt. Mir fehlt da z.B. Feuchtigkeit oder die Nässe
.

Einige Monate zuvor hatte ein Sturm das Dorf heimgesucht, Hausdächer abgedeckt, zwei Lastwagen umgekippt, die vor der Garage Gabriel standen, und in einem finalen Kraftakt den Blick auf die Kirchturmglocken freigelegt.
Der Satz ist kompliziert zu lesen. Muss denn auch noch die Garage Gabriel heißen? Das ist ein Stolperstein, trotz kursiver Schreibweise. Vielleicht könntest du eine Autowerkstatt Bürli oder sowas draus machen, Garage ist in Deutschland ja nur der Platz, wo das Auto abgestellt, aber nicht repariert wird. Oder lass doch den Part die vor der Garage Gabriel standen komplett weg, da fehlt dann doch nichts, dann komme ich auch besser mit dem Kirchturm klar.
Den Wald hingegen musste man noch aufräumen und diese Aufgabe übertrug man Zivilschützern, denjenigen Männern, die von sich sagten, sie könnten nicht gut hören und kifften jeden Tag, oder aus sonstigen Gründen nicht dazu taugten, der Schweizer Armee zu dienen.
ist das Kiffen ein Grund, dass man nicht eingezogen wird :D ?
zudem sollte es dann meiner Ansicht auch ... oder würden täglich kiffen heißen, ansonsten muss der Verweigerer ja schlecht hören und kiffen, um untauglich zu sein.

Von der Truppe war keiner über dreissig, die meisten kannten sich, und alle wohnten im Kanton.
Du meinst, alle sind aus der Gegend. Ansonsten sollte es der hiesige Kanton sein,
Für das Grobe waren Waldarbeiter zuständig. Ihnen blieben Handsägen und Äxte.
Falscher Bezug. So blieben den Waldbarbeitern die Handsägen und Äxte.


In der Mittagspause setzten sie sich mit den Sandwiches und den Militärkeksen, die Kretz ihnen in die Hände gedrückt hatte, auf einen Baumstumpf etwas abseits von den anderen, Rücken an Rücken.
Konnte man die Kekse auch verweigern? Ist ja schon paradox, die zu verteilen.

Waschlappen fanden den Weg unter Achselhöhlen,
Ich stelle mir dabei vor, dass die wie ferngesteuert angeflogen kommen.
Also wenn die sich tatsächlich waschen, würde ich das etwas anders formulieren.

Patrick spielte mit drei anderen Jungs Karten. Nicht die schnellsten Denker und so blieb ihm Zeit, den Kopf zu heben, die Stirn zu runzeln, als ob er einen raffinierten Spielzug ersinne, und dabei einen Blick auf Nina zu werfen, nur ab und zu, so dass sie nichts merkte.

Es waren nicht die schnellsten Denker
fände ich in der Erzählperspektive passender.
Patrick hatte die Farbe nicht bedient und die restlichen Stiche gehörten den Gegnern

Da fehlt ein Punkt.

Nina hatte sich zu Patrick gesetzt, dort oben, wo es keine Dusche gab, Sägemehl an seinen Kleidern klebte und die Hände nach Fichtenharz rochen.
Aber wir sind doch dort oben im Setting.

Nina hatte sich zu Patrick gesetzt, zu ihm, dem Sägemehl an den Kleidern klebte und die Hände nach Fichtenharz rochen. (Ich dachte, die Arbeitskleidung hätten sie ausgezogen, darunter dürfte dann ja kein Sägemehl mehr sein, oder?)

„Du bist also der Fremde“, fragte sie.
Und wo ist das Fragezeichen?

„Ich bin Malerin.“
„Okay. Was malst du denn? Welcher Stil?“
Malerei Kuster. Ich streiche Wohnungen.“
:D


Nina war neunzehn. Vor zwei Jahren war sie von daheim ausgezogen und hatte zusammen mit ein paar Typen ein grosses Bauernhaus gemietet, dessen Innenwände sie komplett schwarz strichen. Sie warf Drogen ein, deren Namen Patrick nicht kannte, und rauchte gelegentlich Heroin, was im Kanton damals, mit zwei Jahren Verzögerung gegenüber Zürich, ziemlich in Mode war. Ihre Freunde nannten sie Nintschi, weil sie Witschi zum Nachnamen hiess, sie mochte Splatterfilme und hatte keinen Freund.
Hier fehlt mir ein Übergang von dem Dialog zu diesen Informationen. So was in der Art wie:
Dann plapperte sie drauflos.

Die ist eine Nummer zu gross für dich, dachte Patrick, riss sich zusammen, leerte seinen Geist, füllte zwei Gläser mit Schnaps und machte auf Zen. Begehre nicht und du bekommst, was du willst.
Ist Geist ein Schnaps oder sein Hirn oder was? Verstehe ich nicht.

Kretz hatte Recht. Sie quiekte wie ein Schwein. Sie waren nach draussen gegangen, hatten es aber vorgezogen, in der Nähe der Baracke zu bleiben.
„Warte“, hörte man Kretz flüstern. „Stütz dich da ab.“

In der Nähe bedeutet für mich ein paar Schritte entfernt. Da kann ich kein Flüstern mehr hören, immerhin hat eine Baracke ja doch eine Wand, wenn auch eine dünne. Dann lass' doch Nina sich an der Barackenwand abstützen, dann könnte man evtl. das Flüstern hören.

„Hey Waser!“ Kretz hatte sich von hinten genähert, als er dabei war, einen Ast unter einem Baumstamm hervor zu zerren. Patrick hob seinen Kopf und sah eine graue Masse an der Spitze von Kretz` Speer.
Speer? Wo kommt denn der her und was macht man mit einem Speer beim Holzfällen? Ginge auch ein Taschenmesser?

„Du …“ Aber weiter kam er nicht. Er schrie und zuckte und die Jeans färbten sich dunkel.
färbte


Liebe Grüße
bernadette

 
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Liebe benadette

Ja, die Sache mit dem Kolorit, ich glaub‘ ich lasse das mal so. Wenn ich die Geschichte in Buochs spielen lasse und dann „Autowerkstatt“ schreibe: das passt für mich nicht.
Merci für deine sorgfältige Lektüre und deine vielen Tipps, die ich alle umgesetzt habe, ausser:

Speer? Wo kommt denn der her und was macht man mit einem Speer beim Holzfällen? Ginge auch ein Taschenmesser?

Den hat er sich vorher auf der Anhöhe aus einem Ast geschnitzt – wie ich geschrieben habe.

Mir fehlt in der gesamten Handlung ein wenig der Fokus. Worauf wolltest du hinaus? Patrick ist der Hauptprotagonist, aber irgendwie läuft der an mir vorbei. Ich würde auch in der dritten Person näher an ihn dran. Wie fühlt er sich bei diesem Arbeitseinsatz? Ist er auf Kretz neidisch, wenn der Nina vögelt oder regt er sich über sich selbst auf, weil er so schüchern ist? Was denkt er, als er die Zwei draußen hört?
Mir kommt es so vor, als dass der Autor selbst nicht so recht wusste, ob er nun den Arbeitseinsatz als solchen thematisieren oder den Patrick innerhalb dieses Settings vorstellen wollte. Gewichte da noch um, damit man als Leser besser rein kommt.

Ich finde das, was du schreibst, überzeugend und ich habe mich diesbezüglich noch mal drangesetzt.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
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"Der Alte schlummert wie das Kind,
Und wie wir eben Menschen sind,
Wir schlafen sämtlich auf Vulkanen."
- Zahme Xenien –
Johann Wolfgang von Goethe​

Ihre Freunde nannten sie Nintschi, weil sie Witschi zum Nachnamen hiess
Feines Wortspiel von der Weißbinderin bis da Wintschi,

lieber Peeperkorn,

aber nicht nur der Scherz, dem ich ein
'jeder Kretz kennt wenigstens einen, den er mag wie die Krätze'
hinzufügen möchte, gelingt, auch entführstu uns gekonnt in die Tiefen des Konjunktivs, der freilich hier

und er hatte den Eindruck, dass er ziemlich streng roch.
noch durch ein „röche“, zumindest aber ein „rieche“ angereichert werden sollte. (Ich selbst bevorzugte allemal die Bildung mit dem Konjunktiv irrealis, weil manchem beim Lesen dann ein Röcheln unterschwellig mitschwingen dürfte.
Aber so geht’s halt in meinem bekloppten Hirn zu. Es will halt immer nur spielen … selbst bei der Arbeit).

Ansonsten gibt’s, find ich, da nix zu mäkeln auf Deinem Weg zum Chronisten menschlich allzu menschlicher Konflikte, vom Verrat bis zu Naturkatastrophen. Bis halt auf ein, zwei Sächelchen.

Zunächst

, als er dabei war, einen Ast unter einem Baumstamm hervor zu zerren
„hervorzerren“ ein Wort,
und zwomal kleinere Flüchtigkeiten wie ein Dreher
Leidglich seinen Heimatschein hatte er dort gelassen,
und einem Wort zu viel ("von") oder wenigstens einem ("gerade"?, o. a.)
Der Nebel von hatte sich verzogen, die Sonne wärmte ihre Körper.
zu wenig.

Gern gelesen vom an-teilnehmenden Beobachter

Friedel,

der noch auf einen gelungenen Text des Kollegen Setnemides hinweisen möchte, der sich mit den Folgen des realen Tunguska befasst und m. E. zu wenig Beachtung gefunden hat
http://www.wortkrieger.de/showthread.php?55759-Sibirische-Löcher

 

Lieber Friedel

Sehr schön, das Goethe-Zitat!

auch entführstu uns gekonnt in die Tiefen des Konjunktivs

Das freut mich! Man lernt und lernt... / Zu deinem Vorschlag: Ich habe mich für das bescheidenere "rieche" entschieden.

auf Deinem Weg zum Chronisten menschlich allzu menschlicher Konflikte, vom Verrat bis zu Naturkatastrophen.

Ja, in diese Richtung scheint es zu gehen. Und ich sehe mich von anteilnehmenden Beobachtern begleitet und unterstützt.
Danke auch für die Hinweise bezüglich der Flüchtigkeitsfehler und der Tunguska-Story.

Herzlich,
Peeperkorn

 

Hallo,

ich finde das hier dein bester Text. Da steckt ein guter Konflikt drin, das Naturalistische, und dann das Verknöcherte, das Urbane - was gibt mehr her, was wirkt in einem Wesen nach? Ist ja auch ein wenig die Geschichte einer bestimmten Art von Männlichkeit, das Virile, Geschlechtliche, Rohe, auch das Dominante. Das ist hier sehr gut gemacht. Es ist natürlich auch ein wenig eine verschwiegene Wahrheit, dass Frauen sagen, sie mögen diese neuen (ich nenn das mal so) Männer, die sich ausdrücken können und benehmen und "Frauen verstehen", aber sexuell anziehend und attraktiv sind oft andere Typen.

Was ich an dem Text gut finde und mag, ist die Geschlossenheit, das Kompakte. Er ist auch nüchtern verfasst, da kann man sich ganz gut in den Figuren und ihren Dialogen wiederfinden.

Ich würde mal gerne was längeres lesen von dir, ob sich so was auch auf eine Strecke hin erzählen und durchhalten lässt.

Gruss, Jimmy

 
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Hey Jimmy

Dieser Text hier hat von den Wortkriegern extrem profitiert. Ane, barnhelm und Chutney haben anhand der ersten Version glasklar aufgezeigt, was nicht funktioniert. GoMusic, bernadette und Friedel haben sehr wichtige Ergänzungen geliefert.

das Naturalistische, und dann das Verknöcherte, das Urbane - was gibt mehr her, was wirkt in einem Wesen nach? Ist ja auch ein wenig die Geschichte einer bestimmten Art von Männlichkeit, das Virile, Geschlechtliche, Rohe, auch das Dominante.

Was du jetzt – rund drei Monate später – über den Text in seiner überarbeiteten Fassung schreibst, entspricht genau dem, was ich ursprünglich intendiert habe.

Weiss nicht, ob das jetzt interessant ist, aber vielleicht liest jemand mit, der, so wie ich, noch nicht so viel Erfahrung im Schreiben und im Umgang mit Kritik hat. Auf alle Fälle war dieser Text in meinem Kopf als mässig geglücktes Experiment abgehakt – einfach deshalb, weil darunter eine Anzahl berechtigter Einwände steht. Ich habe die Qualität des Textes gar nicht mehr gesehen. Dabei dachte ich beim Schreiben, dass ich die Richtung, die der Text thematisch einschlägt, gerne weiterverfolgen möchte.

Das Gegenteil wäre natürlich genau so verheerend: Dass jemand den Text gut findet, macht ihn nicht besser. Aber dein Kommentar ermutigt mich, das durchzuziehen, was ich ja eigentlich weiss: Sich nicht damit aufhalten, seine eigenen Texte gut oder schlecht zu finden, sondern arbeiten, arbeiten, arbeiten. Die Texte schreiben, die man schreiben will, und das, so gut man eben kann. Den Rest kann man nicht kontrollieren. Klingt einfach - ich arbeite dran.

Ich würde mal gerne was längeres lesen von dir, ob sich so was auch auf eine Strecke hin erzählen und durchhalten lässt.

Das freut mich sehr. Genau das ist der Plan. Ich werde mein Arbeitspensum ab nächsten Herbst deutlich reduzieren und dann geht’s los.

Merci!
Peeperkorn

 

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