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- 23.05.2003
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Tu es nicht, Carina
Tu es nicht, Carina!
Die weißen Flecken auf der Landkarte haben wir längst bis zum letzten Millimeter vermessen. Die Schrecken des Winters schmelzen an unseren Zentralheizungen dahin. Uhren ticken überall; kurzweilig haben wir die Zeit eingefangen, denn Langeweile wird umgeschaltet.
Und bis in die kleinsten Ecken der vormalig angstvollen Dunkelheit dringen unsere nett designten Halogenlampen.
Üble Gestalten in schlechten Träumen weiß unser Therapeut zu tagrestigen Neurosen in Spiritus zu machen, stellt sie leise lächelnd in die weiße Vitrine.
Letztlich scheint nur der Tod selbst noch eine kleine Lache von dem bodenlosen schwarzen Ozean zu sein, der einst diese Welt der Wunder und des Grauens bedeckte.
Nur die Kinder können heute noch die Weite jenes Meeres ermessen, wenn das Licht ausgeht und fremdartige Wesen aus den Tiefen des Wassers aufsteigen, um sich ein wenig in der diesseitigen Welt zu räkeln, was sie gern tun unter ihren Betten.
Die Kinder sind es auch, die merken, wenn ein Sturm den alten Ozean peitscht, Fluten hochsteigen und die Milch in der Cornflakeschüssel überschwappen lässt.
Ihre schlechten Eigenschaften werden dann böse. In Scharen laufen sie den Schwachen laut johlend hinterher, treten jeden, der am Boden liegt, lachen dabei und zucken im Rhythmus der auflaufenden Flut.
Die Erwachsenen sind dann schnell entnervt, sehen sich ausrutschen auf dem dünnen Eis ihrer völlig verplanten, pünktlich tickenden Tagplanwelt. Das es nur Eis ist, sehr dünn, was darunter ist, wollen oder können sie nicht ermessen.
Benimmt dich, sagen sie und, ich muss jetzt weg.
Weit schlimmer aber ist, dass sie den alten Ozean nicht kennen, nicht wissen, was eine Sturmflut bedeutet, noch was sie an Land spülen kann, bis vor den Laptop in ihrem Büro.
An einem solchen Tag des Sturms wurde Carina geboren.