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T'schuldigung, ich muss mal.
Ob ich mal eben kann?
T’schuldigung, ich weiß ja, ich bin hier irgendwie nicht richtig, aber ich muss wirklich mal dringend auf’s Klo! Ach Kacke, ich sag doch sonst immer ganz ladylike „zur Toilette“. Fünf Augenpaare und ein einzelnes glotzen mich an. Der Schweiß bricht mir aus und meine zum x verkrampften Beine versteifen sich tatsächlich noch ein wenig mehr. Ich weiß, dass ich im Moment ein bisschen furchteinflößend aussehe und normalerweise weichen die Menschen dann auch immer ein wenig vor mir zurück, aber hier? Stummes glotzen. Toll, jetzt presse ich auch noch meine rechte Hand zwischen meine Beine und drücke sie so feste in den Schritt, dass ich leise quicke. Egal, hektisch sehe ich mich um und da ist eine, es gibt nur diese, also wird sie es wohl auch sein. Mit meinen x-verkrümmten Beinen und der Hand im Schritt robbe ich auf sie zu, so schnell es mir eben unter diesen Gegebenheiten möglich ist. Mittlerweile stoße ich komische Laute aus, zwischen Keuchen und Wimmern. Auf meinem Weg muss ich ziemlich nahe an zwei der Männer vorbei, die jetzt von ihren Stühlen aufspringen und einen kleinen Hüpfer nach hinten machen. Na also, geht doch.
An der Tür angekommen, für das menschliche Auge nicht mehr sichtbar, wechsle ich blitzschnell die Hände, presse die linke in den Schritt und mit der rechten drücke ich die Klinke runter, schmeiße mich in den Raum. Die Tür knallt gegen die Wand und schwingt dann direkt auf mich zurück, aber jetzt kann sie mich nicht aufhalten. Ich gehe in die Knie, Gürtel auf, Knopf und Reißverschluss, reiße mir die Hose runter. Wirklich in allerletzter Sekunde drehe ich mich um, gehe endlose Schritte zurück und schon fängt es an zu laufen. Hocke mit gesenktem Kopf und mit zitternden Knien über der Toilette. Mein ganzer Körper bebt. Laaaaaaaaangsam aber merklich entspannen sich meine Gesichtszüge, der Krampf im Unterleib fängt an sich zu lösen und ich kann nur noch glückselig den Kopf schütteln. Tja, und als ich ihn hebe fällt mir auf, leider ist die Tür nicht zugegangen. Sie lehnt offen an der Wand und von hier aus kann ich sie unmöglich erreichen ohne auf den Fußboden zu pinkeln.
Erst mal egal, bleibt sie eben offen. Ich weiß, dass man mich da draußen hören kann, aber noch bin ich im Glückstaumel. Der Pipi-Strahl ist so laut, dass ich befürchte die Toilettenschlüssel kriegt einen Sprung. Auch egal, pure Entspannung. Mittlerweile sind auch meine Beine wieder entspannter, eigentlich weich wie Pudding aber wenigstens nicht mehr verkrampft. Nach ner kleinen Ewigkeit tröpfelt es nur noch und auch das noch, Gott ist mit mir. Weiches, flauschiges Toilettenpapier, und das in Griffweite. Zeitlupe, schleppend wie eine alte Tatteroma, ziehe ich mich an. Langsam dämmert’s mir, jetzt wird’s so richtig peinlich. Da ich ja weiß, dass man mich da draußen hört, wasche ich mir extrem lange und ordentlich die Hände, und ja auch Seife und Papierhandtücher sind da, alles wie es sein soll, Kurz, ein Traum.
Kühle noch mein hochrotes Gesicht und sage mir: „Also Angi, nur coraggio, schon schlimmeres gemacht“. Sammle meine Tasche auf, die ich bei meinem heldenhaften Entern des Klo’s in die Ecke gepfeffert habe, und trete mit erhobenem Haupt aus der Tür. Immer noch. Stummes glotzen. Also noch einmal. „Entschuldigung, aber ich musste wirklich, wirklich dringend. Und ich meine, was ist schon menschlicher als mal zu müssen, oder? Na ja, jedenfalls vielen Dank, dass ich ihre Toilette benutzten durfte. Natürlich bezahle ich das auch“. Ich fange an in meiner Tasche zu wühlen und wie bei jeder anderen ordentlichen Frau, kullern zwischen klebringen Bonbons, Kaugummis, Tabakkrümeln und irgendetwas undefinierbarem ein paar Münzen in ihr rum. Ich greife zwei und gehe zu dem Tisch, um den mittlerweile stumm glotzend die 5 Männer stehen.
Vom Fußboden ein leises Wimmern. Ich schaue nach unten und der Einäugige wedelt mit dem Schwanz. „Na, musst du auch Gassi?“. Ich tätschle dem Vierbeiner vorsichtig den Kopf und mit der anderen Hand lege ich schnell die Münzen auf den Tisch. Zum Glück zwei fünfziger und nicht auch noch zwei fünfer. Ich drehe mich um und jetzt komme ich mir langsam wirklich sehr blöde vor. STUMMES GLOTZEN.
„Ja, war nicht ganz geschickt, aber so etwas kann man doch nicht planen, oder? Ich meine glauben sie mir, mein Vater ist auch Südländer, o.k., kein Türke, aber Sie glauben ja gar nicht wie versnobt Italiener sein können. Bei dieser Sache hier? Der hätte kein Verständnis, wäre echt sauer. Aber noch mal, das war ja so auch nicht vorgesehen, kommt auch nicht wieder vor. Versprochen“. Das stumme Glotzen ärgert mich jetzt doch kolossal und ich überlege ernsthaft, ob ich nicht noch schnell nach einem gewissen Hygieneartikel für Frauen frage. Lass es aber bleiben und haste einfach mit einem Ciao hektisch aus dem Cafe.
Tja, das ist jetzt in etwa so 6 bis 7 Wochen her. Auf meinen Sonntagsspaziergängen habe ich die Straße mit dem Cafè gemieden und bin immer einen immensen Umweg gelatscht, natürlich ohne auch nur einmal auf’s Klo zu müssen. Man lernt ja, sonntags im Vorort ist das Aufsuchen von Sanitäranlagen eben schwierig, ach was sage ich, schwiiiiieriiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiig. Bin zwar jetzt immer halb am Verdursten aber dafür haben sich keine außerplanmäßigen Toilettengänge mehr eingestellt.
Heute ist es anders, ist ja auch lächerlich. Wieso sollte ich denn nicht mehr am Cafe vorbeischlendern? Die Gegend gefällt mir und wenn es doch nicht geht, kann ich ja immer noch die Straßenseite wechseln. Ich sehe das Cafe schon von weitem und alles ist ganz normal. Die Straßen sind leer, nur wenige Autos unterwegs. Es ist ein schöner, kalter aber heller Tag und ich bin zufrieden, bis auf das Durstgefühl natürlich.
Als ich dem türkischen Cafe näherkomme bin ich gar nicht mal abgeschreckt, sondern gehe einfach auf meiner Seite weiter. Wird ja schließlich keiner da rausspringen und mich verkloppen.
Die Fensterscheiben sind zuplakatiert mit türkischen Nachrichten. Aber direkt in der Mittel fällt mir ein besonders großes Schild auf und verblüfft stelle ich fest, dass ich es verstehen kann.
Kein Wunder, es ist ja auch auf Deutsch und ich lese: „Nutzung der Toiletten auch für „Nicht-Gäste (m/w)“ gestattet“. Ich bleibe stehen und grinse, ich freue mich wirklich und ja, es stellt sich sogar ein leichtes Gefühl von Heldentum ein. Jetzt weiß ich auch wieder, was die Menschen mit warm um’s Herz meinen. Aus Scham habe ich niemandem von dem Vorfall erzählt, man ist ja schließlich erwachsen. Jetzt werde ich es vielleicht doch tun, mit dem Gefühl gewisser Zugehörigkeit und ja, fühle mich integriert, denn ich weiß ich könnte hier, wenn ich denn müsste.