Trugschluß oder die Geschichte von der einfachen Logik
Trugschluß oder die Geschichte von der einfachen Logik
Letzte Woche brannte in dem Hochhaus an der Eisenbahnstrasse im dritten Stock noch sehr lange Licht.
Warum war das so, werden sie mich jetzt wohl fragen. Wahrscheinlich sind sie dann auch sehr interessiert, warum ich Ihnen genau dieses jetzt hier erzähle. Ich meine, natürlich, ich könnte die ganze schwierige Geschichte auch für mich behalten, aber ich glaube, dann würden sie jetzt ganz schnell das Buch weglegen oder am Ende noch vor Langeweile gähnen oder sie würden mir am Ende noch vorhalten, ich würde sie erst neugierig machen und dann hinhalten, wo das eigentlich gar nicht meine Art ist.
Es ist ja eigentlich sogar mein Beruf, denn ich bin Pit Kaspriarski, der schnellste Klatschreporter nördlich des Ruhrschnellweges. Sie glauben mir nicht? Wissen sie denn nicht, wer als erster wußte, was die Dame an der Kasse im Supermarkt Ecke Hohenzollernring – Warendorfer Straße über die angebliche Fehlgeburt unseres örtlichen Topmodels wußte? Oder haben sie nicht davon gehört, wer für das Foto auf der hiesigen Tageszeitung verantwortlich war, daß unseren Bürgermeister Arm in Arm mit der Gattin des größten Wurstwarenfabrikanten zeigte? Ich meine, ich will ja hier jetzt gar nicht groß mit meiner Arbeit protzen, aber trotzdem finde ich, daß ich eine Chance verdient habe.
Aber kommen wir zurück zur eigentlichen Geschichte. Ich hatte ihnen ja von dem Licht in dem Hochhaus in der Eisenbahnstrasse erzählt. Ich meine, wer würde dabei nicht ins Grübeln kommen, schließlich beherbergt der postmoderne Glasbetonbau aus den späten 60er Jahren unter anderem eine seriöse Versicherungsgesellschaft, die es trotz einiger Skandale in den vergangenen Jahren in der letzten Zeit kaum noch auf irgendeine Titelseite geschafft hat. Sollte da am Ende wieder irgendetwas im Busch sein? Fragen, Fragen, Fragen, der geneigte Leser wird sich fragen, wann denn nun endlich der wahre Kern der Geschichte zum Vorschein kommt, aber seien sie versichert, es gibt nichts wichtigeres als spannungsgeladene Einleitungen.
So weit, so gut, also nun zu des Pudels Kern.
Letzte Woche Freitag, es war glaub‘ ich, 11 Uhr morgens, kam ich wie der Blitz in meine Stammbäckerei, um mir wie gewohnt, zwei Schokoladencroissants nebst einem halben Liter Kakao einzuverleiben, als ich am Nebentisch nicht umhinkam ein höchst unterhaltsames Gespräch mitzuhören.
Sie werden jetzt sicher denken, daß ich mich in der Beziehung recht schamlos verhalten habe, aber Schamlosigkeit ist nun mal das Brot des Journalisten und im übrigen sprachen meine Tischnachbarn so laut, daß selbst die betagte Bäckermeisterin hinter der langen Glastheke noch längere Ohren machte.
Wobei es in dem Gespräch im Einzelnen ging, ist eigentlich gar nicht so zwingend interessant, allenfalls ortskundigen Lesern sei gesagt, daß es sich zuerst um die stetigen Baumaßnahmen auf dem Ring und den angrenzenden Straßen drehte. Als jedoch zum ersten Mal die Worte „Skandal“ und „Eklat“ fielen, spitze ich die Ohren um so mehr. Das war ja ein tolles Ding! Und das hier?
Um den Spannungsbogen ein weiteres Mal zu erhöhen, sei an dieser Stelle erwähnt, daß es sich hier, um das Lokalkolorit meiner Erzählung zu erhöhen, natürlich um eine Stadt dreht, die sich irgendwo in Deutschland befindet, und daß sich nicht wenige meiner Leser fragen werden, ob es sich nicht um ....... handelt. Aus Gründen der Diskretion und natürlich der Pressefreiheit habe ich das Ganze freilich ein wenig verändert und aufgemotzt.
Nun aber zurück zur eigentlichen Story. Ich war gerade dabei, ihnen zu erzählen, was ich während meines Frühstücks am Nachbartisch aufgeschnappt hatte. Im Detail drehte es sich eigentlich um eigenwillige Ereignisse im Rotlichtmillieu.
Das macht sich übrigens in Schlagzeilen immer besonders gut!
Um den roten Faden wieder aufzunehmen, ich hatte also durch Zufall von diesem Ereignis gehört, konnte es aber nicht verwenden, denn stellen sie sich mal die Ausmaße vor, wenn sich der ganze Vorfall als Ente entpuppt. Wie würde ich den dann da stehen? Und erst die möglichen Gerichtskosten! Also beschloß ich der Sache ein bißchen mehr Aufmerksamkeit zu schenken und begab mich schnurstracks in die Redaktion, um meinen Vorgesetzten davon zu überzeugen, daß ich einer ganz tollen Story auf der Spur war, ihm allerdings keine Einzelheiten nennen konnte, er mir völlig freie Hand lassen sollte und überdies: ich brauchte einen zuverlässigen Informanten!
Doch woher nehmen, wenn nicht stehlen. Seit meinen letzten Artikeln, die nicht gerade rosig mit der einheimischen Politprominenz umgegangen waren, wagten es nur wenige meiner sonst so zuverlässigen Informationsquellen sich mit mir sehen zu lassen. Selbst in den häufig zwielichtigen Clubs und Bars der Stadt tauchten sie relativ schnell ab, sobald sie meiner ansichtig wurden.
Ich mußte also selbst Nachforschungen anstellen und recherchierte über Internet, um mich erst einmal mit den bestehenden Voraussetzungen vertraut zu machen.
Das Internet! Quelle der Inspiration, Nährboden für unzählige Skandale, Lebenselixier für gebeutelte Journalisten, also genau das richtige für mich.
Nach nur einem Tag intensivem Suchen wurde ich fündig. Eine Site über, ach hier fällt mir ein, ich hatte ja noch gar nicht erzählt, was ich eigentlich in dem Gespräch gehört hatte.
Also, es ging darum, daß sich ein relativ bekannter Lokalpromi ein Schäferstündchen mit einem, sagen wir mal ortsansässigen Stricher geleistet hatte. Dieser hatte nach verschaffter Erleichterung seine Entlohnung gefordert, doch sein Gönner hatte sich eines anderen besonnen und war in seinem Wagen davon gebraust, nicht ohne den Jungen zu warnen, irgendetwas der Öffentlichkeit zukommen zu lassen. Leider hatten jedoch einige andere Burschen den Zwist bemerkt und für eine breite Zerstreuung des Gerüchts gesorgt. Jedenfalls in ihren Kreisen. Irgendwie müssen dann wohl meine Tischnachbarn dieses erfahren haben, und ich dann ja auch.
Sie fragen sich jetzt sicherlich, warum ich in diesem Fall Internet – Recherche betrieben habe. Zum einen, weil der Artikel groß angelegt auch andere Fälle dieser Art zeigen sollte, andererseits kenne ich da einige heiße Seiten ..., aber das gehört jetzt wirklich nicht hier her.
Am nächsten Tag bemühte ich mich um einen Termin bei meinem Skandalobjekt. Leider mußte mich die freundliche Vorzimmerdame am Telefon abweisen, mit der Begründung, daß ihr Chef noch eine Woche wichtige Konferenzen im Ausland abhält und somit ein möglicher Gesprächstermin erst in ein paar Tagen geschaffen werden könnte. Ich bedankte mich höflich für die Auskunft, nicht ohne einen leicht süffisanten Seitenhieb in bezug auf die Frau Gemahlin beziehungsweise seine nächtlichen Aktivitäten fallen gelassen zu haben.
Es ist schon erstaunlich, wie Menschen auf scheinbar harmlose Bemerkungen reagieren. Es gab da zum Beispiel den Fall, daß, ach, das spielt jetzt wirklich keine Rolle. Mir ging es ja nur darum, möglichst schnell ein persönliches Statement zu bekommen.
Ich schwang mich auf meinen Cityroller, um das Versicherungsgebäude näher in Augenschein zu nehmen. Irgendwie nahm ich der netten Sekretärin ihre Abfuhr nicht ganz ab. Ich stellte meine Stadtwanze in der Nähe ab und trabte unbekümmert auf die Glasfassade zu. Wollten doch mal sehen!!!
Nach ungefähr einer Stunde Belagerungszeit, in der sich nichts tat, außer das mehrere Muttis mit Kinderwagen vor dem Haus Patrouille fuhren, beschloß ich mich in die Höhle des Löwen vorzuwagen. Natürlich war es ein Kinderspiel für mich bis in das Allerheiligste vorzudringen, doch schien es vorerst unmöglich, an dem wölfisch lächelnden Hausdrachen, ach Entschuldigung, meine Damen, an der herzlichen Sekretärin vorbeizudringen. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht.
Da ich hier im Endeffekt keine Chance sah, mit meinem becircenden Charme weiterzukommen, beschloß ich am Abend den Tatort aufzusuchen, um dort vielleicht Näheres über den Tathergang zu erfahren. Ich fuhr also direkt nach der Live – Übertragung des Fußball – Länderspiels an den Ort des Geschehens und war überrascht, daß sich trotz der Tatsache, daß das Spiel erst circa fünf Minuten vorbei war, erstaunlich viele Menschen in den Etablissements herumtrieben.
Im Normalfall wären wohl noch ungefähr die Hälfte mehr da gewesen, aber Deutschland hatte 3:0 gewonnen...?!? Ich spähte jedenfalls umher und sah schon bald vereinzelt junge Männer am Straßenrand stehen, die es offensichtlich darauf anlegten, ihre jungen, unbehaarten Körper in die Arme rauher männlicher Gewalt zu geben.
Sie verstehen mich jetzt wahrscheinlich falsch. Ich meine hier nicht, daß man diese Jungs bemitleiden muß, aber trotzdem tut es doch weh zuzusehen, wie sie sich an allen möglichen Körperteilen angrabbeln lassen müssen, die aufgesprungenen Lippen ihrer Freier küssen ..., OK, gewonnen, ich verliere mich zu sehr in nebensächliche Details.
Nachdem ich mir das Treiben eine Zeit lang angesehen hatte, wandte ich mich unter vorgehaltener Hand an einen der Jungen. Volltreffer! Es war zwar nicht er selbst, der sich dem ungewöhnlichen Gast verdient gemacht hatte, doch konnte er mir, aufgrund der Tatsache, daß dieser ein guter Freund des Lustknaben war, mit großer Sicherheit berichten, daß es sich um den entsprechenden Polithansel handelte und das auch sein Kumpel zu einem möglichen Interview in meinen vier Wänden bereit wäre. Ich ließ ihm meine Telefonnummer zwecks Rückruf da und verschwand, nicht ohne zu versichern, daß es bei Erfolg auch eine Prämie geben würde.
Es waren inzwischen einige Tage vergangen.
Am nächsten Tag, es war inzwischen Sonntag, wartete ich gespannt darauf, daß sich der Junge bei mir meldete. Einerseits war ich mich sicher, daß er bereitwillig etwas über die unfreiwillig spannende Episode erzählen würde, aber was war, wenn ihn sein Freier mit Geld oder ähnlichem zum Schweigen gebracht hatte. Natürlich war auch noch nicht klar, ob er sich überhaupt dazu durchringen konnte, mit mir zu sprechen.
Das ist ja gerade das Spannende am Journalismus, man muß ständig um seine Stories zittern...
Als ich eigentlich schon gar nicht mehr mit einem Anruf rechnete, klingelte es und ich hatte meine Verabredung. Gleicher Ort wie gestern abend, na denn.
Die folgende Fahrt und das Gespräch überspringe ich jetzt mal, weil ich sie zum einen schon mal erwähnt habe und zum anderen ist es sicherlich lohnender noch mal den Blick auf das populärere Mitglied dieser unfreiwilligen Liaison zu werfen.
Nach dem, sagen wir mal, informativen Date schwang ich mich wieder auf mein motorisiertes Zweirad und fuhr Richtung Innenstadt, als neben mir ein mir bekanntes Fahrzeug in hohem Tempo Richtung Rotlichtviertel braust. Ohne zu Zögern wendete ich und machte mich an die Verfolgung. Es war offensichtlich. Da wollte wohl jemand ein kleines Malheur wiedergutmachen. Oder wollte er es am Ende etwa beseitigen?
Ich fuhr in unverdächtigem Abstand hinter dem langsamer werdenden Fahrzeug her und hielt mich nach dessen Anhalten hinter einer Litfass - Säule versteckt, nicht ohne mich vorher vergewissert zu haben, daß meine Kamera knipsbereit ist. Aus dem sicheren Versteck sah ich ihn, wie er aufgeregt auf mehrere Stricher einredete. Er war unheimlich aufgeregt. Es dauerte ungefähr zehn Minuten, da kam aus einer der Bars ein höchstens 15jähriger Junge mit weißer Baseballkappe und ging auf den Mann zu. Dieser nahm ihn in die Arme und beide stiegen auf den Rücksitz des Wagens. Ich war paralysiert. Das war ja eine Story. So wie es aussah, hatte unser Oldie nicht nur Spaß an Jungs, er bevorzugte sie sogar außerordentlich frisch und knackig.
Der aufmerksame Leser mag es gemerkt haben. Irgendwie scheint diese Story recht seltsam zu sein. Und vor allen Dingen, wieso hat sie damit angefangen, daß im dritten Stock des Hochhauses an der Eisenbahnstraße noch Licht brennt. Ich vergaß vielleicht zu erwähnen, daß sich neben der Versicherung, auch das Büro unserer Zeitung dort befindet. Und daß ich, nach der Entdeckung alle Hände voll damit zu tun hatte, aus zahlreichen Fotos, einem pikanten Interview und zahlreichen Hintergrundberichten einen titelseitenwürdigen Artikel zu machen, der sowohl unseren Chefredakteur als auch die Leser überzeugte.
Jedenfalls saß ich in den folgenden Tagen und Nächten an meinem Schreibtisch, um der Geschichte Geist und Esprit einzuhauchen. Und so halt auch letzten Mittwoch nachts um drei.
Mein Büro ist übrigens im dritten Stock.
Vielleicht denken sie jetzt, das es merkwürdig ist, daß ich gar nichts darüber geschrieben habe, wie denn nun die Geschichte zwischen Stricher und dem sie wissen schon ausgegangen ist. Also sagen wir mal so, erstens mal war der Junge schon über 18, zweitens war der Politiker nicht der Politiker und drittens habe ich jetzt ganz viel Zeit.