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Trolle, Trolle!
Trolle, Trolle!
Nimm den PINKEN!! PAPA!! BIITTEEEE!! Das war keine Bitte. Das war ein Befehl. Ich bedeutete Helena, meiner Siebenjährigen, mit einer geistesabwesenden Husch-Husch-Handbewegung, sie möge uns einen Tisch suchen. Ich musste mich jetzt auf die unzähligen Menü-Kombinationen konzentrieren, die mich bei McDonalds immer wieder auf’s Neue herausforderten. Die einzige harte Vorgabe auf der Bestelliste war das „Happy-Meal“, jenes Kindermenü, bei dessen Erwerb dem glücklichen Juniorkonsumenten eine Dreingabe in Form eines kostbaren Kleinods winkte.
Bei McDonalds waren gerade „Cybertrollwochen“. Ein Cybertroll ist ein kleines Plastikmännchen im PC-Monitor-Look, dem man auf die Vorderseite ein dämliches Gesicht geklebt hatte, und dem, ach wie süß, ein Büschel bunter Haare gewachsen war. Abgerundet wurde der Troll durch kleine Turnschuhe und Ohren, die mich an die serielle Schnittstelle meines Heimcomputers erinnerten. Dieses Kunstwerk chinesischer Handwerkskunst gab es in sechs Farben: blau, gelb, orange, lila, grün und pink. Grün hatten wir schon.
Ich machte es mir einfach und bestellte an der Kasse die übliche Vater-Tochter-Standardorder: Happy-Meal mit Cheeseburger und Sprite, FishMac, Cola light und Ketchup. Der Cheeseburger war für mich, denn mein weiblicher Nachwuchs hasste diese Dinger. Beim FishMac hingegen waren bei ihr bereits klassische Suchtsymptome bemerkbar. Ich nahm die bestellten Köstlichkeiten in Empfang und machte mich auf den Weg zu unserem Tisch. Da fiel mir ein, dass ich für den „Troll de jour“ keinen Farbwunsch geäußert hatte. Und tatsächlich: man hatte mir einen orangefärbigen angedreht. Als echter Mann war ich natürlich zu stolz um diesen faux pas zu korrigieren. Bei meiner Tochter angekommen, murmelte ich deshalb irgendetwas von Versorgungsengpässen bei pinken Trollen. Helena zeigte sich aber generös, und verzieh dem Fastfoodkonzern und mir unsere Nachlässigkeit.
Als Ausgleich für die hingenommene Unbill beschloß mein Fleisch und Blut, die ansonsten heilige Reihenfolge der zu öffnenden Artikel (Nahrung vor Spielzeug) geringfügig zu ändern, und machte sich, ohne meine halbherzig vorgebrachten Einwände weiter zu beachten, über ihren Cybertroll her.
Habe ich eigentlich schon das coolste Feature der kleinen Biester erwähnt? Sie konnten sprechen! „Sprechen“ war natürlich etwas übertrieben. Wenn man an einer kurzen Schnur zog, die dem Troll aus dem Rücken raushing, so erwachte der Mistkerl zum Leben, und gab abwechselnd eines von zwei markigen Geräuschen zum Besten.
Kaum aus seinem Celophangefängnis befreit, musste unser neuer oranger Freund sein lautmalerisches Repertoire zum Besten geben. Dieses bestand zum Einen aus einem Gekrächze, das mich an einen anginageplagten Woody Woodpecker erinnerte, der lautstark nach seinen Medikamenten schrie, und zum Anderen aus einem Rülpsen, das in seiner Länge und Lautstärke den Verdacht nahe legte, der Troll hätte die letzte Nacht in einem mit Cola gefüllten Isoliertank verbracht.
Mein Kind war begeistert! Ich war es weniger. Anstatt sich nach dem ersten Funktionstest des Trolls nun endlich ihrem FishMac zu widmen, zog sie mit manischer Beharrlichkeit so lange am Schnürchen, bis ich versucht war, die beiden Hälften meines Cheeseburgers zu Ohrenschützern umzufunktionieren. Die Zeit war reif, um mit einem autoritärem „Iss jetzt bitte!! ENDLICH!!“ ihrem Treiben ein vorläufiges Ende zu setzen. Ruhe kehrte ein und die Bäuche begannen sich langsam zu füllen.
Unser Tisch war der mittlere einer eng zusammenstehenden Dreiergruppe, und obwohl die Fastfoodoase gut besucht war, konnten wir bis zu diesem Zeitpunkt dieses Refugium noch unser eigen nennen. Doch der Friede war nur von kurzer Dauer und wurde durch das Erscheinen eines Teenagerpärchens beendet, das links von uns sein Basislager errichtete. Der eine Teil der Invasoren, ein wohlgenährter junger Mann, wurde mit der Nahrungsbeschaffung beauftragt, und machte sich sofort daran, sich seinen jahrtausendealten Instinkten hinzugeben.
Das Mädchen war groß, dürr und pferdegesichtig, und ich bildete mir ein, in ihren Augen eine gewisse Verschlagenheit zu erkennen. Unsinn, dachte ich bei mir, wahrscheinlich hat sie eine schwere Kindheit hinter sich, was mich angesichts ihrer weit vorstehenden Zähne nicht weiter gewundert hätte. Man weiß ja, wie grausam Kinder sein können. Bevor ich Gefahr lief, von einer Welle des Mitgefühls überrollt zu werden, widmete ich mich wieder meinem Cheeseburger, und schenkte unseren neuen Sitznachbarn keine weitere Aufmerksamkeit.
Das sollte sich jedoch rasch wieder ändern. Als der junge Mann von der Jagd zurückkam, wurde mir sofort klar, daß hier Gefahr im Verzug war. Unter den Beutestücken, die sich auf seinem Tablett türmten, ortete ich einen Plastikbeutel, der mir nur zu bekannt vorkam. Tatsächlich! Der Jüngling hatte für seine Freundin einen lila Troll mitgebracht! Ich warf einen raschen Blick auf meine Tochter, um herauszufinden, ob sie den Krachmacher am Nebentisch auch schon entdeckt hatte. Sie war jedoch gerade damit beschäftigt, aus ihrem FishMac, durch Hineinbeissen, ein Maximum an Sauce zu quetschen. Hoffnung keimte in mir auf. Zu Unrecht, wie sich bald zeigen sollte.
Bis zu diesem Augenblick war ich immer der Meinung, daß es sich bei Fünfzehn-, Sechzehn-, Siebzehnjährigen um fast erwachsene Menschen handelt, die vor einem randvoll gefüllten McDonalds-Tablett die Prioritäten richtig setzen. Das weibliche Exemplar neben mir gehörte jedoch nicht in die Kategorie Jugendlicher, an die man die Bezeichnung „Hoffnung der Zukunft“ leichtfertig verschleudern würde. Sie stopfte sich rasch ein Pommes in den Mund. Danach schien sie aber schon wieder satt zu sein, und angelte mit fahriger Geste nach dem Trollsäckchen. Schicksal nimm deinen Lauf, zuckte es mir durch den Kopf, als ich ihr dabei zusah, wie sie ihre, für diese Aufgabe hervorragend geeigneten Zähne tief in die Plastikhülle schlug, um ihrem Spielzeug zur Flucht aus seinem Dornröschendasein zu verhelfen.
Den Troll aus der Verpackung zu reissen, einzuschalten und an seinem Schwanz zu ziehen nahm keine zwei Sekunden in Anspruch. Nachbar’s Cybertroll gab ein hohes, gurgelndes Gekicher von sich. Helena erstarrte. Sie wandte erstmals ihre Aufmerksamkeit dem Nebentisch zu. Schau, Papa, schau, zirpte sie. Mhm, ja, ja, super, war alles, was ich in diesem Moment an Entgegnung noch zustande brachte. Unser FishMac war Geschichte, und die Hand meines süßen Engels schloss sich um ihren Troll. Es war sofort zu erkennen, dass hier ein Gegenschlag vorbereitet wurde. Fräulein Pferdegebiss feuerte nämlich bereits aus allen Rohren, und mein Kind brannte richtig darauf, den hingeworfenen Fehdehandschuh aufzunehmen.
Die nächste Minute als quälend zu beschreiben wäre, als würde man die globale Erwärmung eine lästige Angelegenheit nennen. Die Quietsch-, Kicher-, Kreisch- und Rülpssalven der beiden befeindeten Trolle flogen im Ping-Pong-Verfahren von Tisch zu Tisch, begleitet von den giftigen, eifersüchtigen, hämischen oder triumphierenden Blicken der beiden Kombattantinnen, die wild, an der Grenze zur Hysterie an den Schnüren ihrer Waffen zogen. Ich warf meinem männlichen Leidensgenossen einen kurzen Blick zu, und er verdrehte die Augen, als ob er sagen wollte, ok, ok, es war ein Fehler ihr dieses Teil mitzubringen, aber auch ich versinke in den nächsten drei Sekunden vor Scham im Boden! Unglücklicherweise hatte der Boden gerade keine Zeit und dachte gar nicht daran, uns zu erlösen. Ich sah ein, dass es an der Zeit war diesen heiligen Krieg einem Ende entgegenzuführen.
Komm, es wird Zeit, lass uns gehen, versuchte ich, um mein Kind aus dem Schlachtengetümmel herauszureißen. Papa, Papa, Papa!, kam darauf, wie aus der Pistole geschossen, kaufst du mir den lilafarbigen? Der ist sooo cool! Ich bemerkte aus dem Augenwinkel ein dümmliches Grinsen von Black Beauty am Nebentisch. Kommt gar nicht in Frage, du hast doch schon einen!, erwiderte ich, ganz erfüllt vom pädagogischen Geist wider das verwöhnte Kind. Aber ich will die doch alle haben! Papa! Bitte! Deutlich sah ich den fanatischen Funken in Helenas Augen glimmen. Ich überlegte fieberhaft, wie ich diese neue Krisensituation meistern könnte, und versuchte es deshalb mit Dummstellen: Aber du hattest doch schon ein Happy-Meal, und ich kaufe sicher nicht noch eines für so einen Troll. Ich fand das genial, und klopfte mir innerlich bereits auf die Schulter. Papa! Die kann man doch auch einzeln kaufen, verblies mein Kind meinen Triumph in alle Himmelsrichtungen. Ich spürte, dass es eng werden würde, und beschloss, die Unbarmherzigkeitstour aufzuziehen: Helena! Wenn ich Nein sage, dann ist es auch Nein! Alles klar? Ich war überzeugt, das würde reichen.
Mein Nachwuchs gab ein maunzendes Geräusch von sich und verzerrte, während sie auf ihrem Sessel auf und ab hüpfte, schmerzvoll das Gesicht; ein Verhaltensmuster, das mir zeigte, dass sie bis zum Äußersten gehen würde. Was danach folgte, kann ich rückblickend eigentlich nur mit Bewunderung bedenken. Die beste aller Töchter hatte beschlossen meine väterliche Verbohrtheit gnadenlos an die Öffentlichkeit zu zerren. Dafür stand sie auf und kniete sich, die Hände wie zum Gebet erhoben, vor mich hin. Papa! Biiiiiiiiitte!! Ihre Augen versprühten rückhaltlose Hingabe an ihre Mission. Ähm. Ich blickte mich kurz um. Tatsächlich. Die Welt war auf uns aufmerksam geworden. Und sie war brennend daran interessiert, wie lange ich noch gedachte, dieses arme, süße Kind vor mir im Staub liegen zu lassen.
Was kostet denn das überhaupt?, fragte ich resigniert. Zwei Euro und fünfzig, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen. Na gut, na gut. Ich kramte aus meiner Brieftasche einige Münzen hervor, und übergab sie der vor mir knienden Sozialterroristin. Und jetzt steh bitte wieder auf! Ok?
Nun war Helena stolze Besitzerin von drei Trollen. Sie hatte sich natürlich den lila Troll ausgesucht. Während sie ihn immer wieder dazu animierte, sein Lied anzustimmen, plante sie bereits wie sie an die noch fehlenden Sammlerstücke herankommen würde. Die Trollwochen würden bald zu Ende sein und tägliche McDonalds-Besuche wären unumgänglich, klärte sie mich auf.
In diesem Moment hatte ich diese Vision, in der ich, vollkommen am Ende meiner Nerven und meiner Würde angelangt, jeden McDonalds zwischen Breitenlee und Westausfahrt abklappere, und eine hämisch grinsende Filipina hinter der Theke anwinsle: Den pinken? Habt ihr den? Bitte?!!