- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 8
Trialog der Endlichkeit
- ... dreihundertzweiundzwanzig, dreihundertvierundzwanzig, dreihundertfünfundzwanzig.
- Punkt.
- Dreihundertsechsundzwanzig, dreihundertsiebenundzwanzig,
dreihundertachtundzwanzig,
dreihundertneunnundzwanzig,
dreihundertunddreißig.
- Punkt.
- Dreihunderteinunddreißig,
dreihundertzweiunddreißig,
dreihundertdreiunddreißig,
dreihundertvierunddreißig,
dreihundertfünfunddreißig.
- Was macht ihr da?
- Wir zählen. Punkt.
- Dreihundertsechsunddreißig, dreihundertsiebenunddreißig,
dreihundertachtunddreißig,
dreihundertneununddreißig,
dreihundertundvierzig.
- Und was zählt ihr?
- Zahlen. Er zählt, und ich zähle seine Zahlen. Punkt.
- Und warum zählt ihr Zahlen?
- Wir wollen etwas beweisen. ... dreihundertdreiundvierzig, dreihundertvierundvierzig, dreihundertfünfundvieruig.
- Ja, genau - etwas beweisen. Punkt.
- Was denn beweisen?
- Das ist doch sonnenklar! ... dreihundertneunundvierzig, dreihundertundfünfzig.
- Sonnenklar. Punkt.
- Sonnenklar? Wie, was? Ich verstehe Bahnhof!
- Ganz einfach, nicht schwer zu verstehen: wir beweisen ... dreihundertundfünfundfünfzig.
- Also, wir beweisen die Endlichkeit. Punkt.
- Die Endlichkeit?
- Richtig: die Endlichkeit! ... dreihundertundsechzig.
- Haargenau: wir beweisen die Endlichkeit! Punkt.
- Und wie? Und so? Und wieso?
- Das ist so: Wir sind konditioniert in Unendlichkeiten zu denken ... dreihundertundsiebzig.
- Stimmt doch gar nicht!
- Sehr wohl! Punkt.
- Gott, ewiges Leben, der Kosmos, das Universum; all das läuft nur auf das Eine hinaus: Unendlichkeit! ... dreihundertundachtzig.
- Gott hat doch die Welt erschaffen, ist somit der Inbegriff der Endlichkeit!
- Falsch: Gott war immer da, in unserem Denken jedenfalls - Gott ohne Unendlichkeit ist undenkbar! Punkt.
- Und darum zählen wir: wir zählen und zählen bis es nichts mehr zu zählen gibt! ... vierhundert.
- Wir zählen bis zur Grenze der Endlichkeit. Punkt.
- Und wenn es keine Grenze gibt?
- Es muss eine Grenze geben, zumindest in unseren Köpfen, ein Jenseits der Zahlen - überall gibt es Grenzen, überall ein Anfang und ein Ende, nur wollen wir das nicht wahrhaben. ... vierhundertundzwanzig.
- Grenzen, stellt euch das nur vor: Herrlich! Punkt.
- Was soll da so herrlich sein? Im Gegenteil ich finde das sehr bedrückend!
- Ach wo! Es ist brilliant: das Leben - ein geschlossenes Intervall. Eine neue Dimension der Göttlichkeit - die göttliche Zahl! ... vierhundertundfünfzig.
- Die Setzung von Grenzen hätte weitreichende Folgen für unser Denken - etwa für Mathematik, oder für die Philosophie - schließlich wären zum Beispiel alle Religionen von dieser Erkenntnis betroffen! Punkt.
- Inwiefern?
- Eine neue Form der Prädestination: das Leben von x nach y - jeder beliebiger Kurvenverlauf, ob Hoch, ob Tief kann durch DIE Funktion nachgezeichnet werden. ... vierhundertundachtzig.
- Es ist wunderbar: die Funktion der Zukunft; einfach unvorstellbar. Punkt.
- Und wie käme man auf diese Funktion?
- Wie? Na, das sind aber Fragen! Natürlich gar nicht! Außer es gäbe ein Leben nach dem Tod, allerdings, äh, nein, gar nicht. ... fünfhundert.
- Diese Funktion wäre nur post mortem definierbar - aber allein das Wissen darum, einzig und allein das Wissen darum eröffnet schon eine neue Ebene des Denkens. Punkt.
- Und wenn ihr euch irrt?
- Wir? Irren? Dann bleibt eben alles beim Alten. ... fünfhundertundfünfzig.
- Errare humanum est - aber wir irren nie, wir sind Götter, die Götter der Zukunft. Punkt.
- Götter der Zukunft? Eher Lakaien der Zahl!
- Die Wahrheit der Wahrheit willen. ... fünfhundertunndneunzig.
- Punkt.