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Treueschwüre und andere Irrtümer
„Nimm sie doch einfach, du bezahlst doch dafür.“ Ich saß bei einem guten Kumpel in seiner Videothek, als ich den Tipp das erste Mal bewusst hörte. Natürlich wusste ich von ihr, wer hat noch nicht von ihr gehört? Nachdenklich trank ich mit kleinen Schlucken den heißen Espresso und sah den Männer und den zwei Frauen zu, die sich verstohlen in der Pornohorrorschmuddelecke herumdrückten. Eigentlich sollte ich nicht hier sein, meine Frau wollte es nicht. Sie meinte, es wäre unter meinem Niveau, was mich wegen meiner Schwächen zwar treffen, aber andrerseits für das gemeinsame Erreichte ehren sollte. An die kleinen Manipulationsversuche hatte ich mich gewöhnt, und das perfekte Gehorchen konnte ich schon ganz gut, auch wenn sich hin und wieder mein latent schlechtes Gewissen bemerkbar machte. Aber sollte ich mit ihr reden? Sie vielleicht sogar mit meinen Gefühlen belasten, oder sie vor so einer schweren Entscheidung um Hilfe bitten? Würden Sie das tun?
„Ich nehme sie zweimal in der Woche, es ist wirklich entspannend, und sie kommt zuverlässig. Ich bin zufrieden.“ Mit diesem gut gemeinten Satz im Ohr ging ich nachdenklich nach Hause, zu meiner Frau, die mit sich und ihrer geliebten Fernbedienung die Zeit vor dem Fernseher totschlug. Ich befand mich in einem emotionalen Zustand, der sich mit permanent unzufriedener Erregung nur sehr unzulänglich beschreiben lässt. Sprachlos und in Gedanken versunken ging ich in die Küche zum Abwasch. Nachdenklich begann ich die Küche aufzuräumen und die großen, polierten Messer in den Messerblock zurückzustecken.
Es war einige Monate später, an einem dieser Tage, an denen man ohne besonderen Anlass Lust auf etwas Anderes, etwas Neues bekommt. Manchmal machten sie sich ziemlich bemerkbar. Meine Regungen hatten eine so starke Kraft, dass alle Bedenken wie weggewischt waren. Ich wurde schwach. Ja, ich gebe es zu, war wankelmütig, aber ich wollte es endlich auch einmal erleben. Ich wollte es nicht billig oder schäbig, ich hatte Ansprüche und einen kultivierten Lebensstil. In meinen Träumen sah ich es schon vor mir, in einem luxuriösen Ambiente und mit atemberaubender Geschwindigkeit wollte ich mit ihr ankommen, so wie ich es wollte und nicht anders. Es war mir egal, ob noch der eine oder die andere dabei wären. Die würden mich nicht stören. Ich habe keine Berührungsprobleme und gegen Gesellschaft hatte ich noch nie etwas gehabt. Aber als angepasster StiNo hatte ich den bescheidenen Wunsch, nur einmal das Gefühl der grenzenlosen Hingabe erleben und den Dingen ihren Lauf lassen. Nicht mehr alles selbst in die Hand nehmen, nicht mehr entscheiden müssen, die Verantwortung delegieren und mich vertrauensvoll Hingeben.
Meine spontane Entscheidung, einfach so aus dem Bauch heraus, traf ich, als ich für einige Tage geschäftlich verreisen musste. Endlich war die günstige Gelegenheit da, auf die ich so lange gewartet hatte. Denn bis dahin ließen Law and Order der fest betonierten Rituale meiner Ehe keine Überraschungen zu. Sogar der Zigarettenautomat an der Ecke war für mich unerreichbar, denn ich hatte mir das Rauchen abgewöhnt, und ich konnte keinen glaubhaften Grund für den Satz: „Schatz ich geh nur mal kurz Zigaretten holen“ angeben. Aber ich war entzündbar wie ein Streichhölzchen. Es waren die Aussichten auf etwas besonders Lustvolles. Meine grenzenlose Phantasie half mit. Aus einem pessimistischem Feigling mit ausgeprägtem Selbsterhaltungstrieb wurde ein optimistischer Entdecker und ich freute mich darauf.
Anfänger die noch nicht so geübt sind, können oft ihre Aufregung nicht so recht unterdrücken. Auch ich spürte eine, mir aus heutiger Sicht unerklärliche Spannung. Aber ich hatte schon die Nummer gewählt, und eine durchaus sympathische Frauenstimme war am anderen Ende. Ich kannte sie ja nicht, es war vollkommen anonym, nur der bestimmende Klang ihrer Stimme hielt mich behutsam am Hörer. Zwar hatte ich mir fest vorgenommen: „ein falsches Wort, und ich lege auf“. Aber sie war wirklich professionell. Bestimmt hatte sie schon öfter mit so unsicheren Ehemännern wie mit mir gesprochen.
Ich weiß nicht, ob Sie schon mal so ein Erlebnis am Telefon hatten? Aber ich fand das toll und es war leichter als ich dachte. Ich sprach, so als ob ich es jeden Tag nach Büroschluss tun würde, sehr detailliert über meine Wünsche, am Anfang war ich noch etwas unsicher, aber ich sagte mir, warum soll man nicht deutlich über seine Wünsche sprechen? Es ist doch das selbstverständlichste der Welt. Man sagt was man will und bekommt es, vorausgesetzt man kann den geforderten Preis bezahlen. Aber ich hatte es noch nie getan, und mit meiner Frau hatte ich auch nicht darüber gesprochen. Fairerweise hätte ich es tun sollen, aber ich wollte es nicht. Voraussehbar wäre dann einer dieser katastrophalen Beziehungskillersätze, die mit „warum tust du...“ beginnen gekommen. Und auf langatmige Rechtfertigungen und Belehrungen und was ohne Schutz so alles dabei passieren könnte, immer mit dem Rücken zur Wand, hatte ich gar keine Lust.
Die anonyme sehr warme und weiblich klingende Telefonstimme sagte mir, dem Unerfahrenen, wo und wann ich mich einzufinden hatte. Bitte glauben Sie mir, ich wusste wirklich nicht, was mich erwarten würde. Einerseits wollte ich kein Risiko eingehen, ich war ja verheiratet und ich hatte die Verantwortung für meine Familie übernommen. Zumindest hatte ich es vor langer Zeit mal versprochen. Aber was soll ich machen, die Vorfreude und meine Neugier waren stärker.
Ich konnte es mir zwar leisten, aber ich hatte auch meine Zweifel, ob sich das lohnt. Ich musste ja dafür bezahlen und der hohe Preis hatte mich Anfangs noch etwas abgeschreckt. Aber sie war wirklich ein Profi. Der Hinweis, dass ich auch mit meiner Firmenkreditkarte bezahlen könnte, war nicht schlecht. Vielleicht konnte ich es auch noch von der Steuer absetzen, dann hätte ich das Angenehme mit dem Praktischen verbunden.
Kurzentschlossen hatte ich den geforderten Preis bezahlt. Noch einmal nach links und nach rechts sehen, ob Bekannte oder Verwandte in der nähe sind, aber ich war allein und ich habe sie bestiegen. Ja ich wollte es, egal was passieren würde, ich musste das mir unbekannte Gefühl des absoluten Ausgeliefertseins erfahren.
Vom einen Ende der Republik bis zum anderen Ende sind es immerhin einige Stunden Fahrtzeit und mir kam der verrückte Gedanke, dass eine Bahnfahrt angenehmer und auch sicherer sein könnte, als der Stress auf den überfüllten Autobahnen. Weg mit dem Risiko des ungehemmten Verkehrs, rein in die geregelten Abfahrt- und Ankunftszeiten. Einmal ganz entspannt im luxuriösen Intercity-Sessel zurücklehnen und genießen.
Als Autofahrer achtet man ja nicht so darauf. Anfangs, sozusagen als unerfahrener Bahnfrischling, konnte ich mich noch an der Aussicht aus dem Zugfenster freuen. Da saß ich also und die farbenfrohe Herbstlandschaft zog immer schneller an mir vorbei.
Kennen Sie den dämmrigen Zustand, wenn man vertraut und plötzlich schläfrig wird? Im häuslichen Fernsehsessel ist diese Erfahrung besonders schön. Die Talking Heads der Sprecher verschwimmen nach einer gewissen Zeit zur einer grauen Masse und selbst Karoline Reiber singt vergeblich gegen die Müdigkeit der Zuschauer an. Ich erinnere mich noch genau, es war ein entspanntes Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens. So ähnlich ging es mir in meinem komfortablen Bahnabteil. Es viel mir immer schwerer, mich auf die vorbeihuschende Landschaft zu konzentrieren. Die Häuser, Wiesen, Kirchen und Bäume nahm ich nur noch als einen verschwommenen Einheitsbrei war. Die Zeit schien stehen zu bleiben und gleichzeitig immer schneller zu verrinnen. Trotz des schönen Herbsttages wurde die Farbe der Landschaft mit der Dauer der Zugfahrt immer grauer, die Augen vielen mir zu und ich hörte die Stimmen der Mitreisenden nur noch wie aus weiter Ferne.
Aber dann, fast unmerklich begann sich etwas zu verändern. In meinem Wachtraum hörte ich zuerst eine leise, fast sanft flüsternde Stimme, die sich nach und nach zu einem hysterischen, sich überschlagenden Geschrei steigerte. Es waren die gellenden Worte: „Du sollst so lange mit diesem Zug fahren, bis dass der Tod euch scheidet“ und eine riesige Hand mit einem ausgestreckten Zeigefinger deute auf mich. In meinem Traum sah ich ihn vor mir, endlos fahrend und nie wieder anhaltend. Niemand konnte den Zug mehr aufhalten. Es war eine Fahrt bis zum vorbestimmten Ende, dem endgültigen Ende vor dem Nichts.
Ich bekam Angst und die Panik schnürte mir den Hals zu. So war es nicht abgesprochen. Es war nicht die versprochene Sicherheit, es war eine raffiniert inszenierte Falle. Ich sprang auf und rüttelte an den Ausgangstüren, aber sie ließen sich nicht mehr öffnen, niemals mehr. Der Zug fuhr und fuhr immer schneller und hielt nicht mehr an. Für immer und ewig sollte ich dazu verdammt sein, in diesem Zug zu fahren. Immer die gleichen Erlebnisse mit den immer gleichen Mitreisenden, solange ich noch dahinleben würde.
Eine andere, eine gefährliche Stimme sagte zu mir: „Kontrolle“, und ich spürte eine feste Hand, wie eine hart zupackende Kralle auf meiner Schulter. Es war die pure Angst, die wie ein schweres Halseisen meine Lebensgeister abwürgte. Schweißgebadet und am ganzen Körper zitternd bin ich aufgewacht.
Nach diesem Albtraum brauchte ich zuerst etwas Frisches für meinen Magen. Den Speisewagen konnte ich mit meinen weichen Knien und meinem kurz vor der oralen Entleerung stehenden Magen gerade noch erreichen. Aber das kalte Pils meiner Lieblingsmarke schmeckte irgendwie abgestanden und schal.
Ich hatte begriffen, die Botschaft war eindeutig und unmissverständlich. Ich muss fest verlegte Gleise meiden. Aber ich wollte auch keine Experimente mehr. Mein Entschluss stand fest, ich bleibe dabei. Meine bewährte Affäre gibt mir die Sicherheit die ich brauche. Nie wieder betrüge ich meine schöne Geliebte mit meiner Ehefrau. Lieber wechsle ich mal die Automarke und schreibe über meine Erlebnisse. Sie haben es jetzt gelesen. Meine Erzählungen sind das Konzentrat vieler gefährlicher Ereignisse.
© Copyright by Raoul A Yannik