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Tren-nungs-ge-schich-ten
(überarbeitete Fassung)
Am Montagmorgen war es besonders laut im Klassenzimmer der Buchstaben-Schule. Alle Buchstaben wirbelten im Raum herum und redeten durcheinander. Jeder wollte von seinen Abenteuern am Wochenende berichten.
Besonders laut schrie das e: „Ich hatte am Wochenende besonders viel zu tun, denn alle Hobby-Geschichtenerfinder nutzen die freien Tage, um ihre Kurzgeschichten und Romane zu schreiben.“ E wollte von einer interessanten Begebenheit erzählen, als sich die Tür öffnete und Lehrer Ausrufezeichen das Klassenzimmer betrat.
In diesem Moment schoss l ein Papierkügelchen auf m. Doch dieses verfehlte sein Ziel und nahm Kurs auf den Lehrer. Ausrufezeichen konnte sich gerade noch bücken, bevor er getroffen wurde. Das brachte die Klasse zum Lachen, denn der Lehrer sah nun einem Fragezeichen sehr ähnlich.
„Ruhe, meine Herrschaften!“, rief er den Buchstabenkindern zu und klatschte dabei in die Hände. „Wir wollen mit dem Unterricht beginnen. Wie ich schon angekündigt habe, befassen wir uns heute mit der Trennung von Worten. Kann mir einer von euch sagen, was wir darunter verstehen?“
Im Klassenzimmer war es mucksmäuschen still geworden. Die Buchstaben sahen sich verwundert an und zuckten mit den Schultern.
„Wenn keiner einen Vorschlag hat, will ich mal eine Hilfe geben“, begann Ausrufezeichen. „Ich möchte, dass die Buchstaben s, o, doppeltes n und e nach vorne kommen.“
Zwischen den Buchstabenreihen wurden Stühle gerückt und die genannten Schriftzeichen versammelten sich vor der Klasse.
„Welches Wort könnt ihr vier beziehungsweise fünf Buchstaben bilden?“ Der Lehrer sah die Kandidaten erwartungsvoll an.
Schnell formierten sich s und o, nahmen das doppelte n in ihre Mitte und das e bildete den Schluss. Strahlend wie die ‚Sonne’ standen sie vor Ausrufezeichen.
„Prima habt ihr das gemacht. So, und nun kommen wir zur Teilung des Wortes.“ Daraufhin stellte sich der Lehrer vor das Doppel-n, drückte beide Buchstaben zur Seite, das ein nach rechts, das andere n nach links.
„Autsch“, riefen Beiden aus. „Das können Sie doch nicht machen. Uns trennt so leicht keiner.“ Doppel-n versuchte verzweifelt wieder zusammen zu kommen. Aber der Lehrer nahm einen Stuhl und stellte ihn zwischen die Zwillingsbuchstaben.
„So wird das Wort ‚Sonne’ getrennt, nämlich in ‚Son-ne’. Und da könnt ihr noch so laut protestieren, wenn die Zeile, die ein Schriftsteller schreibt, zu kurz ist und das komplette Wort ‚Sonne’ nicht mehr hineinpasst, dann müsst ihr euch teilen. Das sind nun mal die Regeln.“
Die beiden n jammerten noch eine Weile, doch als Ausrufezeichen noch weitere Beispiele anführte, sahen sie ein, dass sich alle Zwillingsbuchstaben teilen mussten. So wurden bei ‚Stelle’ die beiden l getrennt, bei ‚Stimme’ die beiden m und so weiter.
Nach einiger Zeit beruhigte sich Doppel-n etwas.
Am Schlimmsten traf es die Vokale, die auch Selbstlaute genannt wurden. Das sind a, e, i, o, und u. Standen sie am Anfang des Wortes, trennte sie Ausrufezeichen gnadenlos von der restlichen Buchstabenfolge.
Das a stand plötzlich ganz alleine da und schwankte hin und her, denn es hatte nun auf beiden Seiten seine Stützen verloren. Der Lehrer schob den Rest des Wortes ‚Abend’ einfach weg. Auch das o wurde von seinem ma getrennt und wäre beinahe vor lauter Schreck davon gerollt.
Besonders schlimm wurde das Geschrei bei st. „Wir sehen gar nicht ein, dass wir uns trennen lassen“, schimpften die beiden. „Sch kann auch zusammen bleiben. Wir protestieren energisch.“
Obwohl sie sich mit aller Kraft dagegen wehrten, nutzte es ihnen nichts. Ausrufezeichen stellte sich einfach zwischen s und t und so konnten sie sich nicht mehr vereinen.
Zum Glück ertönte in diesem Moment die Schulklingel und die Stunde des Trennungsschmerzes war zu Ende. Schnell vereinigten sich die getrennten Buchstaben wieder und verließen eilig das Klassenzimmer, ohne dass Ausrufezeichen die Chance hatte, ihnen noch einige Übungsaufgaben für zu Hause mit auf dem Weg zu geben.
Auf dem Heimweg kuschelte sich s ganz eng an das t und meinte: „Hoffentlich sind die Zeilen immer lang genug, wenn Worte mit unserer Verbindung geschrieben werden, damit wir zusammen bleiben können.“
T sah auf das kleine s herab und umschlang es mit seinen Armen. „Auf immer und ewig!“