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Traumtanz der Erinnerung
Milena Schütt studierte die neuesten Wohnungsanzeigen am Personal-Anschlagbrett. Drei neue waren dabei, doch keine ihren Vorstellungen entsprechend. Seit sechs Monaten logierte sie nun schon in einem Studio des klinikeigenen Personalhauses, aber die Räumlichkeit war ihr zu eng.
«Noch immer auf Wohnungssuche, Frau Schütt?» Es war Frau Blum, die aus dem Sekretariat trat, ein paar Akten in der Hand.
Ausgerechnet die Blum. Sie spielt sich wieder mal auf. Ach was soll es, es hat keinen Sinn sich mit der Sekretärin vom Chef anzulegen.
«Leider. Ich hatte ein Objekt in Aussicht, doch wurde die Wohnung einem Paar mit Kind vergeben. Man gewichtete das Bedürfnis einer jungen Familie höher.»
«Nur den Mut nicht verlieren, es wird schon mal klappen. Immerhin haben Sie mit dem Studio ja eine sichere Unterkunft.»
Wie immer nett, so von oben herab. Wenn die wüsste, wie sie mit ihrer Art abfällt und wie ich sie einschätze.
Zwei Wochen später erhielt Milena Schütt einen Anruf in der Klinik.
«Guten Tag Frau Schütt. Hier ist die Bella-Vita-Immobilienverwaltung, Herbert Müller am Apparat. Bei uns ist registriert, dass sie an einer Zwei- bis Dreizimmer-Wohnung interessiert sind. Ist dem noch so?»
«Ja doch», antwortete Milena schnell. Demnach hat man meine Nachfrage doch festgehalten, obwohl sie überall sagten, dass sie keine Wartelisten führen.
«Es handelt sich allerdings um eine möblierte Wohnung. Die Eigentümer sind für mindestens zwei Jahre im Ausland. Die Mietdauer wäre auf unbestimmte Zeit befristet, bei sechs Monaten Kündigungsfrist.»
«Das wäre für mich annehmbar. Wo befindet sich denn das Objekt?»
«An der Neubrunnstrasse. Also in einem von Ihnen gewünschten Quartier, auf halber Höhe am Hügel liegend.»
«Das wäre ideal. Könnte ich die Wohnung vielleicht morgen Nachmittag besichtigen? Ab sechzehn Uhr habe ich keine Patienten mehr.» Sie hörte das Ticken von Knöpfen, während Herr Müller anscheinend seine elektronische Agenda abfragte. Die kurze Zeit, bis er wieder sprach, wurden ihr zur Anspannung. Diesmal muss es klappen.
«Geht es bei Ihnen um siebzehn Uhr dreissig?»
«Ja.»
«Die Adresse ist Neubrunnenstrasse elf, zweiter Stock bei Söderblom. Also dann bis morgen. Auf Wiedersehen Frau Schütt.»
«Auf Wiederhören Herr Müller, vielen Dank für Ihren Anruf.» Milena war aufgeregt. Mindestens zwei Jahre. Das gibt mir Zeit, in Ruhe etwas Definitives zu suchen.
Am Eingang musste sie die Klingel betätigen, um ins Haus zu gelangen. Die Wohnungstür stand offen, Herr Müller kam ihr entgegen, als sie aus dem Aufzug trat.
«Frau Schütt, schön Sie kennenzulernen», er streckte ihr die Hand entgegen.
«Es freut mich auch, Herr Müller.» Sie schaute ihn etwas irritiert an. Komisch, er trägt in der Wohnung eine Sonnenbrille.
«Ein Augenleiden», erwähnte er, auf die Brille deutend. Ihm war ihr Blick nicht entgangen.
«Ich zeige Ihnen am besten erst die Räumlichkeiten, dann können wir uns über die Formalitäten unterhalten, falls Ihnen das Objekt zusagt.»
«Ja gern.»
Die Einrichtungen von Diele, Küche und Bad sind komfortabel und alles sehr gepflegt. Das Wohnzimmer ist allein schon grösser als mein Studio und dazu noch die lockere moderne Möblierung. Ah, der runde Tisch vor dem breiten Fenster, ideal um auch Gäste zu bewirten.
Vom Balkon aus bot sich ein weiter Ausblick in die Ferne. In näherer Umgebung standen einige Mehr- und ansonsten Einfamilienhäuser.
«Das ist die Südseite, also eine durchgehend sonnige Lage.»
Als sie das Schlafzimmer sah, war sich Milena sicher. Die Wohnung will ich, unbedingt. Der Mietpreis ist wahrscheinlich höher als ich ausgeben wollte, aber ich kann ja zusätzlich einige Privatpatienten annehmen, dann geht es.
In der Diele zeigte Herr Müller auf eine Tür. «Dieser Raum ist abgeschlossen. Herr und Frau Söderblom haben darin persönliche Effekten deponiert.» Dann trat er auf die letzte Tür zu, dessen Raum sie noch nicht besichtigt hatten. «Diesen fensterlosen Raum kann man beispielsweise als Abstellkammer nutzen. Derzeit befinden sich noch vier Terrarien darin, doch diese werden nächste Woche abgeholt.»
Er öffnete die Tür. Rotes Licht von Wärmelampen, die über den Terrarien hingen, gaben dem sonst leeren Raum einen intimen Charakter. Müller trat zurück, um Milena durchzulassen.
Abstellraum? Das sind ja mindestens vier auf fünf Meter. Wenn ich an der hinteren Wand einen Vorhang drapiere, brauche ich nur ein paar Sessel, ein, zwei Bilder und eine gute Beleuchtung. Dann habe ich sogar zu Hause einen Behandlungsraum. Das ist ja mehr als ich mir erträumen konnte.
Das Klicken der Tür liess sie sich umdrehen, Müller hatte sie zugemacht, ohne einzutreten. Der drehende Schlüssel im Schloss erzeugte ihr ein ungutes Gefühl. Sie griff nach der Türfalle, doch die Tür gab nicht nach. Er hatte sie eingeschlossen. «Herr Müller, Sie haben mich irrtümlich eingesperrt.» Da nichts passierte, klopfte sie, zunehmend verärgert über diesen schlechten Scherz. Verdammt was soll das, er muss doch gemerkt haben, was passiert ist und mich hören? Eine Weile blieb es noch still.
«Milena. Du hast mich wohl nicht mehr erkannt?», erklang Müllers Stimme.
Das ist nicht einfach ein schlechter Scherz. «Wer sind Sie?», ihre Stimme klang nun verunsichert.
«Du kennst meinen Namen, Herbert Müller.»
«Ich habe Sie heute zum ersten Mal gesehen. Was wollen Sie von mir.»
«Du willst mich nicht kennen? Böses Mädchen, dabei siehst du doch so brav aus.»
Milena wurde wütend. Ihr Temperament hatte sie an sich sonst gut unter Kontrolle. Als Kind war sie lange Zeit öfters unausstehlich gewesen, machte aber die Erfahrung, dass sich ihre Ausbrüche letztlich nur destruktiv auswirkten. Sie lernte, dass sie mit Schmeicheln mehr erreichen konnte. Nun trat sie heftig mit dem einten Fuss gegen die Tür.
«Das ist sinnlos Milena. Spare dir deine Energie, du wirst sie noch brauchen.» Er lachte eigenartig, guttural.
Was hat er mit mir vor? Will er Lösegeld? Meine Familie ist nicht reich.
«Sie verwechseln mich wahrscheinlich mit jemand anderen. Es ist ein Irrtum. Weder ich noch meine Familie sind vermögend.»
Warum reagiert Müller nicht?
«Hallo Herr Müller, haben Sie mich verstanden. Ich bin nicht die Person, die sie meinten.»
«Oh doch Milena, das bist du. Als ich dich vor zwei Wochen in der Klinik sah, erkannte ich dich sofort.»
In der Klinik? Ein Patient? «Ich habe sie dort noch nie gesehen.»
«Ich kam von Professor Hartmann, als du dich im Korridor mit einer Frau über deine anscheinend schon länger währende Wohnungssuche unterhieltest.»
«Woher kennen Sie mich?»
«Vom Gymnasium her. Dämmert dir nun etwas?»
Vom Gymnasium? In meiner Klasse war er nicht. Herbert Müller? Vielleicht habe ich seinen Namen mal gehört. Er ist aber zu alltäglich, als das ich ihn mir einprägte, wenn wir sonst nichts gemeinsam hatten.
«Nein, ich kenne dich wirklich nicht.»
«Das passt zu dir Milena. Du warst damals schon so. Deine Freunde standen im Mittelpunkt, alle anderen empfandest du als lästig und störend.»
«Das stimmt überhaupt nicht. Jetzt weiss ich es, du verwechselst mich mit Milena Schlomm von der 3B. Die war immer etwas zickig.»
«Nein Milena, du warst es, nicht die Schlomm. Die konnte ich überhaupt nicht leiden.»
«Aber ich habe dir doch nichts getan?»
«Nichts getan, so kann man es auch nennen. Du hast mich, am Abschlussball nur abgefertigt als sei ich der letzte Dreck. Aber dies hat für dich ja keine Bedeutung.»
«Das kann nicht sein, ich kenne dich ja gar nicht.»
«Als ich dich höflich um den ersten Tanz bat, hast du mich kaum angesehen und dich wortlos einem deiner Klassenkameraden zugewandt, um mit ihm zu tanzen. Diese Abfuhr war eine gewollt grobe Beleidigung. Deine zynischen Freunde hatten mich nur abfällig und hämisch angeschaut, als du mich abblitzen liessest. Diese Demütigung habe ich nie vergessen.»
«Davon weiss ich nichts. Möglicherweise habe ich dich ja nicht wahrgenommen, nicht gehört, dass du zu mir sprachst. Es war damals ein gewaltiger Rummel und sehr laut.»
«Keinen Moment hast du an diesem Abend mir dann auch nur einen Blick gewährt. Als ob ich Luft sei.»
«Es tut mir leid, wenn ich dich ungewollt verletzte.»
«Der Abschlussball war mir die passende Gelegenheit, einander endlich näherzukommen. Ich war mir sicher, wir würden uns an diesem Abend bei einem Traumtanz finden.»
«Du hast dich da in etwas hineingesteigert Herbert. Das kann sich in der Adoleszenz schon mal ergeben. Aber heute sind wir Erwachsene, da können wir mit solchen Situationen doch umgehen.»
«Du hast recht, ich kann damit umgehen. Als ich dich vor zwei Wochen nach so viel Jahren wieder sah, wurde mir klar, dass ich dir noch etwas schulde. Ich suchte etwas, dass mich dir unvergesslich einprägen wird, wie du es für mich bist. Endlich kann ich mich nun revanchieren.»
«Herbert. Mach bitte auf, wenn ich dir etwas bedeute.» Sie drückte erneut mehrfach die Türfalle.
Er lachte anfänglich gefällig, doch dann steigerte es sich in hysterisch wirkende Laute.
Er muss gestört sein. Rasterhaft ortete sie die Anzeichen von Symptomen. Nach dem, was er sagt, könnten narzisstisch als auch psychotisch stark ausgeprägte Züge vorliegen, möglicherweise Borderline. Sie klopfte nun in normaler Stärke gegen die Tür. Sie hatte schon einige Erfahrungen mit schwierigen Patienten sammeln können, doch noch nie war eine wirklich bedrohliche Situation aufgetreten. Angst verspürte sie keine.
«Für dich habe ich ein ganz besonderes Geschenk ausgesucht, Milena. So eine Art Wellness-Kur für Psychotherapeuten. Es ermöglicht dir einige Tage der Besinnung. Allein und doch von Leben umgeben. Dies ist für eine Psychologin doch ein wertvoller, persönlicher Erfahrungswert.» Es setzte wieder ein irres Lachen ein.
Sie lauschte, er war nicht zu hören. Hat er sich entfernt? Hier gibt es nichts, mit der ich die Tür gewaltsam öffnen könnte. Dummerweise hatte ich den Mantel und die Tasche im Wohnzimmer abgelegt, sonst könnte ich jetzt einfach zum Handy greifen.
Sie betrachtete nun die Terrarien, ob da vielleicht etwas einsetzbar wäre, um die Tür aufzubrechen. Hölzer, Sand und Erde, völlig unbrauchbar. Der Metallrahmen eines Terrariums vielleicht? Als sie näher trat, erstarrte sie. Im ersten Terrarium erblickte sie zwei Schlangen, die eine zusammengerollt, die andere unauffällig auf einem Ast liegend. Ihre Schuppen waren von einem warnenden Rot mit regelmässigen weissen und schwarzen Ringstreifen um den Körper. Auch die anderen Terrarien waren mit solchen Tierarten ausgestattet. Die einen in giftig wirkendem Hellgrün, andere in einem dreckigen Grau sowie zwei in sandfarbenem Beige. Das meinte er damit, allein aber doch von Leben umgeben. Damit beeindruckt er mich jedoch nicht. Da fehlen ja die Abdeckungen der Wärmelampen wegen. Dieses fiese Schwein.
«Herbert, du hast deinen Spass gehabt, mach jetzt bitte auf.» Nichts rührte sich. «Herbert, meine Geduld ist nun langsam zu Ende. Mach auf, dann werde ich die Sache vergessen. Ansonsten muss ich dich wegen Nötigung anzeigen, das willst du doch nicht?» Es blieb still.
Anscheinend will er mich allen Ernstes hier festhalten. Sie trommelte nun mit den Fäusten an die Tür. Plötzlich ging das Licht der Wärmelampen aus, es war stockfinster. Der spinnt wirklich. Entfernt war das Zuschlagen einer Türe zu hören. Ist er gegangen?
Sie versuchte sich ein Bild über Herbert zu machen, soweit dies aufgrund der wenigen Fakten möglich war, um sein weiteres Verhalten abzuschätzen. Bei Borderlinestörungen kann krisenhaft aggressives, widersinniges Verhalten auftreten, das dann auch wieder in selbststrafende Phasen übergeht. Es wäre möglich, dass er sein ungebührliches Verhalten schnell bereut. Sie zeigen allerdings oft ungewöhnliche Symptomkombinationen. Ihr Hoffnungsschimmer zerstreute sich wieder. Wenn das bei ihm zutrifft, ist er unberechenbar. Er wird wohl nicht so schnell zu normaler Einsicht gelangen.
Frühestens morgen wird man mich vermissen, wenn ich nicht zur Arbeit erscheine. Leider hatte ich nur der Blum gegenüber erwähnt, dass ich eine Wohnung ansehen gehe. Doch um ihr eins auszuwischen, hatte ich ihr ja auch die Adresse genannt. In einem solch guten Quartier wohnt die nicht. Aber ob die sagt, wohin ich zu gehen beabsichtigte? Der ist es doch nur recht, wenn ich ihr nicht begegne. Die mit ihrem Minderwertigkeitskomplex.
In der Dunkelheit war nichts zu sehen und aus dem Haus hörte sie auch keinen Laut. Sie begann, gegen die Türe zu hämmern, in der Hoffnung andere Hausbewohner könnten es hören und ungewöhnlich finden. Doch alsbald schmerzten ihr die Fäuste. Ich werde abwarten, bis ich irgendwelche Nachbarn höre. Irgendwann werden die auch nach Hause kommen.
Ihr Zeitgefühl war ihr abhandengekommen. Sie wusste nicht, ob sie erst eine oder bereits mehrere Stunden wartete. Es war zermürbend einfach dazustehen und in die Dunkelheit zu starren. Ermüdet setzte sie sich hin, den Rücken an die Tür gelehnt.
Was war das? Ich muss eingenickt sein. Als ob etwas Leichtes zu Boden gefallen sei. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Eine der Schlangen ist dem Terrarium entwichen. Wahrscheinlich, weil die Lampen keine Wärme mehr verbreiten. Sind schon mehrere Schlangen draussen und ich habe es nicht wahrgenommen? Ihre aufkommende Panik versuchte sie, mit rationaler Überlegung abzuwehren. Wenn sie draussen sind, werden sie Wärme suchen. Die finden sie bei mir. Sie schauderte und zog ihre Beine dichter an den Körper, möglichst keine Angriffsfläche bietend. War da nicht etwas? In nächster Nähe war da doch ein Geräusch, als ob etwas über den Boden streift. Das ist nur magische Angst, ich muss verhindern, dass ich die Kontrolle verliere. Sie begann als einfache Konzentrationsübung fortlaufende Zahlen laut auszusprechen, die Vorstellung ihrer Umgebung ausblendend. Doch die Wahrnehmung liess sich nicht übertölpeln. Sie stockte immer wieder und lauschte, den Blick in die Dunkelheit um sich gerichtet, ob sie etwas erkennen könne. Er versucht, mich in den Wahnsinn zu treiben. Er ist ein perfider Sadist, der sich jetzt wahrscheinlich wollüstig vorstellt, wie ich mich ängstige. Ich werde die Angst umkehren, in Wut wandeln und wehe, wenn er hier wieder erscheint. Da war doch wieder etwas, unmittelbar vor mir. Mit einem Fuss hieb sie nach vorn auf den Boden. Bin ich auf etwas getreten? Schnell zog sie das Bein wieder zurück. Es ist gefährlich, was ich da tue. Wenn ich gebissen werde, habe ich keine Überlebenschance. Nun verlor sie die Beherrschung, Tränen quollen ihr über und zunehmend wurde sie von einem Weinkrampf geschüttelt.
«Au». Ich bin gebissen worden. Wie Nadelstiche am Knöchel. In Milena breitete sich eine Dumpfheit aus, sie gab sich verloren, ein Schleier von Gleichgültigkeit überzog ihr Bewusstsein. Da wieder ein Biss, es ist nicht einmal schmerzhaft, mehr ein piken. Wenn es wenigstens nur schnell geht, ich nicht langsam verenden muss. Der Gedanke, in Todesgefahr zu sein, weckte nun doch wieder ihre Lebensgeister. Nein, ich will nicht sterben. Sie hob zitternd die Hände rückwärts über den Kopf, um kräftig an die Tür zu pochen. Eine der Schlangen musste sich zu ihrem Schoss hochgeschoben haben, sie spürte da eine Bewegung. Ihre Hände erstarrten in der Luft, die Tränen rannen unaufhörlich. Wenn ich mich an einen andern Platz begebe, könnte ich wenigstens solang entkommen, bis das Gift wirkt und ich nichts mehr wahrnehme. Dieser Gedanke fixierte sich. Innerlich bemühte sie sich, alle Kraft zu sammeln, um hochzukommen und wegzuspringen. Es gelang ihr zwar nur schwer, sich zu erheben, ein Stich am Oberschenkel liess sie beinah wieder zurückfallen. Aber sie schaffte es trotz der Dunkelheit an die entgegengesetzte Wand zu gelangen, wo sie zu Boden sank, unfähig stehenzubleiben.
Da sind sie wieder. Sie zuckte zusammen, als sie über ihre linke Schulter ziehend ein leichtes Gewicht spürte. Ich darf mich nicht bewegen. Eine der Schlangen hat sich da hochgezogen. Widerlich dieses Ziehen des kühlen Körpers, der glatten Schuppen am Genick entlang. Wenn sie sich um meinen Hals windet, erwürgt sie mich. Ihr Atem ging heftig und ruckartig. Sie würgt mich. Wenn ich sie wegzureissen versuche, beisst sie mich in den Hals. Nein doch nicht. Sie schmiegt sich Wärme suchend an. Da, auch am rechten Bein schiebt sich eine unter der Hose hinauf. Ich muss flach atmen, sonst hyperventiliere ich noch und keine heftigen Bewegungen mehr machen. Wie lange dauert es, bis das tödliche Gift wirkt? Die dumpfe Verzweiflung liess ihr keine klaren Gedanken mehr zu. In ihr pochte die Vorstellung, die acht Schlangen haben mich als Wärmespenderin auserkoren. Wie ein Filmriss in Zeitlupe schaltete sich ihr die bewusste Wahrnehmung ab.
Laute drangen in ihr Bewusstsein, Stimmen. Sie vermeinte nun jene von Professor Hartmann, zu erkennen. Ist dies der Tod, der mir Erinnerungen an das Leben vorgaukelt? Die Stimmen werden klarer, ein leises Gespräch.
«… es ist noch nicht abschätzbar, wie weitgehend, ihr der Aufenthalt in dem Raum zu akut traumatisierendem Erleben ... Inwiefern sich ihr die Wirklichkeit mit überbordend angstvoller Fantasie überdeckte. … ist jedoch anzunehmen, dass sie ihre Selbstkontrolle völlig verlor und sich das Schlimmste ausmalte.» Wem gehört diese Stimme, ich kenne sie nicht?
«… beinah schon Vorsehung, dass sie Frau Blum von … Wohnungsbesichtigung erzählte.» Das ist jetzt aber eindeutig Hartmanns Stimme. «Niemand hätte sonst gewusst, wo sie sich aufhalten ... Auch wenn es ungiftige Schlangen waren, … über kurz oder lang wären sie den Terrarien entwichen. … nur schon ihre Körper in der Dunkelheit zu …, muss grauenhaft sein.»
Es brauchte eine Weile, ehe ihr Verstand den Sinn dieser Wortfetzen filterte. Es waren keine Giftschlangen und sie waren überhaupt nicht ausserhalb der Terrarien. Ein verzweifelter Weinkrampf schüttelte sie. Das Gift erzeugt mir Halluzinationen. Es muss die Agonie sein, die mir solch wahnhafte Wunschfantasien aufkommen lässt.
«Frau Schütt, können Sie mich hören. Ich bin es, Hartmann.» Es klingt so, als ob er direkt neben mir stehen würde. Ich darf die Augen nicht öffnen, sonst wird mir die Sinnestäuschung der Stimmen endgültig bewusst und der Wahnsinn vereinnahmt mich vollends.
«Vorläufig kommen wir noch nicht an sie ran. Es wird jedoch nicht allzu lange Zeit dauern, bis sie dieses grauenhafte Erleben einigermassen überwindet und sich wieder ein normales Alltagserleben einstellt. Beruflich wird sie aber eher in eine andere Sparte wechseln müssen. Diese Erfahrung wird sie nachhaltig sensibilisieren, was in ihrem jetzigen Arbeitsbereich nachteilig sein könnte. Ich werde ihr gleich wieder eine Beruhigungsspritze geben, die sie traumlos schlafen lässt.» Dies war wieder, diese unbekannte Stimme.
Wahrscheinlich steht Herbert neben mir und schaut boshaft auf mich herab. Ja, er musste gesprochen haben, nur hatte ich seine Stimme verdrängt, die Worte gewollt falsch uminterpretiert und anders besetzt. Traumtanz hatte er es erinnernd genannt, welche Ironie. Ich müsste wütend sein, aber schaffe nicht mal mehr das. Diese Dumpfheit ist unerträglich, als ob der Verstand sich zersetzt, Debilität sich stattdessen ausbreitet. Das Gift soll es doch endlich zum Abschluss bringen, mir ein völliges Auslöschen schenken.
Ein Stich, ich hatte mich doch gar nicht bewegt. Sie kriechen wieder auf mir herum, schmiegen sich intim an mir an als wäre ich ihre Amme.
Was ist das? Ich Falle, wie wenn der Boden sich unter mir geöffnet hätte, es muss der Tod ...