Traumphasen
Piep-piep.
‚Ein widerlich unpersönliches Geräusch’, dachte sich Thomas und schaute sich zu Doktor Jegov um. Er tippte hochkonzentriert auf einer Konsole herum.
Überhaupt war das hier nicht seine Welt. Er war ein bekannter Künstler, er schrieb Bücher und malte Bilder, er war ein kreativer Mensch. Und ein nicht gerade unbekannter dazu. Hier stand er in einer Art Labor, obwohl er sich ein Labor so niemals vorstellen würde, denn hier standen nicht irgendwelche bunten Chemikalien, hier waren keine Tafeln mit unverständlichen Formeln voll geschrieben. Hier brabbelte kein verwirrter Professor Theorien vor sich hin und hier fand man keine Petrischalen deren Inhalt sich langsam in Konsistenz und Farbe änderte.
Nein, hier fanden sich zwei provisorische Liegen, wobei neben jeder ein großer schwarzer Kasten auf Rädern stand. Der Doktor hatte schon oft versucht ihm die Details seines Plans zu erklären, aber es dauerte meistens Nichtmahl zwei Minuten bis Thomas das Interesse verlor und nicht mehr zuhörte.
Alles was er wusste war, dass er versuchen wollte, seine Frau und ihn wieder zusammen zu bringen.
Piep-piep.
„Ich bin fast mit den Simulationen fertig. Nur noch ein paar abschließende Tests.“
„Was ist dieses Piepsen die ganze Zeit Doktor?“
„Das.. na ja.. wenn einer von Ihnen beiden keine Lebenssignale mehr zeigt..“
Thomas schauderte. Ein monotones piepsen für so etwas Endgültiges wie den Tod. Wissenschaftler hatten einfach keinen Sinn für Pietät, dafür einen viel zu ausgeprägten Sinn für Rationalität und Effektivität die oft alle anderen menschlichen Emotionen zu überlappen schienen.
Vielleicht war er auch nur übersensibilisiert durch seinen Beruf als Künstler. Vielleicht fraß ihn auch nur die Aufregung der letzten Tage auf, so genau wollte er das jetzt auch nicht wissen. Stattdessen sagte er: „Natürlich - die Lebenssignale.“
Aber eigentlich war er ihm ja dankbar. Seit 2071 verkündet wurde, dass das menschliche Gehirn nun endlich vollständig erforscht sei, hoffte er auf den Tag, und vorgestern war es soweit.
Seine Frau lag im Koma, seit 2 Jahren nun schon. Sie war ebenfalls eine bekannte Person, deshalb ging der Fall durch die Presse. Einer der letzten überlebenden Europäer war unerkannt in sein Land eingedrungen und lief in einem Einkaufzentrum Amok, erwischte dabei –natürlich- seine Frau im Rückenmark. Seitdem lag sie im Koma, und die Aussicht auf Heilung war gering.
Wie gesagt, das war zwei Jahre her, und jetzt rief der Doktor an und erzählte ihm in seinem unverständlichen technischen Kauderwelsch von seiner neuen Erfindung, die es möglich machen sollte, seine Frau in einer Art Metawelt wieder zu sehen. Die Hirnforschung hatte ergeben, dass auch Komapatienten weiter „denken“, sich sogar ihrer Situation völlig klar waren. So träumten sie praktisch einen hochrealistischen, ewigen Traum, den sie selber bewusst beeinflussen konnten.
Hier, behauptete der Professor, konnte er einen Charakter, sobald von ihm geträumt würde, praktisch „ersetzten“, also die ferngesteuerte Traumfigur mit dem Bewusstsein von Thomas vertauschen. Eine wahnsinnige Vorstellung, aber Thomas war so von dem Gedanken fasziniert seine Frau wieder sehen zu können, dass er natürlich ohne lange zu überlegen zusagte.
Piep-piep.
„Das Alarmsystem funktioniert offensichtlich. Ich würde sagen, wir können anfangen. Sie wissen ja um die Gefahren, sagen Sie mit einfach wenn Sie bereit sind.“
Ja, die Gefahren. Eigentlich wusste er nichts von irgendwelchen Gefahren. Es könne eigentlich alles passieren, sagte der Doktor. Es sei schließlich eine unerforschte Technologie, niemand könne voraussagen was passiert. Aber was sollte schon passieren? Würde er auf ewig schlecht träumen? Oder würde seine Frau in ihren Träumen ihren Traummann kennen gelernt haben und würde ihn verlassen? Das brachte ihn unfreiwillig zum Grinsen und bevor sich der Doktor über ihn wundern konnte, sagte Thomas: „Ich bin längst bereit.“
Auf einmal ging alles ganz schnell. Dieser stille Assistent sprang auf und bedeutete ihm, sich auf die eine Liege zu legen. Elektroden wurden an ihm befestigt und ein Kabel wurde durch sein Schädelkanal geleitet (Diesen direkten Zugang zum Gehirn musste jeder Erdenbürger seit dem Anschlag auf ein amerikanisches Atomkraftwerk 2052 haben, zwecks schneller Identifizierung und Ideologienkontrolle. So konnte praktisch kein islamischer, europäischer oder gar asiatischer Terrorist unbemerkt handeln.)
Thomas blickte sich um und schaute seine Frau an, die schon seit gestern präpariert auf der anderen Liege an die Decke starrte. Endlich würde er..
Der Doktor drückte einen Knopf und Thomas schlief auf der Stelle ein.
„Und los geht’s!“ rief der Doktor und drückte einen weiteren Knopf. Eigentlich wusste er nicht, was passieren würde. Theoretisch müsste es klappen, aber praktisch hatte er es nicht einmal an Tieren ausprobiert. Es war einfach zu teuer geworden ein geeignetes Tier zu bekommen.
Er schaltete Thomas in einen Dämmerzustand, der seinen Körper auf den folgenden Halbkomazustand vorbereiten sollte.
Die Technik war genial. Einerseits vereinte er beide Gedankengänge miteinander, andrerseits können beide, trotz Komazustand, sich später an das erlebte erinnern und hoffentlich sogar die Umgebung, in denen sie sich im Traum befinden, beeinflussen können.
Einfluss hatte der Wissenschaftler zwar nicht darauf, weder konnte er irgendwie sehen, was da vor sich ging, aber letztendlich könnte er ja doch noch den Stecker herausziehen, was allerdings unvorhersehbare Effekte bedeuten würde.
Der Assistent nickte, der Doktor drückte einen weiteren Knopf. Die großen Apparate fingen an zu brummen, ein diffuses Licht erhellte den Raum. Der Professor lächelte. Natürlich war dieses leicht lila schimmernde Licht nicht notwendig, er fand es nur lustig sich wie in den billigsten Science-Fiction Filmen zu fühlen.
‚Schließlich können wir die Stecker immer noch rausziehen’, dachte er noch einmal. Unvorhersehbare Effekte, weil sich die Träume ja überschneiden….
Aber wenn sich die…
Entgeistert starrte der Doktor seinen Assistenten an. Natürlich hatten sie sich Gedanken gemacht, wie Thomas ein Zeichen geben konnte, wenn er genug hatte oder wenn etwas schief ging. Er sollte einfach an ein rosa Nilpferd denken, dann würde ihn der Doktor zurückholen.
Soweit kein Problem. Aber er hatte schlicht vergessen, Thomas zu sagen, dass er die Träume erst trennen muss. Alles könnte passieren, wenn er und seine Frau in einem „kombinierten Traum“ sind, und er sich via dem Doktor versuchte auszuloggen. Man würde seiner Frau praktisch einen Teil ihres Traumes nehmen, der ja nichts als eine biochemische Reaktion in ihrem Gehirn war. Das würde eventuell ihren ganzen Rhythmus durcheinander bringen.
Das konnte doch nicht sein, er hatte doch alles so genau durchgeplant. Er konnte ja auch nicht sehen ob sich Thomas noch in dem gemeinsamen Traum befand.
Der kleine blaue Knopf leuchtete vor ihm auf. Das hatte grade zwei Minuten gedauert, irgendetwas musste schief gegangen sein. Er wurde panisch, schaute hastig hin und her und fing an, laut zu atmen.
„Was ist los? WAS??“, schrie der Assistent. Er hatte nicht oft erlebt dass sich der Doktor aufregte, schon gar nicht in so einer kritischen Situation.
Was sollte er jetzt tun? Irgendwas musste doch falsch gelaufen sein, er musste Thomas da raus holen. Andrerseits, was würde mit seiner Frau passieren, wenn sie noch in einem gemeinsamen Traum sein sollten?
Allerdings, wenn da etwas schief ging war die Wahrscheinlichkeit äußerst gering dass sie wirklich zusammen waren.
Etwas beruhigt schaltete er den Apparat ab, das brummen wurde leiser.
Thomas machte die Augen auf, der Professor beugte sich über ihn und fragte, leicht panisch: „Was war los? Was ist passiert?“
„Nichts? Wieso? Es war toll, Doktor. Wir hatten ein paar tolle Tage zusammen, das müssen wir bald wiederholen.“
....
Wie ein Blitz traf es ihn. Träume dauerten nicht so lange wie das normale Leben. In Träumen spielten sich Stunden und Tage in Sekunden ab, dass wussten Schlafforscher seit den neunziger Jahren. Es war nichts schief gelaufen. Alles war in Ordnung. Es hatte alles gekla...
Piep-piep.