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Traummagie
Das Kind des Totenreiches
„Hey Lena,“ das Mädchen schaute zu den Sternen hoch, „morgen findet meine Prüfung statt. Wenn ich bestehe, kann ich endlich diese eine Technik erlernen!“
Helles Lachen erklang in ihren Ohren, dann hörte sie eine Antwort. „Du bist ja wirklich sehr an der Kampfkunst interessiert!“
Kichernd nickte die junge Frau. „Ja klar! Du bist schliesslich meine Magie! Und du warst es auch, die mir erklärt hat, dass ich diese Technik erlernen muss, um dich besser verstehen zu können.“ Lächelnd legte sie den Kopf auf ihre Arme, bewunderte die breite Sichel des Mondes. „Werde ich dann auch in der Lage sein, dich klar und deutlich sehen zu können?“ In ihren Augenwinkeln konnte sie einen Teil ihres Zimmers sehen, auch den kleinen, schemenhaften Schatten darin. Hoffnungsvoll erwartete sie eine Antwort.
„Ja, vielleicht. Aber bis dahin… pass auf dich auf, Vera. Wir achten auf dich.“
Vera nickte kaum erkenntlich. „M-hm. Warum sprichst du eigentlich immer von „uns“?“ Seufzend schloss sie die Augen. „Ich wünschte, ich wüsste, was für eine Magie du bist. Vielleicht würde sie mir dann endlich jemand erklären.“ Doch sie bekam keine Antwort mehr, der Schatten war verschwunden. Sie war wieder alleine. „Vielleicht könnte mir dann auch jemand erklären, warum du mit meiner Stimme sprichst und nur für kurze Augenblicke auftauchst.“ Enttäuscht zog sie sich zurück, schloss das Fenster und verkroch sich in ihrem Bett. Sie musste sich auf den bevorstehenden Kampf konzentrieren.
„Vera! Warte!“ Selina kam auf sie zu gerannt. „Warte doch!“
Ungeduldig und widerwillig blieb sie schliesslich stehen. „Was denn? Mein Kampf beginnt doch gleich.“
„Ja, ja. Ich weiss. Ich wollte dir nur viel Glück und Erfolg wünschen. Du schaffst das! So hart und zielstrebig wie du geübt hast, kann es nur gut gehen!“
Nervös holte Vera tief Luft. „Ja, natürlich! Ich werde beweisen, dass ich soweit bin, die Technik zu erlernen.“ Dann drehte sie sich entschlossen um und marschierte, von Selina begleitet, zur Kampfmatte.
Ein letztes Mal hielt Selina sie am Arm zurück. „Pass gut auf dich auf. Deine Gegnerin ist bisschen seltsam.“
Beinahe hätte Vera die leisen Worte nicht verstanden, nickte aber, dankbar für die fürsorglichen Worte und den Hinweis. So entschlossen sie auch war, ihr ganzer Körper kribbelte vor lauter Nervosität. Das Herz pochte ganz aufgeregt. Sie musste diese Prüfung bestehen! Wie würde sie sonst jemals in der Lage sein, ihre Magie eines Tages verstehen zu können?
Laute Rufe erfüllten den Raum. Caroline, die Blutmagierin, hatte die Matte endlich betreten, durchbohrte sie mit einem intensiven, herausforderten Blick. Vier Jahre unterschieden Caroline und Vera von einander. Aber nicht nur das, Caroline wusste ihre Magie sehr gut einzusetzen.
„Vera, bist du bereit?“ Die Schuldirektorin trat an ihre Seite, musterte sie aufmerksam. „Caroline wird dich heute in der Kampfkunst herausfordern. Gib dein Bestes!“ Dann deutete sie mit dem Kopf auf die andere Seite der Matte. „Der Prüfer schreitet ein, sollte der Kampf zu brutal wird.“
„Brutal?“ Erschrocken folgte Vera dem Blick der Direktorin – zu Caroline.
„Keine Sorge.“ Sie tätschelte ihr den Arm, lächelte sie aufmunternd an und verliess die Matte.
„Zeigt uns einen fairen Kampf! Nun beginnt!“
Vera und Caroline starrten sich konzentriert an, versuchten, den jeweils anderen unter Druck zu setzen. Den ersten, falschen Schritt zu machen. Vera konzentrierte sich auf die angenehme Wärme in ihrer Brust, die Ruhe, die davon ausging.
Dann fing es an, beinahe zu schnell. Caroline machte einen Schritt auf sie zu, wirbelte um die eigene Achse und zielte mit einem hohen Kick auf Veras Schulter. Im letzten Moment riss diese die Arme zur Verteidigung hoch, taumelte von der Wucht einen halben Schritt zurück, nur um im nächsten Moment nach vorne zu schnellen. Dann liess sie ihren rechten Arm – eng am Körper und aus der Drehung des Oberkörpers heraus – nach vorne schnellen. Doch Caroline wich ihrer Faust ganz simpel aus, baute wieder Distanz zwischen ihnen auf. „Du hast deine Reflexe gut trainiert, Vera. Hast du vielleicht einen anderen Angriff erwartet?“
Vera nickte stumm, nicht bereit, auf das Gespräch einzugehen, konzentrierte sich stattdessen darauf, den Fokus zu behalten. Bevor Caroline sie mit weiteren Worten ablenken konnte, schoss sie auf diese zu, schlug mit beiden Händen zu, tief links, rechte Mitte, links oben, Bauchmitte, tief links. Doch Caroline fing jeden einzelnen Schlag auf, lächelte arrogant auf sie herab, wollte sie provozieren.
Doch Vera liess sich nicht aus der Fassung bringen, hatte viel zu hart dafür trainiert. Sie wurde aggressiver, griff mithilfe eines Ausfallschrittes Carolins linke Seite an und verpasste ihr zwei schmerzhafte Treffer in die Rippen. Dann liess sie sich zu Boden fallen, schlug mit ihrem Bein die ihrer Gegnerin weg und holte diese zu Boden. In diesem Moment war sie schnell genug gewesen, schneller als ihre Gegnerin.
Doch das gewonnene Selbstvertrauen verlor sie mit einem Blick in die Augen von Caroline. Die richtig genervten und wütenden Augen von Caroline. Ein Gefühl in ihr schlug Alarm. Hatte sie ihre gefährliche Blutmagie schon jetzt beschworen? Fühlte sie sich von ihr bedroht?
Caroline änderte ihre Haltung schlagartig, minimierte ihre Verteidigung. Würde sie wirklich mit voller Kraft angreifen? In einer Prüfung? Für einen winzigen Augenblick zweifelte Vera am Erfolg ihrer Prüfung. Und genau in diesem Moment griff Ihre Gegnerin an, ihre Hände waren schnell, viel zu schnell. Der erste Schlag traf sie gegen die Rippen, gleich unterhalb der linken Brust, der nächste gegen ihre Schläfe. Erschrocken floh sie einige Schritte zurück, kämpfte gegen den stechenden Schmerz an. Ihre Ruhe wankte. War Caroline etwa derart überlegen? Sie hatte es gerade so geschafft, einige Schläge abzulenken. Hilfesuchend durchforstete sie ihr Gehirn nach einer Angriffsmöglichkeit, nach einer Strategie. Sie musste sich nur beweisen, nicht zwingend gewinnen. Kurzerhand entschloss sie sich zu einer Frontalattacke. Alles oder Nichts. In einem einzigen Atemzug hatte sie sich Caroline auf Armlänge genähert, ihren rechten Arm zum Schlag ausgeholt. Bevor sie überhaupt den Hieb richtig ansetzen konnte, durchbrach Carolins Hand ihre Verteidigung, ihr Handballen bohrte sich in ihre Brust. Überrascht brach sie ihren Angriff ab, taumelte zurück und schnappte gierig nach Luft. Ihre Gegnerin war so unglaublich schnell gewesen, sie hatte den Bewegung nicht einmal richtig folgen können. Und im nächsten Wimpernschlag tauchte Caroline vor ihr auf, und sie sah, wie das Bein auf ihre Brust zielte… und sie voller Wucht traf.
Vera stolperte benommen zurück. Die Schmerzen raubten ihr den Verstand, überfluteten ihre Klarheit. Schwindel legte sich auf ihre Sinne. In ihrer Brust hatte etwas geknackt. Sie knickte ein, fiel auf das linke Knie, die Arme schützend vor das Gesicht gehoben. Egal, wie sehr sie versuchte, sie konnte nicht mehr durchatmen. Sie versuchte es immer wieder, schnappte nach dem bisschen Luft. Und dann merkte sie es, das schleimige Etwas in ihrer Brust, das reizende Kratzen. Sie hustete gequält, spuckte und starrte auf Blut. Ihr eigenes Blut.
Und die anderen sahen es auch. „Schluss!“ Die Stimme der Schuldirektion schnitt wie eisiger Wind durch die Stille. „Holt die Heilmagier! Na los!“
Veras Ohren begannen zu klingeln. Jedes Geräusch drang nur verzerrt in ihr Bewusstsein ein, ergab überhaupt keinen Sinn mehr. Dieses eine, kalte Gefühl breitete sich in ihr aus, lähmte ihre Glieder. Ihre Augen stierten auf das Blut in ihrer Hand. Ein neuer Hustschwall überkam sie. Noch nie hatte sie sich so gefürchtet.
Würde sie etwa sterben? Beängstigende Leere breitete sich rasend schnell in ihr aus, verdrängte Hoffnung und Verstand. Ihr Herz hämmerte wild und stürmisch. Und ein einziger Gedanke zog all ihre Aufmerksamkeit auf sich: Sie wollte nicht sterben! Sie musste die Prüfung bestehen! Sie musste auf die Beine kommen! Jetzt! Dieser Gedanke fühlte sich gut an, beruhigend, warm. Ein Kribbeln ging von ihm aus. Helligkeit.
Sie ignorierte diese schreienden, verzerrten Geräusche, die alle in ihr Bewusstsein zu dringen versuchten. Sie drängte den Schmerz beiseite. Ihre Konzentration galt nur noch diesem hellen, strahlenden Gedanken. Und da war noch etwas, ein seltsames Gefühl, es fühlte sich wie ein frischer Hauch auf der Haut an, erfüllte sie mit neuer Energie. Ihr Verstand klärte sich mit einem Mal und sie griff entschlossen danach, hielt es fest. Wie sie es unzählige Male in vielen Nächten zuvor getan hatte. Schliesslich verliess sie das Bewusstsein…
Schliesslich kam sie wieder zu sich. Allmählich klärte sich ihre Sicht, der Schwindel war verschwunden, das Kribbeln liess nach.
Schwer atmend stützte sie sich auf beide Knie, und hielt im selben Moment inne. Ihre Gedanken stolperten. Sie konnte ohne Schmerzen durchatmen! Die Rufe waren ebenfalls verstummt, das Tageslicht der Dunkelheit gewichen.
Augenblicklich richtete sie sich auf, liess den Blick um sich schweifen, wirbelte um die eigene Achse. Wie konnte das sein? Sie war alleine! Hatte die Magie sie in einen anderen Raum gebracht? Nein, das war es nicht! Sie war eindeutig noch im Übungsraum für Kampfkünste und hatte sich überhaupt nicht von der Stelle bewegt! Aber gerade eben hatte sie sich doch in einem Kampf mit Caroline befunden…
Hastig suchte sie nach der Tür, stürmte hinaus. Der Flur war finster, nur die dunkle Nacht fiel durch die grossen Fenster herein. Was war hier los? Nacht… ?
Nervös eilte sie auf ihr Zimmer… und erkannte es nicht wieder. Reglos blieb sie stehen, die Augen starr auf die schlafende Fremde gerichtet. „Was…?“ Sie verstand nicht mehr, ihre Gedanken wirbelten wild und unverständlich durch ihren Kopf. Vergeblich versuchte sie, tief und ruhig durchzuatmen. Ihr Inneres war im Aufruhr, schrie sie an, dass etwas nicht stimmte, dass sie etwas getan hatte. Ihr Herz hämmerte nervös.
Schwankend taumelte sie auf das Bett zu, stiess ungelenk mit dem Knie dagegen. Das Mädchen schreckte aus dem Schlaf und starrte sie an. Vera konnte beobachten, wie sich der Ausdruck des Mädchens änderte und sie sie ratlos und verwirrt anstarrte. „Wer bist du?“
Vera stockte, murmelte unverständlich.
„Was?“
„Vera.“
Licht erhellte den Raum, als das Mädchen die Lampe auf ihrem Tisch anschaltete. Dann musterte sie Vera neugierig. „Und was willste hier? Mitten in‘er Nacht?“
„Ich… Das ist mein Zimmer.“ Langsam gerieten ihre Gedanken wieder in die richtigen Bahnen.
„Eh?“ Verständnislos starrte das Mädchen sie an. „Nein? Ich schlafe in diesem Zimmer seit nem Jahr?“
„Was? Ein Jahr? Aber…“ Vera brach erschrocken ab. Sie hatte Magie genutzt… Was hatte sie beeinflusst? „Heute fand ein Kampf statt, Caroline hatte gegen mich gekämpft.“ Sie fühlte sich mehr und mehr unbehaglich.
„Stopp! Warte! Caroline? Du meinst die Caroline, die Blutmagierin?“
Hoffnung flammte in ihr auf, ihr Bauch beruhigte sich ein wenig. „Ja! Ja!“
„Und du bist die Vera?“
„Ja! Ich bin Vera.“
„Aber… Vera soll braune Haare haben.“ Langsam verzog sich der Ausdruck des Mädchens zu einer ausdruckslosen Grimasse.
Einige Augenblicke verstrichen. Erst dann verstand Vera die Aussage hinter deren Worte. „Was?“ Das Wort entschlüpfte viel zu schnell ihren Lippen. Sie entdeckte den Spiegel auf der Kommode zu ihrer Linken, trat rasch davor. Ihr fiel der Kinnladen runter. „Ich bin aschblond?“ Fassungslos drückte sie ihre Nase gegen den Spiegel. Blond…? „Ich bin nicht blond!“ Ihre Stimme überschlug sich. Sie blinzelte, immer und immer wieder, aber ihre Haarfarbe änderte sich nicht. Natürlich nicht.
„Vera?“ Das Mädchen näherte sich ihr. „Der Kampf zwischen Caroline und Vera ist sehr bekannt. Es wird immer wieder davon erzählt.“, tief Luft holend fuhr sie fort, „Diese Vera hat an diesem Tag offenbar ihre Prüfung bestanden, sie soll nach einem schweren Treffer jedoch verblasst und verschwunden sein. Nicht einmal die Bekanntmachung, dass sie bestanden hatte, lockte sie hervor. Und… ehm… der Kampf…“, das Mädchen haderte ganz offensichtlich mit sich selbst, was sie glauben konnte und wollte. „Der Kampf war vor mehr als 2 Jahren…“
Der letzte Satz sickerte unglaublich langsam in ihr Bewusstsein und ihr Herz setzte für einen quälend langen Schlag aus. Mit einem Mal war die Freude über die bestandene Prüfung vernichtet. „2 Jahre…? Was… Was… Was ist meine Magie? Was bin ich?“
Und eine leise, nur sehr allzu bekannte Stimme flüsterte ihr die Antwort ins Ohr: „Die Magierin des Totenreiches. Du bist einzigartig und unser Kind.“