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Traumhaftes
Traumhaftes
Und so kam es, dass Pamhagen in Verwirrung stürzte, und mit ihr alle Bewohner des kleinen Örtchens. Und da passierte es, dass sich der Engel Gabriel in Gestalt eines der vergessenen Wesen zu den Menschen des verirrten Dorfes gesellte, um sie aus der Finsternis zu führen; und mit ihm kam auch der verkannte Diener Gottes in Gestallt Adams zur Erde, um das, was er schon ewig begehrte und immer nicht sein nennen konnte, nie mehr benötigen zu müssen. Doch Gott, von alle dem nicht unterrichtet, sandte einen Funken zur Erde, um einen Geist zu erleuchten, noch bevor das siebente Siegel gebrochen wurde, und die berittenen Krieger alles das vergänglich und ewig, begrenzt und unendlich war, wieder zu vereinen. Und es geschah, dass die Kraft dies nicht wollte und so hatte sie Euch gewählt, um die Verwirrung zu schüren und wild entflammt bleiben zu lassen.
Walter erwachte aus seinem Traum und suchte seine vertraute Umgebung. Das Fenster, die Stehlampe und der Fernseher, seine Frau neben ihm. Alles was er liebte, war noch da, und so wurde die Vision der Nacht wieder zum Traum. Seltsames hatte er geträumt und Seltsames stand noch immer in seinem Kopf, fest und robust, doch die Mauer wurde bald zu Nebel und der Nebel zu Dunst und der Dunst zu Luft, und dann war er befreit von der Verwirrung. Er stand von seinem Bett auf und schritt zur Tür, sah nochmals auf den zusammengerollten Haufen, der sich seine Frau nannte und ging in die Küche, um sich ein Glas Milch zu genehmigen. In der Ferne ging bereits die Sonne auf und die Vögel zwitscherten die Ankündigung des Tages.
Plötzlich hörte er im Garten, gleich vor der Tür des Hauses, ein leises, lockendes Wiehern. Zuerst dachte er, es wäre sein Hund Waldi. Wie gern mochte er doch seinen treuen Gefährten. Doch dann schlug er sich auf die Stirn. Das Wiehern konnte doch gar nicht von seinem Hund Waldi stammen! Der war doch schon längst tot! Der Hund Waldi...
Aufgeschreckt von einem zweiten Wiehern, ging er in den Garten, um für Ordnung zu sorgen. Ordnung ging es gut, sie schlief noch ein wenig in ihrem Stall. Er gab ihr etwas Futter und drehte sich um.
Doch, Pardauz! Da stand ein weißer Schimmel mitten in seinem Garten und wieherte zum dritten Mal. Er ging näher, und der Schimmel scherte mit den sauber beschlagenen Hufen.
Walter war sehr verwundert über das plötzliche Erscheinen und strich über das Gesicht des wunderschönen Tieres. Er berührte seine Schnauze, seine Lider, seine Stirn und schließlich das Horn. Wo könnte das Tier nur hergekommen sein, überlegte er, und strich sanft über die Spitze des Horns.
Die Tür des Schlafzimmers wurde ruckartig aufgerissen.
„Anne! Anne! Du musst aufwachen!”, schrie Walter in die Stille des Schlafzimmers.
„Was ist denn los?”, fragte der Haufen, der seine Frau zu sein schien.
„Ein Einhorn ist in unserem Garten!”, sagte er.
„Ein Einhorn?“, murmelte der Haufen in den Polster seiner Frau und drehte sich auf die andere Seite „Dann mach es eben weg! In der Garage ist noch eine Dose Anti-Einhorn-Spray. Und jetzt lass mich in Ruhe, ich will noch ein bisschen schlafen!”
Walter wollte den Haufen nicht weiter stören, vielleicht konnte er ihn ja, wenn er ausgeschlafen war, fragen, wo seine Frau sei.
Walter ging wieder in den Garten, in beiden Händen hielt er das Anti-Einhorn-Spray, während er sich mit der anderen Hand den Schweiß von der Stirn wischte. Er öffnete den Verschluss der Warmblutervernichtungsdose und setzte zum Sprühen an. Doch das Einhorn sah ihm tief in die Augen und Walter konnte das Einhorn nicht mehr vernichten.
„Naja, irgend ´wem musst du ja gehören”, sagte Walter zu dem Einhorn und ging hinter das Haus zur Hundehütte, um die Hundeleine seines verstorbenen Hundes zu holen.
„Ich borg mir deine Leine aus, ich hoffe das ist okay für dich“, sagte Walter in die Hundehütte hinein.
„Kein Problem“, bellte der Hund Waldi aus der Hundehütte hinaus.
Walter ging wieder zu dem Einhorn zurück und schnallte ihm die Hundeleine um.
„Weißt du Einhorn, wenn ich dich überhaupt so nennen darf...”, begann Walter den Smalltalk. Was sollte er sonst tun, mit so einem Einhorn? „Manchmal stell ich mir es schon blöd vor, so ein Einhorn zu sein. Ja, da könntest du ein so schönes Pferd sein und derweil hast du so ein hässliches Horn auf der Stirn!“ Das Einhorn schnaubte und dann gingen sie los.
Da kamen die beiden an zwei Raben vorbei, die auf einer Eiche saßen. Walter überlegte, ob er nicht die Raben fragen sollte, wo man ein Einhorn abgeben könne; doch da besinnte er sich, Vögel können doch nicht reden!
„Hallo!”, krähte einer der Raben. Walter wich erschrocken zurück. „Sieh mal, wie scheu die Menschen sind, Ra!”
„Komm deuten wir ihnen den Menschen, Ben!“, sagte der andere und beide deuteten mit den Flügeln zur Stirn.
„Ach so”, stammelte Walter, „Ich wusste nicht, dass ihr reden könnt! Wisst ihr was man mit einem Einhorn so machen kann?”
„Ja”, krähte Ra, „Pferdeleberkäs! Hahahahahahahaha!” Die Raben fingen an zu lachen.
„Hey Ra!“, krähte Ben, „Nokia hat neuerdings auch im WC-Bereich eine revolutionäre Erfindung gemacht.“
„Achja?“
„Ja, jedes Mal, wenn man sein Geschäft erledigt hat und spült, erscheint auf einem Display ,Code akzeptiert’“
Da lachten die Raben und aus der Eiche, auf der sie saßen, ertönte ein Tusch und ein Publikum, dessen Augen und Ohren verloren gegangen waren, lachten und jubelten vor Begeisterung.
„Was machst du eigentlich, wenn du auf so ein Klo musst, es aber gerade besetzt ist?”
„Später noch einmal anrufen!” Die Raben fingen wieder an zu lachen und Walter ging mit dem Einhorn weiter. So einen Blödsinn müsse er sich doch wirklich nicht schmecken lassen, oder?
Walter wusste zwar noch nicht, wohin er mit dem Einhorn ging, aber wie hieß es so schön: ,Welt sein und Schmalzbrot’. So gingen sie weiter und genossen die Landschaft, als plötzlich Gerd von einem Baum kroch. Seit seiner Scheidung von einander, lebte er in einer unterirdischen Höhle auf einem Baum.
„Hallo, Alter Junge“, begrüßte Walter den Alten Jungen, „Wie geht es dir?“, dann sah Walter, dass neben dem Alten Jungen Gerd vom Baum kroch. Er ging zu Gerd, wobei er den Alten Jungen zur Seite schob, der sich sofort wieder in Luft auflöste, wobei er aber wahrscheinlich drei Jahre lang zu Fuß fahren musste, um endlich nach Luft zu kommen und die dortigen Säurebäder waren auch nicht mehr das, was sie einmal hätten sein sollen... Aber das interessierte Walter nicht mehr.
„Wie geht es dir, Walter“, begrüßte ihn Gerd, „Netter Gaul“.
„Nein, hehe, ist leider nur ein Einhorn. Wäre schön gewesen, Gaule sind nicht leicht zu bekommen...“
„Möchtest du Essen? Dann bestell ich einen Tisch für zwei Personen bei Hamlet, okay?“
Walter war einverstanden und Gerd bestellte einen Tisch bei Hamlet und wirklich, wie auf dem Werbeplakat versprochen, wurde der Tisch innerhalb einer halben Stunde geliefert.
„Weißt du, wo ich jetzt gern wäre?“, fragte Gerd, als sie gerade frühstückten, „In einer Bar mit Musik, wo es Frauen gibt, schöne Frauen, nicht solche, die man im Supermarkt zu kaufen kriegt. Eine Bar mit einem Kellner, der die Gläser voll schenkt und die Herzen erwärmt. Kannst du dir das vorstellen, Walter?“
„Klar kann ich das! Ich sehe den Kellner praktisch vor mir. Ein Schwarzer mit langen, blonden Augen. Das kann ich mir vorstellen, ja!“
„ Dann kannst du mir ja inzwischen einen Drink bestellen, ich muss schnell auf´s WC“, bat Gerd und ging hinter den Tresen.
„Ich hätte gern zwei Drinks“, bestellte Walter zwei Drinks bei dem Kellner. Dieser nickte und verschwand im Gefrierschrank, auf dem drei der Herzen, die dort aufgezeichnet waren, eigentlich keine Herzen, sondern eher sieben waren...
„Hallo!“, hauchte eine Stimme neben ihm. Es war eine junge Frau, etwa Mitte Dreißig, höchstens aber fünfundzwanzig Jahre alt.
„Grüß Gott...!“, sagte Walter.
„Tut mir leid, Gott sitzt dort drüben“, meinte die Frau etwas beleidigt und deutete hinüber zur Karaoke Bühne. Auf ihr stand ein Mann, der gerade „Hell Yeah“ sang. Als er fertig war, setzte er sich wieder auf seinen Platz neben dem Engel. Walter war erstaunt. So etwas hatte er noch nie gesehen, einen Mann, der „Hell Yeah“ kannte!
„Entschuldigen Sie, sind Sie Gott?“
„Nein“, sagte Gott und der Engel neben ihm lachte schallend und sagte. „Er ist einer der größten
Blasphemisten aller Zeiten, finden Sie nicht auch?“
„Dann können Sie mir doch sicherlich sagen, was ich mit dem Einhorn machen soll, nicht wahr?“, sagte Walter so, als hätte er den Engel nicht gehört.
„Ein Mann steht in der Wiese und wird von einer Raupe gefressen, die gerade schläft. Doch halt! Wer schmilzt denn da den Himmel von der Plastikkarte? Es ist Visa, Gott Mammon persönlich!“, sagte Gott und schaute Walter erwartungsvoll an.
„Ohhhh, wow!“, bewunderte ihn der Engel begeistert und sagte zu Walter: „Ist er nicht einer der größten Surrealisten aller Zeiten. Leider hat er nur ein Werk herausgebracht, kennen sie es?“
„Tut mir leid, ich esse kein Fleisch“, sagte Walter und setzte sich neben Gott, „Könntest du mir bitte eine Frage beantworten?“
„Ja, das kann ich! Eine Frage, dann musst du gehen“, antwortete Gott mit der Stimme von Robert DeNiro in „Der Pate“ Teil 1-3, „Frag die Leute!“
„Eine Frage, kein Problem“, Walter richtete sich auf. „Kannst du mir sagen, was ich mit einem Einhorn machen kann?“
„Ja, das kann ich. Ich hoffe dein Problem ist gelöst und wünsche dir noch einen schönen Abend“
„Wow!“, staunte der Engel, „Ist er nicht einer der größten...“
Walter wartete nicht länger, stieg von dem Baum herab und war ehrlich froh, aus dieser unterirdischen Höhle raus zu sein. Er nahm das Einhorn und sie gingen weiter.
Plötzlich stieg der Boden hoch und der Wald erhob sich. Aus einem riesigen Vulkan, der plötzlich Feuer speiend vor ihnen empor ragte, stieg eine Gestalt, die mindestens so groß wie ein Haus war, wenn das Haus eine Höhe von fünfzig und eine Breite von zwanzig Zentimetern maß.
„Endlich hab ich dich, Gabriel!“, schrie das Männlein und das Einhorn wieherte laut, „Endlich bist du mein!“
Gelähmt vor Angst, fuchtelte Walter unsinnig in der Gegend herum. Das Einhorn wieherte aus Angst auf und ab. Wie konnten sie der Gefahr bloß entrinnen? Das kleine nackte Männchen schien übermächtig.
Da kam plötzlich Gerd aus den Wald, zog sich die Hose hoch und zertrat das Männchen unabsichtlich.
„Du wirst nicht glauben, was auf dem Display der Toilette stand, als ich fertig war!“, sagte Gerd.
„Doch, das glaub ich schon, aber etwas anderes: Was zum Teufel soll ich mit dem Einhorn machen?“
„Hat es denn schon jemand als vermisst gemeldet?“, überlegte Gerd.
„Niemand, glaub ich“, glaubte Walter.
„Das ist doch großartig“, sagte Gerd begeistert, „Niemand wohnt hier weit und breit. Wir müssen ihn nur noch finden und es ihm zurückgeben!“
„Du hast recht! Dann lasst ihn uns suchen!“
So einfach war das, die Antwort war die ganze Zeit da gewesen, doch niemand hatte sie gesehen. Sie hatte sich perfekt versteckt und hatte gewonnen. Nun war Walter an der Reihe, sich zu verstecken.
Und das tat er auch. Er versteckte sich im Bett, neben dem Haufen, der sich seine Frau nannte. Der Haufen schmiegte sich an Walter. Er hoffte, dass er sein Versteck nicht verraten würde. Und da war doch noch etwas.
„Weißt du eigentlich, wo meine Frau ist?“, fragte Walter, als er schon fast wieder eingeschlafen war. Doch der Haufen sagte nur: „Wach endlich auf! Es ist schon acht Uhr morgens!“
Und so kam es, dass vergessen blieb, was einst gewusst; versteckt blieb was einst entdeckt und taub blieb, was einst sehen konnte. Geglaubt wurde der Unfug, der einst geleugnet wurde und die Realität zerstörte wieder jeden Funken an Wahrheit. Das alles sah die Kraft und sah, dass es gut war. Alles war wieder an dem Platz, an dem es hingehörte, Engel, Gott und der Teufel waren wieder in Position, die Menschen zu belügen und die Wahrheit war, wie die Antwort, gut versteckt.