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Traum von der Vernunft

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22.02.2003
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Traum von der Vernunft

Karl blickte in ein Gesicht, auf dem sich angeborene Hässlichkeit mit unglaublichem Zorn paarte. Sein Blick musterte das Gesicht, die Haarstoppel auf dem Glatzenkopf, die Bomberjacke und die Springerstiefel seines Gegenübers genauestens. Dann glitt sein Blick nach links und nach rechts. Dort standen zwei weitere Jugendliche, die Klone des ersten hätten sein können. Doch ihre Gesichter wiesen winzige Unterschiede auf: Ihre Gesichter waren irgendwie weicher, menschlicher. Karl glaubte in ihren Augen Intelligenz funkeln zu sehen. Ihm blieb nicht viel Zeit für seine Beobachtung, da riss ihm sein Gegenüber schon mit harter Hand einen Button von der Jacke.
„Gegen Nazis“,las er vor, starrte eine Weile auf den Button und sah dann Karl an. „Was haste denn gegen Nazis, hä? Gehste lieber zu den Kanacken ja?“
„Ich glaube, dass jeder Mensch das gleiche Recht auf Leben hat, und das gleiche Recht dieses Leben ohne Angst und Benachteiligungen zu verbringen“, antwortete Karl und seine Stimme zitterte ein wenig vor Angst.
Sein Gesprächspartner ließ den Button fallen und trat mit seinem Stiefel darauf, dass es knirschte.
„Ups, dass tut mir echt leid!“, bemerkte er mit einem Grinsen, hob den völlig zerstörten Button auf und befestigte ihn irgendwie wieder an Karls Jacke. Dann sah er sich einen weiteren Aufnäher an, der auf dem Parker zu sehen war.
„Zahme Vögel singen von Freiheit, wilde Vögel fliegen“, las er wieder vor, und schaute Karl nachdenklich an.
Karl sah wie der Skinhead zögerte und ergriff die Initiative.
„Weißt du, ich fühle mich hier so eingesperrt. Dies darf man nicht und das ist auch verboten. Wo immer man hingeht begegnet einem nur Misstrauen, festgefahrene Meinungen und eine geplante Wirklichkeit, die keine Freiheit mehr zulässt.“
Der andere nickte gedankenversunken. „Ja, das stimmt. Kindergarten, Schule, Bund und Ausbildung. Dann Arbeiten, Rente und Tod. Das Leben ist schon fest verplant.“
„Und dann diese Angst, zu versagen, im großen Spiel zu verlieren“, beteiligte sich jetzt der rechte. „Wenn du nicht der Beste bist, dann kommt jemand anderer. Konkurrenz überall. Darum ist es wichtig sich nicht auch noch von Ausländern seinen Lebensunterhalt streitig machen zu lassen.“ Die anderen beiden nickten.
Karl hatte jetzt keine Angst mehr: „Und warum versucht ihr nicht einfach die Situation zu verändern, anstatt nur die Ausländer zu vertreiben? Wie wäre es denn, wenn es eine Welt gäbe, in der jeder Arbeit hat, in der alle genug zu Essen haben und in der niemand um sein Hab und Gut fürchten muss?“
„Ja, schön wäre es!“ murmelte der Anführer.
„Tja, und dafür kämpfe ich, das ist das Ziel welches ich vor Augen habe.“, bemerkte Karl so nebenbei und strich sich gedankenverloren über den Iro.
„Du?“, die Augen der drei blitzten überrascht auf.
„Ja. Ich bin Anarchist. Das bedeutet, dass ich möchte, dass niemand jemand anderen zu etwas zwingen kann.“
Die Skinheads waren fasziniert. Interessiert fragten sie Karl aus, und schon nach kurzer Zeit verabredeten sie sich für den nächsten Tag im Café um weiter zu reden. Schließlich gingen die drei.

Als Karl alleine war, blinzelte er ungläubig in die Sonne. Sein Kopf schmerzte und er fühlte eine warme Flüssigkeit an seinem Bein herablaufen. Eine Träne rollte durch sein Gesicht, kreuzte und verwässerte eine Blutspur und fiel auf den Asphalt. Zusammengekrümmt lag er auf dem kalten Pflaster und beobachtete wie seine Peiniger verschwanden.
Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, was genau geschehen war. Der erste Schlag hatte ihm die Besinnung geraubt. Undeutlich erinnerte er sich daran, geträumt zu haben. Im Traum hatte es die Möglichkeit gegeben zu reden, zu argumentieren und zu überzeugen. Kein sehr realistischer Traum. Leider.

 
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Hi dagel,

das ist ein wirklich schöner Traum, den Dein Protagonist träumt. Leider stimmt es, das Nazis nie in der Lage sein werden, so etwas wirklich zu akzeptieren und möglich zumachen. Dabei sind sie nur eine Gruppe von vielen.
Insofern versetzt Du den Leser tatsächlich kurz in eine Traumwelt, in der Probleme durch Worte geregelt werden. Das dem nicht so ist, erfährt Karl und so wird Deine Geschichte gesellschaftlich wirklich.

Was ich jetzt nur zur Geschichte anmerken möchte: dieses Thema gibt es ziemlich oft und in der Weise, in der Du es darstellst, kommt auch kein neuer Aspekt dazu. Insofern hebt sich Deine Geschichte inhaltlich nicht aus dem Mittelmaß heraus. Der Überaschungsmoment ist Dir gelungen und schlecht geschrieben ist Dein Text auch nicht (ausser, dass hier - und auch im Satz davor:

Wie währe es denn...
beim 'wäre' kein 'h' hingehört).

Was mich inhaltlich stört ist, dass Du den Begriff "Anarchismus" meiner Meinung nach falsch darstellst. Du sagst, niemand könne jemanden anders dazu zwingen, etwas zu tun. Das ist so nicht richtig. Da es im Anarchismus keine Regulierungsbehörde oder -vereinigung oder was auch immer gibt, kann man sehr wohl jemanden dazu zwingen, etwas zu tun. Hauptsächlich durch Androhung oder Verwirklichung körperlicher (und wohl auch psychischer) Gewalt. Denn da ist keiner, der Dich vor dem schützt, wenn Du es nicht selbst tust. Und - alle Ideale in Ehren - wenn da eine Gruppe von Idioten in einer anarchistischen Welt auf Dich zukommt und Dir sagt, was Du zu tun hast, dann tust Du es, bevor Du Kantsteine beissen musst oder so.
Anarchie ist nicht mehr als eine Auflehnung gegen bestehende Rechtssysteme.

Was Du vielmehr meinst, ist wohl die Verbindung von Verständigung und dem Weltverständnis der '70er mit einer nicht von einer übergeordneten Macht regierten Gesellschaft - Du kennst das sicher: Peace + Anarchy = Happiness. Das jedenfalls stand auf meinen alten Schulmappen.

Leider wird es so nie laufen. Jemand hat mal zu mir gesagt, dass, wenn man dem Mensch alle Waffen nehmen und jegliche 'Regierung' würde, es irgenwann passieren würde, dass ein Individuum erkennt, dass Äste nicht nur zum Feuermachen geeignet sind, sondern auch gute Keulen abgeben (wieso soll ich mir das Fleisch jeden Tag selber jagen, wenn ich es jemand anders wegenehmen kann?); dann erkennt jemand, dass man diese Äste anspitzen kann, dann, dass man die über die Verbindung einer Tiersehne und eines elastischen Astes auch aus der Ferne gewinnbringend einsetzen kann und so weiter....
So etwas ist einfach im Menschen verwurzelt und es würde immer auf das hinauslaufen, was wir heute haben.

So, sorry, ich bin von Deiner Geschichte abgekommen; sie ist nicht schlecht und mit Ehrgeiz geschrieben - aber sie hebt sich - wie gesagt - nicht hervor. Man kann den Protagonisten verstehen, den er denkt so, wie es jeder tun sollte; allein an Tiefe fehlt es. Vielleicht noch etwas mehr Lebensgeschichte von Karl hinein oder eine vorhergeschehene Szene, die einen Grund gibt, warum er ausgerechnet in dieser kritischen Situation dieses Ideal erträumt.

Gruß, baddax

 

Okay, baddax,
ob Anarchie funktioniert, darüber kann man sich streiten. Das ich zu dumm zum richtig schreiben bin, wusste ich schon, trotzdem ist es mir peinlich...

Ich bedanke mich für deine Tipps und verspreche mich nächstens mehr um Orginalität und Tiefe zu bemühen!

Dagel

Zusammen sind wir stark!

 

Grüße!

Ich glaube kaum daß Baddax sagen wollte, daß du zu dumm zum Schreiben bist. Ich behaupte daß jedem einmal ein Schreibfähler unterläuft, also störe dich nicht an Kleinigkeiten! :)
Was den Traum von der Vernunft anbelangt: Eine wunderschöne aber realitätsfremde Vorstellung, die nur den klar denkenden Geschöpfen dieser Welt vorbehalten bleibt.

 

Hallo Dagel!

Ich habe mir Deine Geschichte bereits am 1.3. ausgedruckt, allerdings wollte ich nach Deiner Reaktion auf baddax´ Kritik noch ein bisschen warten. Vielleicht hast Du ja jetzt mehr Abstand und kannst seine Kritik mit anderen Augen sehen? ;)

Natürlich ist und bleibt es eine Illusion, was Dein Protagonist sich im Traum wünscht. Vor allem wird niemand einen Skinhead oder sonstigen Rechten mit so wenigen Worten umstimmen können. - Genausowenig, wie man mich als überzeugte Linke so einfach davon abbringen wird können.

Hier hab ich einen Link gefunden, bei dem viel zum Thema Anarchismus steht (von der Uni Berlin). ;)

Der "Vater des Anarchismus", Michael Bakunin, war übrigens der Sohn eines Adligen, der 500 Leibeigene hatte.
Als M.B. zum Marxismus kam, das war lange vor der Revolution, gab es Geheimzirkel, die sehr strenge Regeln für sich hatten, damit auch wirklich alles geheim bleibt - sonst wäre die Revolution baden gegangen.
Diese Vorsichtsmaßnahmen erlebte er aber wiederum als Zwang. - Das waren die Voraussetzungen, unter denen er sich und seine Theorien entwickelte.
Und wenn das Gesetz der Anarchie, im Groben formuliert, heißt
1. Es darf jeder tun und lassen, was er will, solange er
2. keinen anderen damit behindert oder stört,
dann ergeben sich dadurch automatisch Gesetze des Zusammenlebens - wohl menschliche Gesetze, aber doch auch wieder Gesetze. Man darf dann also zum Beispiel nicht einfach um Mitternacht mitten auf der Straße mit seiner Band zu spielen beginnen - weil man andere damit stören würde. So ergäbe dann eins das andere und was herauskommt - ist ein Gesetzbuch... :D

Aber Deine Beweggründe, diese Geschichte zu schreiben, finde ich wirklich lobenswert... ;) ... und deshalb zähl ich Dir auch ein paar Fehler auf, die mir beim Lesen untergekommen sind (siehe unten).

Es wäre fein, wenn Du an dieser Geschichte noch ein bisschen arbeiten würdest - mittels "Bearbeiten"-Button rechts unter Deiner Geschichte. ;)

Aber ein logischer Fehler ist mir auch aufgefallen: Wenn Karl einen Schlag bekommen hat, auf den hin er dies alles träumte, wären doch die drei Skinheads dann, wenn er wieder zu sich kommt, vermutlich nicht mehr da. Sie werden kaum stehen bleiben und warten, bis er fertiggeträumt hat und erst dann das Weite suchen... ;)

"die Klone des Ersten"
- ersten

"„Gegen Nazis.“ Las er vor"
- Nazis“, las

"Ups, dass tut mir echt leid"
- das

"wilde Vögel fliegen.“, las er wieder vor"
- fliegen“, las (ohne Punkt)

"Der andere nickte Gedanken versunken."
- "gedankenversunken" oder "in Gedanken versunken"

"„Ja, schön währe es!“ murmelte der Anführer."
- "wäre" - kommt zweimal vor - siehe baddax
- es!“, murmelte

"das Ziel welches ich vor Augen habe.“, bemerkte Karl"
- habe“, bemerkte

"über den Iro."
- würde "Irokesen-Schnitt" ausschreiben

Alles liebe,
Susi

 

Falls es jemanden interessiert: ich habe auch mal eine Geschichte über Anarchie geschrieben, die zwar zu kurz für ein Buch aber zu lang für eine Kurzgeschichte ist. In dieser Geschichte probt ein Dorf (ca.18000Menschen) den Aufstand und wagen die Anarchie. Leider haben sie viele Probleme mit der Machtautorität des Staates von dem sie sich freisprechen wollen. Wer wissen will ob das ganze gut oder scvhlecht ausgeht kann mir mal eine e-mail schicken (dagel@t-online.de) und ich schicke ihm die Story zu.
Bis dann und danke für Lob UND Kritik!!! Leider gerade keine Zeit viel an Geschichten zu machen,Abi....

 

Hallo dagel

deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen, besonders der Schluss hat mich nochmal nachdenklich gestimmt.
Besonders gut hat mir der Satz gefallen
"Zahme Vögel singen von der Freiheit, wilde Vögel fliegen."
Schön, dass es noch diese Weltverbesser gibt, die an diesen Traum glauben.

LG Toria

 

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