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Traum und Trauma
Der Schlaf, sanft und gleichmäßig, die Atmung gleitet. So wünsche ich mir meine Nacht. Ruhe im Schlaf.
Vielleicht geschieht es eines Tages,...wenn das Eis wieder bricht!
In mir wüten Impulse. Der Traum, Wunsch und Befürchtung zugleich, er wandelt sich vom Schrecklichen zum Himmlischen. Längst erworbener Primärtrieb, einzigartig in seiner Art, befremdlich in seiner Konsequenz. Jahre sind vergangen, doch von Vergangenheit keine Spur. Verdrängtes als Traum und Trauma.
Ein kalter Wintertag, so entsetzlich wie alle gelebten Tage zuvor.
Sonnenstrahlen spiegeln sich in der von Kufen zerfurchten Eisfläche. Die Kälte schneidet, die Sonne lacht. Kinder spielen, laufen und tanzen auf dem Eis. Werden sie mich dulden?
Habe keine Freunde und auch keine Schlittschuhe!
Vorsichtig betrete ich das Eis. Kein Knacken, kein Schwingen. Das Eis hält auch mich!
Anlauf nehmen, rutschen, ausbalancieren, ich wiederhole das Spiel.
Heute trage ich schwer, bin voller Schuld. Die Blicke meiner Eltern verraten es mir. Habe doch alles getan, es reicht nicht! Die Violine soll beherrscht werden.
Die Noten, sie sacken. Die Eltern klagen.
Schlittere über das Eis, es wird mir erlaubt, niemand regt sich.
Ich suche die verborgenen Winkel des Sees, will die auf dem Eis Tanzenden nicht stören, möchte die Einsamkeit finden und gelange zu merkwürdigen Eisverfärbungen und riesigen Wasserflecken. Was hat das zu bedeuten? Ich rutsche hindurch, das Wasser spritzt. Ich fühle mich frei, unbeobachtet. Bin weit hinaus, höre ganz leise noch Kindergeschrei aus der Ferne.
Einsame Stille. So friedlich. Die Wasserflecken! Warum Wasserflecken?
Ein wenig knarrt das Eis, so still? So friedlich? Ein laues Lüftchen weht, ich spüre es. Unter meinen Sohlen…ein Geräusch als ob Tausende von Papierseiten reißen.
So friedlich?
Es bricht! Das Eis bricht! Grausame Gewissheit. Eiskaltes Wasser, es schmerzt entsetzlich. Der See zieht an mir. Ich brülle und habe Angst, grässliche Angst. Klammere mich an das Eisloch, stütze mich auf, breche wieder ein, schreie so laut es nur geht, hört mich keiner? Was soll ich tun? Es zieht mich unter den Rand des Eislochs, mein Körper fühlt die innere Eisschicht, ich winde mich, drehe mich nach allen Seiten, atme Wasser, immer mehr. Die Glieder, kann sie nicht bewegen. Ich gerate in Rücklage, treibe unter die Eisdecke, bekomme keine Luft. Ertrinke. Was ist?
Bin unterm Eis. Still nun.
Mein Bauch reibt an der glatten Fläche, ich sehe Sonne. Ich sehe die Sonne durch die geschlossene Eisdecke! Sehe Kindergesichter, einige weinen. Weinen! Wen beweinen sie? Mich? Will atmen, es geht nicht, Meine Lungen füllen sich, blähen sich auf.
Diesen Kampf werde ich verlieren, ganz sicher! Habe keine Kraft, kann mich dem Tod nicht verweigern, will auch nicht, bin schwach geworden. Ich sehe den Himmel in hellblau, er scheint sich zu öffnen, einmalig schön! Ist das, das große Nichts? Ich hörte davon! Ein Gefühl der Freude, die Aussicht auf Frieden, unglaubliche Erleichterung. Plötzlich fühle ich mich seltsam frei und entspannt. Schwebe durch eine dunkle Dimension, höre ein Brausen und Summen, am Ende ein Licht, erst ganz matt, dann immer heller. Es zieht mich magisch an. Wärme und Liebe empfinde ich, so arg vermisst! Dort, wo es so hell ist, begegnet mir eine unvergleichliche Landschaft, mit nie erlebter Artenvielfalt. Gebäude aus Kristall, Städte aus Licht, hier lebt das Leben!
Diese Kinder! Diese schrecklichen Kinder! Sie ziehen und zerren an mir, halten sich gegenseitig und versuchen mich zu greifen. Ich erzeuge Gegendruck, mit steifen Gliedern. Presse meine Hände unter die Eisdecke, suche Halt, will mich festkrallen, zu schwach, es gelingt mir nicht. Ein letztes Mal leiste ich Widerstand, ganz wenig. Es ist umsonst, der Kampf verloren. Diese Kinder, sie sind stärker, mal wieder! Sie heben meinen Körper auf die Eisfläche, ich stehe neben ihnen, beobachte es, nicht bereit zurückzukehren, doch bleibt mir keine andere Wahl.
Morgens, nach durchlebter Nacht, da sehne ich mich nach Eisverfärbungen und Wasserflecken, so ruhig, so friedlich!