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Traum in Grün
Damals
Es hatte sich herumgesprochen, schneller als der Wind. Bei Emely‘s, ja, bei Emely‘s lag der Traum im Schaufenster und das schon seit Tagen.
Der kleine Laden befand sich nur einige Ecken von den Räumen der Tanzstunde entfernt, in der wir Schülerinnen der siebten Klasse des Lyzeums jede Woche unsere Beine schwangen. Wir lernten Foxtrott, Langsamen Walzer, Tango und vieles mehr. Neben der Tanzerei interessierten uns vor allem die jungen Herren, die vom Gymnasium zu uns geschickt wurden und denen wir gefallen wollten.
Auf der Suche nach verführerischem Tand durchforsteten wir alle Geschäfte unserer kleinen Provinzstadt. Es fanden sich Ketten, Ringe, Haarschmuck und Gerüschtes jeglicher Art. Spätestens wenn der Tanzlehrer in die Hände klatschte und rief: „Bitte die Herren zum Tanz auffordern!“ hielten wir Mädchen die Luft an und hofften, das begehrte Ziel einer der Jünglinge zu sein, die wir als besonders attraktiv eingestuft hatten.
Mein Favorit hieß Hans, ein hoch aufgeschossener Junge, der mich um Ellen überragte. Ich mochte sein Lachen, seine blauen Augen und sein Temperament, mit dem er mich im Saal herumzuwirbeln verstand. Seine Kurzsichtigkeit störte mich genauso wenig wie die Tatsache, dass er riesige Füße hatte, mit denen er mir des Öfteren auf die Zehen trat.
Den Abschluss der Tanzstunde bildete ein Ball, auf den wir Mädels uns seit Wochen vorbereiteten und der uns regelmäßig in Aufregung versetzte, wann immer wir darüber sprachen. Ein Ballkleid musste gekauft werden, es war das erste in unserem Leben und von größter Wichtigkeit.
Bei Emely‘s nun lag ein Ballkleid im Schaufenster, das meinen Freundinnen und mir gleichermaßen den Atem raubte. Es war aus grün schillerndem Taft, mit einer roséfarbenen Schärpe und einer Blume am schulterfreien Oberteil. Davon abgesehen, dass nur eine von uns dieses Kleid haben konnte, kostete es mehr als dreihundert Mark und somit galt es als unbezahlbar. Trotzdem ließ ich nichts unversucht, schleppte meine Mutter vor den Laden, schwärmte bei meiner Großmutter von diesem Traum und bettelte meinen Vater an, er möge mir das Kleid kaufen. Es half alles nichts, ich musste nach einer Lösung suchen. Tante Uschi fiel mir ein.
„Ob mir Tante Uschi so ein Kleid nähen könnte?", fragte ich meine Mutter.
„Warum nicht, wir müssten grünen Taft auftreiben“, meinte sie.
„Und rosafarbene Seide für die Schärpe und eine Blume“, gab ich zu bedenken.
Die Zeit drängte, in zwei Wochen sollte das Fest stattfinden. Tante Uschi wurde zu Emely‘s zitiert, sich das Kleid ganz genau anzusehen. Sie brachte ihren Fotoapparat mit und wusste sofort, wo sie den Stoff dafür finden würde. Sie nahm Maß und fing zu nähen an. Tante Uschi war geschickt, drei Tage später durfte ich zur Anprobe kommen und bald schon hing das Kleid an meinem Schrank. Der Anblick entzückte mich. Einige Male probierte ich es an und drehte mich vor dem großen Spiegel im Schlafzimmer meiner Eltern. Das Kleid umspielte meinen Körper, der Taft schillerte in allen Nuancen von Tönen in Grün und die zarte Blume, am Ausschnitt, schmeichelte meinem Teint ganz wunderbar. Der Knalleffekt war die Schärpe aus rosa Seide, sie betonte meine schmale Taille und verlieh dem Kleid seinen einmaligen Charme. Wie würden mich meine Freundinnen beneiden. Und Hans? Er würde mich stolz aufs Parkett führen und vielleicht fiel ihm irgendetwas Schmeichelhaftes ein, etwas über meinen ausgezeichneten Geschmack? Vielleicht?
Der Abend war gekommen, die Aufregung hatte ihren Höhepunkt erreicht und überschritten. Ich zog das Ballkleid an, schlang die Schärpe um meine Taille und schlüpfte in meine hochhackigen Pumps. Meine Augen glänzten und meine Wangen glühten wie im Fieber, ich gefiel mir sehr. Mit beiden Händen wuschelte ich meine dunkle Lockenpracht zurecht, bevor ich zu meinen Eltern in den Wagen stieg, die mich zu dem Fest begleiteten.
Hans sah ich schon von Weitem. Er stand am Straßenrand und begrüßte mich mit einem Blumensträußchen. Gut sah er aus, in seinem dunklen Anzug mit der Fliege.
„Tolles Kleid!“, lachte er.
Warum lachte er? War etwas komisch an mir? „Ist was, Hans?“
„Lass uns zu den anderen gehen“, antwortete er, reichte mir seinen Arm und führte mich in den Saal.
Da standen sie! Renate, Pia, Uta und Marlene, alle in grünen Taftkleidern mit rosa Schärpen und Blumen am Dekolletee. Mir verschlug es die Sprache. Nur Gisela trug ein gelbes Kleid. Ein gelbes Kleid aus Organza, mit weißen Margaritten am Gürtel. Fabelhaft! Die jungen Männer lachten in allen Tonlagen, einige kicherten verschämt hinter vorgehaltener Hand, die Mutigen wieherten und lachten uns schamlos aus. Wie peinlich! Hans meinte. “Mach dir nichts draus!“ und als der Ball eröffnet wurde, verbeugte er sich vor Gisela und führte sie zum ersten Tanz. Schuft, dachte ich und zerknitterte den grünen Taft zwischen meinen schweißnassen Händen.