Trauerspiel unter der Dusche...
Erschöpfung.
Ein Tag, an dem alles Erdenkliche, was auch nur schief gehen kann, widerfuhr.
Es war zur späten Abendstund’, als sie wieder Zuhause ankamen, sich nichts sehnlicher wünschten, als eine warme Dusche und ein Bett.
Sie ließen sich unwillig etwas zu tun auf die Couch fallen. Tiefes Seufzen gefolgt von einem langen Gähnen.
Endlich hatten sie an jenem Tag die Zeit gefunden, die schon lange geplante Radtour zu unternehmen. Quer durch den Wald, bis hin zum Badesee, an den sich kaum noch jemand erinnerte. Doch es kam, wie es kommen musste: Eine Panne. Ein Platten war noch das Angenehmste daran. Viel schlimmer erschien die Tatsache, dass die Fahrradkette gerissen war. Es war nicht zu beheben.
Trotz alledem war es ein schöner Tag. Die Laune war nicht zu trüben. Selbst jetzt nicht. Zwar waren sie müde, aber dennoch glücklich. Er lachte. Lachte über all die kuriosen Dinge, die immer wieder über ihn kamen. Sie blickte ihn fragend, aber lächelnd an. Sein Gesicht war noch immer mit Kettenschmiere verschmutzt und sie fragte sich innerlich, warum Männer in solchen Situationen nur so unverschämt attraktiv aussahen.
Stille.
Er legte seinen Kopf, auf ihren warmen Schoß und blickte ihr ins Antlitz. Ihr Gesicht war ebenso verschmutzt, wie das seine. Er grinste. Etwas spitzbübisch und rätselhaft. Mehrere Minuten.
Ohne einen Ton zu sagen, erhob er sich mit einem leisen Stöhnen von ihrem Schoß, als sei es eine schwere Anstrengung gewesen. Er streckte sich, gähnte und stand schließlich auf, um ins Badezimmer zu gehen.
Das Wasser plätscherte und sie hörte ihn leise ein Lied unter der Dusche singen. So, wie er es früher immer tat. Bei jeder Gelegenheit. Ein Lächeln konnte sie nicht unterdrücken und sie verspürte unerwartet die Lust, sich dies von nahem anzuhören. Drum schlich sie sich leise - der Kleidung schon entledigt - ebenfalls ins Badezimmer. Er bemerkte sie nicht. Vielleicht aber wollte er das Spiel auch ganz einfach nur mitspielen.
Langsam schritt sie zu ihm unter die Dusche. Der Dampf des warmen Wassers stieg ihr ins Gesicht und der Geruch von irgendwelchem Duschbad in die Nase. Es war einfach herrlich!
Sie legte sanft ihre Hände auf seine entspannten Schulterblätter.
„Ich hab’ dich gar nicht kommen hören...“, raunte er, als sein Gesang verstummte.
Es war gelogen. Sie wusste es.
Er drehte sich um, legte beide Hände auf ihre Wangen und ersuchte Kontakt zu ihren Augen. Fast glaubte er, in ihnen zu ertrinken, fast gänzlich in das dunkle Braun einzutauchen und sich darin zu verlieren.
Er küsste die Wassertropfen auf ihrer Nase zärtlich fort und vergrub seine Hände nun in ihrem Haar, welches über ihre Schultern gespült wurde. Nun war sie es, die lachte. Herzlich und befreiend. Es steckte ihn an. Ein inniger Kuss folgte. Zuerst sanft, dann etwas nachdrücklicher, fordernder. Die Hände hielten nicht länger still, zu groß war das Bedürfnis, die fremden Gefilde zu erforschen.
Körper, die geschmeidig voneinander glitten. Immer wieder, immer bebender. Der Zauber heftiger Inbrunst versprühte sich in dem kleinen Raum. Jenes seltsame Kribbeln, das sie stets in seiner Gegenwart empfand, wurde zu einem Schauer, der irgendwo tief in ihrem Körper begann und dafür sorgte, dass sich jedes einzelne Härchen auf ihrer Haut sträubte. Es war bloß zu ertragen, wenn sie sich ganz fest an ihn schmiegte. Kaum konnte sie erkennen, wo ihr Körper endete, und der seine begann.
Ihr gefiel es, seine Hände auf ihrer Haut zu spüren und sie merkte, dass sie ihn ebenfalls berühren wollte. Dass sie ihm keinen Widerstand entgegensetzen konnte, wenn er in diesem Augenblick versuchen würde, seine Wünsche mit Gewalt zu erreichen. Denn sie selbst, wollte es ebenfalls, obgleich sie nicht wagte, eine eindeutige Geste zu machen.
Plötzlich löste er sich von ihren Lippen. Ganz unerwartet. Sein Blick war ernst. Ihre Augen begannen zu zittern und ihre Knie gaben nach. Sanft hielt er sie noch immer fest.
„Ich liebe dich.“, flüsterte er leise, aber laut genug, damit sie es verstehen konnte.
Dieses Mal war sie es, die zurückwich. Sie war keineswegs erschrocken, jedoch verunsichert.
<Ich liebe dich>, diese Worte hatte ihr schon lange keiner mehr gesagt. Lange Zeit hatte sie es auch nicht mehr gefühlt.
„Was ist?“, fragte er sichtlich enttäuscht, als sie ihren Kopf senkte und seinem Blick auswich. Wie lange hatte er bloß gebraucht um diese Worte auszusprechen? Er wusste, dass er die Wahrheit sprach, doch Überwindung hatten ihn solche Momente schon immer gekostet. Fühlte sie denn nicht genauso? Nach so langer Zeit? Zugegeben. Sie beide hatten vor ihrer gemeinsamen Zeit einige trostlose Beziehungen hinter sich gebracht, die aber niemals länger als 3 Monate andauerten. Doch nun war 1 Jahr vorüber, hieße das denn nicht, dass sie einander wirklich brauchten? Vor diesem einem Jahr kannten sie sich schon in und auswendig. Jede Bewegung, jede Geste. Schon von Kindestagen an waren sie befreundet und doch war da immer mehr, als sie selbst zugaben. Wobei es jeder aus dem Freundeskreis wusste. Es gab stets kleine Sticheleien und Verkupplungsversuche deswegen. <Die sind doch arg ineinander verknallt, sieht jeder.>, hieß es immer. Dies wurde ihnen selbst aber erst klar, als er zum Wehrdienst musste und sie sich kaum sahen.
Sie schaute nur auf den mit Fließen bedeckten Boden; schaute zu, wie das Wasser in den Abguss lief, alleine um nicht seinen Schmerz zu sehen, den er sicher empfand.
„Was willst du denn jetzt von mir hören?“, fragte sie kleinlaut, „Dass ich dich ebenfalls liebe?“
„Tust du es denn nicht?“
„Das sagte ich nicht.“, widersprach sie ihm etwas verärgert, „Nur, <Ich liebe dich> heißt nicht <Ich mag dich>, oder <Ich möchte mit dir zusammen sein>.“
Er blieb stumm. Spätestens jetzt erstarb jede Freude, die sie am Tag empfangen durften.
Eine Panne...
„Was heißt das denn schon: zu lieben?“, fragte sie ihn. Er war nicht mehr fähig eine Antwort zu geben, „Siehst du? Du verstehst genauso wenig von der Liebe, wie ich selbst. Mir wurde es nie beigebracht.“
„Du musst es selbst lernen.“, er versuchte ruhig zu bleiben, was ihm sichtlich schwer fiel.
„Mag sein...“
Betretenes Schweigen.
„Aber...sag mir...können Menschen einfach so einander lieben? Ist das der Grund, weshalb es so schnell wieder vergessen werden kann? Eine Trennung so schnell widerfahren?“, sie nahm sich ein Handtuch, wickelte sich ein und setzte sich auf den Boden.
Er war verbittert.
„Hängst du noch an deinem Ex? Ist es das?“
„Wohl kaum!“
Tränen schossen ihr in die Augen. Brennende, die sie gar nicht erst zu verbergen versuchte. Es wäre ihr ohnehin nicht geglückt, „Ich habe einfach nur Angst! Jedes Mal wenn mir jemand sagte, dass er mich liebt, dauerte es nicht lange und alles ging zu Bruch. Ich weiß nicht mehr ob ich mich nun über deine Worte freuen soll. Freilich tu ich es, sind sie ernst gemeint.“
„Hast du etwa Zweifel an meiner Liebe? Glaubst du, ich sage es einfach nur so daher?!“, er wurde lauter.
Die Kette riss...
„Ich weiß nicht, was ich glauben soll.“, ihre Stimme zitterte.
Wenn man <liebt>, heißt das, sich ganz und gar dem Partner anzuvertrauen? Würde es denn wirklich schon reichen, nur daran zu glauben? Würde man dann tatsächlich <lieben>?
Er schritt zu ihr. Sie schaute hinauf, etwas furchtsam. Ob er wusste, was er für einen Gesichtsausdruck machte? Dass es nur einen Augenblick länger bedurft hätte, ehe sie schwach geworden wäre?
Erst hockte er sich zu ihr hinunter. Wollte sie umarmen. Doch sie wehrte sich dagegen. So tun als ob nichts gewesen wäre? Dafür war sie nicht stark genug.
Doch er zog sie gegen ihren Willen an sich und umschloss ihren hilflosen Körper ganz fest.
„Ich liebe dich!“, sagte er nun ein weiteres Mal. Sie wollte es nicht hören.
„Ich liebe dich!“
„Sei doch still.“, flehte sie, versuchte sich aus seinem Griff zu lösen. Vergebens.
„Ich liebe dich! Ich meine es ernst!“
Ein leises Weinen ertönte. Die Umarmung brach.
„Wie soll ich denn etwas erwidern können, wenn du mich so überwältigst?“, fragte sie kaum hörbar, doch es war kein Vorwurf.
„Kaum sehen wir uns ein paar Tage nicht, sind meine Gedanken voll von dir..“, sagte sie, als er den Raum verlassen wollte, „Du gehst mir nicht aus dem Kopf. Doch heißt das, dass ich dich liebe? Es tut mir weh, wenn du niedergeschlagen bist, möchte dich nur lachen und zufrieden sehen...ist das Liebe? Reicht das aus?“
„Du, ich...“
„Ich...ich wollte es dir sagen! Seit Wochen schon. Doch versuche ich es, sind meine Lippen versiegelt und es kommt nicht ein Ton heraus. Vielleicht darf ich diese Worte nicht sagen, trotz all des Schmerzes, den ich dir damit sicherlich zufüge.
Was ist, wenn ich mich von der Inbrunst deiner Liebe und dem schönen Gefühl, gewollt zu werden, bezwingen lasse? Es ist dir schon genauso ergangen wie mir, du weißt es.“
Sein Antlitz blieb starr:„Willst du denn alle vorherigen Beziehungen mit der unseren vergleichen? Früher oder später wäre sie dann zum scheitern verurteilt und alle anderen, die nach ihr noch folgen mögen. Sei doch nicht so dumm!“
„Worum geht es dir eigentlich?“, wollte sie auf einmal wissen, „Dass ich dir sage, dass ich dich liebe? Okay! Ich liebe dich. Verlang’ jetzt aber nicht von mir, dass es ernst gemeint ist! Ich weiß es nicht.“
Sein Zorn verflog. Sanft strich er ihr über die glühenden Wangen. Nach einer kurzen Pause, fügte sie noch hinzu: „Müssen es denn immer nur Worte sein? Reicht es dir denn nicht, dass ich da bin?“
Er nickte.
In der Nacht lag eine wahre Kluft zwischen ihnen. Er am Rande der linken Seite des Bettes, sie am Rande der rechten. Dazwischen: Kälte.
Kein Ton, keine Berührung, keine Blicke.
Und doch war er da, der Zauber.
Nur musste er endlich erkannt und genährt werden.
Er schlief eher als sie. Ganz langsam drehte sie sich auf die andere Seite, in der Angst, ihn aufzuwecken. Er regte sich nicht, nächtigte ganz ruhig, als sei nichts gewesen. In ihren Augen bebte ein Ozean. Grundlos, mag sein.
Ein Annähern, ganz scheu. Sie legte ihre Arme um seinen Bauch, den Kopf an seinem Rücken versuchte sie die aufkommenden Tränen zu ersticken.
Konnte sie denn niemandem mehr vertrauen? Sie weinte und sagte dies, obwohl sie es war, die sich mehr als irgendjemand sonst danach sehnte.