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Trauerkarten

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28.12.2009
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Trauerkarten

I9.03.1989 - 22.05.2005, das sind die Daten, es ist einer dieser ganz glatten Steine, tiefschwarz und so poliert, dass man sein eigenes Spiegelbild auf der Oberfläche erkennt, und ich beginne schon zu rechnen, doch ich war nie gut in Mathe. Ich mag diesen neuen Bereich; ruhig und gepflegt und jede Menge junger Menschen. Gab es da nicht einmal diesen Spruch von James Dean, ich erinnere mich nicht mehr … aber vielleicht war der Spruch gar nicht von James Dean, wen interessiert das schon?
Waren Sie ein Freund?
Ich höre die Stimme, doch tue so, als hätte ich sie nicht gehört. Sie bleibt stehen, sie steht jetzt hinter mir, und wenn sie einatmet, pfeift da etwas in ihrer Brust. Man kennt solche Leute ja, die gehen nicht, die gehen nie, bevor sie dich nicht ausgepresst haben, wenigstens ein kleines bisschen. Sie schmatzt, als sie den Mund aufmacht, um noch einmal zu fragen, aber ich komm ihr zuvor: Ja, sage ich, ein guter Freund.
Tragische Geschichte, sagt sie leise und tritt neben mich, sie ist klein, ich kann auf ihren Schädel sehen, die bläulichen Haare ihrer Oma-Frisur. Ich habe sie hier noch nie gesehen.
Ja, sehr, sage ich und schüttele den Kopf. Sehr tragisch.
Ich kenne die Geschichte, das wünscht man keinem.
Nein, nein, tut man nicht, wirklich nicht.
Sind Sie zusammen zur Schule gegangen? Oder woher kannten sie sich? Nur, wenn ich fragen darf?
Ja, ja natürlich. Wir sind zusammen zur Schule gegangen, das stimmt.
Ah, macht sie. Schule.
Ja, und Fußball, wir haben früher Fußball zusammen gespielt.
Sie runzelt die Stirn. Ja? Hat der Dirk Fußball gespielt, das wusste ich ja gar nicht.
Doch, doch, beim STV, klar, sicher. Im Tor, er war Torwart.
Die Familie hat aber doch oben in Seelscheid gewohnt, oder nicht?
Ja, ich mein schon, nein, Sie haben Recht, Seelscheid.
Sie schüttelt den Kopf. Hat der dann hier in Siegburg gespielt?
Ja, sage ich. Sein Vater war doch ein hohes Tier in dem Verein. War da früher selbst Spieler, ich mein, dass der sogar mal die erste Mannschaft trainiert hat.
Ja?
Ich denke schon, ja.
Er war doch Arzt, oder?
Kann sein, ist schon so lange her.
Doch doch, seine Praxis war unten an der Bahnhofstrasse, direkt neben der Zoohandlung.
Das kann sein, aber …
Naja, macht sie und winkt ab.
Aber die Mutter, sage ich, an die kann ich mich erinnern, sehr gut sogar … die hatte doch diese Boutique auf der Kaiserstraße.
So eine zierliche Blonde - ja!, jetzt, wo Sie das sagen!
Genau, immer ziemlich schick angezogen, sag ich und denk, vielleicht noch ein paar Worte über einen Bruder oder eine Schwester, das würde jetzt sehr gut passen, aber sie will sich schon abwenden. Und Sie?, frage ich schnell, und da dreht sie sich um, leckt sich mit der Zungenspitze über die Oberlippe und sagt: Ja, ja, ich wegen meinem Mann, also … seit letztem Jahr, es ging sehr schnell, sie legt die Hand unter ihre Brust und seufzt leise, Bauchspeicheldrüsenkrebs, eine Sache von ein paar Monaten, also …
Ja, sage ich. Ich verstehe, sehr schlimm, tragisch. Mein herzliches Beileid.
Nein, nein, sagt sie, schon gut, es geht. Es muss ja gehen. Aber danke Ihnen. Ich bin oft hier, ich versuche es jeden Tag, ich will es in Ordnung halten, frische Blumen, Kerzen, so habe ich das Gefühl, ich … tja, wie soll ich sagen?
Dass Sie sein Andenken bewahren?
Ja, sagt sie. Genau, genau das. Das werde ich mir merken.
Dass Sie sein Andenken in Ehren halten - besser, oder?
Besser, sagt sie. Viel besser!
Man tut, was man kann, sag ich, und sie grinst und starrt mich an, bis ich verstehe. Ich nicke und zeige auf die Gräber, die am Ende der Gasse neben einer Linde liegen: Mein Vater … Autounfall, ein paar Jahre her jetzt schon, ist unter einen Lastwagen gekommen, nicht selbst verschuldet!, der andere war zu schnell, draußen auf der Siegtalstraße, die ist ja bekannt für so schwere Unfälle, das Auto hat es in zwei Teile gerissen, er lag in der Mitte, zerquetscht, ja, das ist …
Grausam, sagt sie. Manchmal weiß man nicht …
Ja, sage ich. Ja, da haben Sie Recht. Manchmal, da …
Ich wünsche Ihnen jedenfalls noch viel Kraft.
Ja, danke, vielen Dank. Ihnen auch.
Sie lächelt, aber ich kenne diesen Blick, kalt und hart aus kleinen Augen. Ich schaue ihr nach, wie sie langsam um die Ecke biegt, hinter der Linde in einer anderen Gasse verschwindet, eine Plastiktüte von LIDL in der Hand.

Ich lese noch ein paar der Daten, die so fein säuberlich in die Steine eingraviert wurden, als seien sie tatsächlich von Bedeutung. Und meistens sind da auch gleich Bilder, ein Gefühl, eine Idee, die Summe eines Lebens ablesbar wie der Stromzähler. Es ist gar nicht schwer, sich das alles vorzustellen, wir sind nicht so einzigartig, wie wir immer glauben. Ich setze mich auf eine der Bänke und zünde mir eine Zigarette an. Auf manchen Gräbern brennen Kerzen, es sind immer die gleichen roten, die es überall zu kaufen gibt, auf einigen sind Heilige abgebildet, ich kenne keinen einzigen davon. Als es zu nieseln beginnt, stehe ich auf und gehe, und kurz vor dem Ausgang sehe ich sie noch einmal, wie sie vor einem der frischen Gräber hockt und Trauerkarten in ihre Tüte stopft.

 

Schöne Friedhofs-Miniatur, hat mir gefallen. Ein paar Anmerkungen:

… aber vielleicht war der auch Spruch gar nicht von James Dean, wen interessiert das schon?
Der Satz stimmt nicht, das auch evtl. streichen?
Sie bleibt stehen, sie steht jetzt hinter mir, und wenn sie einatmet, pfeift da etwas in ihrer Brust.
Sehr viel Sie. vielleicht das zweite wenigstens streichen?
Sie runzelt die Stirn. Ja? Hat der Dirk Fußball gespielt, das wusste ich ja gar nicht.
Zweimal Ja, das zweite könnte man m.E. weglassen.
Sie lächelt, aber ich kenne diesen Blick, kalt und hart aus kleinen Augen
Warum kennt er diesen kalten, harten Blick? Ist mir etwas entgangen?
Ich setze mich auf eine der Bänke und zünde mir eine Zigarette an, auf manchen Gräbern brennen Kerzen, es sind immer die gleichen roten, die es überall zu kaufen gibt, auf einigen sind Heilige abgebildet, ich kenne keinen einzigen davon.
Ein sehr langer Satz, den ich teilen würde. "...zünde mir eine Zigarette an. Auf manchen ..., die es überall zu kaufen gibt. Auf einigen..
Vielleicht Geschmackssache. Und zu guter Letzt fand ich die Punkte ... etwas viel eingesetzt, auch wenn das die wörtliche Rede authentisch erscheinen lassen soll. Ansonsten gern gelesen.
Schönen Rest-Sonntag wünscht
Jaylow

 

Hallo @jimmysalaryman ,


deine Geschichte gefällt mir sehr.

es ist einer dieser ganz glatten Steine, tiefschwarz und so poliert, dass man sein eigenes Spiegelbild auf der Oberfläche erkennt, und ich beginne schon zu rechnen, doch ich war nie gut in Mathe.
Erst beim zweiten oder dritten Mal lesen ist mir aufgefallen, dass du die Bezüge und Verhältnisse des/der Prot und des Verstorbenen schon sehr früh darlegst. Finde ich sehr clever und subtil aufgebaut.
Ich mag diesen neuen Bereich; ruhig und gepflegt und jede Menge junger Menschen. Gab es da nicht einmal diesen Spruch von James Dean, ich erinnere mich nicht mehr … aber vielleicht war der auch Spruch gar nicht von James Dean, wen interessiert das schon?
Der Teil ist toll, weil beim ersten Satz auch beim ersten Lesen schon ein Friedhofsgedanke entstand und zudem, weil auch gleich das Zitat, das angedeutet wird, entsteht. Dafür reicht dieser kurze Gedankengang und man weiß nicht mal, ob es von James Dean ist oder nicht.
Ich höre die Stimme, doch tue so, als hätte ich sie nicht gehört.
Ich bin zunächst davon ausgegangen, dass es für den/die Prot dazugehört, auch Gespräche mit anderen zu führen und diese Gespinste zu entwickeln und den Kontakt einzugehen, aber bei dem Satz nehme ich an, dass ihm/ihr die eigenen Vorstellungswelten reichen.
Ja, sehr, sage ich und schüttele den Kopf. Sehr tragisch.
Ich kenne die Geschichte, das wünscht man keinem.
Nein, nein, tut man nicht, wirklich nicht.
Hier gab es dann die erste Vermutung, es ist aber wirklich ordentlich austariert in der Schwebe gehalten. Es hätte auch anders sein können. Die Floskeln tauscht man manchmal ja auch aus, wenn man wirklich involviert ist.
So eine zierliche Blonde - ja!, jetzt, wo Sie das sagen!
So spinnt man sich eine Geschichte, an die man sich zu erinnern meint. Realistisch und sorgsam gesetzt.
vielleicht noch ein paar Worte über einen Bruder oder eine Schwester, das würde jetzt sehr gut passen, aber sie will sich schon abwenden. Und Sie?, frage ich schnell, und da dreht sie sich um, leckt sich mit der Zungenspitze über die Oberlippe und sagt: Ja, ja, ich wegen meinem Mann, also … seit letztem Jahr, es ging sehr schnell, sie legt die Hand unter ihre Brust und seufzt leise, Bauchspeicheldrüsenkrebs, eine Sache von ein paar Monaten, also …
Die Geschichte um ihren Mann versteht es, die Irritation ziemlich schnell wieder zu zerstreuen, die durch das Vorangegangene entsteht.
Es muss ja gehen. Aber danke Ihnen.
Hier würde ich "Aber ich danke Ihnen" besser finden.
Man tut, was man kann, sag ich, und sie grinst und starrt mich an, bis ich verstehe. Ich nicke und zeige auf die frischen Gräber, die am Ende der Gasse neben einer Linde liegen: Mein Vater … Autounfall, ein paar Jahre her jetzt schon … ist unter einen Lastwagen gekommen,
Hier möchte ich mal nachfragen. Ist es so gemeint, dass sie ihn ermutigen will, jetzt in dieser Art Dialog weiter zu spinnen (musst du nicht offen legen!), denn ich bin nicht sicher, ob ich das unterkriege, dass der/die Prot auf frische Gräber zeigt, wo der Autounfall schon ein paar Jahre her ist. Also, dass der Realitätsgehalt keine Rolle spielt, wenn man im Gespräch einer Erwartungshaltung zu folgen hat.
Ich setze mich auf eine der Bänke und zünde mir eine Zigarette an, auf manchen Gräbern brennen Kerzen
Nach "an" würde ich einen neuen Satz beginnen.
Als es zu nieseln beginnt, stehe ich auf und gehe, und kurz vor dem Ausgang sehe ich sie noch einmal, wie sie vor einem der frischen Gräber hockt und Trauerkarten in ihre Tüte stopft.
Ich bin nicht ganz sicher, ob ich am besten finde, dass beide sozusagen Trauertouristen sind, aber es ist ein markanter Abschluss für die Geschichte.

Viele Grüße,
Helen

 

Ein sehr langer Satz, den ich teilen würde. "...zünde mir eine Zigarette an. Auf manchen ..., die es überall zu kaufen gibt. Auf einigen..
Vielleicht Geschmackssache. Und zu guter Letzt fand ich die Punkte ... etwas viel eingesetzt, auch wenn das die wörtliche Rede authentisch erscheinen lassen soll. Ansonsten gern gelesen.
Schönen Rest-Sonntag wünscht

Hallo @Jaylow und danke dir für Zeit und Kommentar,

habe ich mal gemacht, Satz zusammengefasst und die Punkte rausgenommen bei ein paar Sätzen. Besser so. Und freut mich, wenn es dir gefällt.

deine Geschichte gefällt mir sehr.
Danke auch dir @Helenesthe für Zeit und Kommentar!

Erst beim zweiten oder dritten Mal lesen ist mir aufgefallen, dass du die Bezüge und Verhältnisse des/der Prot und des Verstorbenen schon sehr früh darlegst. Finde ich sehr clever und subtil aufgebaut.
So ein listiger Einstieg ist auf diese Kürze bzw Länge doch ganz spannend, manchmal klappt es besser. Ich mag es ja in media res, wenn man sich selbst ein wenig anstrengen muss oder ins Nachdenken gerät, denn dann bleibt man involviert.

Hier möchte ich mal nachfragen. Ist es so gemeint, dass sie ihn ermutigen will, jetzt in dieser Art Dialog weiter zu spinnen (musst du nicht offen legen!), denn ich bin nicht sicher, ob ich das unterkriege, dass der/die Prot auf frische Gräber zeigt, wo der Autounfall schon ein paar Jahre her ist. Also, dass der Realitätsgehalt keine Rolle spielt, wenn man im Gespräch einer Erwartungshaltung zu folgen hat.
Ich hab das frisch rausgenommen, das war noch ein Übrigbleibsel aus einer älteren Version. Ich denke, beiden ist schnell klar, was da läuft, also untereinander, Trauertouristen passt da schon, aber die Geschichtchen über die Toten sind natürlich alle erfunden, da muss nichts stimmen. Natürlich kann man sagen, da bräuchte es in der Realität schon eine etwas längere Zeitstrecke für, aber da nehme mich mal an, geht der Leser nicht mit, wenn die nun seitenlang über Tode etc erzählen und das im Grunde alles eine einzige Lüge ist; da musste ich nun komprimieren!
Ich bin nicht ganz sicher, ob ich am besten finde, dass beide sozusagen Trauertouristen sind, aber es ist ein markanter Abschluss für die Geschichte.
Ich weiß, was du meinst. Ich schreibe gerade Texte unter 1000 Wörtern, einfach, um mal wieder auch gedanklich ans Arbeiten zu kommen, was ist wichtig, was kann weg, wohin soll die Reise mit einem Text gehen, wie weit geht auch der Leser mit? Das sind ja wichtige Fragen, und ich betrachte das Forum schon auch immer als Labor, wo man experimentieren und seine eigene Empirie aufmachen kann, das fördert die Kreativität ungemein.

Das Bild, wie sie da auf dem Grab hängt und Trauerkarten klaut, das stand ganz am Anfang, ich hab den Text quasi vom Ende her geschrieben.

Danke dir für die Beschäftigung mit dem Text, ich versuch deinen die Woche zu lesen und zu kommentieren!

Gruss, Jimmy

 

Hallo @jimmysalaryman

Was sich beim Überfliegen wie ein belangloses Gespräch unter Trauernden liest, bietet Stoff für die kleinen grauen Zellen, um den Text zu entschlüsseln. Das mag ich an dieser Miniatur. Erinnerungen entpuppen sich durch dezente Hinweise im Dialog als Pseudoerinnerungen. Sehr seltsam, diese Trauernden.
Dass der Erzähler sich da etwas zusammenreimt, ist ja schnell klar, die Frau mit der Oma-Frisur entlarvt sich für mich erst, als sie sich an die zierliche Blonde erinnert. Spannend ist die Frage, ob und wann wer erkennt, dass der jeweils andere kein Hinterbliebener ist. Das mit dem frischen Grab fände ich in dem Zusammenhang eigentlich ganz passend. Damit entlarvt er sich selbst bewusst oder unbewusst.

Aber:

und ich beginne schon zu rechnen, doch ich war nie gut in Mathe.
Na ja, 2005-1989 auszurechnen, dazu muss man kein Mathegenie sein. Das würde ich anders formulieren. „…und ich rechne das Alter aus.“ Würde an der Stelle ja nichts verderben.

Und hier:

Man tut, was man kann, sag ich, und sie grinst und starrt mich an, bis ich verstehe.
Ich verstehe es nicht.

Und letzten Endes:

Es ist gar nicht schwer, sich das alles vorzustellen, wir sind nicht so einzigartig, wie wir immer glauben.
Menschenleben eben

Allerdings:

kurz vor dem Ausgang sehe ich sie noch einmal, wie sie vor einem der frischen Gräber hockt und Trauerkarten in ihre Tüte stopft.
Liegen denn Trauerkarten auf dem Grab? Das kenne ich so nicht. Die werden doch den Angehörigen überreicht oder an sie geschickt. Ich sollte wohl öfter mal auf den Friedhof gehen.

Grüße
Sturek

 

Hallo @jimmysalaryman,

sehr feinsinnige Geschichte, hat mir gut gefallen.

Man tut, was man kann, sag ich, und sie grinst und starrt mich an, bis ich verstehe.
Diesen Satz habe ich erst beim zweiten Mal verstanden, aber dann konnte ich mir richtig vorstellen, wie die alte Oma mit fast wollüstigen Schauern auf mehr Tragik hofft ...

Ich habe nur zwei Aspekte, die mich etwas ratlos machen: zum einen bin ich als Neuling erstaunt über die Präsentation der wörtlichen Rede ohne Anführungszeichen, wenn doch die Rechtschreibung einen hohen Stellenwert hat. Oder ist das was Experimentelles? Durch diese Form büßt die Geschichte für mich allerdings an Lebendigkeit ein.

Zum anderen habe ich den Schluss nicht verstanden wegen der Trauerkarten. Erst in deinem Antwortkommentar an Helenesthe, dass die Omi die Karten klaut, bin ich mitgekommen. Ich habe noch nie gehört, dass Trauerkarten auf den Gräbern liegen. Steine mit sinnigen Sprüchen, ja, aber Trauerkarten bekommt man doch per Post und bewahrt sie zuhause auf, wo sie als Erinnerungen sicher und trocken aufgehoben sind?
So sehr mir der Schluss auch gefällt, passt er für mich nicht.

Gerne gelesen!

Viele Grüße,
Kerzenschein

 

Nein, nein, sagt sie, schon gut, es geht. Es muss ja gehen. Aber danke Ihnen. Ich bin oft hier, ich versuche es jeden Tag, ich will es in Ordnung halten, frische Blumen, Kerzen, so habe ich das Gefühl, ich … tja, wie soll ich sagen?
Dass Sie sein Andenken bewahren?
Ja, sagt sie. Genau, genau das. Das werde ich mir merken.
Dass Sie sein Andenken in Ehren halten - besser, oder?
Besser, sagt sie. Viel besser!

Moin @Sturek,

in dem oben genannten Teil wird es doch recht klar. Da gibt er ihr ja im Grunde einen Tip, wie man das formulieren kann.

Trauerkarten, verdammich, ich meine, die liegen doch auf dem Kranz, oder? Naja, ich kann auch Blumen draus machen, dann müsste ich nur den Titel ändern. Ich überlege mir was!

Besten Dank für deine Zeit und deinen Kommentar.

Gruss Jimmy

 
Zuletzt bearbeitet:

Ja, ja, ich wegen meinem Mann, also …

da hastu aber Glück,

Jimmy,

dass Du den Satz auf einem Fried-hof der Witwe in den Mund legst (eben wegen des „wegen“) und ich stell immer wieder fest, der „frithof“ (ahd.; Vorhof, -platz und -raum einer Kirche) ist heutigentags die gepflegteste Parkanlage einer Siedlung/Ortschaft, wobei die erste Silbe nix mit „Frieden“ zu tun hat (was Rabauken und Flachköpfen [andere missbrauchen gedankenlos den Namen der „Wandalen“] nutzen, ihren dunkelsten Trieben zu folgen – wenn kein Zeuge zu sehen ist, außer – natürlich - ihresgleichen ...).

Der ahd. „frīthof“ bedeutet in der ersten Silbe „friten“ „hegen, schonen“. Und dieser eingefriedete Platz soll an sich Immunität sichern …

Aber verrat mir mal einer hier

Die Familie hat aber doch oben in Seelscheid gewohnt, oder nicht?
warum das Komma?
Bestenfalls wäre ein Gedanken- oder Pausenstrich einzusetzen als Regieanweisung und andererseits geht’s auch ohne Komma (aus der kurzen Zeit des Straßentheaters weiß ich, dass es gelegentlich keiner Anweisung bedarf. Der Leser oder (auch stumme) Sprecher hat ein je eigenes Gefühl für Sprechpausen (und nicht nur aus Atemnot), wenn auch selten für verschriftlichte Satzzeichen ...

Doch doch, seine Praxis war unten an der Bahnhofstrasse, direkt neben der Zoohandlung.
Habt ihr tatsächlich eine „(Bahnhofs)“Trasse? Du hast doch zwo Zeilen später das „ß“

Boutique auf der Kaiserstraße.
...
Ja, sage ich. Ich verstehe, sehr schlimm, tragisch. Mein herzliches!
Retten wir das „!“, mit diesen Kandidaten
hier
Es muss ja gehen. Aber danke Ihnen.

Ich lese noch ein paar der Daten, die so fein säuberlich in die Steine eingraviert wurden, als seien sie tatsächlich von Bedeutung.
Warum Konj. I, indirekte Rede? …, als seien sie tatsächlich von Bedeutung, widerspricht dem Kon. I, der im Rechtsverkehr entwickelt wurde, wörtl. Rede verschriftlicht wiederzugeben und Wahrhaftigkeit unterstellt im Grad der Wahrscheinlichkeit, während der Konj. II – ob als potentialis oder irrealis – eine Art literarischer Wahrscheinlichkeitsrechnung der Werte „0“ (existiert/gibt’s nicht) bis „1“ (gibt’s) mit allen Werten der Wahrscheinlichkeit zwischen 0 und 1 mit 0,5 (kann sein, muss aber nicht.)

Schon allein der Zweifel des „als“ mit dem verschluckten „als ob“ lässt den Grad der Wahrhaftigkeit sinken ...

findet der

Friedel

 

Hallo @jimmysalaryman,

von mir kommen (nach langer Abstinenz) eher Fragen als tatsächliche Textarbeit:

Keine Sorge, ich möchte nicht wieder eine der (alten) Diskussionen über Ich-Perspektive und Präsenz aufwärmen, aber ich bin einfach neugierig, wie Du das am Anfang des Textes einschätzt:


das sind die Daten, es ist einer dieser ganz glatten Steine, tiefschwarz und so poliert, dass man sein eigenes Spiegelbild auf der Oberfläche erkennt, und ich beginne schon zu rechnen, doch ich war nie gut in Mathe.

Für mich ist das ein Gedankenstrom, zu dem dann aber dieses "ich beginne schon zu rechnen" nicht passt, weil man das gedanklich nicht wahrnimmt, sondern einfach tut. Der Nachsatz "doch ich war nie gut in Mathe" klingt dann für mich gar nicht nach Gedankenstrom, sondern eher nach Autor, der auf diese Weise dem Leser eine Eigenschaft des Protagonisten vermitteln möchte.

Die Frage ist also: war das kalkulierte Absicht oder ist das eher ein Artefakt? Ich kenne das selbst vom Schreiben in der Ich-Perspektive, dass man sehr leicht aus der Perspektive fällt und solche Erklärschnipsel einfließen lässt, die eigentlich nicht zur reinen Erzählperspektive passen.

Ich bewerte das gar nicht, ob das jetzt richtig oder falsch ist oder gut oder schlecht, aber mich interessiert, ob das eine bewusste Entscheidung war und wie Du zu solchen - ich nenne das mal "Perspektivbrüchen" stehst und was Du damit erreichen möchtest, also welche (vermutete) Wirkung dahinter steckt.

Mir ist übrigens in dem Zusammenhang auch noch diese Stelle aufgefallen:

Und Sie?, frage ich schnell, und da dreht sie sich um, leckt sich mit der Zungenspitze über die Oberlippe und sagt: Ja, ja, ich wegen meinem Mann, also … seit letztem Jahr, es ging sehr schnell, sie legt die Hand unter ihre Brust und seufzt leise, Bauchspeicheldrüsenkrebs, eine Sache von ein paar Monaten, also …

Hier fällt mir die Beobachtung "leckt sich mit der Zungenspitze über die Oberlippe" auf. Das klingt schon fast lasziv und im Nachhinein interpretiere ich das als Hinweis, dass diese tragischen Geschichten für sie eine schon fast erotische Komponente haben.

Aber beim ersten Lesen hat es mich gestört, weil ich an dem Punkt noch nicht verstanden hatte, dass das keine echten trauernden Angehörigen sind. Diese Beobachtung fiel daher für mich aus dem Rahmen des gedankenströmenden Protagonisten.

Daher auch hier die Frage: war das so konstruiert (evtl. wegen der von mir genannten Interpretation)?

Übrigens auch diese Stelle "die so fein säuberlich in die Steine eingraviert wurden" klingt für mich eher nach Autor als nach Protagonist:

Ich lese noch ein paar der Daten, die so fein säuberlich in die Steine eingraviert wurden, als seien sie tatsächlich von Bedeutung.

Die Daten sind ja immer fein säuberlich eingraviert, das ist nichts besonderes und von daher würde es der Protagonist nach meinem Verständnis in seinem Gedankenstrom so auch nicht wahrnehmen, weil er ja ständig solche Gravuren sieht. Ich würde das auch eher weglassen, aber wie oben schon geschrieben, das ist die Frage, ob man diese Brüche oder zusätzlichen Informationen als Stilmittel bewusst einsetzen möchte: hier z. B. um dem Protagonisten und seinen Gedanken mehr philosophische Tiefe zu geben.

Also, mehr Neugierde am Handwerk als Textarbeit.

Zum Text selbst: Er hat mir gut gefallen, vor allem diese unerwartete Wendung. Man fragt sich natürlich hinterher, was sind das für Menschen und was treibt sie dazu und was ist tatsächlich "fake" und was dann doch selbst erlebt, also Trauerverarbeitung durch Beobachten von anderen Todesschicksalen. Und sind wir nicht alle ein wenig Schicksals-Voyeuristen?

Gruß Geschichtenwerker

 
Zuletzt bearbeitet:

Zum anderen habe ich den Schluss nicht verstanden wegen der Trauerkarten. Erst in deinem Antwortkommentar an Helenesthe, dass die Omi die Karten klaut, bin ich mitgekommen. Ich habe noch nie gehört, dass Trauerkarten auf den Gräbern liegen. Steine mit sinnigen Sprüchen, ja, aber Trauerkarten bekommt man doch per Post und bewahrt sie zuhause auf, wo sie als Erinnerungen sicher und trocken aufgehoben sind?
So sehr mir der Schluss auch gefällt, passt er für mich nicht

Hallo @Kerzenschein,

danke dir für deinen Kommentar und deine Zeit, du hast Recht.

Du hast Recht, das Ende passt nicht, ich ändere das bei der nächsten Überarbeitung. Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe.

sehr feinsinnige Geschichte, hat mir gut gefallen.
Danke dir!


Danke auch dir @Friedrichard , werde ich alles einpflegen alsbald! Man lernt nie aus, wa?

Die Frage ist also: war das kalkulierte Absicht oder ist das eher ein Artefakt? Ich kenne das selbst vom Schreiben in der Ich-Perspektive, dass man sehr leicht aus der Perspektive fällt und solche Erklärschnipsel einfließen lässt, die eigentlich nicht zur reinen Erzählperspektive passen.

Hallo @Geschichtenwerker,

ist eine gute Frage. Ich würde sagen, das ist Intuition. Man kann natürlich prinzipiell fragen, ob ein Ich-Erzähler im Präsens überhaupt möglich ist, ohne Erzählrahmen. Das Gleiche gilt ja beim personalen Erzähler, woher weiß der eigentlich, was die Figur alles denkt und fühlt?

Ich bewerte das gar nicht, ob das jetzt richtig oder falsch ist oder gut oder schlecht, aber mich interessiert, ob das eine bewusste Entscheidung war und wie Du zu solchen - ich nenne das mal "Perspektivbrüchen" stehst und was Du damit erreichen möchtest, also welche (vermutete) Wirkung dahinter steckt.

Ich weiß gar nicht, ob das ein Bruch ist. Gibt es wirklich feste Regeln für den Ich-Erzähler, was der darf und was nicht? Mir geht es eher um eine Stimmung, das klingt ja hier in dem Text wie eine Stimme aus dem Off, die das erzählt, wie bei einem Film, ein Narrator, der vielleicht etwas zu smart klingt. Die erklären für mich auch nichts, sondern sind eher Teil des Charakters, aber im Grunde könnte man sie sicher auch tilgen, ich versuche das mal bei der nächsten Version.
Hier fällt mir die Beobachtung "leckt sich mit der Zungenspitze über die Oberlippe" auf. Das klingt schon fast lasziv und im Nachhinein interpretiere ich das als Hinweis, dass diese tragischen Geschichten für sie eine schon fast erotische Komponente haben.
Es könnte sein oder könnte auch nicht so sein.
Diese Beobachtung fiel daher für mich aus dem Rahmen des gedankenströmenden Protagonisten.
Der strömt ja nicht in diesem Kontext, sondern beobachtet lediglich.

Die Daten sind ja immer fein säuberlich eingraviert, das ist nichts besonderes und von daher würde es der Protagonist nach meinem Verständnis in seinem Gedankenstrom so auch nicht wahrnehmen, weil er ja ständig solche Gravuren sieht. I
Ich weiß nicht. Das ist ja ein sprachliches Bild, es geht nicht darum, ob das etwas Besonderes ist, sondern wie er das sieht in diesem Moment, er beschreibt ja eine Art Epiphanie, und die Daten SIND ja auch so eingraviert, als hätten sie eine Bedeutung. Vielleicht würde das dein gedankenströmender Protagonist anders machen. Man könnte natürlich auch die ganze Erzählhaltung in der Geschichte kritisieren, dann dürfte man im Grunde nur noch Interviews veröffentlichen, denn das wäre dann rasch die einzig gangbare Art, meine ich.

Ich denke, das Hauptproblem jeden Erzählens ist es, wie eng man den eigenen Korridor legt. Wenn man es ernst meint, ist die gesamte Anlage hier nicht perspektivisch korrekt gelöst, keiner liest sich die Daten vor, keiner denkt dann dies und das und sonst etwas, er beschreibt auch nicht, wie er was hört und kommentiert seine eigenen Gedanken, das ist also doch alles mehr oder weniger eine Inszenierung. Literatur bildet halt eben nicht eins zu eins die Realität aber, sondern ist doch eine Komposition. Ich verstehe, wenn man damit ein Problem hat zu sagen, Ich und Präsens ist schwierig, aber jede Perspektive hat ja Schwächen. Ich nehme das nicht allzu ernst, es muss passen, es muss fluppen, es muss flüssig sein. Wenn ein Text dann älter ist und ich ihn mir nochmal vornehme, achte ich eher auf so etwas, da wird das meistens noch knapper, bare bones.

Man fragt sich natürlich hinterher, was sind das für Menschen und was treibt sie dazu und was ist tatsächlich "fake" und was dann doch selbst erlebt, also Trauerverarbeitung durch Beobachten von anderen Todesschicksalen.
Das will die Geschichte aber nun eben gar nicht beantworten!

Danke dir für deine Zeit und deinen Kommentar, sind ein paar wichtige Denkanstösse dabei gewesen.

Gruss, Jimmy

Nochmal recherchiert: Im Roman ist das Präsens ein Stilmittel, das von großen Schriftstellern, die in der Regel das Präteritum bevorzugen, zur Steigerung der Intensität eingesetzt wird. Es handelt sich um das erzählende Präsens, das in einem Vergangenheitsfeld unversehens bedrohliche Gegenwärtigkeit herstellt. Wenn aber das Präsens die Erzählung völlig dominiert, dann gibt es keine zweite Dimension. Alles ist Gegenwart, alles dieses Ich. Das Ich des Lesers mit seiner eigenen Zeit kommt nun unpassend dazu: Es stört.

Sagte 2009 ein Lit-Fritze der Zeit. Ist was dran. Man kann sagen, kein Erzähler würde erzählen, was er gerade denkt, unmöglich. Jeder Zeitsprung und so weiter müsste ja erklärt werden, was hat er da gemacht, etc. Da geht die Dynamik verloren. Ich glaube, man muss das kaufen wollen. Man kann jeden Text dahingegend auseinandernehmen, ich mache das selbst oft, das man sich das ansieht und sagt, hier, in diesem kleinen Stellschräubchen, passt es nicht, da beginnt es zu bröseln. Für mich muss das eine Einheit bilden, ich kann das auch nicht genau beschreiben, ein Typus Erzähler, dem ich abnehme, dass er so erzählt, vielleicht?

 

Hallo @jimmysalaryman,

ich glaube, das ist am Ende der entscheidende Punkt:

Für mich muss das eine Einheit bilden, ich kann das auch nicht genau beschreiben, ein Typus Erzähler, dem ich abnehme, dass er so erzählt, vielleicht?

Der ist aber auch wahnsinnig subjektiv. Mir kommen die ganzen Regeln auch zur Perspektive eher als Hilfsmittel vor, wie man vielleicht möglichst für viele Lesertypen schreiben kann, dass die das "kaufen" (in vielfältiger Hinsicht). Ob man das dann als Autor überhaupt will oder doch lieber seinen eigenen Stil pflegt, steht dann auf einem ganz anderen Blatt.

Danke Dir auf jeden Fall für Deine Antwort, aus der ich viel mitnehmen konnte.

Gruß
Geschichtenwerker

 

Heyo @jimmysalaryman,

ich stürze mich mal wieder ins Kommentieren, habe aber sicher schon gut Rost angesetzt, sieh's mir nach.

I9.03.1989

Warum "I"?

Ich höre die Stimme, doch tue so, als hätte ich sie nicht gehört. Sie bleibt stehen, sie steht jetzt hinter mir, und wenn sie einatmet, pfeift da etwas in ihrer Brust.

Da komme ich kurz ins Schlingern, beim ersten "sie" beziehe ich das auf die Stimme, bin dann irritiert beim dreifachen "sie" im Folgesatz. Ich bin immer für rhythmische Wortwiederholungen, könnte mir aber vorstellen, das es da andere Möglichkeiten gäbe.

Bahnhofstrasse

Straße

Es ist gar nicht schwer, sich das alles vorzustellen, wir sind nicht so einzigartig, wie wir immer glauben.

Ich habe das gerne gelesen, der Satz hier fasst die Gründe ganz gut zusammen. Keine wilde Pointe, höchstens noch die Sache mit den Trauerkarten am Ende, aber ich kenne den Blick auch, kalt und hart aus kleinen Augen ...

...

Eigentlich hätte ich jetzt gar nicht mehr viel zu sagen gehabt, hätte ich nicht noch die anderen Kommentare gelesen. Und jetzt stelle ich ein bisschen meine Lesefähigkeiten in Frage. Ich habe den Erzähler nämlich gar nicht als "Trauertouristen" wahrgenommen, das eigenartige Gespräch zwischen den beiden habe ich mir dadurch erklärt, dass er einfach kein Interesse daran hat, seine Trauer mit einer Fremden zu teilen, ihr dann eben gibt, was sie verlangt, weil Ignorieren bei "solchen Leuten" ja eh keinen Sinn machen würde. Aber ja, der erste Satz sagt ja eigentlich alles ... Ich dachte da wohl, er rechnet in Tagen, in Wochen, was auch immer, und dass er auch am Ende, als er dort sitzt, nicht zum Kern vordringt, nicht an die Person in dem Grab denkt, das fand ich auch nicht weiter auffällig, weil es gar nicht so schwer und manchmal sogar vor allem einfacher ist, körperlich auf einem Friedhof zu sein und in Gedanken bei James Dean oder sonst was statt beim Eigentlichen ...

Es ändert aber sowieso nichts an dem Gefühl, das dein Text ausgelöst hat, deshal vielen Dank fürs Teilen!

Bas

 

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