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Trans-Kalahari-Highway
Trans-Kalahari-Highway. Trans-Kalahari-Highway. Ich sage das Wort immer wieder vor mich hin und mit jeder Wiederholung betonte ich die Konsonanten ein bisschen mehr, ziehe die Vokale ein bisschen länger, bis sich die Laute schon fast grotesk anhören. Ein schönes Wort: Trans-Kalahari-Highway. Ich spüre, dass die Konstellation von Buchstaben eine magische Wirkung auf mich hat, sie zieht mich in ihren Bann, bis das Wort für mich vor lauter Wiederholung keinen Sinn mehr ergibt und nur noch eine leere Hülse ist, ohne Inhalt. Ich verstumme und schaue durch das Autofenster, die Nacht hat sich bereits wie ein pechschwarzer Schleier über uns gelegt. Vor uns wird die Strasse von den Scheinwerfern des Autos erleuchtet, grauer Asphalt, in der Mitte ein Strom von gelben Streifen, welcher unaufhörlich auf uns zufliesst. Immer weiter und weiter fliesst, bis die Streifen ineinander verschwimmen und eine Linie formen. Das monotone Brummen des Automotors ist das einzige Geräusch in der Stille.
Wäre es Tag, würden wir sehen, wie die Kalahari-Wüste an unseren Fenstern vorbeizieht. Wir würden den braunen Sand und die schwarzen Steine sehen. Wir würden den blauen Himmel sehen und die Sonne, welche erbarmungslos Risse in den trockenen Wüstenboden brennt. Wir würden Dornensträucher am Strassenrand sehen, die Zweige verdorrt und ausgetrocknet. Vielleicht würden wir Elefanten sehen, Antilopen, Zebras. Vielleicht auch Schlangen, Käfer, Mäuse. Wir würden anhalten und aussteigen, würden durch die Wüste rennen, den Wind in unseren Haaren spüren und die Sonne auf unserem Gesicht. Wir würden einander anschauen und sagen, dass wir uns klein fühlen in dieser grossen, grossen Wüste. In dieser grossen, grossen Welt, in der alles endlos scheint.
Aber es ist Nacht, und wir fliegen schon seit Stunden über den Asphalt des Trans-Kalahari-Highways, auf dem Weg in Richtung Meer, in Richtung Kapstadt. Vielleicht auch schon Tage, ich weiss es nicht, die Zeit zerfliesst vor meinen Augen wie die gelben Streifen in der Nacht. Um uns herum ist alles dunkel, nur unsere Scheinwerfer zerschneiden unaufhörlich die Schwärze vor uns. Ab und zu begegnet uns ein Auto auf der Gegenspur, die meiste Zeit jedoch sind wir allein in dieser endlosen Wüste, die niemals aufzuhören scheint. Die Zahlen auf dem Kilometerzähler gehen lautlos in einander über, ich beobachte, wie die schwarzen Striche ihre Form verändern, wie aus tausend tausendundeins wird. Mit jedem weiteren Kilometer, welchen wir in die Dunkelheit eindringen, kommt es mir vor, als lassen wir unsere Vergangenheit hinter uns zurück, als hört sie auf, zu existieren, als ob das hier alles ist, das schummrig beleuchtete Innere des Autos, das Brummen des Motors, die gelben Streifen und die schwarze, schwarze Nacht vor den Fenstern.
Und er, wie er da sitzt, die Hände am Lenkrad, die Augen auf die Strasse vor uns gerichtet, ein nachdenkliches Lächeln, welches um seine Lippen spielt. Im schummrigen Licht wirkt sein Gesicht irgendwie anders, alterslos. Seine Finger pochen leicht und in unregelmässigen Abständen auf das abgenutzte Leder des Lenkrades. Seine langen Wimpern werfen einen Schatten unter seinen Augen. Ich beobachte ihn unauffällig, mustere seine lange Haare, sein weiches Kinn, die Wolle seines rot gemusterten Schales, welches er sich um den Hals gelegt hat. Ab und zu wirft er mir schräg von der Seite einen Blick zu und dann sehe ich das Leuchten in seinen Augen im Halbdunkel. In diesen Momenten habe ich immer das Gefühl, etwas zu verstehen, eine Antwort auf eine Frage zu bekommen, welche ich gar nicht erst gestellt habe. Und bevor ich überhaupt herausfinden kann, was meine Frage war, wendet er seinen Blick wieder ab, richtet ihn auf die Strasse und wir fliegen weiter durch die sternlose Nacht.
Nach ein paar Stunden leuchtet die Tankanzeige rot auf und wir halten an einer der wenigen Tankstellen, welche entlang des Trans-Kalahari-Highways gebaut wurden. Es ist ein ein kleines, niedriges Gebäude aus Beton mit Glasfenstern, welches mit zerrissenen Werbungsplakaten zugeklebt ist. Ein Platz mit zwei Zapfsäulen, grünes Neonlicht, welches über den Beton fliesst und sich dann in der endlosen Schwärze dahinter auflöst. Er hält das Auto an und ich steige aus, betrete den Laden der Tankstelle, ein weisser gefliester Raum, flackernde Neonröhren, ein einziges Regal aus Metall in der Ecke, welches beinahe ausgeräumt ist. Ein alter Mann hinter dem Tresen, sein Blick so leer wie der Raum vor ihm. Kein Geräusch ausser dem Ticken einer Uhr hinter ihm, der Zeiger scheint steckengeblieben zu sein, mit jedem neuen Ticken versucht er sich loszureissen, aber es gelingt ihm nicht. Ich laufe langsam auf das Regal zu und greife nach einem Schokoladenriegel, welcher in goldenes Papier eingewickelt ist. Auf dem Weg zur Kasse bücke ich mich, um eine Wasserflasche mitzunehmen, welche an der Wand steht.
Aus den Augenwinkeln beobachte ich den Mann, aber er scheint mich gar nicht wahrzunehmen, sein Blick ist immer noch auf einen Punkt in der Ferne gerichtet. Er scheint gar nicht anwesend zu sein, und vielleicht stimmt das ja auch, vielleicht ist er schon lange weg, verloren gegangen in der Wüste, in den Weiten der Kalahari. Ich zahle für das Wasser, den Schokoladenriegel und das Benzin und trete hinaus in die Nacht. Er raucht eine Zigarette, steht an die Kühlerhaube gelehnt und wendet seinen Kopf, als er die Tür zufallen hört. Ich stelle mich neben ihn und wir teilen uns den Schokoladenriegel, er schmeckt seltsam süss in der bitterkalten Nacht. B. legt seinen Arm über meine Schultern und so kauen wir schweigend und dabei denke ich, dass sich hinter der Schwärze alles verbergen könnte, dass wir vielleicht gar nicht in der Kalahari sind, sondern in den Bergen, oder schon längst am Meer, dass das Geräusch des Windes eigentlich die Wellen sind, welche sacht an das Ufer schlagen. Und dann denke ich, dass ich nirgendwo auf der Welt lieber wäre als hier, in dieser verlassenen Wüste, grünes Neonlicht auf meiner Haut und den Geschmack von Schokolade auf meiner Zunge, hier, unter dem sternlosen Himmel, auf dem Trans-Kalahari Highway.