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Traffickin’
oder für den Export:
„Was kann ich für dich tun?“, fragt freundlich der Dealer.
Der Kunde interessiert sich für dies und das. Als er aber den Preis hört, kann er sich einen ironischen Seitenhieb aufs Missverhältnis von Geldmenge und wenig Ware nicht verkneifen und endet: „Nee, für so’n klein’ Vergnügen nehm ich kein’ Kredit auf.“
Routiniert, kurz und bündig wie ein Werbespot setzt der Anbieter die herausragende Qualität der Ware dagegen, die sich in
gehobener Stimmung,
körperlichem Wohlgefühl und
einer verblassenden Realität
ausdrücken werde und auch keinen schweren Kopf hinterlasse.
„Garantiert!“, schließt seine Rede.
Da die zwei seit langer Zeit zur vollsten Zufriedenheit beider Seiten geschäftlich miteinander verkehren, weiß der Kunde um den wahren Kern dieser Kosten-Nutzen-Analyse. Er spürt das innige Verlangen nun geradezu schmerzhaft, dass er bestellt, erhält und zahlt, ohne zu feilschen.
Wie der Abnehmer nun gern zur Sache käme, verspürt er stärker als alle Sehnsucht der Welt Harndrang, dem er nicht widerstehen kann, dass er sich verpissen muss und gar nicht mehr so richtig den Ruf hinter sich hört: „Ach, leck mich doch!“
Im Kellergeschoss stehen lauter feine Pinkel in einer Linie aufgereiht im Pissoir mit den Rücken zu unserm Bedürftigen, so weit als nötig und doch hinreichend nah von den Becken entfernt, dass die nächsten Nachbarn einander beim Tun beobachten können. Aus schmalen Schlitzen des feinen Zwirns ergießen sich unterhalb der Gürtellinien unterschiedlichste Bögen Wassers in diversen Gelbtönen in die Becken, allesamt von formschöner Geometrie und darum zeitlos elegant. Man pinkelt um die Wette, wird wieder jung und trüge man selbst den ältesten Sack und den kürzesten Schlauch –
und nach der Pflicht folgt immer die Kür.
Das heißen wir fairen Wettbewerb, denn hier geben sich alle gleich und dürfen’s sein – was sagen wir: sie müssen und tun’s alle gleich, wuchert doch niemand mit seinem knappen Pfunde. Keiner ist sich zu pingelig und jeder hält stolz seinen Pimmel hoch. Keiner verlässt sich da auf eine unsichtbare Hand oder das allseits verehrte, unbekannte höhere Wesen; ein jeder hilft sich selbst und hält sein Glück in eigner Hand. Einige führen das große Wort, andere verrichten wortlos ihr kleines Geschäft.
Dazwischen aber findet sich für den kleinen Mann – unsern Bekannten - kein Platz.
Zum Glück sind Kabinen frei, dass unser Freund sich auf einen Pott setzen kann.
Is’ ja nur kurz, meint er – doch im symphonischen Konzert der Wasserspülungen, natürlicher und widernatürlicher Geräusche und Gerüche tritt unser Freund für einen Augenblick weg, als plötzlich die Wassermusik nebst Plapperns, Klapperns und Furzens verstummt und eine feste Stimme befiehlt, jemand in den Saal hereinzuführen –
als auch schon die Tür zur Kabine unseres Freundes krachend aufgebrochen wird von zwei Gorillas in feinem Zwirn, den sie stolz wie eine Uniform tragen. Die beiden greifen sich unsern Mann und zerren ihn von der Brille des Klosetts, tragen ihn mehr als dass sie ihn zerren in die Mitte des Pissoiree’.
Da sitzen in ihren Becken drei andere Pinkel in Talaren und halten Gericht.
„Stehn S’e still, Mann!“, brüllt der in der mittleren Position mit der Stimme von vorhin und führt das Wort: „Woll’n wer sein und bleiben doch ein niemand. –
Wie sehn S’e überhaupt aus! –
Schämen Sie sich nicht? – Schämen S’e sich!
Ist dieser Aufzug der Würde eines Gerichts angemessen? –
Nein, sag ich. -
Ist das der Aufzug, in dem man heute vor Gericht ungestraft erscheinen kann? –
Nein!, schleuder ich Ihnen entgegen. –
Unwürdig, Ihr Aufzug!“, und ruhig zum Nachbarn zu seiner Linken: „Herr Kollege, sagen Sie endlich was zu Ihrem Mandanten und wären es auch nur einige wenige, aber umso passendere Worte!“
Der Angesprochene spricht ruhig zu unserm Freund: „Mein lieber Herr Gesangverein, wie Sie wieder aussehn! -
Würden Sie bitte, mein sehr geehrter Herr, die Hose gefällig hochziehen, sonst muss ich leider mein Mandat niederlegen. -
Da würden Sie schon sehen, was Sie davon hätten“, dass der Linksaußen, der dritte Mann in seinem Becken, triumphiert und bellt: „Nix, aber auch ja' nix hättense davon, Männeken, wat unsre Position natürlich vereinfachen würd.“
„Na sehn S’e, geht doch!“, meint nun der Wortführer.
Doch als unser Freund den Hosenladen schließt, brüllt er wieder: „Stehn S’e still, Mann, wir wissen Bescheid! Wir kennen Typen wie Sie! –
Nix könn’n S’e vor uns verbergen. –
Das zeigt doch nur Ihr schlechtes Gewissen, Mann. –
Wir wissen Bescheid!“
„Was sollt ich verbergen? Ich weiß von nix und’n schlechtes Gewissen hab ich auch nicht.“
Da ringt der Verteidiger die Hände: „Oh, mein Gott, sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen?!, das kommt der Selbstanzeige nah! -
Kein Gewissen zu haben zeichnet den überführten Schurken aus, dass er eh nur noch gestehen kann! –
Etwas mehr Respekt und Zurückhaltung vor Gericht, wenn ich bitten darf, mein Herr! Sonst holen Sie sich womöglich eine dicke Nase“, und der Mittige wiederholt: „Wir wissen Bescheid! - Leugnen ist nutzlos und darum mein guter Rat: nur ein Geständnis wird Ihnen helfen.“
„Was soll ich gestehn, wenn ich nicht weiß, was?“
Nun mischt sich der zur Rechten wieder ein: „S’e wissen sehr wohl, wat wir wissen. Wir wissen Bescheid über Ihre finstern Machenschaften. Darum stehnse ja auch hier, Männeken! -Oder glaubense, S’e ständen hier ohne Grund?“
Dreimal „Nein!“ schreit der Beklagte, will die Hände gen Himmel heben und wird doch festgehalten, erhält zudem durch die Rechte des Gorillas zu seiner Rechten einen leichten Nasenstüber, der dennoch schmerzt und zu einem kleinlauten „Nein, ich weiß nicht, was Sie wissen …“ führt.
„Ich wiederhol mich nich’ so jern, aber S’e scheinen wat dümmer zu sein als andre und darum begreifense nur langsam: Begreifense endlich: Wir wissen alles! Alles wissen wir!“, trompetet der Kläger.
Und der Verteidiger ergänzt: „Bei der Sachlage müssen Sie doch wissen, was wir wissen – und sei’s nur zum kleinen Teil. –
Oder haben Sie’s an den Ohren, mein Herr?“
„Nein, nein, ich versteh schon“ und wie zu sich selbst „und versteh’s doch nicht …“
„Sprechen S’e laut und deutlich, dass jeder Sie verstehen kann!“, bollert der Wortführer und lacht, was es denn da nicht zu verstehen gebe. Die Sachlage sei klar, die Schuldfrage gelöst und das Schuldmaß nur noch durch ein Geständnis zu mildern.
Heftig meldet sich der Kläger zu Wort: „Et is’ janz normal, Männeken, dat man leugnet, doch is’ von uns noch jeder Übeltäter entlarvt worden, verstell’ er sich, wie er wolle.“
„S’e sollten inzwischen kapiert haben, dass wir alles über Sie wissen, was bleibt Ihnen da anderes, als zu gestehn?!“, spricht der Wortführer ungeduldig.
„Oh mein Gott!“, jammert’s den Beklagten. Der fragt sich, wie er nur hier hineingeraten konnte.
„Selten so’n widerborstigen Beklagten wie dich erlebt, Männeken“, murmelt bedrohlich der Gorilla links von ihm und versetzt ihm zur Nachhilfe eine deftige Linke gezielt auf die Nase, um zu schließen: „Meinze, mer hätten ewich Zeit? –
Hammer nich’, krie’n mer nich’ und krie’mer auch nich’ rein!“
Der Verteidiger versucht, die Szene zu befrieden, und spricht ruhig: „Sehen Sie, mein sehr geehrter Herr, es ist doch erwiesen, dass Sie denken und dass Sie also sind. –
Können Sie mir folgen?“
Ja doch, dass er ist, hat die arme Nase gerade blutig verspürt und bestätigt, dass die zugehörige arme Seele nur zustimmend nicken kann.
„Na sehen Sie, geht doch, mein Herr“, fährt der Verteidiger fort und schließt scharfsinnig: „Nun ist aber auch erwiesen, dass ein jeder seine Last trage und Schuld. Wie sollten Sie da ausgenommen sein oder gar schuldlos?“
Mit sich und der Welt zufrieden ob des gelungenen Schlusses lehnt sich der Verteidiger im Becken zurück und der Kläger ergänzt: „Wir wissen, dat und watse denken. Also sindse schuldig, Kerl nee! Niemand is’ ohne schuld. Wie soll da –
und da stimm ich’em Kollegen Verteidiger zu –
wie sollt’ da irgend jemand ausjenommen sein?“
Und schließt mit großer Geste: „ Dat jeht doch ja’ nich’! –
Oder wie soll dat jehn, guter Mann?“
Und wie sich herausschält, dass keiner unschuldig sei, nicht einmal der, welcher kraft Amtes über andere sich erhebe und richte, da wird unser Freund durch wundersame Fügung, Gott oder Natur – nenne man es, wie man wolle, wir nennen es Kolportage - gerettet, denn nicht nur das ewige Eis zeigt endlich seine Endlichkeit, erst schmilzt die unbeleckte Bestellung des Kunden dahin und dann – wie in einer solidarischen Bewegung – treten die diversen Waren des Dealers über ihre Behältnisse. Es vermengt Pistacia sich mit Vanillin, vereinigen sich Milch- und Fruchteis mit ihren nahen glazialen Verwandten zu einem süßen und klebrigen, zäh dahinfließenden Gletscher, der erst den Dealer verschlingt, um über die Treppe den Weg in den Keller und das Gericht zu finden. Ekeln sich die feinen Pinkel zunächst vor der klebrigen Masse, so schmackhaft sie auch wäre, so werden sie nebst Beklagtem gar bald durch den Gletscher verschlungen, auf dass in der Diele Ruhe einkehre.