- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 15
Träumereien, Sex und Kurt Cobain
Manchmal, ganz selten im Leben, weiß man etwas, das man eigentlich nicht wissen kann. Diese Art von Wissen stützt sich auf keinerlei Erfahrungswerte, es kommt von innen, es ist einfach ein Gefühl, das sich sofort in Gewissheit verwandelt.
Und genau so ist es jetzt, hier auf dieser Party. Martina und ich, wir sind füreinander bestimmt. Da bin ich sicher. Ihr Lied, mein Lied, werden auf der selben Violine gespielt. Dass sie hier direkt vor mir steht, mit mir redet, versetzt mich in derartige Verzückung, dass ich mir am liebsten die Kleider vom Leib reißen und schreiend durch die Wohnung rennen möchte. Sie verkörpert all’ meine Sehnsüchte nach Geborgenheit, Wärme aber auch Abenteuer und Gefahr. Ich weiß, das alles klingt kitschig. Und ich erkenne mich selbst nicht wieder. Aber ich liebe sie nun mal. Obgleich ich sie erst seit ein paar Minuten kenne. Aber wahre Liebe ist keine Frage von Zeit. Das Leben birgt einfach Dinge in sich, die wir nicht erklären können. So ist es auch mit Martina. Ob sie ähnlich fühlt wie ich? Ach, ich würde sie so gerne anfassen, ihr über ihre Wangen streicheln, die so unglaublich weich und sanft wirken. Und dieses Lachen! Ich wünschte, ich könnte dieses Lachen für immer halten, für immer in mir tragen. Es ist voller Zauber, so unschuldig und doch geheimnisvoll. Es macht mich in diesem Moment so glücklich, wie der erste bewusst wahrgenommene Sonnenaufgang damals im Hafen von Lissabon.
„Lars! Lars! Erde an Lars”, höre ich Martina plötzlich rufen.
„Entschuldigung Martina, war mit meinen Gedanken ganz woanders“, sage ich zu ihr. Und mir ist es peinlich. Hoffentlich denkt sie nicht, dass sie mich langweilt.
„Ich hoffe, ich langweile dich nicht“, sagt sie und schaut auf den Boden. Sie ist unsicher. Und dafür würde ich sie am liebsten in den Arm nehmen, sie ganz festhalten und ihr sagen wollen, dass ich jede weitere Minute meines Lebens mit ihr verbringen möchte.
„Nein, nein, ganz im Gegenteil. Du bist eine unglaublich aufregende Frau“. Ich versuche selbstbewusst zu wirken, hoffe, dass das Zittern meine Stimme nicht zu offensichtlich ist. Sie grinst. Ich erschrecke jetzt ein wenig über meine Worte. Derartige Komplimente sind in der Regel meine Sache nicht. Doch Liebe hebt einen empor, zu neuen, nie geahnten Höhen. O Gott! Bin ich das, der hier spricht!?
„Ich wollte dich fragen, ob du schnell mit zum Zigarettenautomaten kommen willst. Ich habe nichts mehr zu rauchen“.
„Klar“, sage ich.
Sie lächelt wieder und ich lächle. Beide schauen wir uns tief in die Augen. Und jetzt bin ich mir sicher, dass sie das selbe fühlt wie ich. Wir sind füreinander bestimmt.
Wir quetschen uns durch die Massen von Menschen auf dieser Party, um in einem Nebenraum unsere Jacken zu holen. Wir gehen hinein. Sie macht die Tür hinter uns zu und schließt ab.
Martina nimmt meine Hand und führt mich zum Bett. Wir setzen uns. Sie hält immer noch meine Hand. Das Zimmer ist in einem unangenehmen dunklen Rot gestrichen, wirkt wie ein Bordell.
Jetzt bin ich unsicher. Martina lächelt wieder. Doch diesmal ist es nicht dieses zauberhafte, unschuldige Lächeln. Es ist irgendwie banaler, ohne Geheimnis. Sie schiebt sich ein Kaugummi in den Mund und fängt an mein Knie zu streicheln. Und meine kurze Irritation ist verflogen. Sie ist es. Sie ist es. Die Frau meiner Sehnsüchte. Ich fühle mich aufgehoben, geborgen. Ein Kreis scheint uns umschlossen zu haben, in den keiner eindringen kann. Nur sie und ich existieren in diesem Moment. Ein plötzlicher Drang irgendetwas Poetisches zu sagen kommt in mir auf, vielleicht ein Liebesgedicht. Aber das ist albern. Würde sie lachen? Nein, sie würde mich ganz zärtlich umarmen dafür.
Rilkes „Liebes-Lied“ geht mir durch den Kopf. Martina nimmt wieder ihren Kaugummi aus dem Mund und klebt ihn unters Bett. Dann führt sie meine Hand zu ihrem Mund, beginnt an meinem linken Zeigefinger zu lutschen, spielt mit ihrer Zunge daran. Ihr Gesichtsausdruck täuscht Leidenschaft vor. Ich beginne mich unwohl zu fühlen, bin in diesen Sekunden ein Außenstehender.
Ihre „Arbeit“ wirkt auf den ersten Blick demütig, aber sie scheint mir schlicht routiniert zu sein. Sie murmelt etwas, während sie meinen Finger rein und raus schiebt, schaut mich nicht an. Ich kann sie nicht verstehen.
„Was?“, frage ich angstvoll, will die Antwort nicht hören. Sie spuckt meinen Finger aus, legt ihren Kopf ein wenig nach hinten, um mir in die Augen zu schauen. „Willst du ficken?“, fragt sie in einem gleichgültigen Ton, als ob sie mich nach Feuer fragen würde.
Es ist es aus! Der Kreis, der uns umschlossen hat, ist einem banalen, alltäglichen Nebel gewichen.
Ich bewege meinen Kopf in einer Weise, die bei gutem Willen als Zustimmung gewertet werden könnte. Sofort macht sie sich an den Knöpfen meiner Jeans zu schaffen. Gleich darauf zieht sie mir meine Hose aus. Unsere anderen Kleidungsstücke fliegen nacheinander durch das Zimmer, bis wir beide nackt auf dem Bett sitzen. Sie streichelt mich. Auch ich spiele mein Spiel so gut ich kann. Doch mein Penis hängt schlaff nach unten.
„Fick mich!“, sagt sie irgendwie gehetzt als wolle sie gleich den nächsten Bus noch kriegen.
Sie greift nach ihrer Hose auf dem Boden, fingert ein Kondom aus der Hosentasche.
Als sie mein schlaffes Glied sieht, lacht sie nicht, wirkt nicht verärgert, schaut mich nicht an. „Keine Sorge, ich mach’ das schon“, sagt sie. Und sie macht es. Ihr Kopf beugt sich auf und nieder.
Ich blicke auf ein Poster an der Wand, das Kurt Cobain zeigt. Er sieht gut darauf aus: unrasiert, aber lebendig und stolz. Meinte er wirklich, was er sagte? Oder hat er nur etwas vorgespielt?
Martina bläst immer noch. Nach ein paar Minuten streift sie das Kondom über und ich lege mich auf den Rücken. Sie setzt sich auf mich. Ihre Augen sind geschlossen. Ein klein wenig stöhnt sie. Ich schaue über ihre Schulter auf Kurt Cobain. Und denke daran, mir vielleicht diesen neuen Song zu kaufen, den sie jetzt irgendwo ausgegraben haben. Wie heißt er noch gleich? Egal, so gut ist er ohnehin nicht. Ob er ihn wirklich selbst geschrieben hat?
Das lauter werdende Gestöhne lenkt meine Aufmerksamkeit kurz auf die Frau, die auf mir sitzt. Wie war noch gleich ihr Name?
Dann schaue ich wieder auf das Poster. Plötzlich verzerrt sich das Gesicht von Kurt. Er scheint auf einmal zu lachen. Ich schreie auf. Und das Rot des Zimmers, die Frau, Kurt Cobain, alles verschmilzt zu einer melancholischen Schwere. Für einen kurzen Moment ist alles sehr angenehm. Doch schon sehr schnell verwandelt sich diese angenehme Schwere in eine graue Gleichgültigkeit. Tristesse.
Ich weiß nicht, ob sie auch einen Orgasmus hatte. Es ist mir egal.