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Träumerei

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10.06.2004
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Träumerei

„Frau Binder ist teuer, ich bin noch teurer, Sie sind billig.“ Das war Herr Ullbrich. Ich kannte ihn noch kaum und hatte schon die Schnauze voll von ihm. Galant, erlesene Kleidung, fesch, redegewandt, modische Frisur, leuchtend blaue Augen. Eine teure Erscheinung, kein Zweifel. Ich sandte ein höfliches Lächeln über den Tisch und hasste mich dafür. Die teure Frau Binder, die mir dieser Playboy als meine direkte Vorgesetzte präsentierte, falls ich den Job bekäme, schaute ich erst gar nicht an. Frau Binder. Vielleicht zwei Jahre jünger als ich. Klasse. Ich klopfte mir in Gedanken auf die Schulter und sah mich ein T-Shirt tragen mit der Aufschrift: „Was mache ich hier eigentlich?“
Meine Sprachlosigkeit wurde unterbrochen durch das Handy des Lackaffen, das schon seit beginn unserer Unterhaltung nie stillstand. Ich sprach mit Frau Binder über die Bedeutung des Firmennamens, der mir so sinnlos erschien, wie mein Anrücken zu diesem Vorstellungsgeschnupper. Ich hasste dieses gegenseitige Am-Hintern-riechen. Ich war jedesmal froh und erleichtert, wenn ich wieder rauskam und die Leute mir wie gewohnt meine Unterlagen hinterhersandten.
Was ich denn im Ausland gemacht hätte und wie es sei, dort zu studieren, fragte mich der arrogante Arsch, sein Handy wieder in die Innentasche seines Sackos verschwinden lassend. Er selbst habe ja auch in England ein Semester Chemie studiert.
Meine kurzen Ausführungen zu diesem Thema wurden wieder jäh durch einen weiteren Anruf unterbrochen. Frau Binder überbrückte durch Fortsetzung ihrer Ausführungen zur Firma.
Ob ich denn Pumpe-Düsen kenne? Der teuerste Mensch steckte sein Handy weg. Eine Pumpe würde ich kennen und eine Düse, versuchte ich scherzhaft.
Er erläuterte mir die Fortschritte der Einspritz-Pumpe in der Dieseltechnologie, die durch verbesserte Beschichtungen erst erreicht werden konnten. Die Güte dieser Beschichtungen liefere ihm gute Kunden und die Firma expandiere jährlich trotz der schlechten Zeiten um dreißig Prozent. Ich fühlte mich zu einem Staunen verpflichtet.
Am Ende der Unterhaltung, bevor es an Frau Binder war, mich zum Ausgang zu geleiten, konnte ich nicht umhin, den schmierigen Gigolo zu fragen, was er denn im Management treibe, wenn er doch Chemie studiert hätte. Er hätte nie als Chemiker gearbeitet, erklärte er bereitwillig. Alles andere hörte ich nicht mehr, obwohl mein Körper noch vor ihm stand und ich meinen Kopf höflich Nicken spürte.
Die nächsten Tage waren wieder Qual. Es führte zu nichts. Alles. Ich stand an der Ampel. Neben mir irgend so ein Typ mit Hund, den jeder Sozialarbeiter fachmännisch und ohne Zögern als sozial benachteiligt einstufen würde. Mit Hingabe spielte er den Sklaventreiber und lenkte seinen Hund durch knappe, bestimmte Befehle. „Sitz!“ Der Hund parierte eingeschüchtert. Ich machte mir Sorgen darüber, dass der Typ mich an diesen Pinsel Ullbrich erinnerte. „Fuß!“ Der Hund spurtete munter los, wohl eine Spur zu schnell. Ein energischer Ruck an der Leine erinnerte ihn an die Fehlinterpretation dieses Befehls. „Fuß!“ Der Hund schlich an der Seite seines Herrchens.
Was hatte der Kerl mit dem schmierigen Ullbrich gemein? Und ich? Was für eine Rolle war eigentlich mir zugedacht?
Meine Bewerbungsunterlagen steckten im Briefkastenschlitz. Ich machte ein neues Anschreiben und schickte sie los zu den nächsten Schleimscheißern. Sollten Sie mich doch einladen.
Es fiel mir ein zu promovieren. Darauf lief es hinaus, so dachte ich auf dem Bett. Die ganze mich umgebende Welt hatte sich verschworen. Es wurde nur noch ein Brei produziert. Und ich sollte mitlöffeln?
Radio, Fernsehen, die ganzen Bewerbungsschleimbeutels, alles passte so wunderbar zusammen. Man konnte sich nichts davon antun. Schlimm. Schmerz. Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Nicht, dass ich aus Weisheit dazu kam. Man wird ja dazu gezwungen. Lackaffe oder weiser Affe, ist das die Wahl?
Verschwitzt stiefelte ich als zwangsweiser Affe zu irgendeinem Philosophieprofessor. Promovieren sei meine Absicht, sagte ich kleinlaut. Und hörte lange nichts als klassische Musik. Ein Professor saß emsig über ein paar Formulare gebeugt, die er erst noch fertig ausfüllen müsse, belehrte er mich gereizt. Rauch lag in der Luft. Zigarettenkippen schwammen in etlichen halbvollen Teetassen, die sich auf dem Tisch vor mir befanden.
„Trink!“ hörte ich den Typ an der Ampel kommandieren.
Nietzsche und Bildung? Da sei doch schon alles geschrieben. Zeit nehmen solle ich mir für das Thema, viel Zeit. Und dann, wie finanziere ich mich überhaupt währenddessen? Ich wandte mich zur Flucht.
Das Bett war der einzige Ort wo man es aushalten konnte. Ich lag auf dem Rücken und sah meinen Monet an. Verkehrtherum. Ich stellte mir vor , an diesem schön gedeckten Tisch zu sitzen draußen im Garten am Haus. Wer war die unbekannte Schöne im Hintergrund? Ich spürte die frische würzige Luft um die Nase, sog sie ein und stieß sie als Seufzer wieder aus in meinem Bett. Eine kurze Reise, wie damals in Italien auf dem Weingut.
Wein gut. Why not? Ich könnte wieder mal raus. Carpe Noctem! Wenn der Tag nichts bringt.
Wie fremd! Ich hätte nicht so viel Klassik hören sollen in der letzten Zeit, aber was sollte ich denn tun bei den Alternativen. Es war wie ein Schlag in die Fresse. Ich steckte ihn ein, tauchte ein. Alles schien richtig, alles passte. Die Musik, die Leute, die Bewegungen, die Lichter. Nur einer passte zu allem so gar nicht. Mir war unwohl. Der zwangsweise Affe in der Menge. Kann man tanzen, wenn man nichts hören und sehen will? Ich quetschte mich in den nächsten Raum. Irgendwann spielte man Rock und ich horchte auf.
Beim Tanzen redete ich mir ein, mindestens zwei oder drei gesehen zu haben, die in meinem Alter waren.
Ich nannte es einen gelungenen Abend und sah mich im Geiste mit grünen Haaren.
Es war eine schöne Erfahrung wieder mal zu sehen und zu hören, dachte ich auf dem Bett. Aber ich sprach nicht mehr. Wann hatte ich eigentlich zum letzten Mal mit jemandem gesprochen? Ich meine gesprochen. Was ich zu den Ullbrichs dieser Welt sage, ist nicht sprechen. Taktisches Schöngetue, nichts von mir. Die Gesellschaft bringt mich zum Schweigen. So kann es nicht weitergehen. Ich schlug vor Freude auf mein Bett. Alle Welt quasselt mehr denn je. Ich werde stumm und merke es kaum. Der zwangsweise Affe kann nicht quasseln. Aber ich muss reden. Ich kann nicht schweigen. Aber mit wem reden, wenn der einzige Geistesverwandte, der mir in irgendeiner Form begegnete Nietzsche ist. Nietzsche, mein Sternenfreund.
„Sprich!“ Ich wünschte der Typ an der Ampel würde mir an der Kette rütteln. Aber was sollte ich ihm sagen. Sollte ich wirklich sprechen? Er würde doch nur solange weiterrütteln und gebieten, bis ich quasseln würde, quasseln wie die ganze verschworene Gemeinschaft. Erst dann würde er zufrieden seiner Wege gehen.
Ich glaube nicht an Schicksal. Ich habe kein Schicksal und ich bin keins. Was bleibt ist Zufall? Dann fällt es mir zu, zu Schweigen. Und ich weiß, dass die drei Affen nicht aus Angst dichthalten, sondern sich abschotten, um wenigstens in der Phantasie das Leben Ihrer Wahl zu leben.

 

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Hallo oktoberman,

eine schöne Gesellschaftsanalyse, deine Geschichte. Die unmenschliche Arbeitssuche und die Notwendigkeit, sich selbst zu verkaufen, hast du gut beschrieben. Besonders gut hat mir gefallen

Es wurde nur noch ein Brei produziert. Und ich sollte mitlöffeln?
Dein Erzähler hat mit der Zeit resigniert und ist verbittert geworden - egal, ob man nun ihm selbst und seiner falschen Einstellung oder der Gesellschaft die Schuld gibt. Das Gefühl, vollkommen fehl am Platz zu sein auf dieser Welt, kennt wohl jeder von uns. Die Frage ist nur, wie man damit umgeht: zieht man sich komplett in sich selbst zurück und flüchtet, oder stellt man sich der Situation, was sehr anstrengend ist.
Deine Geschichte hat einen schönen Schluss, auch wenn ich deinem Erzähler am liebsten zurufen würde: Egal ob aus Angst oder Trägheit, schweigen ist immer der falsche Weg.

Ein paar Fehler hab ich gefunden, vielleicht magst du sie ausbessern:

Ich sandte ein höfliches Lächeln über den Tisch und haßte mich dafür.
da du im restlichen Text beim Wort "hassen" die neue Rechtschreibung benutzt, wurde ich dir hier auch "hasste" empfehlen
Wer war die Unbekannte Schöne im Hintergrund?
unbekannte
Aber mit wem reden, wenn der einzige geistesverwandte, der mir in irgendeiner Form begegnete Nietzsche ist.
Geistesverwandte
Und ich weiß, dass die drei Affen nicht aus Angst dichthalten, sondern sich abschotten, um wenigstens in der Phantasie das Leben Ihrer Wahl zu Leben.
das zweite "leben" muss klein geschrieben werden

Liebe Grüße
Juschi

 

Hallo Juschi,

Danke für deine nette Antwort. Vor allem auch für die Korrekturen, die ich alle bereits ausgebessert habe.
Du hast wahrscheinlich recht damit, dass Schweigen nie die richtige Alternative ist. Jedoch ist der Erzähler in meiner Geschichte einfach (noch) nicht so weit, das als eine mögliche Lebensweise zu realisieren. Wohl weil er denkt, dass er aufgrund seiner Art damit scheitern würde.

Schöne Grüße,

oktoberman

 

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