Träumen im Weltraum
Träumen im Weltraum
Nico Petersen sah aus dem Bullauge seines Raumschiffes in das dunkle All hinaus. Er liebte es den Sternentanz zu beobachten, wenn es in Erdzeit Abend geworden war. War es auf der Erde Tag und er sah in den nächtlichen Weltraum, fühlte er sich immer befremdet und hatte das Gefühl in einem Traum zu sein, der ihn gefangen hielt.
Im Glas des Bullauges sah er sein Gesicht darin wiederspiegeln. Sein faltiges Gesicht, das von Narben gezeichnet war, machte den Anschein, als habe er schon viel erlebt. In Wahrheit war es aber nur Illusion, einzig die Pickel der Pubertät hatten es so geformt. Auf der unebenen, verbeulten Stirn, sass oben rechts sein Fähigkeitschip. Nico hasste diesen Anblick, der dunkel graue Fähigkeitschip eckelte ihn und stiess ihn von seinem eigenen Spiegelbild ab. Er erinnerte sich noch gut, wie er damals nach der Schule stolz war einen Chip implantiert zu bekommen. Einen Job ausüben zu dürfen und dann noch einen, den er selbst gewählt hatte. Er war begierig auf das neue Wissen gewesen, das ihm dieser Chip innert Stunden geben würde. Heute hätte er den Chip am liebsten aus seiner Schläfe gerissen, er hätte sehen wollen, was von ihm übrig blieb ohne diesen Chip.
Wahrscheinlich wäre er unfähig seinen Beruf weiter aus zu führen, er würde ein elendes Häufchen von Nichts. Doch es könnte noch schlimmer sein, dachte er dann, mit einem gespielten Lächeln im Gesicht. Er hätte ein Schläfer werden können, wenn er die Genvorgaben erfüllt hätte. Er wäre in ein künstliches Koma versetzt worden und mit den Master-PCs verbunden, die von seinem Gehirn gesteuert würden. Er wäre ein lebendiger Computer gewesen. Angeekelt von dieser Vorstellung wandte er sich von dem Fenster ab und sah zu Gruber rüber, der schlaff in seiner Stehkabine stand und sich mit den verschiedensten Gasen voll pumpen liess. Seine Augen hatte er müde auf seine Füsse gerichtet und seine Nasenflügel öffneten sich und zogen sich wieder zusammen im selben Takt, wie sich seine Brust weit erhob und wieder senkte.
Gruber hatte den selben Fähigkeitschip wie er, Marci und Twidi. Sie waren Schiffsmonteure der obersten Ränge. Vielleicht nicht mehr lange, dachte Nico und klopfte gegen die weisse Innenwand des Raumschiffes. Nur wenn sie dieses Fehlkonstrukt noch bis zur Zentralstation der SopyCoop bringen würden. Keiner von ihnen hätte damals geahnt, als sie sich zum Testflug aufmachten, dass die neueste Errungenschaft der mächtigen SopyCoop ein solches Desaster wäre. Nico, Twidi, Marci und Gruber hatten während des Fluges, der vor zwei Tagen startete, verschiedenste technische Mängel festgestellt. Das alleine, war noch nichts Besonderes. Kleinere Mängel hat jedes neue Modell eines Raumschiffes, doch die Wenigsten und sicherlich keines einer der grössten Coops der Welt, solche die tödliche Folgen haben würden. Verschiedene Leitungen hatten Lecks und waren falsch angeschlossen, die Gefahr von einem Kurzschluss, der in einer Explosion des ganzen Schiffes münden könnte, war nicht ausgeschlossen. Mehrere Systeme waren seit einigen Stunden bereits ausgefallen.
Als Marci den neuesten Stand ihrer Situation der Sopy rübergesendet hatte, navigierte die Sopy sie zu einer ihrer in der Nähe postierten Zentralstationen.
Nun würde es nicht mehr lange dauern, bis sie sie erreichen müssten. Twidi flog das Raumschiff, doch einige der Navigationsgeräte waren vom Schaden in Mitleidenschaft gezogen worden, so dass die Steuerung erschwert war. Die Sopy sendete deshalb rund um die Uhr die neuesten Erfahrungsdaten zum Thema Flug auf Twidis Fähigkeitschip. Eigentlich machte sich Nico keine Sorgen. Sie waren Profis und hatten den Fehler bemerkt. Es war unwahrscheinlich, dass sie so sehr die Kontrolle verlieren, dass sie sterben würden.
Doch ihre Entdeckung war fraglos eine Sensation. Hätten sie die Mängel nicht entdeckt und das Schiff wäre zum offenen Handel freigegeben worden, hätte es bestimmt Unfälle mit Todesopfern zur Folge gehabt. Schon die alleinige Aufdeckung der Mängel würde für die SopyCoop schwere Konsequenzen zur Folge haben. Bestimmt würden sie alles dafür tun, dass das Ergebnis dieses Fluges nie an die Öffentlichkeit, geschweige denn in die Hände ihrer Konkurrenten gelänge. Nico freute sich bereits auf das Schweigegeld, dass sie ihm und seinem Team zahlen würden.
Es dauerte noch zwei Stunden bis sich alle Vier im Cockpit versammelten. Twidi sass konzentriert hinter dem Steuerpult. Seine Hände bewegten sich sicher über die Schaltknöpfe. Gruber liess sich schwerfällig in einen der Sessel fallen. Seine Augen schien er nur mühevoll aufhalten zu können, er wirkte noch stark von den Gasen beeinträchtigt. Durch die grossflächige Scheibe des Cockpitzs sahen sie ein riesiges, weisses Konstrukt, das lose im freien Raum schwebte, näherkommen. Es war die Raumstation der SopyCoop, die ihre Rettung sein sollte. Sie würden auf dieser Station warten, bis sie von einem Hilfsschiff der Coop geholt würden.
Peterson konnte Twidis Chip surren hören, während er Twidi immer weiter mit neuen Informationen speiste und Twidi voll in Besitz nahm, so dass er nicht ansprechbar war.
Die Raumstation war ein mächtiges, beeindruckendes Gebilde in völligem Weiss. Es war ein rundliches, verwinkeltes Konstrukt, ein wahres Kunstwerk befand Nico Peterson. Es würde bestimmt komisch sein, mehrere Tage auf diesem riesigen Schiff zu verbringen, da es nach den Angaben der Coop verlassen sei. Eine lange Röhre begann sich aus dem Ganzen des Konstrukts heraus zu bilden. Im Vergleich zur ganzen Raumstation war sie unscheinbar, doch besass sie noch immer den doppelten Durchmesser ihres defekten Gleiters. An dieser Röhre würden sie andocken. Sie kamen näher und näher und Nico hoffte, dass Twidi die richtigen Informationen von der Erde bekam und sie nicht an der weissen Aussenhaut dieses Riesen zerschellten. Wie gebannt starrte Peterson nach draussen. Er sah nur noch weiss vor sich, als ein lautes Knarren und Gepolter ihm die Gewissheit gab gerettet zu sein, es folgte ein lautes Zischen, kalte Luft strömte ins Cockpit -.sie hatten angedockt. Plötzlich sackte Twidi erschöpft zusammen, begann müde seine Schläfen zu massieren und atmete laut keuchend ein und aus. Während des Verlassen des Geleiters stützte sich Twidi auf Petersons Schultern.
"Willkommen auf der "Mazerra", ich stehe ihnen jederzeit zur Verfügung.", begrüsste sie der Master-PC, als sie die Raumstation betraten. Es war ein tatsächlich merkwürdiges Gefühl auf dem Schiff, befand Peterson. Das allgegenwärtige Weiss flösste ihm auf gewisse Weise Unbehagen, gar Angst ein.
Der Master-PC lotzte sie zum Aufenthaltsraum, wo sich eine reich gefüllte Bar befand und verschiedene Möglichkeiten zur Unterhaltung vorhanden waren.
Während sich Twidi, Marci und Gruber im Aufenthaltsraum niederliessen, machte sich Peterson auf Erkundungstour durch die Gänge der Raumstation. Das Schiff war wie ein riesiges Labyrinth. Peterson wusste, dass er, umso tiefer er in die Gänge der Station abtauchte, ohne die Hilfe des Master-PCs nie wieder alleine zurück finden könnte. Es war ein faszinierendes Gefühl von Hilflosigkeit, das ihn immer weiter trieb.
Als er nach Stunden zu den anderen drei zurückkehrte, lagen sie erschöpft in ihren Sesseln.
"Was ist mit euch denn los?", fragte Peterson lächelnd während seine Augen jeden der Drei musterten.
"Hast du nicht auch diese schrecklichen Kopfschmerzen?", fragte Twidi mit verzerrtem Gesichtsausdruck, während er sich mit der Dosispistole TX in die Venen schoss.
"Das muss von deinem Chip kommen. Du musstest in kürzester Zeit extrem viele Informationen aufnehmen.", meinte Nico.
"Was ist dann mit mir und Gruber?", wollte Marci gereizt wissen.
"Gruber hat zu viele Gase geschnüffelt und du..", Peterson hielt inne und fuhr nach einem kurzen Moment fort, "das wird sich wieder legen, ihr seid nur erschöpft."
"Und du?", Grubers Frage klang misstrauisch. Peterson sah in ihren Augen, dass sie starke Schmerzen haben mussten, doch er selbst fühlte nichts dergleichen. Die Stimmung im Raum schien immer gereizter zu werden, eine Spannung glaubte Peterson wahrzunehmen, die er gegen sich gerichtet fühlte. Ohne weiter nach zu denken begab er sich in den nahegelegenen Maschinenraum, wo er Teile des defekten Testgleiters genauer zu untersuchen begann. Die Raumstation hielt die neuesten und modernsten Hilfsmittel bereit, für einen Mann wie Peterson war es wie das Paradies.
"Was tust du da?", Peterson erkannte über eine aufgeschraubte Antriebsdüse gebeugt Grubers Stimme, ohne sich umdrehen zu müssen, sie klang wütend
"Ich dachte, ich nuzte die Zeit, um den Testgleiter genauer zu untersuchen..", seine Stimme wurde leiser und wirkte nachdenklich, "Doch ich komme nicht voran, als hätte ich ein totales Blackout."
"Was soll das bringen?", begann Gruber, ohne auf die letzte Bemerkung Nicos ein zu gehen.
Peterson drehte sich zu ihm und blickte in Grubers bleiches Gesicht.
"Ist dir nicht gut?", wollte er besorgt über Grubers Anblick wissen.
"Du willst uns hintergehen.", begann Gruber wütend. "Du willst Beweise vernichten, die belegen, dass die SopyCoop Scheisse gebaut hat."
"Bist du völlig irre?"
"Nenn mich nicht verrückt!!", schrie Gruber und schlug Peterson zu Boden.
Nur mit Mühe schaffte es Peterson sich wieder auf zu rappeln, während Gruber schrie:
"Wieviel zahlt dir die Coop, du Verräter!"
"Was ist los mit dir..", plötzlich umschlang Gruber mit seinen Händen Petersons Hals und drückte mit aller Kraft zu. Ohne Erfolg versuchte sich Peterson frei zu kämpfen und schlug um sich, doch ohne Reaktion hielt Gruber seine Kehle fest umklammert. Immer mehr verlor Nico Peterson seine Kräfte. Sein Blick wurde immer dumpfer, bis er nur noch schwarz wahrnahm.
Ein surrender Ton. Peterson spürte, wie ihn eine Flüssigkeit benetzte und Grubers Hände von ihm liessen. Peterson öffnete seine Augen und blickte in das Gesicht einer hageren, bleichen Frau in weissem Nachthemd. Ihre spröden Haare waren blass-blond und ihr Gesicht ausdruckslos. Sie war, wie Peterson selbst, mit Blut bespritzt. In ihrer Hand hielt sie einen Mikrobohrer, zwischen ihnen am Boden über einer Blutlache lag Gruber. Stumm starrte Peterson auf das kleine, sauber gebohrte Loch durch Grubers Kopf -er wie gelähmt.
"Sie müssen sich vorsehen.", meinte die Frau mit klarer, ruhiger Stimme.
"Wer sind sie?", entgegnete Peterson zum ersten mal den Blick vom Toten abgewendet.
"Nicht von Belang. Ihre Freunde sind gefährlich, sie werden wieder versuchen zu töten."
Peterson spürte Übelkeit in sich aufsteigen und fragte:
"Was geht hier vor sich ?"
"Ich muss gehen. Sehen sie sich vor."
Sie liess das kleine Präzisionsgerät aus ihrer Hand fallen und verlies den Raum.
"Warten sie!"
Peterson versuchte nach ihr zu greifen, verfehlte sie aber. Vor seinen Augen drehte sich alles.
Er stieg über den toten Körper und versuchte der Frau zu folgen. Doch sie war bereits im wirren Labyrinth der Stationsgänge verschwunden.
"Master-PC", begann Peterson mit bemüht kräftiger Stimme, "wo ist die Frau?"
"Zugriff nicht gestattet.", hallte als Antwort durch den leeren Gang.
Er sass einige Zeit über dem Leichnam seines einstigen Freundes, überlegte was geschehen war und was er tun solle. Sollte er Twidi und Marci einweihen? Was war mit der Warnung der Frau? Wer war sie? Wo war sie? Woher kam sie?
Er wusste, dass er das alles nicht erklären konnte, alles würde darauf hindeuten, er hätte einen Freund getötet. Ohne rationalen Grund begann er Grubers Körper in Folie ein zu wickeln, das Blut auf zu wischen und den Bohrer zu reinigen.
Den eingewickelten Leichnam versteckte Peterson erst einmal in einem leeren Schrank, dann fügte er sich einen tiefen Schnitt am linken Arm zu, um das Blut an seinen Kleidern erklären zu können.
"Wo ist denn Gruber?"
Peterson reagierte nicht auf Twidis Frage, als er den Aufenthaltsraum betrat. Er versuchte gelangweilt zu wirken und liess sich auf einen weichen, weissen Polstersessel nieder sinken.
"Was ist mit deinem Arm?", fragte Twidi nach einer Weile, während er den nächsten Zug im Schachspiel gegen den Master-PC ausführte. Peterson sah auf seinen linken Arm, ein dünner, durchsichtiger Streifen Folie lag blutgetränkt über seiner Wunde.
"Ich versuchte mich etwas im Maschinenraum.", antwortete er nachdenklich. Twidi lächelte breit.
"Wo ist Marci?", erst jetzt fiel Peterson Marcis Fehlen auf.
"Scheiss auf Marci.", antwortete Twidi, er klang stark gereizt und Peterson bohrte nicht weiter nach, sondern beobachtete Twidi bei seinem Kräfte messen mit dem Master-PC. Der Master-PC liess Twidi zappeln, liess ihm lange Zeit, bevor er das Spiel entschied. Twidi sass mit gerötetem Kopf und angespannten Gesichtsmuskeln über dem Schachspiel, seine Hände umklammerten den Rand des Brettes, welches begann unter seinen Händen zu zittern und kurz vor dem letzten spielentscheidenden Zug des Master-PCs, riss Twidi es vom Tisch und warf es in hohem Bogen an die gegenüberliegende Wand, an der es schliesslich zerschellte, die Hologrammfiguren lösten sich im Nichts auf. Zitternd vor Wut stand Twidi auf. Mit von Furcht unterlaufenen Augen beobachtete Peterson seinen Freund.
"Diese verdammten Kopfschmerzen.", stöhnte Twidi, "Ich geh mich hinlegen.", fuhr er fort und verliess daraufhin den Raum. Peterson sah ihm nach, bis er von seinem Platz aus nicht mehr zu sehen war, dann blickte er über die Überreste des Schachbrettes, er hatte Angst.
Ob wohl Twidi auch langsam durchdrehte wie Gruber? Peterson dachte über die mysteriösen Kopfschmerzen nach, die nur er nicht zu haben schien. Peterson begann nervös und gedankenversunken durch den Raum zu schlendern. Bei der Bar hielt er inne, er füllte ein Glas mit Gin. Als er das gefüllte Glas unter den Eisspender hielt, stockte die Maschiene, irgendetwas blockiere das Eis, erklärte der Master-PC, nachdem Peterson mehrere Male sein Glas unter die Eismaschine gehalten hatte. Müde legte er das Glas beiseite und ging dann mit langsamen Schritten auf die riesige Eistruhe am Ende des Raumes zu. Das Schloss war aufgebrochen. Mit ganzer Kraft hob Peterson den Deckel der Truhe hoch und wich dann erschrocken und kreidebleich zurück. Marci lag leblos in der Eistruhe, sein Kopf zertrümmert. Langsam liess Nico Peterson den Deckel wieder zu fallen und starrte dann keuchend an die weisse Decke hoch.
"Twidi hat ihn getötet.", schoss ihm durch den Kopf, "Die Frau hatte Recht. Ich bin der Nächste."
Eine halbe Stunde darauf. Die Tür zum Schlafraum öffnete sich mit einem leisen Zischen. Ein feiner Lichtstrahl durchdrang den Raum. Mit erhobenem Brustkorb betrat Peterson das Zimmer. In seiner Hand hielt er eine Dosispistole gefüllt mit dem Beruhigungsmittel TXd2. Er trat langsam an den ersten leeren Betten vorbei. Ein Schuss würde genügen, ihn ruhig zu stellen, dachte Nico Peterson, dem eine Schweissperle auf den Schuh tropfte. Als er auch das letzte Bett leer vorfand, drehte er sich erschrocken um und starrte in den Raum, den er eben durchquert hatte -leer! Keine Spur von Twidi.
Peterson hörte ein krächzendes Geräusch, als er nach draussen in die Gänge trat. Vor ihm erstreckte sich ein weiter, röhrenartiger Gang, von dessen Ende her Twidi ihm entgegen kam. In seiner rechten Hand hielt Twidi ein rostiges, langes Metallrohr, das er der Wand entlang zog.
"Willst du mich einschläfern, Nico. Ich werd dir zuerst den Schädel spalten.", sagte er lächelnd, in beinahe schon freundlichem Tonfall.
Peterson rannte los in irgendeinen Gang, und von dem aus in irgendeinen anderen Gang. Ohne nach zu denken einfach rennen. Mit der Dosispistole in der Hand rannte er so schnell seine Beine ihn trugen. Hinter ihm folgte Twidi genüsslich vorwärtsschlurfend seinen Schritten.
Hinter der Ecke eines einer Röhrengabelung blieb Peterson stehen. Sie hätten ewig so weiter machen können. Er wollte es beenden. Er hörte Twidi vom Gang her näher kommen und war sich sicher, dass Twidi ihn nicht sehen konnte. Doch noch bevor er reagieren und ihm zuvorkommen konnte, schlug Twidis Metallrohr gegen seine Hand, die Dosispistole fiel zu Boden, die Ampulle zerbrach, Twidi schlug weiter mit dem Rohr auf Peterson ein, dieser kämpfte sich aber hoch und stürzte sich auf seinen Angreifer mit solcher Kraft, dass sie beide zu Boden stürzten.
Das Rohr lag nur wenige Meter von ihnen entfernt auf dem Boden. Von blinder Wut umgarnt schlugen sie aufeinander ein. Es war nur ein Glückstreffer, der Twidi für einen Moment kampfunfähig machte und nur ein kurzer Moment, als Peterson jegliche Kontrolle über sich verlor, nach dem Rohr griff und es in wildem Blutwahn gegen Twidis Kopf schlug. Der kurze Moment ging vorbei. Keuchend und mit rot angelaufenem Kopf hielt Peterson inne und starrte auf den zertrümmerten Schädel seines Kameraden. Das Metallrohr fiel zu Boden, Peterson sprang auf und rannte in die leeren Gänge hinaus.
Stunden vergingen und Peterson irrte leblos durch die weiten Gänge des riesigen Mutterschiffs. Irgendwo weit hinter ihm, lagen seine Freunde: Twidi auf dem kühlen Fliessenboden, in einer Kühltruhe Marci und in Folie gewickelt Gruber -tot.
Nicos Schritte waren langsam und vorsichtig, nur ein leises Tapsen auf dem spiegelglatten Boden konnte man vernehmen. Es war als würde er träumen. Am Boden und an den Wänden konnte er sein Spiegelbild erkennen. Er war der Selbe wie zuvor, bis auf das Blut an seinen Kleidern und auf seiner Haut. Er war so müde. Sachte liess er sich an der Wand entlang, zu Boden gleiten. Ein roter Lichtstrahl traf seine Augen, als er den Blick anhob. Er zog sich wieder hoch und folgte dem feinen Lichtfaden, der durch den Spalt eines riesigen geschlossenen Tores sich frei gekämpft hatte. Vor dem riesigen Metalltor blieb Peterson stehen und strich über seine, bläuliche, rauhe Oberfläche. Es war, als hätte er soeben das gefunden, nachdem er sein ganzes Leben gesucht hatte. Als stünde er vor dem Tor zum Paradies, und dann sprach er mit ehrfürchtiger Stimme:
"Master-PC, öffne die Tür vor mir."
Schwer, grollend traten die Türen langsam zur Seite. Ein von rotem Licht beleuchteter Raum fand sich dahinter. Gefüllt mit blinkenden und surrenden Maschinen und Computern, Schläuchen und Drähten. Im Zentrum von Drähten überwuchert lag eine Schlafkapsel. Peterson kämpfte sich durch die spitzen, messerscharfen Drahtsträucher um zur Öffnung der Kapsel zu gelangen. Unter sich bedeckt von dem Kabelgewirr fand er die Lippen einer Frau und ein helles Blau ihrer Augen funkelte ihn an. Wie in Trance bückte er sich und küsste sanft ihre Lippen, plötzlich umschlangen ihn ihre Arme und ihre Fingernägel bohrten sich in seine Kopfhaut, ihre Zunge drang in seinen Mund. Als er das Spiel mit seiner erwiderte, biss die Frau zu. Brüllend riss er sich los und kniete sich zu Boden. Blut tropfte aus seinem Mund. Wieder richtete er seinen Blick auf das Wesen, welches sich nun in der Kapsel aufgerichtet hatte.
Das Blau der Augen wurde matt und er erkannte die zerbrechliche Gestalt der Frau wieder, die ihm das Leben gerettet und ihn vor den anderen Drei gewarnt hatte. Erschrocken mit zurückkehrendem Bewusstsein rang er nach seiner Stimme.
"Du bist ein Schläfer.", meinte er mit undeutlicher, schwacher Stimme.
Sie nickte.
"Ja, das stimmt."
"Du bist wach! Wie..."
"Ich weiss nicht, möglicherweise ein Systemfehler."
Zu neuen Kräften findend erhob Peterson sich mühsam vom Boden und starrte sie an.
"Was ist?", fragte sie ihn nach einer Weile.
"Ich wusste nicht, dass es auch SchläferINNEN gibt.", antwortete er und atmete tief ein.
Ihre ausdruckslose Stimme blieb stumm. Sie drehte sich zu ihrer Kapsel. Sie war mit einem weissgrauen Fetzen, ähnlich einem Nachthemd bekleidet, das von ihren Schulter hin zu ihren dünnen Oberschenkeln reichte. Trotz ihres zerbrechlichen Körpers wirkte sie keineswegs schwach oder unbeholfen, vielmehr gelassen, ohne Zweifel oder Ängste.
"Du wusstest, was geschehen würde.", begann Peterson, "Du musst auch den Grund für all das kennen. Hat es mit diesen Kopfschmerzen zu tun, über die Marci, Twidi und Gruber seit unserer Ankunft klagten?"
Noch immer blieb sie stumm und starrte auf ihre Schlafkapsel. Peterson wartete, bis sie sich zu ihm wandte und ihm antwortete:
"Eure Chips können der Strahlung, die auf diesem Schiff herrscht nicht stand halten . Ich wusste, dass sie kurz schliessen würden, wenn ihr das Schiff betretet.", sie hielt inne. Mit ihren matten Augen musterte sie Peterson, bevor sie fort fuhr: "Als ihr angedockt hattet, versuchte ich eure Chips zu deaktivieren. Ich war zu langsam."
Peterson trat erschrocken näher an sie heran.
"Ist mein Chip deaktiviert?", wollte er wissen.
Sie nickte.
Petersons Blick verfinsterte sich.
"Die SopyCoop wusste von der Strahlung, nicht?"
Sie wandte sich erneut stumm von ihm ab. Er griff sanft nach ihrer linken Schulter.
"Sie wussten es doch, sie wollten, dass wir uns gegenseitig töten, uns ausschalten. Ist es nicht so?"
Sie zögerte zu antworten. Ihr Körper zitterte schwach. Dann zog sich ihr Körper zusammen. Sie drehte sich zu Nico Peterson. Ihre Augen leuchteten blau:
"Ja, sie wussten es."
Sie beobachtete seine Reaktion.
"Ich wusste es.", meinte er ruhig und zog seine Hand zurück, "Es konnte kein gutes Ende nehmen."
Er glitt nachdenklich mit seiner linken Hand über die Drähte und Schläuche:
"Es muss hier einen Rettungsgleiter geben und du kannst ihn bedienen.", sein Blick haftete auf der Schläferin. "Bring mich zur Erde."
"Ja."
Sie mussten nicht weit gehen. Die Schläferin musste sich kein einziges mal neu orientieren. Sie ging ohne nach zu denken oder zu zögern durch die Labyrinthartigen, verzweigten Gänge, bis sie zum kleinen Hangar gelangten, wo der Notgleiter bereit stand. Sie legte die Hand auf die Aussenhaut des Gleiters und eine Tür öffnete sich.
"Kommen sie.", meinte sie zu Peterson.
Er reagierte nicht. Nachdenklich sagte er:
"Ich kann meine Freunde nicht so zurücklassen. Ich stehe in ihrer aller schuld."
Sie lagen eingewickelt in Bettlacken übereinander gestapelt im grünen Betonfach, das eigentlich für Weltraummüll konstruiert worden war. Die Drei aus Petersons Crew. Sie waren Freunde, Companeros, Vertraute. Wie viele Reisen hatten sie zusammen schon auf sich genommen. Sie hatten zusammen die erste Erkundung im weiten All auf sich genommen, der erste Blick auf die Sterne ausserhalb der irdischen Hemisphäre unternahm Peterson über die schultern Marcis. Das erste mal Pinkeln in gefrorener Form unter der Anleitung von Gruber und das erste mal durch einen Meteoritenschwarm navigiert von Twidi. Sie drei machten den grössten Teil seines Lebens aus. Nun schloss Nico Peterson die Klappe und legte den roten Schalter um. Es folgte ein lautes Zischen, kühle Luft blies um Petersons Körper und durch die Scheibe der Kuppel sah er, wie die vermummten Körper ins freie All hinaus stiegen, wie sich die Lacken von ihren Körpern lösten und über sie hinweg zurück schwebten. Die Drei flogen, als wollten sie sich nicht von einander trennen . Durch das von den Sternen erhellte Dunkel des Weltraums in den ewigen Raum hinaus, vorbei an Planenten und Asteroiden setzten sie ihren süssen, sanften Tanz fort. Oberhalb dieser Kuppel spiegelte sich die unterlaufene Gestalt des Mädchens wieder, das hinter Nico stand und ihn beobachtete.
Er fragte sich, wo die Drei wohl gerade waren, an welchem Stern sie gerade vorbei kamen, welche Milchstrasse sie gerade entlang schwebten, als der Rettungsgleiter startete und er und die Schläferin das riesige Mutterschiff Richtung Erde verliessen. Während die Schläferin konzentriert das Cockpit überwachte, sah er die ganze Zeit über durch das Bullauge in den Weltraum hinaus, auf der Suche nach Twidi, Marci und Gruber.
Im Glas des Bullauges erblickte er sein erschöpftes Gesicht,. Sanft tastete er nach dem Chip in seiner Stirn.
"Das bin also ich, wenn du keine Kontrolle über mich hast.", flüsterte Peterson leise, "Ein Nichts. Nur Haut, Knochen, Muskeln und..", er verstummte.
Er fühlte in sich eine unerklärlich grosse Leere. Er fühlte sich tot und wünschte, er flöge mit seinen Kameraden durch die Weiten des Weltalls.
Peterson war sich nicht sicher, ob das Geschehene oder das Ausschalten des Chips ihn so veränderte hatten. War das etwa sein wirkliches Ich? War alles andere nur dieser metallene, leblose, kalte Chip gewesen. War das seine Seele, nackt und unverhüllt.
"Sie denken zuviel nach, Peterson.", stellte die Schläferin laut fest, ohne ihren Blick zu ihm zu wenden. Sie kannte seinen Namen, wie sie den Namen jedes Mitarbeiters oder Kunden der SopyCoop kannte.
"Wirke ich auf sie körperlich anziehend?", wollte die Schläferin plötzlich wissen, nachdem sich Peterson vom Bullauge gelöst und sie einige Zeit gemustert hatte.
"Wie meinen sie das?", fragte er.
"Wie sie schon fest gestellt haben, bin ich eine Frau, sie ein Mann. Ist mein Wesen auf sie anziehend?"
"Nein.", seine Antwort schien keinen Zweifel zu dulden.
"Sehe ich nicht gut aus?", bohrte sie weiter.
"Das ist es nicht.", antwortete Peterson, "Sie sind nicht menschlich."
"Doch natürlich bin ich das."
"Ja, aber..", er geriet in Stocken, "Sie denken wie ein Computer, sie haben die Aufgaben einer Maschine."
Sie drehte sich zu ihm und sah ihn nachdenklich an, dann meinte sie mit weit geöffneten Augen:
"Aber ich bin aufgewacht."
"Ja", er wandte sich wieder dem Blick nach draussen zu und beendete damit die Unterhaltung.
Eine lange Reise stand ihnen bevor. Da sein Treibstoff nur knapp bis zur Erde reichte, flog der Gleiter nur langsam. Stundenlang sah man nur das Schwarz des Weltraums, das Weiss der gegenüberliegenden Wand des Gleiters. Das Flackern eines eines Schaltlichtes, wirkte manchmal wie eine grosse Befreiung. Und dann waren da noch die kalten, toten Blicke der Schläferin, die Nico Peterson immer wieder mit Fragen über das Leben löcherte, auf eine Art, die ihn anwiderte.
In manchen Momenten stellte er sich vor sie zu berühren, sie zu küssen und mit ihr zu schlafen. Ihr etwas von dem zu zeigen, nachdem sie so innig suchte. Nach Gefühl. In Peterson selbst, war seit dem Abflug vom Mutterschiff, selbst auch schon längst jede Spur von Gefühl verschwunden, vielleicht war es nun auch seine Suche, nach dem letzten Rest von Emotion und Leidenschaft, der ihn dazu brachte, ihr am 10. Tag über die spröden Haare zu streichen. Ihr den Nacken zu massieren und ihn zu küssen.
Sie schliefen miteinander, berührten und erforschten sich. Doch es war keine Emotion und keine Leidenschaft, nie in all diesen Tagen und Nächten, an denen sie es miteinander taten, fand Nico Peterson das wieder, was er verloren hatte. Es war wie ein wissenschaftliches Projekt. Der Blick der Schläferin blieb so kalt wie zuvor, selbst wenn Peterson in sie eindrang. Ihr Atem veränderte sich kaum und ihre Hände taten das, was ihr nötig schien, um eine Aufgabe korrekt durch zu führen.
„Sind wir jetzt Freunde?“, hatte sie ein Mal gefragt, nachdem Nico Peterson sich aus ihr zurückgezogen hatte.
Er stand auf und sah nachdenklich an sich hinunter, dann meinte er zögerlich:
„Nein, weder du noch ich, werden jemals in der Lage sein eine Freundschaft ein zu gehen.“
„Weshalb?“, wollte sie wissen.
„Freundschaft beruht auf Emfindung, die man für einen anderen Menschen hat. Man tut etwas für diese Person, ohne etwas für sich zu wollen. Es ist eine Art von Liebe.“ Er drehte sich zu ihr, „Doch weder du, noch ich sind dazu in der Lage.“
Die Nahrung an Bord des Schiffes bestand aus chemischen Gasen. Nico Peterson musste jedesmal, wenn er etwas zu sich genommen hatte erbrechen. Sein leerer Magen schmerzte. Doch dann hörte er die Schläferin plötzlich. Es war der dritte Tag ihrer Reise.
„Ist das die Erde?“, wollte sie aus dem Cockpitfenster starrend wissen. Nico Peterson rannte zu ihr. Noch nie hatte er soviel Regung in ihrem Gesicht gesehen, wie in diesem Moment. Ihre Augen waren geweitet und flackerten.
„Ja.“, antwortete stumm. Er fühlte sich deprimiert, das verwirrte ihn. Er hätte sich freuen müssen, endlich seine Heimat zu erreichen. Doch er fühlte sich nur deprimiert.
„Der Planet der Meere, Wälder und Berge.“, flüsterte die Schläferin in träumerischem Klang.
„Nur gibt es kaum mehr etwas davon.“, antwortete Nico Peterson.
„und der Menschen.“, fuhr sie fort.
„Davon gibt es zuviele.“
Nico Peterson wollte ihr gerade die Kordinaten geben, wo sie landen sollte, musste dann aber fesstellen, dass er sie nicht mehr kannte. Er griff sich an die Stirn.
Die Schläferin, die seine Bewegungen zu verstehen schien, meinte: „Wir werden ausserhalb ihrer Heimatstadt landen. Ich kenne alle Informationen.“
Nico Peterson sah sie überrascht an und blickte dann hinaus aus dem Cockpitfenster zur Erde.
„Der graue Planet.“, flüsterte er.
Er kannte die Bilder von früher. Vn dieser blauen Kugel. Heute sah man, schon von ausserhalb der Atmosphäre, wie gigantische, graue Klötze in den Himmel ragten. Die chinesische Mauer war längst nicht mehr das riesigste Gebilde auf diesem Planet.
Die Schläferin schien sich nur mit Mühe vom Anblick des Planeten trennen zu können, um sich auf die Bordsteuerung zu konzentrieren. Doch hatte sie sich einmal gelöst, schien sie wieder wie eins mit den Maschinen.
Nico peterson schloss müde seine Augen. Einzig sein Ohren hörten, wie sie in die Atmosphäre drangen und die Maschinen und Systeme sich ständig stabilisierten. Alles ging ganz schnell. Auf einmal hörte er das Zischen und dann die Luft. Sie waren gelandet. Als Nico Peterson seine Augen öffnete, war er alleine im Gleiter. Er stand schwerfällig auf und trat aus der geöffneten Schleuse. Die Schläferin stand wie gebannt vom Anblick der wenigen Bäume und Sträucher auf dem grünen Gras des Platzes. Die Sonne schien auf ihren bleichen Taint. Es war künstliches Gras, künstliche Bäume und künstliche Sträucher. Es roch hier kaum anders als inmitten der Stadt. Doch als Nico Peterson sie so dastehen sah, sagte er nichts. Sie sah um sich und atmete tief und laut ein.
Vorsichtig trat er an sie heran.
„Und gefällt es ihnen?“, wollte er wissen.
„Es ist wunderschön.“, antwortete die Schläferin. Ihre Stimme hatte einen menschlichen, fühlenden Klang, stellte Peterson fest. Man hörte ihr an, wie fasziniert sie war. Dass etwas in Erfühllung gegangen war, nachdem sie sich eine Ewigkeit lang gesehnt haben musste.
„Wir brauchen Geld.“, meinte Nico Peterson plötzlich kalt.
Die Schläferin drehte sich zu ihm. Das Funkeln ihrer Augen erlischte.
„Keine Sorge, das ist kein Problem. Bringen sie mich zu einem Master-PC.“
Nico Peterson folgte ihrer Anweisung und ging voran. Langsam, zögerlich folgte ihm die Schläferin.
Eine riesige Stadt weitete sich vor ihren Augen aus. Strassenkonstrukte, Menschenmengen, Verkehr und riesige Gebäude, blitzende Lichter. Die Schläferin blieb plötzlich stehen.
„Was ist?“, wollte Nico Peterson wissen.
„Meine Augen. Ich kann sie nicht kontrollieren.“, sagte sie verwirrt.
„Das sind nur die vielen Reize. Sie sind sich das alles nicht gewöhnt.“, meinte er und ging weiter, ohne nach ihr zu sehen.
Nur mit Mühe schaffte es die Schläferin, sich durch die drängenden Menschemassen zu kämpfen. Sie schien in dieser Welt völlig hilflos.
Nico Peterson trat in eines der riesigen, von Lichterketten umgebenen Gebäude. Die Schläferin folgte ihm und fand sich in einer riesigen, glitzernden Welt wieder. Tausende Menschen tummelten sich darin. Schwebeplattformen verbanden mindestens zehn verschiedene Etagen. Die Hallen waren in dutzende verschiedene Räumlichkeiten verteilt. Von überall her dröhnte Stimmengewirr, Musik und andere Geräusche. Farben, Lichter und tausenden verschiedene Gegenstände und Artikel drängten sich in ihr Auge. Die Schläferin fiel auf ihre Knie und begann zu schreien. Nico Peterson rannte zu ihr und zog sie hoch.
„Sei still!“, er hielt ihr den Mund zu.
Langsam beruhigte sich die Frau wieder.
„Das hier ist ein Einkaufszentrum. Hier werden wir Master-PCs finden.“, seine Stimme war hart, ohne Rücksicht.
„Kinder!“, rief sie plötzlich und wendete sich von Nico Peterson ab. Eine Horde von Zwölfjährigen rannte an ihr vorbei.
„Ich habe noch nie Kinder gesehen.“, sagte sie leise.
„Kommen sie.“, Nico Peterson zog an ihrer Schulter, worauf sie sich wieder zu ihm wendete und ihm weiter folgte.
Sie hatten schnell einen Master-PC gefunden. An einer Kundensäule blieben sie stehen. Die Schläferin legte ihre Hand auf den Scanner und die künstliche Stimme des Master-PCs begrüsste sie.
„Wieviel?“, wollte sie von Nico wissen.
Er gab ihr seine Cashkarte und antwortete: „500 Megabit.“
Die Schläferin lies die Karte scannen und der MasterPC lud auf ihren Befehl 500 Megabit darauf.
„Wir brauchen etwas zu essen.“, meinte Nico Peterson und führte die Schläferin schliesslich in den Lebensmittelmarkt.
„Das esst ihr?“, wollte sie wissen, doch Nico Peterson ging gar nicht darauf ein und führte sie durch die Halle. Hin und wieder beobachtete er sie aus seinen Augwinkeln. Wie sie fasziniert an den Regalen vorbeiging. Die Menschen beobachtete und sie imitierend Gemüse, Früchte wog, befühlte und an ihnen roch.
„Nimm was dir schmeckt.“, meinte er plötzlich, selbst über sich überrascht und kaum hatte er sein Angebot ausgesprochen, begann die Schläferin, alle möglichen Früchte, Gemüse, Fertigmenus und Getränke auf die Einkaufsplattform zu laden. Nico Peterson konnte sich ein amüsiertes Lächeln nicht verwehren.
So machten sie sich eine Weile später mit vollen Taschen auf die Suche nach einem billigen Appartement.
Sie fanden eines mitten in der Grossstadt. Sie liessen die Karte vom Master-PC scannen, der ihnen ganze 200 Megabits für das schäbig, kleine Zimmer abzog.
Als die Schläferin in der Tür stand, wog sie ihren Kopf hin und her.
„Hilf mir.“, meinte Nico Peters die schweren Taschen schleppend, sofort nahm ihm die Schläferin alle auf einmal ab, ohne zu zögern.
Während sie noch immer durch die kleinen Räume der noch kleineren Wohnung zog, alles beschnupperte und durchsuchte, versuchte Nico Peters in der altmodischen Küche etwas sinnvolles aus dem Lebensmittelgewirr heraus zu zu bereiten.
„Was isst du gern?“, hatte er gefragt.
„Ich habe noch nie gegessen.“, kam ihm zur Antwort.
„Ich habe noch nie gegessen.“, wiederholter er in schnippischem Ton, während er versuchte, ein Mahl hervor zu zaubern.
Die Schläferin kroch mit dem ganzen Körper über den Boden, als Nico Peterson aus der Küche kam, um den Tisch zu decken.
„Was tust du da?“, wollte er wissen.
„Fühlen.“, antwortete die Frau.
Nico Peterson fiel auf, dass sie plötzlich sehr hübsch wirkte. Sie war nicht mehr die selbe in seinen Augen. Er riss sich los von seinem Anblick, bat sie sich hin zu setzen und holte das Essen.
Ohne sich zu rühren sass die Schläferin wenige Minuten später vor dem bedeckten Tisch und ihrem vollen Teller, während Nico Peterson appetitlos vor sich hin ass.
„Was ist?“, fragte er leicht genervt.
Die Schläferin antwortete nicht. Mit dem Blick auf Nico Petersons Hände griff sie nach dem Besteck, stach die Gabel in das Stück Fleisch vor sich und führte es in den Mund. Vorsichtig begann sie zu kauen. Plötzlich nachdem sie geschluckt hatte, begann sie wie wild alles in sich hinein zu stopfen. Als sie fertig war, schob Nico Peterson seinen Teller hin.
„Hier, ich habe keinen Appetit.“
Zum ersten Mal sah er sie Lächeln, als sie seinen Teller entgegen nahm. Mit einem zufriedenen Gefühl beobachtete er, wie sie auch diesen Teller leer schlang. Er hatte tatsächlich keinen Hunger oder viel mehr keine Lust. Das Essen schmeckte ihm nicht mehr.
„Du brauchst einen Namen.“, meinte Nico nach einer Weile.
Die Schläferin sah ihn fragend an.
„Wie willst du heissen?“, wollte er wissen.
Die Schläferin dachte angestrengt nach.
„Nico.“,meinte sie plötzlich überzeugt. Nico Peterson begann von Herzen zu lachen. Er konnte sich gar nicht mehr einkriegen. Verwirrt über diesen Gefühlsausbruch, versuchte die Schläferin mit ein zu stimmen.
„Warte, warte.“, unterbrach er, „Du bist eine Frau. Nico ist kein Frauenname. Nicole wäre einer.“
„Nicole.“, wiederholte die Schläferin. Sie liess sich den Klang auf der Zunge zergehen, „Nicole.“ Sanft biss sie sich auf die Lippen, dann meinte sie: „Das gefällt mir.“
Nico Peterson nickte ihr stumm zu.
Nicole ass den ganzen Abend noch so weiter, bis sie schlussendlich das Meiste wieder erbrechen musste. Erschöpft legte sie sich neben Nico Peterson, der im Bett lag.
„Alles klar?“, wollte er mit sanfter Stimme wissen.
Sie nickte schwach. Nach einigen Sekunden, begann sie ihn zu streicheln, wie sie es im Gleiter getan hatte.
„Nicht.“, Nico Peterson stand auf, „Ich kann das nicht mehr.“, sagte er. Er sah in ihr verwirrtes Gesicht. Wie wenig sie doch verstand. „Du bist mir nicht mehr gleichgültig“, erklärte er.
„Sind wir jetzt Freunde?“, wollte sie erneut wissen.
Nico Peterson nickte. „Ja, das sind wir.“
Er legte sich wieder neben sie und so verharrten sie die ganze Nacht über.
Es war der nächste Morgen. Die Sonne schien bereits leicht durch das Fenster ins Zimmer. Nico Peterson stand vor dem Bett. Nicole lag schlafend unter der Decke. In seiner Hand hielt Nico Peterson eine Schusswaffe. Er hatte sie mit den restlichen Megabits bezahlt. Sanft wog er sie in der Hand.
„Ich hoffe du kommst alleine zurecht.“, flüsterte er nachdenklich.
Er wollte gerade das Zimmer verlassen, da öffnete die Schläferin ihre Augen. „Ich komme mit.“, sagte sie und stand auf.
„Ich werde ihn töten.“, kündigte Nico Peterson an.
„Ich weiss. Doch du brauchst meine Hilfe, um ins Gebäude der Coop zu gelangen“.
Nico Peterson wusste, dass sie recht hatte.
Der Leiter der Coop. Hermann Griss hatte sie zu der Raumstation gelotzt. Er war Schuld am Tod seiner Freunde. Begleitet von Nicole der Schläferin machte Nico Peterson sich auf ihn zu töten.
Es war beinahe zu einfach. Die Zentrale der SonyCoop stand ihnen bedingungslos offen. Niemand hielt die beiden auf, da sie durch Nicole an jedem Sicherheitscheck problemlos vorbeikamen. Das riesige Sicherheitsgebäude hatte ihnen nichts entgegen zu setzen.
Umso näher sie ihrem Ziel kamen, desto nervöser wurde Nico Peterson.
Im Fahrstuhl fuhren sie 68 Stockwerke hoch. Auch da hielt sie niemand auf. Erst vor dem Büro von Hermann Griss gab es ein Hinderniss.
„Ja bitte?“, meinte die Sekräterin.
„Wir müssen zu Herrn Griss.“
„Er ist nicht da.“, sie hatte ein quietschende Stimme.
Ohne sich weiter mit ihr beschäftigen zu wollen, trat Nico Peterson an die Tür. Sie war blockiert.
„Was tun sie da!“, schrie die Sekretärin, ohne sich zu bewegen. Nicole trat hervor und legte ihre Hand auf die Türklinke, ein leises Zischen signalisierte, dass die Blockade aufgehoben war. Die Tür ging auf.
Hermann Griss sass am Büro vor einer Projektion einer Rechentabelle und sah sich überrascht um, als er die fremden Schritte vernahm.
„Wer sind sie?“, wollte er erschrocken wissen. Hermann Griss sah sehr jung und sportlich aus. Seine straffen Gesichtszüge zeigten einen disziplinären Mann.
„Sie kennen mich.“, begann Nico, „ich bin Nico Peterson, sie haben meine drei Freunde umgebracht.“, er hob die Waffe an, Griss drückte sich gegen seine Stuhllehne, „Testflug 441D, nachdem wir ihnen die Geldforderung für unser Schweigen über den Missstands ihres Modells genannt hatten, schickten sie uns auf dieses Schiff. Sie liessen dort durch die elektrischen Strahlungen unsere Chips kurzschliessen. Sie wollten, dass wir uns gegenseitig töten. Doch sie,“, er wies auf Nicole, „hat mich gerettet und mich eingeweiht. Sie war ihre Schläferin am Bord der Station.“
Überrascht sah sich Griss die Frau genau an, dann begann er laut zu lachen. Wütend ging Nico Peterson auf ihn zu und schlug ihm ins Gesicht.
Ruhig schaute ihn Hermann Griss an und wischte sich das Blut aus dem Gesicht.
Dann formte sich wieder ein breites Grinsen.
„Sie Narr. Was denken sie ist für uns schon eine Million oder zwei. Das hier ist die SonyCoop.“, seine Stimme war laut und stark, „Denken sie, das Risiko eines Mordes wäre für uns lohnender.“, dann sah er zu Nicole hinüber, „Fragen sie sich doch selbst, wer die Strahlung an Bord eines Schiffes kontrolliert.“
Nico Peterson fuhr erschrocken zurück. Zwei Männer kamen nun ins Zimmer gerannt und zielten mit ihren Waffen auf Nico Peterson, der seinerseits noch immer Griss im Visier hatte. Doch sein Blick ging zu Nicole hinüber. Alles was Griss sagte, ergab Sinn. Nicole sah ihn ausdruckslos an, ob sie überhaupt verstand, was hier vor sich ging.
„Sag mir, dass du nichts mit der Strahlung zu tun hast.“, befahl ihr Nico Peterson.
Ihre Lippen begannen aufgeregt zu zucken.
„Sag mir, dass du nichts mit dem Tod meiner Freunde zu tun hast!“, schrie er.
„Ich wollte, dass du mein Freund wirst.“, antwortete sie, „Ich wollte einen Freund.“
Nico Peterson liess die Waffe fallen. Er hörte, wie Griess amüsiert zu kichern begann. Auf ein Zeichen von ihm hin, griffen die beiden Männer nach Nicole.
„Nein.“, sagte sie, „ich will nicht zurück.“
„Bringt sie in die Programmzentrale.“, befahl Griss, doch Nicole wehrte und sträubte sich gegen die Griffe der Männer.
„Nein, bitte. Nico, hilf mir. Wir sind doch Freunde.“, flehte sie, „Lass sie mich nicht zurückbringen. Ich will leben.“.
Nico Peterson ging stumm an ihr vorbei und verliess das Büro. Als einer der Männer ihm folgen wollte, wies ihn Griss an, Nico gehen zu lassen. Nico hörte noch lange Zeit ihre Schreie. Sie hatte geweint. Eine Schläferin, die weint, wie ungewöhnlich.
Draussen vor dem Gebäude setzte sich Nico auf eine der Treppenstufen. Er fühlte sich leerer, als je zuvor. Müde sah er sich um. Wie kalt doch diese Welt war, dachte er, wie kalt und skuril. Er sah in den Himmel hoch und wünschte sich dort oben zu sein. Fern jeglicher Zivilisation. Nicht nur weil er die Menschen hasste, auch weil er sich selbst hasste.