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Träume

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06.11.2013
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Träume

Fast schon hörte ich Anders fluchen. „Diese olle Pappschachtel, zu nichts nutze!“
„Anders, um Gottes willen, nimm den Bus! Wenn Dieter Zeit hat, richtet er dir das schon.“
Ich lächelte. Anders hatte immer schon zwei linke Hände gehabt. Und mit dem alten Trabi hatte er sich nie anfreunden können.
Jetzt standen da Volkswagen und Opel. Und in dem Haus wohnten Leute, die ich nicht kannte.
Mutter und Anders wohnten längst in Berlin. Ich fragte mich, was aus dem alten Dieter geworden war. Ob er noch lebte? Und Louisa …
Meine kleine Louisa. Das idyllische Bild meiner Kindheit löste sich schlagartig auf, plötzlich war da nur noch Schmerz. Nach all den Jahren fühlte er sich fast genau so frisch an wie am Anfang.
„Suchen Sie etwas?“, Eine ältere Frau stand vor mir.
„Nein, nein. Es ist nur, ich habe hier einmal gewohnt.“
Die Frau wirkte nachdenklich. „Ich kenne das. Als ich nach zehn Jahren in Deutschland das erste Mal wieder in der Türkei war, habe ich den Ort nicht mehr wiedererkannt.“
„Denken Sie oft an zu Hause?“
„Wissen Sie, ich bin alt. Und ich habe nie lange an einem Ort gelebt. Zu Hause ist für mich dort, wo die Menschen sind, die mich lieben.“
„Meine Schwester ist hier gestorben.“ Ich weiß nicht, warum ich das erzählte. „Sie war 13.“
Die Frau nickte. Sie sagte nichts mehr, aber ich war dankbar, dass sie da war.

„Weißt du, Mama,“ sagte ich. „Ich glaube, zu Hause ist dort, wo die Menschen sind, die dich lieben.“
„Nanu, du wirst ja gleich philosophisch?“
„Ach Mama.“
Sie war alt geworden. Und die Sorgenfalten waren deutlich in ihrem Gesicht zu sehen. Ich hatte das Gefühl, sie hatte nicht mehr richtig gelacht, seit Louisa …
„Wann musst du wieder weg?“ fragte Anders.
„In drei Tagen.“
„So früh schon?“
„Ich war doch schon so lange hier. Und Yuri und meine kleine Tania warten doch auf mich.“
„Ach, ich würde die kleine Tania so gerne einmal sehen,“ sagte Mutter.
„Komm mich doch mal besuchen.“
Mutter schwieg. Mutter und Anders lebten seit sechs Jahren von Sozialhilfe, beide hatten kurz nach der Wende ihre Arbeit verloren und nichts mehr gefunden.
„Mutter, komm mit mir. Das ist doch kein Zustand hier.“
„Anna, mach dir um mich keine Sorgen. Ich bin alt, aber es gibt hier Menschen, die mich brauchen.“
Ratlos sah ich zu Anders.
„Der Mensch ist ein unwahrscheinlich anpassungsfähiges Tier, weißt du,“ sagte er. „Aber er ist kein Mensch, wenn er keine Träume mehr hat.“
„Dann verliert eure Träume nicht.“

Anders fuhr mich zum Flughafen. Von Mutter hatte ich mich bereits verabschiedet, ihr ging es nicht gut. Er fuhr immer noch den selben alten Trabi.
„Es war schön, mal wieder zu Hause zu sein. Ich habe euch immerhin fast acht Jahre lang nicht gesehen.“
„Du bist erwachsen geworden,“ stellte Anders fest.
„Versprichst du mir, dass ihr mich besuchen kommt? Ihr beide?“
„Sobald wir können.“
Der Abschied von Mutter hatte sich angefühlt, als wäre er endgültig gewesen.
„Kommst du dort zurecht?“ fragte mein Stiefvater.
„Das Leben ist nicht einfach. Es ist nie einfach. Aber es sind ehrliche Menschen dort.“
„Ich denke oft an früher. Jetzt, wenn man so zurückdenkt, kommt einem alles so idyllisch vor. Wir waren eine glückliche Familie.“
Ich dachte an unsere alte Wohnung in Rostock, und die türkische Frau.
„Das Leben geht weiter, weißt du. Und der Mensch ist kein Mensch, wenn er keine Träume mehr hat.“
Als ich schon im Flieger nach Havanna saß, dachte ich noch lange darüber nach, was aus meinem ehemaligen zu Hause geworden war. Mutter schaffte es noch, mich zu besuchen. Aber ich habe Deutschland nie wieder gesehen.

 

Hallo Sunchelle

Bei einigen Sätzen trat mir zwar ein Lächeln auf, doch sehr tiefschürfend wirkte mir dieser Beitrag nicht. Mit einer Ein-Satz-Interpretation über „zu Hause“, die bereits seit der Antike in unzähligen Variationen in Versen und Zitaten ihren Niederschlag fand, erhebt es den Text nicht zu einem „philosophischen Lesestück“. Ein solches muss hier zwar nicht hochtrabende Weisheiten explizieren, aber im Ansatz doch etwas konkreter und hinführender sein. Es kann ein allgemeingültig gesellschaftliches Problem reflektieren und nach philosophischen Regeln zu beantworten versuchen, einen inneren Wandel oder eine grundlegende Erkenntnis herbeiführen.
So wie es steht, ist es ein leicht sentimentales Stück, aufkommende Gefühle, anlässlich eines Besuchs im Elternhaus. Um dem Inhalt gerecht zu werden, kann ich es Dir in eine andere Rubrik verschieben, in der es auch seine spezifischen Leser findet. Sollte ich bis zum 29. November keine Antwort von Dir erhalten, werde ich es in die Rubrik „Sonstige“ platzieren.

Nun noch etwas konkreter zu Deinem Stück. Nach einer stimmungsvollen dialogischen Eröffnung, fühlte ich mich ab dem zweiten Drittel verunsichert, da ich den Eindruck hatte den Faden zu verlieren. Es sind da Verständnislücken, die sich nur zusehends schliessen, Namen tauchen auf ohne (vorerst) klare Zuordnung. Etwa Louisa, es muss ein Nachbarskind gewesen sein. Auch der Ort im ersten Abschnitt, da wird Berlin in einem Nebensatz erwähnt, gegen Schluss klärt sich das dies in Rostock war. Als der Name Anna fiel, bekam die Protagonistin endlich einen Namen, bis anhin hatte ich einen Mann hinter diesem Erleben vermutet.

Du verstehst es durchaus, kleine stimmungsvolle Bilder zu schaffen, doch puzzleartig verstreut, was der Lesbarkeit nicht unbedingt dienlich ist. Hier vermisste ich auch mehr oder weniger das Verändernde, welches eine Geschichte erfüllt.
Die Autoren in diesem Forum haben die Möglichkeit Verbesserungen vorzunehmen, wenn sie darauf hingewiesen werden oder selbst zu neuer Erkenntnis gelangen, anderswie könnte es den Leser erfolgreicher ansprechen. Einzig bei Titel können Autoren Änderungen nicht selbst vornehmen, dies muss einem zuständigen Moderator mitgeteilt werden, der dies ausführt.

Noch ein paar kleine Patzer, welche ich beim Lesen bemerkte:

Nach all den Jahren fühlte er sich fast genau so frisch an wie am Anfang.

genauso

„Wann musst du wieder weg?“[KOMMA] fragte Anders.

Er fuhr immer noch den selben alten Trabi.

denselben

Jetzt, wenn man so zurück denkt, kommt einem alles so idyllisch vor.

zurückdenkt

Ich dachte an unsere alte Wohnung in Rostock, und die türkische Frau.

Kein Komma nach Rostock.

Als ich schon im Flieger nach Havanna saß, dachte ich noch lange darüber nach, was aus meinem ehemaligen zu Hause geworden war.

Es ist nicht falsch, aber in diesem Satz fände ich Zuhause in einem Wort besser eingesetzt.

Noch ein Wort zu den Verhaltensweisen hier im Forum:

Du hast inzwischen vier Geschichten eingebracht, Kommentare aber weitgehend nicht beantwortet. Kommentare zu Geschichten anderer Autoren waren von Dir bis anhin überhaupt keine zu verzeichnen. Um es kurz zu formulieren: Dies ist nicht die Art der feinen Leute! Es besteht zwar für niemanden der Zwang etwas zu tun, was er nicht möchte, doch lebt dieses Forum von Geben und Nehmen. Schreiben und Kommentieren sowie Antworten sind da einfach normale Verhaltensweisen.
Solltest Du Dir unsicher sein, wie man solchen Austausch pflegt, lies doch mal diesen kurzen Text hier.

In diesem Sinne freue ich mich auch weiterhin, von Dir zu lesen.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Lieber Anakreon,

vielen Dank für deine Antwort. Ich wusste nicht, dass es hier üblich ist, auf Rezensionen zu antworten. Ich habe natürlich dort geantwortet, wo es Fragen gab, ansonsten habe ich meine Geschichten für sich selbst sprechen lassen. Ich glaube, Geschichten können auch ihren Reiz verlieren, wenn man zu viel erklärt. Und für die Interpretation sind ja schließlich die KritikerInnen zuständig :P
Um selbst Rezensionen zu schreiben hat mir einfach bis jetzt die Zeit gefehlt, das versuche ich zu ändern.

Nun zu meiner Geschichte: Hier geht es, wie der Titel vorausahnen lässt, um die Träume. Wir sehen eine Familie, die in alle Winde verstreut lebt. Wir sehen eine junge Frau, die ein letztes Mal zurück nach Hause gekommen ist, um endgültig Abschied zu nehmen. Wir sehen ein älteres Paar, das scheinbar alles verloren hat. Wir sehen die Trauer um Louisa, die kleine Schwester, die die drei verbindet. Wir sehen Träume von einer besseren Welt, die weiter weg zu sein scheinen, als je zuvor. Und doch sehen wir immer wieder, zuerst bei der alten Frau, dann bei Annas Mutter, die sagt, da seien Menschen, die ihre Hilfe brauchen, und am Ende bei Anna selbst, die die Vergangenheit endlich hinter sich lässt. Es ist auch kein Zufall, dass sie unterwegs nach Havanna ist. Die Geschichte besteht aus drei kleinen Szenen, setzt sich nur langsam wie ein Puzzle zusammen, an vielen Stellen fehlen Teile. Das ist gewollt, ist der Lust am Experimentieren geschuldet.

Übrigens: Zumindest meine überflüssigen Kommas sind in den meisten Fällen auch gewollt, um eine gedankliche Pause zu markieren.

Die philosophische Erkenntnis ist die, dass das Leben weitergeht, solange wir nur den Glauben an die Zukunft nicht verlieren. Irgendwie, und trotz alledem.

 

Hallo Sunchelle

Die philosophische Erkenntnis ist die, dass das Leben weitergeht, solange wir nur den Glauben an die Zukunft nicht verlieren. Irgendwie, und trotz alledem.

Dies dünkt mich für eine annähernd „philosophische Erkenntnis“ eine sehr fragile Basis, da Zukunft sich mit oder ohne Glauben immer vollzieht und einzig ein „Prinzip Hoffnung auf Besseres“ sich noch qualitativ etablieren liesse. Aber dies bedingte wiederum eine fassbare Ursache, die zu Wirkung führen könnte.

Aber gut, mal sehen, ob und allenfalls wie es bei Lesern dieser Rubrik Resonanz findet. Deiner Erläuterung entnehme ich, dass Du den Text nicht willkürlich unter dieses Vorzeichen gesetzt hast.

Ich glaube, Geschichten können auch ihren Reiz verlieren, wenn man zu viel erklärt. Und für die Interpretation sind ja schließlich die KritikerInnen zuständig :P

Ich würde da noch einen Schritt weitergehen. Eine Geschichte, die erklärt werden muss, hat ihr Ziel verfehlt. Es ist Aufgabe der Autoren ihre Geschichten so zu präsentieren, dass sie verständlich sind. Dabei sind Aussparungen tragbar, die es den Lesern ermöglichen sich manche Feinheiten vorzustellen. Kritikern kommen vorwiegend die Aufgaben zu, Inhalt und Stil im Lichte des Anspruchs von Literatur zu deuten, wobei hier natürlich nicht eine strenge literaturwissenschaftliche Analyse gefragt ist. Hier geht es schwerpunktmässig darum, den Autoren die Sichtweise von Lesern zu vermitteln, damit sie erkennen, warum und worin sie sich verbessern können. Eine Rezension ist dabei immer ein positives Echo, wenn die Schreibenden sich an die Kriterien gelingender Kommunikation halten.

Zumindest meine überflüssigen Kommas sind in den meisten Fällen auch gewollt, um eine gedankliche Pause zu markieren.

Ob es Sinn macht über Regeln hinaus, gedankliche Pausen mit Kommas zu markieren, überlasse ich mal den Lesern, die sich auf Sprache und Stil fixieren.

Deiner Absichtserklärung, auch Rezensionen einzubringen, stehe ich mit Neugierde gegenüber, da ich mir da brachliegendes Potential vorstellen könnte. Einen Zwang solltest Du Dir dabei nicht einhandeln, aber den Gewinn nicht verpassen. :)

Also Sunchelle, verbleiben wir bei diesem Kompromiss und ich hoffe es ermöglicht Dir, beim Lesen, Schreiben und Kommentieren den Dir bestimmten Weg zu finden.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hej Sunchelle,

ich würde Dir empfehlen, die Geschichte in eine andere Rubrik verschieben zu lassen und dafür noch einmal zu überarbeiten.

Die philosophische Erkenntnis ist die, dass das Leben weitergeht, solange wir nur den Glauben an die Zukunft nicht verlieren. Irgendwie, und trotz alledem.
Das findet sich angedeutet schon in Deinem Text, allerdings würde man einige Geschichten finden, denen man diese Aussage grob zuschreiben kann. Eine sehr schöne Aussage, finde ich, aber keine Erkenntnis. Eher eine Meinung, ein Gefühl, das Hoffnung in einem speziellen Fall und spezielle Umstände betreffend anhand einiger Szenen vage beschreibt.

Fast schon hörte ich Anders fluchen. „Diese olle Pappschachtel, zu nichts nutze!“
„Anders, um Gottes willen, nimm den Bus! Wenn Dieter Zeit hat, richtet er dir das schon.“
Ich lächelte. Anders hatte immer schon zwei linke Hände gehabt. Und mit dem alten Trabi hatte er sich nie anfreunden können.
Jetzt standen da Volkswagen und Opel. Und in dem Haus wohnten Leute, die ich nicht kannte.
Mutter und Anders wohnten längst in Berlin. Ich fragte mich, was aus dem alten Dieter geworden war. Ob er noch lebte? Und Louisa
Meine kleine Louisa. Das idyllische Bild meiner Kindheit löste sich schlagartig auf,
Guck mal, wie viele Leute Du innerhalb kürzester Zeit in den Text würfelst. Da verheddert man sich schnell und verliert den Überblick, abgesehen davon kommt man auch gefühlsmäßig nicht hinterher. Dir geht es doch aber in der Szene darum eine "idyllische" Kindheit auferstehen zu lassen. Das erreichst Du sicher nicht, wenn Du eine Menge Leute aufs Tablett stellst.

Der zweite Absatz schwebt in der Luft, kein Hinweis, wo das Gespräch stattfindet oder was sonst für Umstände herrschen. Gleiches gilt für den letzten Absatz, sitzen sie im Auto oder stehen sie im Flughafengebäude?

Aber ich habe Deutschland nie wieder gesehen.
Das ist seltsam. Dieses "nie wieder gesehen" wäre ein abgeschlossener Vorgang, wenn es sich um einen anderen handeln würde. Aber die Erzählerin lebt noch. Eher: "bisher nicht wieder gesehen".
In beiden Fällen fehlt mir ein Grund dafür, diesen Umstand so zu betonen. Es läge immerhin nahe, Deutschland zu besuchen, da lebt oder stirbt die Mutter. Das ist irritierend.

Ich wünsche Dir noch viel Spaß hier,

LG
Ane

 

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